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Didier hatte ich heute zum ersten Mal kennengelernt, denn ich war noch relativ neu in dieser Firma.  Von einem anderen Kollegen, der ebenfalls von meinem vorherigen Arbeitgeber zu diesem Betrieb übergelaufen war, hatte ich bisher nur negatives über Didier gehört.

Momo, ein junger Kerl marokkanischer Abstammung, den ich bereits gut kannte und mit dem ich mich glänzend verstand, war schon seit ein paar Monaten dabei. Er meinte Didier sei recht hinterhältig und er wäre darüber hinaus verärgert darüber, dass er für die Position, in der ich hier angestellt war und für die er sich ebenfalls beworben hatte, nicht gewählt wurde. Darüber hinaus kursierten Gerüchte, Didier sähe den Betrieb, in dem auch seine Frau als Sekretärin arbeitete, eher als Selbstbedienungsladen an und er würde dort sogar stehlen. Im Grunde genommen schien niemand in der Firma so recht mit ihm klar zu kommen, wobei es für mich schwer einzuschätzen war, ob das daher rührte, dass er mit seiner Frau, mit der er wohl schon vor langem von der Normandie in den Süden gezogen war, auf die Voreingenommenheit der einheimischen Bevölkerung stieß, oder ob er einfach nur ein schwieriger Mensch war. 

Ich bereitete mich auf alle Fälle auf das Schlimmste vor, als er an diesem Tag auf die Renovationsbaustelle kam, auf der es die Lage der nicht in unseren Plänen verzeichneten Kanalisationsrohre festzulegen und zu kartieren galt. 

Aus diesem Grund war ich positiv überrascht, dass Didier, ein unscheinbarer blonder Mann mittleren Alters, eigentlich einen recht umgänglichen Eindruck machte. Na ja, man sah schon, dass er sich seiner kleinen Vormachtstellung im Betrieb, zu der ihm der Lehrgang mit der Sondierungsausrüstung und der damit einhergehenden Computer-Grundausbildung verholfen hatte, bewusst war. So klappte er seinen Laptop nicht ohne Stolz auf, um mir ein paar wenig fesselnden Tunnelblicke auf die diversen Rohrgänge und die dazugehörigen Charts zu gewähren. Ich zeigte mich dennoch interessiert, was auch ihm seine Unsicherheit in Verbindung mit seinen Berührungsängsten bezüglich eines neuen Mitarbeiters und potenziellen Konkurrenten zu nehmen schien. Bei einer Tasse Kaffee kamen wir deshalb auch nach unseren Inspektionsarbeiten ins Gespräch und er zeigte mir sogar noch die Bilder seiner Rassehunde, welche er in seiner Freizeit züchtete, bevor er sich freundlich von mir verabschiedete. 

 

Allerdings bemerkte ich, nachdem Didier bereits gegangen war, dass mir mein Geldbeutel fehlte, der sich normalerweise in der Seitentasche meiner Arbeitshose befand.

Ich lief nun alle Stationen ab, auf denen wir zusammen unterwegs gewesen waren, fand aber nicht die geringste Spur meiner Geldbörse, in der sich neben Bargeld und Bankkarten auch viele meiner wichtigen Papiere befanden. Das Portmonnaie musste mir beim Bücken aus der Tasche gerutscht sein, während ich mit Didier gearbeitet hatte.

Mir kamen sofort die Warnungen Momo's, bezüglich des schlechten Charakters von Didier in den Sinn und als ich diesen am selben Abend bei der Besprechung im Büro wiedersah, fielen mir gleich die dicken Seitentaschen seiner Hose in die Augen. Ich kochte vor Wut, konnte mir aber nichts anmerken lassen, denn ich hatte außer meinen Indizien keine Beweise, mit denen ich Didier überführen konnte. Als Neuzugang scheute ich mich darüber hinaus in der ersten Woche einen Skandal vor unserem Projektleiter im Büro zu provozieren. Ich war mir dennoch sicher, dass Didier meinen Geldbeutel in seiner Tasche hatte. Sein eher verhaltenes Lächeln wirkte jetzt nur noch hämisch und gespielt auf mich. 

Verärgert verließ ich das Büro und begab mich mit einem unguten Gefühl zu meinem Auto, um nach Hause zu fahren. Als ich die Fahrzeugtür öffnete, sah ich etwas dunkles auf den grauen Asphalt des Parkplatzes fallen. Es war meine Geldbörse, die mir wohl beim beim Ein- oder Aussteigen irgendwie aus der Seitentasche gerutscht sein musste und seither die ganze Zeit neben dem Autositz gelegen hatte. 

 

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Am 5.7.2021 um 07:11 schrieb Rudolf Junginger:

auch viele meiner wichtiger Papiere

wichtigen oder wichtigeren

 

Lieber Rudolf,

ich schaffe das  nicht : nachträglich nach dem reinkopieren noch darüber zu schreiben, tut mir leid, wenn das ziemlich unhöflich aussieht.

Schon fast eine Parabel die du geschrieben hast, oder?

Wobei durch den Titel wird ja der Schluss schon vorweggenommen. ... wobei, die unscheinbaren, freundlichen........ ach man kann auch ohne fremde Vorurteile leicht eigene aufbauen und  dem Misstrauen erliegen.

Wieder eine gute Geschichte und in einem gefälligen, flüssigen und sachlichen Stil erzählt, der Lust macht umzublättern und weiter zu lesen. Gerne würde ich auch längere Texte von dir lesen.

Die Geschichte erinnert mich an meinen Ausspruch: man darf nicht alles glauben was man denkt

 

Liebe Grüße

Sali

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Hallo Carlos,

 

ich freue mich über deinen Kommentar. Saint-Exupéry's Werke habe ich leider noch nicht gelesen, aber sein berühmtes Zitat aus dem kleinen Prinzen „Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar", kenne ich dafür auswendig. 

 

Liebe Grüße 

Rudolf

 

 

Hallo Sali,

 

danke für deinen Kommentar und den orthografischen Fingerzeig. Solche Sachen passieren mir als Schreiber und viel zu nachlässiger Eigenlektor hundertmal, weil ich die Sätze oft hinterher ändere, mit dem Resultat, dass zuletzt hinten und vorne nichts mehr passt. Mit dem Titel hast du Recht. Da muss ich mir vielleicht  noch Gedanken machen, um eine passende Überschrift zu finden, die die Geschichte bis zum Schluss offen lässt. Diese dreht sich ein bisschen um unsere natürliche Tendenz zur Voreingenommen- und Beeinflussbarkeit durch von Menschen oder Medien geschürte Gerüchte und Darstellungen. Deren Gefährlichkeit für unser Denken und unsere Urteilsfähigkeit zeigt sich meist erst, wenn es zu Extremsituationen kommt und dann ist es oft schon zu spät. 

 

Liebe Grüße 

Rudolf

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