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20.5.2012


Schmuddelkind

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Ach Babsi,

 

wenn ich ein wenig bedachter gewesen wäre oder wenn sie nachsichtiger gewesen wäre oder diese schlimmen Umstände an einem anderen Tag... ach, was nützt es? Es sind bloß Bedingungen zum Erhalt einer Einbildung, die mein ganzes Denken vergiftet und doch meinen Verstand vor dem Darben bewahrt. Oh, hätte ich nicht alles wissen, alles mitempfinden wollen, als sie mir erzählte, dass sich der Gesundheitszustand ihrer Großmutter drastisch verschlechterte, hätte ich vielleicht kaum mehr daran teilgenommen als an dem Geschwätz, das die Nachbarn hier über mich und meine "seltsamen" Fußwege, die ich mir täglich aussuche, meine "verlorenen" Gesten und meine Sprache wechseln, dann wäre ich nicht ich selbst, aber glücklich - vielleicht kann man meine Geschichte in diesem Sinne begreifen. Du verstehst mich.

 

Dass man sich oft einbildet, der Mensch sei von edler Natur, ist mir schon immer als merkwürdige Torheit erschienen, wenn nicht gar als Lüge; denn wie häufig empfindet der Mensch das eigene Sein als so armselig, dass er sich nach simplerer Existenz sehnt? Wenn etwa bei schönem Wetter allerhand Schreibarbeit zu erledigen ist und man nicht in heiterer Selbstgenügsamkeit den warmen Lockungen nachgeben kann wie die Bienen. Es scheint mir fast, als leide der Mensch an seiner Komplexität, an seinem Denken, an seinem Zweifeln, an Worten wie "mein", "dein", "Freiheit" und "Pflicht". Mich überkommt die Sehnsucht, meine Sprache zu verlieren.

 

Was soll es... ich schweife ab. All meine Aufmerksamkeit galt ihrem Innersten; ich wollte es verstehen, wollte sehen, was dies mit ihr macht. Ich konnte nicht anders, als sie danach zu fragen und sie konnte nicht anders, als sich in ihrer Aufregung davor zu fürchten. Sie hatte Angst davor, ich wolle ihre Gefühle ordnen, denn, so meinte sie, dem natürlichen Chaos eine menschliche Ordnung zu geben, sei unangebracht und außerdem nicht zweckdienlich. Ich verstand ihr Argument und muss es ihr wohl eingestehen und dennoch - ich musste meinem Begehr nach Nähe Ausdruck verleihen.

 

Ich... ich jagte der Nähe nach, die sich mir umso mehr entzog, je bedürftiger ich danach drängte, bis es nichts mehr zu sagen gab, weil nichts mehr zurückgenommen werden konnte. Nichts weiß ich mehr von dem, was mein Wesen bis vor kurzem ausmachte.
 

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