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Hoffnungen der Nacht


Homo_Ingenuus

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Es war bereits nach Mitternacht, als der kleine Junge mit schreckgeweiteten Augen aus dem Mauervorsprung hervorgekrochen kam. Wie lange hatte er sich heute darin versteckt? 5 Stunden? Vieles, das an diesem Tag geschehen war, versteckte er tief in seinem kindlichen Verstand - wieder einmal. Er zählte vielleicht 10 Jahre, höchstens, fühlte sich jedoch uralt und gebrochen. Seine Kleidung hing ihm wie dreckige Lumpen vom ausgemergelten Leib, der viel zu lange schon kein Wasser mehr spühren durfte. Ja, er war ein Kriegskind...

 

Nachts, das wusste er, hörten die Schüsse und der Donner meist auf. Die Schatten seines zerstörten Dorfes jedoch, die tausendfach vom Schein brennender Ruinen und Barrikaden zum Leben erweckt wurden, verfolgten ihn auf Schritt und Tritt. Vorsichtig lugte er um eine Häuserwand herum. Die Toten der letzten Tage waren weg gebracht worden, ein Glück. Jetzt musste es schnell und leise gehen! Geduckt rannte er im Zick-Zack über den einstigen Marktplatz, der mittlerweile von brennenden Militärfahrzeugen und Granateinschlägen übersät war.

Früher kannte er sich hier bestens aus...doch was seit Beginn des Krieges geschah, drohte ihm seine schönen Erinnerungen zu zerstören.

 

Der kleine Junge wusste genau, wohin er musste. Sie würde warten, das hatte sie ihm hoch und heilig versprochen!

Nach einigen Minuten des Rennens, Versteckens und Lauschens erreichte er das andere Ende des großen Platzes. Jetz war es nicht mehr allzu weit...

Plötzlich durchschnitt der Schall eines einzelnen Schusses das kriegsgeprägte Dorf. Instinktiv warf er sich zu Boden und vergrub seinen Kopf unter den Armen. Einzelne Tränen zogen eine schmutzige Bahn über seine Wangen, bevor sie sich mit dem Staub des Bodens vermischten. Er blieb liegen...

 

Doch keine weiteren Schüsse folgten, auch war kein Geschrei oder sonstiges zu hören, was auf ein Aufflammen der Gefechte hindeutete.

Zitternd erhob sich der Junge auf seine dünnen Beine und rannte weiter.

Links, rechts, geradeaus und am Ende der Gasse wieder links...

Keuchend kam er an einem verwaisten Brunnen eines Hinterhauses zum Stehen, stütze sich an den steinernen Rand und übergab das wenige, das er heute zu sich genommen hatte.

 

"Hey! Da bist du ja." wehte eine flüsternde Stimme aus dem Schatten zu ihm herüber. Sie war da! Zum Glück! "Ha...hallo" schüchtern straffte er seinen Körper und klopfte sich den Staub von den Kleidern. "Da..da war ein Schuss und..." begann er, doch das Mädchen trat vor, nahm ihn in ihre Arme und tröstete ihn. Strich liebevoll mir ihrer Hand über seinen schwarzen Haarschopf. "Den hab ich auch gehört. Aber ich glaube, heute bleibt es ruhig." Sie war vielleicht 2 Jahre älter und einen Kopf größer als er, doch schon früher war sie seine persönliche Beschützerin gewesen. Was seine Freunde, wenn man sie so nennen sollte, stets mit Hohn beäugten und ihn für seine Schwäche auslachten. Doch dann kam der Krieg und viele derer starben gleich zu Beginn.

 

"Komm, wir setzen uns ein Weile. Hier, ich konnte etwas Wasser und zwei Äpfel auftreiben. Iss!" sagte sie und zusammen ließen sie sich am Brunnen nieder. Hier war der Blick in den nächtlichen Sternenhimmel durch keine Feuer behindert. So saßen sie eine lange Weile schweigend beisammen, die Augen zum Himmelszelt und ihre Gedanken kreisten weit dort oben.

 

"Ich habe nachgedacht." begann der Junge und rückte ein Stück herum um ihr in die Augen zu sehen. "Ich glaube, das Schlimmste ist vorbei. Der Schuss blieb alleine und keiner hat weiter geschossen." - "Ich hoffe es. Und ich hoffe, wir finden die anderen wieder." erwiderte sie.

"Warum sind sie zu uns gekommen und warum haben sie unser Dorf zerstört? Wir haben doch nie was böses getan!" wie oft hat er schon diese Frage gestellt und immer noch wusste sie keine passende Antwort. Sie war doch selbst noch ein Kind und verstand das Leben und Handeln der Erwachsenen nicht. So blieb sie ihm auch diese Nacht die Antwort schuldig. Er schwieg daraufhin.

 

"Wenn wir groß sind, werden wir alles anders machen als diese bösen Leute. Die sterben sicher auch bald und dann wird der Krieg zu Ende sein." heimlich wischte er sich eine Träne aus den Augenwinkeln, denn ab jetzt wollte er vor ihr Stärke zeigen. "Und dann werde ich dich beschützen, und keiner wird dir was antun dürfen!"

Sie lächelte still. Oh ihr kleiner Held und das nach allem was geschehen ist. Seine Worte berührten sie. Gestern erst erlag sein Hund einem Streifschuss, der ihn vor vier Tagen traf. Somit war das letzte Familienmitglied von ihm gegangen. Nun würde er bei ihr bleiben. Ihre Großeltern lebten noch versteckt am Rande des Dorfes und bald sollten sie alle gemeinsam von hier fort gehen.

 

Nach einer Weile merkte sie, wie sein Atem ruhiger und gleichmäßiger aus seinem offenen Mund strömte. Er war eingeschlafen. Wieder lächelte sie und berührte seine schmutzige Wange, fuhr mit ihrem Finger die Tränenspur nach. "Ja, bald wird alles wieder besser werden, mein kleiner, ich hoffe es für uns." flüsterte sie dem Himmel zugewandt, strich sich die braunen Locken aus der Strin und schloss ebenfalls die müden Augen.

 

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(---> Ein Text, der für sich alleine steht; er soll zum Nachdenken anregen und darf gerne mit der eigenen Kreativität weiter erfüllt werden)

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