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Die Ankunft


Schmuddelkind

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Ich gehöre zu den Menschen, die nicht im Flugzeug oder Bus schlafen können. Dementsprechend müde war ich von dem langen Flug von Frankfurt über London nach Bangalore. So müde, dass ich nicht verstanden habe, was der indische Polizist in der braunen Uniform von mir wollte, der mich direkt nach der Gepäckkontrolle ansprach - ich muss vorwegschicken, dass ich nie einen rechten Zugang zu dem Englisch mit indischem Akzent fand. Ich hatte bereits vorher aufgrund der Schilderungen des Indien-erfahrenen Vaters meiner Freundin gewusst, dass die indischen Behörden bei Europäern gerne überkorrekt sind, um den Eindruck einer fortschrittlichen, durchorganisierten Bürokratie zu erwecken. Also gab ich ihm alle Papiere, die ich bei mir hatte und auch wenn ich nicht erfahren konnte, worum es eigentlich ging, hat er mich nach kurzer Durchsicht durchgewunken. Zu allererst habe ich den ersten Reisescheck eingelöst; denn ohne Geld geht auch in Indien nichts und mit Geld kommt man sehr weit.

Ein paar Schritte und dann war es endlich so weit - der erste Atemzug in der indischen Nachtluft. Die Nacht erschien mir merkwürdig schwül und was ich im fahlen orangefarbenen Laternen-Licht von Bangalore erkennen konnte, erinnerte mich beklemmender Weise an Frankfurt: hohe Gebäude, breite Straßen, Dreck. Doch allzu lange blieb mir nicht, um mich an die neue Umgebung zu gewöhnen; denn sofort stürmten dutzende Männer auf mich zu, schrien wild durcheinander und kamen mir unangenehm nah. In all dem Wirrwarr konnte ich noch verstehen, dass sie mir helfen wollten, meinen Bestimmungsort zu finden. Ich gab zu verstehen, dass ich zum Inlandsflughafen musste und mit der größten Freundlichkeit erklärte man mir, dass der nur ein paar Meter um die Ecke liege. Ich gab dem Nächststehenden 50 Rupien (ein Euro und ein paar Gequetschte) und machte mich auf den Weg dorthin.

Es war ein geradezu winziger Flughafen, in militärisch anmutendem Braun gehalten. Als ich auf der harten Metallbank wartete, wurde mir klar, dass ich es schwer haben würde, die vier Stunden bis zum Weiterflug ohne Schlaf auszuhalten - und schlafen wollte ich mit Bedacht auf mein Gepäck nicht. Daher kaufte ich mir am nächstbesten Stand ein undefinierbares Milchshake-ähnliches Kaffee-Getränk. Kurz darauf war es nicht mehr die Müdigkeit, die mich beschäftigte, sondern meine Gastral-Aktivität. "Schnell zur Toilette!", dachte ich, doch als ich da ankam, dachte ich nur "schnell wieder raus!" Ich muss wohl nicht ins Detail gehen, aber es war unschön. Also verbrachte ich die nächsten vier Stunden totmüde und mit Bauchschmerzen, gelangweilt auf einem öden, relativ einsamen Flughafen, bis ich endlich meinen Anschluss-Flug antreten konnte.

Tatsächlich konnte ich während des Inland-Fluges sofort schlafen und wachte erst wieder mit flauem Magen auf, als das Flugzeug seine Landeschleife drehte. Sicherheitshalber kramte ich schon die Kotztüte hervor, während sich mein Sitznachbar, ein älterer Herr in feinem Dress als Thomas-Christ vorstellte (in Indien ist es durchaus nichts Unübliches das Gespräch direkt mit religiösen Fragen einzuleiten). Wir unterhielten uns also bis zur Landung (etwa eine halbe Stunde lang) über das Christentum, über den Hinduismus und wie die Hindus christliche Traditionen aufgreifen und umgekehrt, während meine Augen immer wieder in Richtung der weit ausgedehnten Kokospalmen-Wälder bei Trivandrum abschweiften, die mir eine Vorahnung von der ursprünglichen Schönheit der Natur Keralas gewährten. Es scheint in Südindien Sitte zu sein, dass man jungen Ausländern versichert, sie würden eines Tages zu bedeutenden Persönlichkeiten ihres Landes; anders kann ich es mir nicht erklären, dass der mir völlig fremde Mann sagte: "You will be President of Germany." Das war noch vor Wulff und Köhler, so dass ich es nicht als Beleidigung aufgefasst habe.

Auf dem Boden Keralas angekommen, hielt ich Ausschau nach meiner Freundin und als ich sie vor dem Gebäude sah, das Meer im Hintergrund, wollte ich ihr am liebsten in die Arme fallen, hatten wir uns doch zwei Monate lang nicht gesehen. Doch das wird in Indien als unhöfliche Zur-Schau-Stellung von Intimität angesehen, so dass ich mich zurückhielt und ihr in etwa in der gleichen Weise die Hand gab wie ihrer Freundin. Wir stiegen sogleich in die wartende Rikscha, wo ich die angenehme Abkühlung genoss, die der Fahrtwind mir bot.

 

In einer Rikscha sitzt man zu dritt sehr gedrängt auf der Bank in einer kleinen Kabine, die zu den Seiten hin offen ist. Ich hielt mich an meinem großen Rucksack fest, der zwischen meinen Beinen kaum Platz hatte. Der Fahrtwind wehte mir um die Ohren als Bote eines Abenteuers, auf das ich mich sehr freute; jedoch konnte ich davon nicht viel zeigen, da ich am liebsten den Kopf auf meinen Rucksack sackend eingeschlafen wäre. Doch die vielen neuen Eindrücke - die gewöhnungsbedürftige Fahrweise des Rikscha-Fahrers, wie er etwa zwei Rikschas, die nebeneinander fuhren auf dem sandigen Gelände links neben der holprigen Straße überholte, ein anderes Mal rechts über den Mittelstreifen überholte, zwischen einer Rikscha und einem entgegenkommenden LKW hindurch, die Kokospalmen rings umher, zwischen denen sich allerlei dichtes Strauchwerk und gelegentlich eine Familie in einer Hütte eingerichtet hatte, die vielen Ortschaften, die so zerfasert dem Wald eine weite Ausdehnung einräumten, dass ich nie wusste, ob ich mich in der Natur oder der Zivilisation befand, die Gesangs ähnlichen Rufe geschäftstüchtiger Händler - diese Eindrücke haben alle meine Sinne eingenommen, weswegen ich den teils fürsorglichen, teils neugerigen Fragen meiner Begleiterinnen nur dürftig nachkommen konnte. Wir benötigten etwas mehr als eine Stunde für die knapp 50 km nach Varkala - ein Tempo, an das ich mich noch gewöhnen sollte.

Unser Hotel, ein hübsches blaues Haus im Kolonialstil, lag etwas abseits. Eine Kokospalme stand neben dem Pfad zum Eingang und dahinter erstreckte sich der Wald. Wir fanden uns gleich auf dem Balkon ein, der die beiden Zimmer miteinander verband, die wir bezogen. Da ich einen vorübergehenden Anflug von Wachheit erfuhr, fühlte ich mich konzentriert genug, zu reden und wir aßen die frischeste Mango und unterhielten uns, bis wir bei Sonnenuntergang (gegen 19 Uhr) unter unsere Moskito-Netze schlüpften.

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2 Kommentare


Empfohlene Kommentare

Cool! Freue mich, dass selbst mein Reisetagebuch dir gefällt. :classic_smile:

 

Hoffe nur, dass ich noch einigermaßen die Erinnerungen für die weiteren Reisetage zusammenkriege. Ist inzwischen schon 14 Jahre her, dass ich in Indien war. Hätte diesen Text viel eher schreiben sollen.:hammer:

 

LG

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