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Erster Brief vom 6.7.2012


Schmuddelkind

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Liebe Babsi,

 

hab keine Angst! Ich weiß, was ich tue. Seit Wochen verdichten sich alle Gedanken und Empfindungen zu diesem Wunsch, der so kräftig mir aus allen Einfällen spricht, dass ich nichts anderes in Erwägung ziehen könnte. Sei also beruhigt! Ich tue nichts, was ich bereuen werde. Verzeih mir meinen Zynismus! Es ist nur so, dass ich kaum noch etwas ernst nehmen kann an diesem Leben, nicht einmal den Tod. Ja, ich bin entschlossen! So fest entschlossen, dass ich behaupten kann: ich bin bereits tot, spätestens wenn du diesen Brief zu Ende gelesen hast.

 

Ich hoffe, du verstehst mich.

 

An meiner Bibliothek darfst du dich als erste bedienen. Die Anderen sollen nehmen, was sie gebrauchen können. Sei bitte so lieb und bemühe dich um die Erfüllung meines letzten Wunsches! Mein Leib soll verbrannt werden! Die Asche soll in einer Urne aus hellem Lindenholz aufbewahrt werden, worin mein Gedicht "Ganz nah" in schönen Lettern eingeritzt sein soll:

 

Ein heiterer Gedanke wäre ich so gerne,
ein liebevolles Wort, nicht mehr,
so dass ich, riefst du meinen Namen in die Ferne,
ganz nah an deinen Lippen wär!

 

Sorge bitte dafür, dass die Urne zu Sanny gelangt! Ich mache mir vor, auch nach meinem Tode bei ihr sein zu wollen. Eine Kontovollmacht zu diesem Zweck ist bereits auf dem Weg zu dir. Ich habe ein paar Rechnungen liegen lassen (keine Sorge - die werden nicht arm), damit noch etwas zu holen ist. Sollte es nicht ausreichen, bitte meine Mutter um eine Zugabe! Sie wird mir meinen letzten Wunsch nicht abschlagen wollen. Und sag ihr, dass es mir leid tut, was sie durch mich alles erleiden musste und dass ich mich schäme, nicht den Mut aufzubringen, es ihr selbst zu sagen. Ich wäre ihr gerne ein besserer Sohn gewesen.

 

Dir, liebe Babsi, wäre ich gerne ein besserer und beständigerer Freund gewesen. Für all die Bekümmerung, die du mit mir teiltest fehlt mir der Trost, doch ich bin über alle Maßen dankbar für den Geist, aus welchem heraus du es tatest. In der Hoffnung scheide ich, dass sich dein Leben in sinnvollere und glücklichere Zusammenhänge fügt als meines und dass sich nicht der Schatten meiner Resignation über dich legt, wenn du zweifelst. Dass das Leben schön ist, soll dir mehr Trost sein, als mir es vergönnt war.

 

Sei herzlichst umarmt!

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