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Die Verdorbenen


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Durch den Dreck der stinkenden Gasse schreitet der Mensch, dessen tiefster Herzenswunsch so erbärmlich, wie das Leben in dieser Gosse ist. Links stapeln sich die halbverfaulten Abfälle der gierigen Charaktere und rechts, an der Fassade eines Plattenbaus, sitzt ein verkrüppelter Penner mit verfilztem Haar. Vor ihm, auf dem Asphalt, wartet sein Hut auf einen beherzten Griff in die tiefe Tasche der besseren Menschen.

Wort- und tatenlos prügelt der vorbeischreitende Mann auf den vom Unrat der Straße kaum zu unterscheidenden Bastard aus der innigen Verbindung von Opulenz und Egoismus ein, bis dieser ebenfalls wort- und tatenlos sein scheinbar gottgegebenes Schicksal in tiefster Resignation akzeptiert. Hinsichtlich dieser Wehrlosigkeit wirkt der nächste Schritt natürlich. Die unsichtbare Hand des Schreitenden packt nach dem Hut, um diesen unterm Arm, sowie die wenigen Münzen darin im Gulli vor dem Bürgersteig verschwinden lassen zu können. Ein freundliches Lächeln ziert dennoch seine Lippen, denn schließlich ist er ja kein Unmensch.

Den so unangenehmen Teil der Wahrheit hinter sich lassend, wagt der Mann den Schritt hinein, in das im gleißenden Licht erstrahlende Cafe, dessen Stammkunde er vermutlich ist. Sein entsetzter Blick richtet sich auf den besetzten Stuhl am Fenster, auf dem seit Anbeginn seiner Zeitrechnung außer ihm kein weiteres Individuum hatte Platz nehmen dürfen. Ein zur Tradition erhobenes Ritual unnachahmlicher Wertlosigkeit, gebrochen und zerstört, durch fremde und befremdliche Annexion.

Widerwillig schlurft er in Richtung Ausgang, den Blick jedoch stur auf die Zeitung gerichtet, hinter der das Köpfchen verborgen liegt, welches ihm durch diese bewusst unbewusst wirkende Geste der Abschottung, der widerwärtigen Gleichgültigkeit, verhöhnte. Der Stuhl gegenüber der verdächtig unverdächtigen Person blieb selbstverständlich unbesetzt, denn offensichtlich fehlt es dieser an Manier und Sitte.

Nach langem Warten auf den passenden Moment zur Überquerung der Chaussee und der daraus folgenden rasenden Wut auf die lückenlose, Stoßstange an Stoßstange hängende Parade aus Staub und Blech, die neben der Tatsache, dass es für einen normalsterblichen unmöglich ist, ohne gebrochene Rippen auf die andere Straßenseiten zu gelangen, auch mit einem Konzert aus tausenden Hupen zusätzlich dafür Sorge trägt, dass man wichtige oder dringende Warnungen mit diesen ohrenbetäubenden, dem Frust einen Ton gebenden Instrumenten nicht mehr verstehen kann, fasst sich der Schreitende ein, ich will nicht sagen Herz, vielmehr ein pumpendes Organ und beginnt zu laufen.

Ein Knall, gefolgt von einem Schwall unbeschreiblich unerhörter Schimpftiraden vertont den Unmut und das Pech des Mannes, als er etwa auf halber Strecke von einem Kleinwagen erfasst wird. Die junge Frau an dessen Steuer hechtet hervor, um sich zu vergewissern, so glaubt der Schreitende zumindest, dass ihre Unaufmerksamkeit während des Telefonierens kein Leben kostete. Ein Irrtum so wie sich herausstellt, denn spätestens, als das Weib über den Torso des Mannes trampelt, um eine Träne wegen der Delle in der Motorhaube zu vergießen, wird klar, dass das Auto hier der Leidtragende ist.

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Hallo Freienweide;

 

Ich bin im eigentlichen kein Freund von so langen Texten; aber hier wünschte ich mir es wäre nicht schon zu Ende;

Das hier ist verdammt, sorry den Ausdruck , gut geschrieben;

Man kriegt zu Ende hin eine Gänsehaut, zumindest ist es mir so ergangen;

Hier macht es das Detail aus, die vermeinten angeführten Kleinigkeiten, die aber in Wirklichkeit Großigkeiten ( ein Wortspiel von mir ) sind;

 

Ich bin leider ein wenig in Zeitdruck.. wollte dies aber nicht unkommentiert stehen lassen;

Ich komme aber sicher wieder hier her zurück, Zum Szenario Leben, das unterschiedlicher nicht sein kann und das ich gerne aus deiner Perspektive gelesen habe; bin echt beeindruckt ob der Wortintensivität..

 

mfg. Behutsalem

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