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Die neuen Nachbarn


Mischa

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Folgenden Brief erhielt Raphael, als er nach Abbruch seines Studiums auf dem Lande zu leben beschlossen hatte. In Zeiten der Krise lockt das Urwüchsige der Gemeinschaft, der Mensch hat das Bedürfnis, mit seinesgleichen zusammenzurücken! Das Landleben in seiner Ursprünglichkeit verspricht dem Suchenden, das Wesentliche schätzen zu lernen, und eine Erweiterung seiner Kommunikationsfähigkeiten im Kreise einer geselligen Nachbarschaft, die den urbanen Zwängen ebenso abgeneigt zu sein verspricht, wie man selbst!

 

Der Empfang war herzlich und feuchtfröhlich mit einem Filmriß über die Bühne gegangen, und hatte ein Nachspiel. Nicht jedem Zeitgenossen werden immer so freundlich offene Worte zuteil.

 

Sehr verehrter Froind

 

Wie ich sehe, hast Du in unserer Nachbarschaft eine Wohnung bezogen, Dich gestern auf unserem Gartenfest vorgestellt und wurdest auch betrunken und ausgelassen wie wir alle. Gewiß, wir werden Dich zu größeren Festivitäten in unserer Nachbarschaft wieder einladen, wenn Du Dich mit dem Einnehmen der Mahlzeiten und dem Beobachten unserer Geselligkeiten zufriedengibst. Aber gib es auf, mit uns Gespräche beginnen zu wollen, denn schon meiner Frau ist unangenehm aufgefallen, daß Du zu viel und zu gerne sprichst. Das kommt wohl daher, daß Du zuviel denkst. Aber das mögen wir hier nicht, und auch meine Frau mag das schon gar nicht. Wenn Du das nicht kapieren kannst, so wirst Du es früh genug noch merken, wie Du das nicht kapierst.

 

Und Du hast mir also als Geschenk Drei Flaschen Wein tagsdarauf hin mitgebracht. Wohl um Dich für die Zukunft freizukaufen? Falls Du mal Schaisse baust? Um anzudeuten, daß Du nicht nur nehmen, sondern auch geben möchtest? All unseren Freunden aus der Nachbarschaft etwa auch!??

 

Das wird Dir wenig nützen, denn wir mögen Dich nicht. Wenn ich alleine im Wald wohnte, hätte

seit drei-vier Monaten keinen Menschen gesehen, wärst Du mir vielleicht willkommen. Aber wir sind hier schon viele. Und wir kennen viele andere, die nicht von hier sind, die uns oft besuchen und uns Zerstreuung gewähren, wie sie nach unserem Geschmack ist. Wir mögen uns alle hier und unsere Streitereien gingen bisher trotz mancher unzulänglichen Versöhnung gut aus Und das gelingt uns schon seit geraumer Zeit.

 

Meinst Du, wir wären darauf aus, oder könnten es uns erlauben, das Gleichgewicht unserer Verbindungen und Bekanntschaften nun zu gefährden, indem wir bedenkenlos Deinen Gedanken und Geschichten lauschen. Ich möchte in unserer aller Namen nicht abstreiten, daß Deine Gedanken und Geschichten und Lebensschwänke heiter und spannend, auch tiefsinnig und nachdenklich stimmend sind. Das Problem liegt auch nicht darin, daß wir etwa geschmacklose und stumpfe Zeitgenossen wären, die eine gewitzte oder sogar mit Schwermut geschmückte Darbietung nie zu schätzen wüßten. Nein, wir schätzen schon eine anspruchsvolle Unterhaltung. Aber wir wollen sie nicht mit Dir. Oder glaubst Du Dich so originell, da Du uns unverzichtbar wärest?

 

Sieh mal: Zum Beispiel ein gutes Buch, man kann es öffnen und schließen, je nach Interesse und Bedarf. Oder ein Fernsehgerät.! Wie einfach eine Gesellschaft damit von einem Einzelnen zum Schweigen gebracht werden kann, ohne sie aufzulösen! Man fühlt sich wohl und schweigt sich nicht einmal an, ist gemeinsam in den Ablauf der Bilder gebannt. Wer das nicht möchte, schaut aus Rücksicht auf die anderen noch einmal auf die Armbanduhr und geht. Bin ich alleine oder zu zweit, gilt für den Fernseher ohnehin das einfache an und aus, je nach Interesse, Müdigkeit und Bedarf.

 

Ein Buch hat in der Regel eine oder mehrere abgeschlossene Geschichten, ebenso ein Film. Die Nachrichten in Radio und Zeitung oder im Fernsehn, sie belangen unseren Alltag nicht. Aber Du bist einfach ein Risiko! Eine Geschichte, mehrere Geschichten, die wir gar nicht alle kennen, und abgeschlossen bist Du auch nicht. Verstehst Du?! Wer weiß, wohin das mit Dir führt! Sicher, Du hast viel erlebt, Du weißt manches zu beobachten und zu sagen,.. wir können das für uns alleine auch, und wie gesagt: Wenn wir nach einer Erweiterung unseres Horizontes verlangen, haben wir Bücher, PC, Radio und Fernseher.

 

Als ich mir Deine Drei Flaschen Wein betrachtete, von denen Du ganz sicher glaubst, daß wir eine oder zwei davon einmal zusammen trinken werden, tja, da mach ich mir auch so meine Gedanken: Denk nicht, Du seiest der einzige, der hier denkt. .

 

Ich will es Dir sagen: Du hast sie mir gebracht, weil Du nicht alleine sein willst.

Da bist Du an den falschen Ort gekommen!

 

Glaub mir: Es gäbe bestimmt attraktivere Begegnungen und Zusammenkünfte für solche wie Dich, wenn es auf der Welt mehr nach Deinen Wünschen ginge. Da stünden nun bei mir nicht Drei Flaschen Wein. Und auch nicht anderswo! Ich kann es Dir sagen, wo sie stünden, wenn es nach Deinen Wünschen ginge, mein Froind: Bei Dir stünden sie jetzt. Merkst Du was?

 

Ich kann es durchaus verstehen, ich bin ja kein Unmensch, daß Du Kontakt zu anderen Menschen suchst, denn diese kennen wieder andere Menschen und so hangelt man sich an solchen Seilschaften durchs Leben, hat Unterhaltung, zerstreuende Erlebnisse, Gelegenheiten zu verschiedensten Schnäppchen und kommt vielleicht sogar nach und nach auch in den Genuß von Beziehungen ..für vielerlei neue und alte menschliche Bedürfnisse. Sicher, und irgendwo muß man beginnen. Wenn es nur so einfach wäre! Erstens haben wir alles schon, was Du zu bieten hast. Wir brauchen Dein Auto nicht, wir brauchen Deinen nicht allzugroßen Geldbeutel nicht. Wir borgen uns hierzuort wenn, dann lieber im vertrauten Kreis. Geld, Butter, Werkzeug. Kannst Du alles auch haben. Kochen können wir sicher auch nicht schlechter als Du.

 

Doch ich muß in unserer aller Namen gestehn: Wir haben hier eine geschlossene Gesellschaft!

Und wenn Du Dich hier mit Dir alleine zu beschäftigen gedenkst, wird Dich niemand kränken noch stören wollen.

 

Aber gib es auf, ergründen zu wollen, wer wir sind, was uns bedrängt und bedrückt, wo wir herkommen und warum wir so wurden, wie wir sind, wir wollen nämlich nicht "kennengelernt" werden. Da wüßtest Du viel zu viel über uns. Denk nur: Wir wollen uns hier nicht einmal gegenseitig kennenlernen. Und sogar uns selber, alleine für uns, wollen wir nicht.. kennenlernen! Sicher, ich war einmal ähnlich wie Du, mir war langweilig und ich sehnte mich nach vielen Erlebnissen, ich versuchte, mit vielen Menschen auszukommen, die ich genausowenig mochte wie sie mich und ich redete mir ein, ich hätte Menschenliebe im Herzen, einfach nur, um nicht den Mut zu verlieren, indem mir das bewußt wurde, was ich eh schon immer wußte.

 

Daß sie mir alle eigentlich ganz gleichgültig sind. Daß ich versuchte, mit denen, die ich geradeso um mich hatte, klarzukommen, um ihren Freunden vorgestellt zu werden. Denn ich hoffte, daß ihre Freunde vielleicht irgendwie interessanter sind. Oder daß die Freunde dieser Freunde vielleicht irgendwie interessanter sind. Immer aber, wenn ich jemanden mein Vertrauen geschenkt hatte, gab es auf einmal etwas in meinem Verhalten, oder in meiner Art, das ihn oder sie enttäuschte, rasch noch bevor er oder sie mich hätte enttäuschen können. Und danach taten sie dann etwas, was mich enttäuscht hätte, wenn sie mir nicht schon eher, als erste, das Vertrauen entzogen hätten. Gut, was?! So mancher ist geschickter, als man denkt, zuerst kriegst Du den Schwarzen Peter, dann erst aufs Dach. Ob jemand Dich bestiehlt, sich mit Dir prügelt, schlecht über Dich redet, erst bastelt sich jeder einen guten Grund, Dir was anzutun, gegen den Du erstmal ankommen mußt...

 

Also gib es auf Dich hier einschleimen zu wollen. Ja, sicher, Du hörst uns nun jeden Nachmittag auf unserer Terrasse lachen, hörst vielleicht Sektkorken knallen und uns Witze erzählen. Und Du würdest sicher auch gerne diese Witze hören, darüber lachen, und Dir werden, wenn Du uns so hörst, bestimmt eine Menge eigener Witze einfallen, die Du uns so gerne erzählen würdest. Und wir werden Dich nicht einladen, herüberzukommen. Tja. Und wenn Du das fragwürdige Glück hast, doch einmal bei uns in den Alltag hereinzugeraten,.. vielleicht hilfst Du uns, weil Du zufällig dazukommst, einen schweren Gegenstand von einem Lieferwagen ins Haus wuchten - sicher, solche Sachen kommen bei Nachbarn vor - dann ist es für Dich ratsam, im eigenen Interesse ganz still das Getränk, was wir Dir angeboten haben, zu Dir zu nehmen, auch wenn wir uns an unserer Geselligkeit gerade erfreuen und wieder unsere Witze machen. Wenn die Witze, die Dir einfallen auch noch so gut oder sogar besser sein sollten, wir werden erstens nicht darüber lachen und zweitens werden wir sie auf einmal überhören.

 

 

lch rate Dir deshalb, höflich nach dem austrinken wie es sich gehört auf deine Armbanduhr zu sehen, und still dankend zu gehen. Und wenn wir Dich zum bleiben auffordern, dann versteh das ja so, wie es gemeint ist! Sei nett, vor allem zu den Fraun, und bedaure, keine Zeit mehr zu haben, denn keiner wird es Dir übelnehmen. Und dann geh.

 

Du denkst wohl, die Witze die wir uns erzählen, wären uns allen neu. Du denkst wohl, wir wären fröhliche Nachbarn, wenn bei uns auf der Terrasse im Frühling und Sommer manchmal Korken knallen. Denk es ruhig, vielleicht ist es manchmal so. Und, wie schon gesagt, wir wollen ja nicht "kennengelernt" werden. Ich weiß doch: Du denkst, wir wären sicherlich fröhliche Loite,- weil Du nicht alleine sein willst. Klar, wir sind neugierig. Wir wissen schon, wie wir es anzustellen haben, Dein lnteresse an Dir selbst zu wecken. Du wirst dann wahrscheinlich denken, Du habest Dich gut mit uns unterhalten, wenn es doch einmal zu so etwas kommen sollte... Und wir wissen wieder etwas mehr über Dich, Du aber nicht über uns, das ist der Witz dabei.

 

Dann wirst Du irgendwann merken, daß Du nur von Dir erzählst. Unsere Fraun werden Dir das als erstes klarmachen. Denn wir wollen hier nur über uns erzählen. Und siehst Du: Jetzt schämst Du Dich. Nicht gescheit Dein loses Maul über Dich gehalten zu haben. Einer kleinen Einladung von uns zu weit gefolgt zu sein. Selber schuld oder? Ja, sicher, es ist nicht einfach, einen kleinen Abend gesellig herumzukriegen unter Leuten, die von sich selbst nichts preisgeben. Ohne zu viel zu rauchen, ohne sich zu besaufen, und Dein Job? Gibt nicht viel erwähnenswertes her, und Deine Bücher, die Du gerade liest, interessieren uns ganz bestimmt nicht. Und wenn es dann still wird, und lange Pausen eintreten im Gespräch, dann geh besser. Und trink und rauche alleine Zuhause weiter, dann bleibst Du uns egal und ersparst uns und Dir die Erkenntnis und das Resultat: Daß wir Dich eigentlich und ganz einfach nicht mögen.

 

Das ist sicher sehr starker Tobak gleich in den ersten Tagen, wo Du hierhergezogen bist! Aber diese Drei Flaschen Wein, wenn ich sie mir so ansehe, und Deine naive Fröhlichkeit an unserer Feier an Deinem ersten Abend hier, all das Gelächter über deine Witze,.. weißt Du, es war einigen von uns zu laut. Leute, die wir mögen, die werden am ersten Tag nicht gleich so gefeiert und von allen gemeinsam umlagert. Ich will Dich nur warnen vor uns.

 

Ich möchte Dich aber auch gleich ein wenig trösten. Denn, weißt Du, es ist nach meinen Erfahrungen eigentlich unmöglich, sich "beliebt" zu machen. Sicherlich, Du kannst es ausprobieren. Du kannst einige Zeit damit Erfolg haben, aber im Grunde machst Du Dir da nur etwas vor, denn Du -machst- Dich nur beliebt, Du bist es deshalb noch lange nicht. Du wirst es spätestens dann merken, wenn es wirklich zählen könnte, und drauf ankäme, beliebt zu sein!

Du wirst merken, daß jeder, solange es nichts kostete, Dein Spiel, Dich beliebt zu machen,

mitgespielt hat, obwohl es alle durchschaut haben. Du hast Dich angenehm gemacht. Das, was den andern an Dir unangenehm war, herausgefiltert. Und bist doch nur immer lächerlicher, kastrierter und weniger geworden. Alles nur, weil Du nicht alleine sein willst.

 

Aber so, wie Du wirklich bist, so mögen wir Dich nicht. Und so, wie Du wirklich bist, mein

Froind so kennen wir Dich alle eigentlich schon in den ersten fünf Minuten Und glaube ja

nicht, Du könntest mit einem bewußten Einwirkenwollen auf den sogenannten "ersten Eindruck" irgendwas herausschinden. Wir alle erkennen Dich sofort und fühlen sofort, ob wir Dich mögen oder nicht. Dabei spielt es keine Rolle, ob Du traurig oder fröhlich, ob Du todernst, ob Du verletzt oder unverletzt oder sogar in Not daherkommst. Die ersten fünf Minuten entscheiden nicht.

 

Aber in den ersten fünf Minuten solltest Du Dich entscheiden, denn auch Du kannst fühlen, ob Du gemocht wirst, oder abgelehnt, es sei denn, Du hast gewisse naive Gründe oder Träume im Kopf, es Dir selbst gegenüber ignorieren zu wollen, nicht wahr?

 

Mein Froind, Du wirst mich für sehr verschroben halten, und ich verstehe Dich, denn auch ich hatte mal eine Zeit, wo ich mir in den Kopf gesetzt hatte, ich müßte nicht allein sein, wenn ich nur ganz fest dazu entschlossen sei, nicht allein sein zu wollen. Bedenke immerhin meine Worte, wenn ich Dich vor unserer stillen Abneigung warne: Es gibt eigentlich nur Liebe auf den ersten Blick, oder Abneigung auf den ersten Blick und jeder, der wachsam beobachtet, weiß das! Alles, was dazwischenliegt, ist sicher interessant, aber ohne rechte Erfüllung. Du kannst Konversations- und Rhetorikkurse, professionelle Flirt-, Benimmkurse besuchen, Du kannst Dir hübschere Kleidung zulegen, Dich mit angenehmen Dingen umgeben, es sichert Dir keine Zuneigung. Sicher, banal, all das, was ich Dir sage, plappert ähnlich schon jedes Kind und jeder Erwachsene Aber Du kannst Dich, und allzuoft geschieht das den Menschen, mit Dir fremden Gedanken umgeben, mit Dir fremden Zuneigungen und Abneigungen. Die kannst Du anziehen, wie schöne Kleidung, aber die Herzen lassen sich nicht täuschen, nur, sie spielen mit Dir, manche fremden Herzen, die Du zu gewinnen glaubst, indem Du Dein eigenes Herz so maskierst.

 

Oder die Umstände können Dir gewogen sein, es gelingt Dir, zu blenden. Aber es gibt immer Augenblicke, in denen Du gezwungen sein wirst, Dich zu entscheiden, verlaß Dich darauf, und ehrlich, mein Froind: Je eher solche Augenblicke kommen, -und gewöhnlich kommen sie blitzschnell-, desto besser ist es für Dich.

 

Dabei aber lernt man nicht einmal wirklich die Abgründe derer kennen, denen man zu schmeicheln glaubt.. sondern ist gezwungen, sich mit Maßen zu messen, die nicht der eigenen Erträglichkeit entsprechen. Und das wird einem nur täglich peinlicher und peinlicher.

 

Du wirst schon beim großen Gartenfest bemerkt haben, daß bei uns auch viele "bunte" Loite verkehren, uns besuchen angesehene Musiker, Bildhauer, Handleser, Glasbläser, Kunstschmiede, Weltreisende und Maler. Du wirst sicher neugierig sein, wenn Du von uns linksliegengelassen, falls es eben wieder zu einer Höflichkeitseinladung kommt, den Erzählungen lauschst, wenn über Kunstheorien, Weltgegenden, Völkermentalitäten, Lebenskonzeptionen und spannende Erlebnisse, über tolle unausgereifte Ideen, die aber bald in Taten umgesetzt werden, über Geheimtips für die Kunst und fürs Reisen fabuliert und berichtet wird.

 

Du wirst mit der Hoffnung spielen, auch an der Unterhaltung teilnehmen zu dürfen, eben einen dieser bunten Loite auf die Seite Deiner Bekanntschaft zu ziehen. Du könntest sicher mit ihnen schön reden, wüßtest auch einiges Bedoitsame Dir aus den Fingern zu saugen, vielleicht würdest Du gerne von ihnen gelobt werden, weil sie Dir so unnahbar und begehrenswert erscheinen: Weil wir schon gar nicht zulassen werden, daß Du in Kontakt mit ihnen kommst, -und würdest Du auch die ganz späte Stunde lauernd abwarten, wo die Gespräche sich vereinzeln, und mancher interessant wirkende Mensch auch einmal alleine dasitzt, und alle offener, gelöster und angetrunken sind, die Beleuchtung dunkler... Denn wir haben Verantwortung für unsere Gäste und es sind unsere Bekannte und nicht Deine, und wir kennen sie schon lange, und sie haben auch bewiesen, daß sie als solche zu uns passen. Ohne einen gewährenden Wink von uns wird sich kaum einer oder eine von ihnen auf ein wirklich langes Gespräch mit Dir einlassen, schon aus Höflichkeit gegenüber uns und unserer Einladung. Und diesen Wink werden sie nicht erhalten, im Gegenteil, denn, wie gesagt: Wir mögen Dich nicht. Und wir haben lange gebraucht, um all diese wertvollen Leute unterwegs und auch von Berufs wegen kennenzulernen, und wissen als Gastgeber höflich mit ihnen umzugehen, was den Gästen, die uns weniger nahestehen sicherlich abgeht. Wir möchten ihnen dann auch einen Abend ohne Belästigung garantieren! Und kluges Gerede, wie es vielleicht von Dir dann kommen mag, vielleicht um Dich in ihrem Lob oder Deinem klammheimlichen Eigenlob zu sonnen, solches Gerede geht ihnen von Berufs wegen schon auf die Nerven und sie möchten bei uns genießen, mal nicht klug interviewt zu werden.

 

Siehst Du? Auch diese Hoffnung auf einfach zu erlangende Kurzweil oder Vitamin B zerschlage ich Dir. Wenn Dich "bunte Loite" interessieren, mußt Du sie Dir selber zusammensuchen, bei uns ist eher nicht der Ort, sie behaglich kennenzulernen. Und solltest Du dennoch auf dem nächsten großen Gartenfest ein Gespräch mit so jemanden beginnen: Wir mögen das nicht! Da wird sich schon rechtzeitig jemand blockierend zu euch setzen, notfalls einen heftigen Streit mit Dir beginnen, damit sich inzwischen Dein so begehrter Gesprächspartner in aller Ruhe entfernen kann und das auch will. Weil wir ihm zuvorkommend nachhelfen. Und ihn auch warnen. Ja, so sind wir hier!

Wir, Deine neuen Nachbarn.

 

Ich bin so frei, und will fair zu Dir sein! Gib also die Hoffnung auf eine gesellige Zeit mit uns auf. Es hat keinen Zweck. Und ich mein es auf keinen Fall böse. Vielleicht kannst Du uns ein wenig verstehen, es täte Dir gut, denn Verständnis brauchen wir nicht, unsere Tage miteinander sind auch nicht immer zufriedenstellend und angenehm, gell, aber wir mögen uns, und das ist schließlich das Entscheidende! Sicher, Du magst jetzt hirnen und sinnen und Dich fragen "warum, warum?" -denn uns offenherzig zu fragen, wird Dir auch wenig nützen.

 

So will ich Dich noch einmal trösten, weil Du es bist: Wenn Du nicht gemocht wirst, so liegt der Grund dazu zu nicht allein bei Dir, sondern dazwischen, zwischen Dir und denen, die Dich nicht mögen! Es ist vieles einfacher, als Du vielleicht denkst! Der Grund, daß wir Dich nicht mögen ist eben die Tatsache, daß wir Dich nicht mögen. Wir können dazu genausowenig wie Du. Von diesem Grund herauf können wir -viele Lebensbereiche umfassend- vielerlei komplizierteste Antworten hervorheben, wir könnten sogar versuchen, uns zu mögen, um dann die kompliziertesten Szenarien miteinander zu haben, obwohl wir jetzt doch schon wissen, daß es umsonst ist. Die Erklärungen wären wirklich endlos, auf den verschiedensten Ebenen gäbe es "warums?" und ihre „ weils! " dazu, und, mein Froind, das kann auf Dauer sehr, sehr unbefriedigend werden. Immer wieder würde einem eine neue Nuance auffallen, die es scheinbar begründet. Wer das mag? Einen richtigen endlosen Gedankenteppich könntest Dir weben aus "warums?" und "weils!" und doch trüge dieser Teppich, egal wie sehr Du ihn auch ausdehnst und immer weiter webst, immer den Namen: "Sie mögen mich nicht!" Und dazu sollte Dir Deine Zeit doch zu schade sein!

Statt diesen mühseligen Teppich zu weben, gestehe Dir einfach ein, daß es in Dir auch einen Ort gibt, wo Du sicher weißt: Ich mag sie nicht. Auch hierüber solltest Du keinen Teppich weben. Nur, weil Du einfach nicht alleine sein willst!

 

Oh! Drei Flaschen Wein, und noch ausgesuchten! Hast es Dir was kosten lassen, wie? Also wußtest Du doch schon ein bißchen, daß Du zumindest nicht günstig bei uns wegkommst, mh? Na siehst Du! Weißt Du was? Diese Drei Flaschen werde ich alleine ohne Dich trinken, viel zu schade, um eine davon nur mit Dir zu teilen. Und trink Du zuhause Deinen eigenen Wein, alleine! Oder eben, wenn die Umstände günstig sind, trink ihn mit jemanden, der Dich mag! Und den Du auch, wirklich, gerne hast. Und stoß ruhig auch an: Auf friedliche Nachbarn!

 

1998

 

 

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Auch hier ist es eigentlich müsig, zu erwähnen, daß die im Brief gegebenen "Ratschläge" nur eine bissige Ironie auf sämtliche zwischenmenschlichen Berührungs-Ängste sind, und keineswegs als Lebensweisheiten, zu denen man nachdenklich das Haupt wiegt, aufgefaßt werden sollen. Dennoch findet man sich im Leben hin und wieder wie in einen Kokon eingesponnen, und die Mitmenschen scheinen sich entsprechend zu verhalten, wie in obiger Parodie (auf das wirklich wahre Leben), oder man selber fürchtet von anderen ein solches Verhalten, schlimmstenfalls fällt beides fatal zusammen, und verstärkt sich so.

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