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Im September neunundsiebzig, Wärme war und laue Luft,
weit entfernt noch Herbstes bunte Blätter,
klangen noch in meiner Brust die Liebesseufzer
einer engelsgleichen Frau und gaben Antwort
auf das Flehen eines liebeskranken Mannes -
Glücks genug! Allmählich senkte nun die Sonne
ihre Bahn, die Schatten wurden länger,
kühler wehte abends schon der Wind.

 

Noch erhitzt von Sonnenwärme ließ die
abgestandne Luft im Flur der grauen Villa,
ließen auch die Bohnerwachsgerüche und
billigen Parfüms Odeur die olfaktorisch
sehr verwöhnten Sinne schaudern; Resultat war
Gänsehaut und erstes Ahnen nicht genehmer
Stunden. Strenge Mienen ernster Männer,
harsche Töne, Tonbandmitschnitt der Gespräche,

verhinderten Blicke auf den Langen See,

auf dem die weißen Segel vieler Boote 

Wehmut und Verlangen schürten;
 ausgetrocknet war der Mund und dünner Kaffee
 schaffte kaum die Lippen feucht,

die raue Stimme klangvoll zu erhalten.

 

Aus Minuten wurden Stunden, aus verbalen Schlagabtausch
Drohgebärden; jeder Gang zum Klo zur Demo schierer Macht
zweier Männer, die bestimmten, wann der Druck der Blase
übermächtig den Verhörten zwang, gebeugten Rückens
schmerzgepeinigt und bewacht die Notdurft zu verrichten.
Wehr- und machtlos, nur noch Halt an einer Zigarette
findend, immer wieder Fragen, ungebrochen noch der
Wille, Stand zu halten diesen Schergen eines Staates,
der mit Knüppeln, Todesstrafen, seine Schwäche schlau maskierte,
seine Bürger hinter Mauern, Stacheldraht und Minen
ihrer Freiheit, ihrer Würde frech beraubte, mit hohlen
Sprüchen glauben machte, dass die EmelweA*) der Sieg des
neuen Menschen sei, das Paradies auf dieser Erde.

 

Noch war Spott in meiner Stimme, rauer klang sie nach fünf
Stunden, dunkel war es schon geworden und ein Wink des
Hauptmanns wies den Weg zur Tür und sehr erleichtert übers
Ende aller Fragen, griff ich nach der allerletzten
Zigarette, die mir noch geblieben war und suchte
nach dem Feuerzeug und hörte nicht die Schritte jener
Männer, die zu viert und schwer bewaffnet aus dem Schatten
hoher Bäume näher kamen. Fluchtgedanken - doch wohin?
Mutig sich auf einen stürzen, seine Waffe an mich bringen?

 

Ach, wie sinnlos! Alle Felle sah ich von mir schwimmen,
chancenlos und dann von grellem Licht geblendet stand ich
still und spürte, wie in Strömen Schweiß aus Achselhöhlen
brach und abwärts sickernd meine Hüften nässte. Zittern
spürt ich meine Knie und keinen Fixpunkt fanden meine
Augen; näher kamen die Gestalten, und zum ersten Mal,
ich gesteh es ohne Schamesröte, packte mich die schiere Angst.

 

EmelweA - MLWA*) = Abkürzung für "Marxistisch Leninistische Welt-Anschauung"

(das war oft auch in Heiratsannoncen am Schluss zu lesen)

 

Bild 1: Zellengang in der Stasi-UHaft-Anstalt Berlin-Hoenschönhausen (eigenes Foto)

Bild 2: "Beweismittel" einer zu Spionagezwecken gemachten Luftbikldaufnahme mit Falschfarbfilm (eigenes Foto)

Zellengand 02 Hohenschönhausen.jpg

Finnlandaaa.jpg

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Hallo Hayk,

 

ein gut und für mich fesselnd zu lesender Bericht. Die Angst kann ich verstehen!

 

Das Parfüm kommt mir durch dich wieder in Erinnerung und mir schwebt vage eine Blumenwiese als Duft vor.

 

Aufgefallen ist mir: drei Mal ließ – ließen in dem Absatz

 

Noch erhitzt von Sonnenwärme ließ die abgestandne Luft im Flur der grauen Villa, ließen auch die Bohnerwachsgerüche, billigen Parfüms Odeur die olfaktorisch sehr verwöhnten Sinne schaudern
 

ließen selten Blicke auf den Langen See und Segelboote wandern in der Strophe, mmmh

 

vielleicht wäre möglich: gelangten Blicke auf den Langen See mit den schaukelnd(en) Segelbooten

 

oder einfach das  - ließen -  vor Bohnerwachsgerüche weglassen. Für mich zumindest, ich denke für andere Leser auch, ist klar, dass es sich auf schaudern bezieht.

 

 

LG Sternwanderer

 

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Hallo Sternwanderer,

ich liebe Leser/innen, die mich auf läppische Fehler aufmerksam machen. Sie bewahren mich vor Nachlässigkeiten und Betriebsblindheit. 

Das "Parfüm" war eigentlich spöttisch gemeint und der Vers bezieht sich auf den (heute noch schwach wahrnehmbaren Geruch in den Räumen der "Gedenkstätte" in Berlin-Hohenschönhausen.

Das Bild Nr. 2 bedarf einer Erläuterung, weil es selbst in der 10-monatigen Vernehmungsphase zu einem Heiterkeitsausbruch führte. (Das LI, ich will es gar nicht verschweigen, bin ich selbst). Der Stasi hatte natürlich meinen Fotoapparat konfisziert und den darin befindlichen Dia-Film entwickelt. Nach stundenlanger Befragung hinsichtlich meiner Kenntnisse in Sachen Fotografie, nach dem Ort, wo die Fotos gemacht worden sind und was sie darstellen, baute der Vernehmer (ein juger Hauptmann des Wachregiments Czercinsv) eine kleine Leinwand auf und einen Diaprojektor, damit ich zu den einzelnen Bildern meine Aussage machen könne.

Kurz vor der Verhaftung war ich aus einem fantastischen Urlaub aus Finnland zurück gekommen und hatte den Dia-Film noch nicht entwickeln lassen. Der Vorhalt des Vernehmers: "Sie haben mit Falschfarbfilmen (so etwas gibt es tatsächlich und sie werden z.B. in der Archäologie eingesetzt, weil man die  Verfärbungen als unterirdische Reste von Bauwerken erkennen kann) aus einem Flugzeug heraus militärische Objekte überflogen - erklären Sie, was Sie da fotografiert haben!"

Wir (wir waren eine dreißigköpfige Gruppe - hauptsächlich Studenten/Studentinnen - mit unserem "Reiseführer", dem damailgen Studienleiter unjd späteren Akademiedirektor und noch späteren Oberlandeskirchenrat Klaus Röhring der Evangelische Akademie Hofgeismar) hatten tatsächlich grüppchenweise einen Hubschrauberflug über das seen- und waldreiche Suomi - Finnland - unternommen. Zu fotografieren kam uns gar nicht in den Sinn, weil die Vibrationen in der Maschine nur zu verwackelten Bildern geführt hätten. Ich wartete gespannt auf die Bilder, die ich kommentieren sollte.

Das Bild 2 ist eines der Dia-Fotos und ich bin vor Lachen fast vom Stuhl gekippt. Die Farben waren echt. Die Erinnerungen an das Zustandekommen  der Bilder sehr amüsant und dem Hauptmann fielen nach meiner Erklärung die Schuppen von den Augen: Das Foto - immerhin durch den Diaprojektor auf einen Quadratmeter vergrößert - zeigt die mit Fingermalfarben verzierte linke Brust meiner damals heißgeliebten Sabine. Immerhin - selbst der sonst dienstlich zum Ernst verpflichtete Hauptmann konnte ein Grinsen nicht verbergen und der Vorwurf des Auskundschaftens militärischer Geheimnisse Finnlands fiel unter den Tisch. Die Vernehmung wurde unterbrochen, das immer mitlaufende Tonbandgerät abgeschaltet und der (höchstens dreißig Jahre alte) Hauptmann ließ sich haarklein erklären, was wir denn da in Finnland für moralisch bedenkliche Aktionen gestartet haben.

 

Liebe Freiform, lieber Sonnenuntergang,

auch Euch mein Dank !

Liebe Grüße,

Hayk

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Hallo Hayk,

 

vor 5 Stunden schrieb Hayk:

Das "Parfüm" war eigentlich spöttisch gemeint und der Vers bezieht sich auf den (heute noch schwach wahrnehmbaren Geruch in den Räumen der "Gedenkstätte" in Berlin-Hohenschönhausen

 

- da stand ich tatsächlich auf der Leitung, der langen, der ich nicht folgen konnte.

 

Ich bemerkte aber schon bei den ersten Sätze, dass es ein sehr authentischer Text bzw. das nicht Lyrich schreibt, sondern der Autor über selbst Erlebtes.

 

LG Sternwanderer

 

 

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