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Geschrieben am

All deine Augen stehen

auf 16 Uhr, Anna

 

und Dein dunkles Haar

hat der Schmerz weiß gekämmt

 

Dein Mund

hatte den Neumond zum Schulfreund

 

Deine Seele schachert

auf unbeleuchteter Straße

 

wo dich kein Spiegel fängt

wo dich kein Vogel sieht

 

Du hast uns lange ausgehalten

das schwarze Klavier und meine Etüden

 

Kant lesen

oder besser noch Platon, Anna

 

Heute ist Montag, der 57. August,

16 Uhr in Sasbachwalden

 

Dein rotes Kleid

auf der Fensterbank:

 

eine im Stich gelassene Fahne

 

  • Gefällt mir 2
Geschrieben

Hallo Onegin, 

dein Gedicht steht unter "Herzensangelegenheiten", es könnte also sich um einen persönlichen Verlust handeln. 

Ein Datum lese ich da: "37 August".  Ist das Absicht? 

Ich melde mich zu Wort weil, rein lyrisch betrachtet, dein Gedicht mir sehr gut gefällt.

Geschrieben

Hallo Carlos, ja das ist Absicht, vielleicht hätte ich ein noch irreres Datum nennen soll, um das ganz klar zu machen. Das Gedicht soll surrealistisch wirken. Vielen Dank für deinen Kommentar

 

Grüße Onegin  

Geschrieben

Hallo Onegin,

"alle deine Augen" , dieser Titel weckt meine Neugier und Verwunderung: Ja, wieviele Augen denn?  Wenn sie auch dann auch noch auf 16 Uhr stehen wie Uhrzeiger, schwenke ich darauf ein, den nachfolgenden Text nicht streng realistisch, sondern eher wie einen Traum zu lesen, in dem durchaus realistisch anmutende und absurde Elemente zu einer bunten Mischung verschmolzen sind, und den sehr besonderen Bildern auf Gefühlsebene nachzuspüren.

Ich erfahre von Anna, die vom LI vertraulich mit "du" angesprochen und chrakterisiert wird als Frau die viel mitgemacht hat (der Schmerz hat ihr dunkles Haar weiß gekämmt , eine einnehmende Umschreibung) und deren schmale, bleiche Lippen (wieder so eine tolle Formulierung: die Schulfreundschaft  mit dem Neumond!) die Härte des Zähnezusammenbeißens vermitteln.

Das nächste Bild ist nicht so scharf, das Schachern der Seele auf unbeleuchteter Straße, liegt im Dunklen. Womit und mit wem treibt die Seele Handel? Aber "Schachern", so ohne jeden Bezug für sich genommen, weckt Assoziatione einer irrlichternden Seele. Und das gefällt mir auch.

Wenn ich den nächsten Zweizeiler dazunehmen, tendiere ich dazu, diese Straße unter- oder außerirdisch anzusiedeln, Anna samt Seele im vielleicht Totenreich zu vermuten? Das rote Kleid als zurückgelassene Fahne würde sich in dieses Interpretation auch gut einfügen.

Das "Aushalten" von LIs Klavierübungen scheint Anna nicht allzuviel Freude gemacht zu haben, auch wenn es lange gedauert hat. Der Verweis auf Kant und Platon (der umfassende Philosopie auf die Nennung beider Namen verkürzt wird) , wieder nur eine flüchtige Andeutung, ist jenen, die Anna kennen/gekannt haben wahrscheinlich vertraut als Anspielung auf ihre Wesensart oder ihre Interessen.

"Es ist Montag, der 57. August

16 Uhr ind Sasbachwalden"

Was hier so konkret wirkt, enpuppt sich als surreal, nicht existent. Und doch sind Annas Augen auf 16 Uhr  stehen geblieben, und vielleicht auch gerade an diesem Ort im Schwarzwald am 57. August, der auch der 100. September sein könnte, weil wir uhns mit dem Stehenbleiben schon außerhalb der Zeit befinden,  - oder auch nicht?

Jedenfalls war es sehr spannend deinen Zeilen zu folgen und sie im Ureigenen zu erwandern, meine Anna heißt Kathi und fügt sich in meine Welt wunderbar ein.

 

Liebe Grüße

mona

 

Geschrieben

Liebe Mona,  @monalisa

 

vielen Dank für das intensive Nachspüren und die viele Mühe, die du dir gemacht hast. Was will das Gedicht? Das LI denkt über eine verflossene Beziehung nach aus der Anna ausgestiegen ist, sozusagen über die Fensterbank hinweg und unter Zurücklassung ihres roten Kleids. MIt allen Assoziationen von Dir bin ich sehr einverstanden. Ja, das Gedicht kann nicht "realistisch" gelesen werden, aber sind nicht solche entgrenzten Bilder ein probates Darstellungsmittel, um nicht nur unsere Alltagspersönlichkeite, sondern auch unsere verborgenen Versehrungen wie unser unsichtbares Potenzial viel genauer in den Blick zu nehmen als dies eine realistische Sprache könnte, die nicht über den Resonanzraum der Poesie verfügt?

 

Die Gefahr bei einer solchen Bilderflut ist allerdings, dass sich alles in schöner Beliebigkeit verliert.  Es muss ein roter Faden, eine Entwicklung  und irgendein "Erdenrest" wenigstens erahnbar sein. Ich habe versucht, das unter anderem über den Ortsnamen und die pseudogenaue Zeitangabe zu lösen. Auch insgesamt wird das Gedicht gegen Ende hin wieder realistischer.

 

So dacht ich und verbleibe mit besten Grüßen auch an Kathi

Onegin

 

 

 

 

 

 

 

Geschrieben

Guten Morgen Onegin,

 

entgrenzten Bilder / Resonanzraum / Entwicklung und irgendein "Erdenrest"

 

Ja, das hat mir bei mir gut gewirkt. Deine Gedicht hat mich ebenfalls angesprochen und mitgenommen.

 

Anna ist fort, das haben mir die Bilder gezeigt...

 

und da schwingt auch eine Ahnung in mir, wer Anna gewesen sein könnte. Und auch in welcher Beziehung sie zum LI stand.

 

Allein deine Zusatz:

 

Zitat

...aus der Anna ausgestiegen ist, sozusagen über die Fensterbank hinweg und unter Zurücklassung ihres roten Kleids...

 

 

hat mich aus dem Gedicht heraus nicht erreicht. Das das Fester von ihr als eine Tür genutzt wurde kam bei mir irgendwie nicht an.

 

Und selbst dein Satz lässt offen ob Anna bekleidet durch ein metaphorisches Fenster entschwand und ein metaphorisches rotes Kleid zurückgelassen hat... Oder ob sie sich wohl möglich aus welchen Stockwerk auch immer unbekleidet auf die Straße hinab entseelt hat...

 

Wenn dir dieser Teil deines Gedichtes wichtig ist könntest du vielleicht den Kajalstift nehmen, der in einem vergessenen Augenblick aus ihrer Tasche unter die Kommode gerollt ist, und eine Kontur setzen oder nachzeichnen, die meine Blicke locken. Ich denke Anna konnte das – wenn sie es wollte...

 

Liebe Grüße

 

vom Gaukel

Geschrieben

Hallo Gaukelwort,

 

Die Fensterbank und das rote Kleid sind in der Tat vielleicht problematisch, weil möglicherweise nicht  klar wird, was mit Anna eigentlich passiert Aus dem Fnster soll sie sich jedenfalls nicht stürzen. . 

 

Allerdings wurde das Motiv des Fensters , durch den der Blick nach draußen fällt,  vor allem von  Malern der Romantik gern genutzt (z b. CD. Friedrich) und steht für die Sehnsucht nach Aufbruch und Neuanfang. In der Lyrik findet es sich in einem berühmten Gedicht von Eichendorff. Du erinnerst Dich:

 

Es schienen so golden die Sterne

am Fenter ich einsam stand

und hörte aus weiter Ferne

ein Posthorn im stillen Land .

...

 

Ich werde jetzt das Gedicht mal sacken lassen und in zwei bis drei Wochen nochmal mit neuen Augen und Ohren draufsschauen.

 

Danke fürs Draufschauen

Onegin

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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