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Zwiegespräch


Lichtsammlerin

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- tue einfach so, als wärst du nicht da -

- schrei! mach verdammt nochmal irgendwas! -

- vergiss es, schaffst du sowieso nicht -

- komm runter, ist eh nur ein traum -

- aber er... es tut doch weh... -

- na und? stell dich halt nicht so an -

REDET NICHT ALLE DURCHEINANDER

- aber... -

Stille.

 

Dann ist niemand mehr da.

 

Ein Junge sitzt am Spielplatz und jagt zwei Tauben vor sich her. Er sitzt und rennt gleichzeitig, auch wenn es physisch betrachtet eigentlich unmöglich ist. Für ihn ist es nur ein Schritt neben sich, um Außer-sich zu sein. Nichts ist unmöglich. Er sitzt immer dort, aber heute ist kein guter Tag und er kommt nicht zur Ruhe. Am liebsten würde er das Mädchen packen und ihren Kopf gegen die Schaukel schlagen, damit sie endlich still ist...

 

Eine junge Frau schaut noch einmal zurück und schließt dann die Tür hinter sich. Hier gibt es nichts mehr zu Halten. Nichts, was sie noch tun könnte, um die Seile am Reißen zu hindern. Also geht sie, wortlos, und ein wenig schwankend. Gerne hätte sie eine Entschlossenheit in ihren Schritten, die zumindest nach Außen hin das Bild einer Frau zeichnen würden, die ihr Leben selbst in der Hand hat und weiß, was zu tun ist. Aber sie ist diese Freiheit nicht gewöhnt....

 

Auf einem Bein hüpft das Mädchen den Weg entlang und verlängert damit die kurze Strecke nach Hause. Der Ranzen wippt auf und ab und drückt dabei gegen ihren Rücken, aber sie beachtet ihn nicht weiter. Rückwärts. Vorwärts. Rückwärts.. In ihrer Welt gibt es keinen Weg, kein Haus mit kalten Wänden, keinen trockenen Asphalt unter den Schuhen. Aber da sind Schwalbenkinder, mit denen sie Fangen spielt, leicht und schwerelos. Vorwärts. Rückwärts.. Sie wird zu spät kommen...

 

Er liegt im nassen Gras und atmet flach. Die Arme ausgebreitet sieht er die Sonne im Horizont verblassen. Gestern war er sich sicher, es wäre das letzte Mal gewesen, dass er diesen Anblick in sich aufnehmen würde. Jetzt wünscht er sich, es wäre tatsächlich so gewesen, nur, um diese furchtbare Leere in seinem Inneren nicht mehr spüren zu müssen. Die Sterne kreisen unsichtbar in ruhiger Bahn, aber in Wirklichkeit bewegen sie sich von ihm weg. Er weiß das. Leere dehnt sich aus und drängt alles Materielle in immer größere Ferne.....

 

Endlich sind die Tauben weggeflogen. Drecksbiester. Das Mädchen ist immer noch unerträglich laut und lacht ständig auf. Also geht der Junge hin, packt ihren Kopf bei den Haaren und schlägt ihn wieder und wieder gegen das Eisengestell der Schaukel. Blut läuft an ihrer Stirn hinunter. Sie ist längst verstummt, aber in seinen Ohren klingt noch das Echo ihres schrillen, falschen Lachens, und dann die Stille, wo Schreie hätten sein müssen. Er lässt ihren Kopf los und wendet sich ab, das Mädchen bleibt reglos am Boden liegen. Der Junge sitzt immer noch reglos auf der Bank....

 

Unter den Füßen der Gestalt breitet sich ein weicher Moosteppich, dass sie wie auf Watte geht. Wunderbar weich. Die Gestalt - ES - ist eigentlich Niemand. Und Niemand hat keine Ahnung, wo Es ist. Ein Wald im Nirgends und Niemand mittendrin. Es ist gut, dass kein Mensch da ist, nur die Stille durchfährt Niemand wie ein Wind...

 

- ich glaube du kannst die augen jetzt öffnen -

- wer spricht da? .... hallo?... -

- nein, lass sie noch zu, es ist zu früh -

- aber meine augen sind die ganze zeit schon offen -

- ja, deine schon, aber MEINE nicht -

- glaubst du, dass ich jetzt tot bin? -

- können tote denn reden? -

- ihre lippen bewegen sich nicht, also muss sie tot sein -

- ich bin nicht tot, ihr hört mich doch! -

- vielleicht sind wir alle tot. gespräch unter geistern... -

                   Ein Kichern....

- für eine tote hab ich ziemlich dolle schmerzen -

- ich spür nichts -

- du bist ja auch taub wie ein stein! -

- ich will nicht tot sein -

- was du willst interessiert aber keinen -

- ihr könnt jetzt aufhören, sie sind weg -

- glaub ich nicht, kann das jemand prüfen? -

- ich hab Angst -

- dann geh halt heulen -

- ist sicher: wir sind allein... -

 

Der Junge steht auf und verlässt den Spielplatz. Aber ein Teil von ihm bleibt wie immer auf der Bank sitzen und hält Wache, nur für den Fall. Das Mädchen tobt immer noch laut und lacht, aber es stört ihn nicht mehr...

 

Die junge Frau betritt ein großes Haus voller Gerümpel. Eigentlich will sie nicht hier sein, aber es gibt viel zu tun...

 

Das Mädchen hüpft unbeirrt weiter. Links. Vorwärts. Rückwärts. Rechts.... Die äußere Welt dringt nicht zu ihr durch, aber in ihrer Welt ist es sowieso viel schöner...

 

Die Sonne ist untergegangen und er erkennt erste Sternbilder am Himmel. Mit der Nacht weicht die Leere dem Hunger...

 

Der Wald ist verschwunden. Niemand ist nicht mehr da...

 

 

-------------------------------------------Titelbild---------------------------------------------

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© Lichtsammlerin

~ Urheberrecht der Titelbilder: Lichtsammlerin

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2 Kommentare


Empfohlene Kommentare

Ich glaube.. das Verstehen und Nicht-verstehen zugleich ist hier sehr verständlich.

LI versteht es selbst nicht immer..

 

vor 14 Stunden schrieb Geschichtenerzählerknopf:

Gerne gelesen, Gedanken gemacht und überlegt, welche inneren und äußeren Welten sich hier wohl unterhalten...

Hintergrund ist das Aufspalten einer Persönlichkeit in verschiedene Anteile, die hier aufeinander treffen. Jeder Anteil stellt ein eigenes Individuum dar, auch wenn sie sich den gleichen Körper teilen. Was die äußere Welt betrifft.. die entzieht sich manchen Anteilen und mancher Wahrnehmung. Sie scheint auch keine allgemeine Realität darzustellen.

Aber wie gesagt, so ganz versteht LI es selbst nicht.

 

Danke, dass du dich dennoch auf die Gedanken eingelassen hast.

 

Liebe Grüße Lichtsammlerin

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