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Sym

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  1. Sym

    Die Welt, ihre Gedanken und sie

    Als sie angekommen war, war ihr Bild von dieser Welt, nicht unbedingt im Sinne eines realen Gedankenbildes, es waren keine Bilder, die die Vorstellungen in ihrem Kopf ausmachten, es war die Gesamtheit der Informationen, Hypothesen und Meinungen, Eindrücke und Verarbeitungen, die sie sich am ehesten als einen Raum ausfüllende Worte in einer Symbolsprache vorstellen konnte, die Masse an verfügbarem Material und dem, was sie bereits damit baute oder abriss, dieses abstrakte Gemälde war zuerst leer gewesen, ohne Leinwand, und als der erste Eindruck gekommen war, hatte es der blaue Himmel vollständig ausgefüllt, um bei laufender Neuwahrnehmung langsam verdrängt zu werden, immer mehr reduziert und an seinen Platz befördert zu werden. Wann dieser Prozess abgeschlossen sein würde, war nicht abzusehen, doch es war bereits einiges da, und unter all diesen Ereignissen, dieser Wucht des Teiles des Alles, den sie erfassen konnte, verbunden mit der der vermuteten unendlichen Weite dahinter, saß sie ruhig da, ihr Umfeld war nahezu unbewegt, und sie konnte die Wärme spüren, die eine solche vollgeräumte Einzelwohnung versprühen konnte. Ihre Gedanken und ihre Emotionen waren zwei Dimensionen, die ständig miteinander kollidierten. Dann gab es ihre Wahrnehmung, die zwei ihr bekannten oder auch unbekannten oder im Vergleich bekannten Welten und Raum für Unerklärliches. In diesem schwammen all diese Geschöpfe, geschaffen von ihren ausufernden Wortkombinationen. Wo war der Sinn? In diesen aufblühenden Erklärungsversuchen oder Anschaulichmachversuchen des Unsichtbaren war er nicht zu finden, konnte nur ein Kapitel sein, das Buch war zu dick, und so schwer, dass sie es nur Seite für Seite umzublättern vermochte. So verwelkten die frischen Blüten, Jugend verstarb, der Duft verstummte, die Sonne verkroch sich, und es musste Ersatz für sie gefunden werden. Ein neues Licht, ihr ebenbürtig auf dem festen Boden, unkompliziert, effizient und kreativ, musste einspringen, und das Feuer bot sich nicht nur an, sondern erschien in Explosionen, die dem Himmel eine ganz neue Farbe verliehen, Blut und Hoffnung, und alle Menschen, Tiere, Pflanzen, Gegenstände, Welten und Ideen wurden mit dem nun bunten Tiefendach durchmischt, glücklicherweise verlangt das Passiv nicht, die Verantwortlichen zu nennen, und alles resultierte in der Bildung zweier Worte ihrer Sprache, für sie übersetzt, angepasst, besser als sie sich jemals anpassen würde oder wollte: zu groß. Zu viel, zu verstrickt. Sie war weniger. Sie wollte die Augen schließen, doch das hatte sie bereits getan. Sie musste viele Lider haben, Schritt für Schritt musste sie sich durch diese Gewebeschichten kämpfen, dunkel ahnend, dass sie das Ziel nicht erreichen würde, und wenn sich ein neues Fenster öffnete, um sie endlich mit Sauerstoff zu versorgen, schloss sich die erste Klappe, der profane allgemeine Widerstand. Unter diesem Berg, von außen rauh und grob wirkend, befand sich ihr vereintes Auge mit einer selbstleuchtenden Pupille, sie reflektierte nicht das Licht eines göttlichen Fixsterns, und wenn dieses ihr einziges Produkt, Werkzeug und Sein gegen die Ziegeln ihrer stummen Lider stieß, erstrahlten sie in beängstigend himmlischen Farben. Das Gerüst war stabil, ihre Wimpern schützten es vor Eingriffen von nicht kontraproduktiver Kritik oder herabfallenden Erkenntnisbrocken. Leere Gedanken, kein Entkommen, volle Emotionen. Fühlte sie sich wohl oder unwohl? Es änderte sich mit jedem neuen Wort, das ihr Gehirn formte, und das alles hinterließ den unerklärlichen Geschmack der Schönheit. Das ist gegeben, das ist der Rahmen, sie hämmerte mit knöchernen Fäusten auf ihn ein, ohne seine notwendige Gültigkeit zu erkennen. Sie sollte sich erklären können, warum er war, und sie konnte ihn nicht umformen. Alles, was sie produzierte, war ihre Verarbeitung des Äußeren. Wenn sie versuchte, ihre in einem Kleid aus Worten oder Wörtern getarnten Emotionen zur Vernunft zu bringen, spürte sie ihre Machtlosigkeit. Sie wurde gesteuert, und würde sie steuern, hätte sie nichts, das sie steuern könnte. Hätte ihre Pupille keine Iris, wäre sie alles, hätte ihre Iris keine Pupille, würde ein leeres Inneres wie das Ihrige bleiben. Solange der Boden nicht aus den Pflanzen wuchs, waren die Menschen nicht unabhängig.
  2. Sym

    Beschreibung eines Abends

    „Worauf läuft das hinaus?“, fragte Kadir. Ja, er hatte es ausgesprochen, diesen vergangenheits-, höchstens gegenwartsorientierten Kommentar. „Wir werden jetzt Abendessen. Decke den Tisch!“ Warum aßen sie nicht aus der Packung? Es würde sowieso nach nichts schmecken. Den ganzen Nachtmittag hatte er am Sofa gesessen, und er hätte etwas kochen können, vielleicht wäre es ihm gelungen und er würde glauben können, er hätte ein Talent. Aber die erste Überwindungskraft, die grundliegendste Hemmungsschwelle wurde größer dadurch, dass er diese ohne jegliche Übung erreichen musste. Er ging in die Küche, öffnete einen Kasten, schloss ihn wieder und wurde im Geschirrspüler fündig. Durch das Fenster konnte er den Garten der Nachbarn sehen. Kurze, erstickt wirkende Grashalme, drei Schaukeln, die langsam im Wind wippten. Was war in den letzten Tagen passiert? War sie nicht noch da, seine Überzeugung, dass alles sinnlos sei? Dass er zum Leben verdammt war, dass es keine Hoffnung, nichts zu verlieren gab. Dass ihm blieb, sich darüber zu amüsieren, wie die anderen, seine Schwester, Christa, die Person, die im Bus neben ihm saß, die Leute aus den Nachrichten, die glaubten, sie könnten ihre Macht missbrauchen, etwas bewirken, das Bedeutung hätte, wie diese vielen Frauen und Männer sich den Kopf über das zerbrachen, was er vor Jahren eliminiert hatte, wie sie sich Tag für Tag verwehen ließen. Manchmal entschloss der Zufall, ihm etwas zu vergönnen, und dem gab er sich hin. Gerade war das scheinbar anders, die Realität wollte es nicht mehr ertragen, wie er versuchte, sich mit ihr gleichzusetzen, und strafte ihn mit einem Sturm, in dem auch er nicht mehr verharren konnte. Wann hatte er begonnen, diese Stabilität zu zerstören? Hatte er es schon immer getan, und war er Moment für Moment einer neuen Illusion ausgesetzt? Wahrheit! Als ob er eine solche verstehen könnte! „So groß ist unsere Küche nicht, dass du sie so lange durchsuchen könntest. Wo bleibst du? Unsere Zeit ist kostbar. Oder zumindest meine.“ Christa glaubte an ein Ziel, wenn dieses auch schwer zu erkennen war. Die Abscheu gegenüber den Tätigkeiten des Alltags teilte sie mit Kadir. Sie musste essen, um leben zu können, und könnte sie nicht leben, könnte sie nicht darüber nachdenken, ob sie leben wollte. Es war spät, und ihre abendliche Freizeit, welche sie als Teil ihrer Grundbedürfnisse betrachten musste, da sie nie gewagt hatte, zu testen, was das Gegenteil bewirken würde, stand auf dem Spiel der Anrichtefähigkeiten ihres Freundes. Die hölzerne Tür am anderen Ende des Zimmers, wie sie schon von dutzenden Menschen geöffnet worden sein musste, gewährte Florian Einlass in den Raum, wo er vom brennenden Licht der Sonne, vor dem er seinen Schreibtisch mit schweren schwarzen Vorgängen zu schützen pflegte, bestrahlt wurde, und Kadir und Christa waren beide eifersüchtig auf diesen erholt aussehenden Jungen, der so selbstständig, so funktionierend wirkte, den sie immer wieder bewerteten wie einen Fremden, obwohl sie ihn seit Jahren kannten. Er war der Gegensatz zum Problemkind Christa gewesen. Mittlerweile könnte es ihre Aufgabe sein, ihn zu erziehen, denn sie hatte mit dem Studieren begonnen, während sich ihr Bruder noch in der Schule plagte, aber diese Aufgabe wollte sie nicht annehmen. Florian freute sich. Es würde Spaghetti geben, Mikrowellenspaghetti, und er liebte ihren ranzigen Geschmack. Seine Gedanken wirkten auf Außenstehende und manchmal auf ihn selbst ironisch, und doch meinte er es immer ernst, zumindest in dem Moment, in dem sich die Worte, die nie ausgesprochen werden sollten, in seinem Kopf formten. Er blickte in das Gesicht von Kadir, und dieser Blick, das was er als überzeugte Überzeugungslosigkeit darstellte, es konnte nichts als Ungenügsamkeit ausdrücken. Kadir konnte nicht mit dem leben, was ihm gegeben war, würde lieber auf den Kosten anderer Luxus genießen. Man konnte nur ungerecht sein, jagte man nach diesen weltlichen Werten. Und trotzdem freute sich Florian auf das Abendessen. Er jagte nichts, tötete nicht, freute sich nur. Das konnte nicht falsch sein. Er setzte sich, wie es mittlerweile auch Kadir getan hatte. Gegenüber der beiden Erwachsenen. Der Tisch war halb vollgeräumt, so dass er mithilfe seines Unterarms stapelweise Papier, Lebensmittel und leere Verpackungen beiseite schieben musste. Vielleicht war es nicht gut, dass gerade diese vier Personen in einem Haus lebten. Alle waren sie ungewöhnlich stark fokussiert auf etwas Größeres, vielleicht philosophisch veranlagt, und wie die Wohnung aussah, in der sie ihre Pläne ausarbeiteten oder dahinvegetierten, kümmerte niemanden. So hatten sie einen Grund, bei dem sich alle einig sein konnten, keine anderen Leute einzuladen. Sie mochten es alle, alleine zu sein. Der Platz neben ihm blieb leer, denn Kiwa blieb im hinteren Zimmer, wahrscheinlich arbeitete sie an ihrer VWA. Sie hatte ihren eigenen Kühlschrank, den sie wöchentlich mit Vorräten, bestehend aus Müslis und kaltem Kaffee, ausstattete. Christa teilte die klumpigen Nudeln in drei mehr oder weniger gleich große Portionen auf. Weil ihr der Eindruck, den sie auf andere machte, wichtig genug war, dass er nicht egoistisch sein sollte, stellte sie sie in einer Reihe auf und ließ offen, wer sich welche Portion aneignen würde. Florian, der am besten genießen konnte, griff sofort nach dem Teller mit dem wenigsten Essen. Christa blieb die größte Portion, und wo sie einmal vor ihr stand, musste sie sie auch essen. Warum lebte sie mit den seltsamsten Menschen der Welt in einer WG? Sie liebte Kadir. Er faszinierte sie, und er war unglaublich praktisch. Wie glücklich sie sich nach ihrem ersten Treffen geschätzt hatte! Es gab niemanden, der mehr Glück als sie hatte. Und trotzdem ließ das Ziel auf sich warten. Dass Kadir eine Schwester hatte, die noch schweigsamer als er war, die auf Fremde einen noch psychopathischeren Eindruck machte, musste sie akzeptieren, weil sie selbst Florian hatte. Nach dem Tod ihrer Mutter hatte sie dieses Haus geerbt, und es war das einzig Vernünftige gewesen, die vier Wohnungssuchenden in diesem alten, noch immer heruntergekommenen Haus zusammenzufassen. Die Stille war unangenehm, und sie hielt es für notwendig, so zu tun, als würde sie sich darum kümmern, ein Gespräch zu beginnen. Dass Kadir diese Ruhe nicht störte, wusste sie gut, aber bei Florian konnte sie sich nicht sicher sein. Hauptsächlich gibt es um sie selbst. „Wie war es in der Schule?“ Wie sie solche uninteressanten Fragen hasste! Florian war einer von Millionen Schülern, irgendjemand, wen kümmerte diese Bruderschaft, einer von Milliarden Menschen, die sich täglich langweilten und dann auch noch auf das, was zum Glück vergangen war, zurückblicken mussten. Sie zwang ihn dazu. „Wir haben nichts Sinnvolles gelernt.“ „Wie denn das?“ „Warum sollten sie Interesse daran haben, uns etwas beizubringen, das von Bedeutung ist? Wir sind ihnen nicht wichtig! Wir sollen uns nur daran gewöhnen, nicht in die Tiefe zu gehen.“ Es gefiel ihr nicht, wenn er diese Dinge sagte. „Wer sind sie? Du schaffst dir deine eigenen Feinde. Niemand will dir etwas Böses tun. Schau, wenn es dir in der Schule nicht gefällt, musst du dort nicht hingehen. Du kannst sie auch abbrechen. Ich meine es nicht böse. Ich meine es ernst. Du kannst frei entscheiden.“ „Die Schule abbrechen? Und dann werden wie Kadir? Ich glaube, ich brauche diese Abwechslung. Ich kann es genießen. Aber trotzdem läuft irgendetwas grundlegend falsch.“ Florian sagte niemandem außer Kiwa, womit der die vielen Stunden, die er täglich in ihrem gemeinsamen Zimmer verbrachte, füllte. Das Internet war kein guter Einfluss, dachte sich Christa. Er glaubte zu viel von dem, was er las. Es dauerte nicht lange, bis alle aufgegessen hatten, und Florian die Teller einsammelte und in die Küche trug.
  3. Sym

    Tropfen gegen die Welt

    Nun war sie regungslos, voller Leere. Sie blickte auf das Meer, auf dem sich in einem endlos scheinenden Kreislauf immer wieder eine Welle behautete, sich in ihrer Größe aufrichtete, nur um kurz danach von einer anderen verdrängt zu werden. Es war ein Kampf, und dieser selbst war sein einziger Sieger, der sich in seinem Triumph immer wieder aufhob und aus seiner fiktiven Existenz neue Mittel für seinen weiteren Bestand entnahm. Sie umklammerte einen toten Fisch, drückte ihre Stirn gegen ihn. Das war zwar unüblich, kühlte ihren heißen Kopf aber etwas, und sie machte sich deshalb keine Vorwürfe, aus allen anderen möglichen Gründen übrigens schon. Zahlreiche Wassertropfen erhoben sich aus der undurchdringlichen Masse, in welcher sie bedeutungslose Einzelstücke gewesen waren, sie wurden praktisch gerade geboren, auf eine Weise, die außergewöhnlich rasch und umstandslos war. Erst einmal das Licht wahrgenommen, strebte jeder einzelne dieser Tropfen die Sonne an, dieses Loch in der Leere des Himmels, welcher von keiner Seele mehr bewohnt war, als hätte Gott sein billiges Hotel gesäubert, und sie alle schienen von der machtlosen Energie des runden Sterns innerhalb weniger Sekunden aufgelöst zu werden, doch eigentlich fristeten sie ihre fragwürdige Existenz im Verborgenen weiter, und wurden in Dampf verwandelt. So sanken sie wieder zu Boden, um von den dort wohnhaften Delfinen, an denen alles eine Parodie auf das Ursprüngliche zu sein schien, verschlungen zu werden und im Leib ihrer Mutter zu sterben. Ja, das war das Ende eines jeden Tropfendaseins, so unbesonders, dass keiner von ihnen dem Fluch ausgesetzt war, durch die Erinnerung an ihn nach seinem Tode weiterzuleben. Was interessierte die Frau das alles? Sie war so verdorben, sich all diese Gedanken zu machen. Gestern war es noch umgekehrt gewesen, dachte sie, und blickte in nasse, trübe Augen. Nun konnte sie nicht mehr länger warten, die Zukunft würde bald ihr Ende in ihrer Umkehrung in die Vergangenheit gefunden haben, und ihre Angst wurde immer größer. Sie musste genutzt werden, bevor sie unter ihrem eigenen Gewicht zusammenbrechen, sich erdrücken und versperren, ihr Wachstum gemeinsam mit der Zeit umstülpen würde. Wieder fühlte sie sich dazu veranlasst, mit dem Zählen zu beginnen, wusste aber, dass sie dann wieder in den Konflikt mit der Unendlichkeit kommen würde. Also brach sie ihre Regungslosigkeit, stampfte ein einziges Mal mit ihrem Fuß auf den Boden und riss die Hände in Richtung des altbekannten Himmels. Zusammen mit dem durch die Bewegungen des Wassers vor ihr erzeugten Wind bildeten ihre Gliedmaßen nun eine Bahn, eine Leiter ohne Stufen, wie sie in ihrem alten Zimmer gestanden hatte, und der Fisch fand keinen Halt, wie es ihre beiden Kinder geklagt hatten, und fiel dank seines potentiell uneingeschränkten Gewichts zu Boden. Als sie bereit dazu war, ihre Aufgabe zu erfüllen, setzte sie jenen Teil ihres Körpers, den sie zu steuern können glaubte, in Bewegung, wurde sogleich unerwartet schnell und kreiste einige Male um dicke, kahle Säulen, die vor ihr auftauchten und die, nachdem sie ihren Zweck, ihr den Weg zu versperren, erfüllt hatten, wieder verschwanden, um in die Welt der Perfektion in Isolation zurückzukehren, nahm sie an, auch wenn sie kurz davor war, ihren Glauben an diese zu verlieren. Diese Säulen waren rund, brutal und mächtig, so wie jene, die ihr den Weg aus ihrem Zimmer versperrt hatten, nur dass diese nicht verschwunden waren. Ihre Orientierung war schlecht, ihre Gedanken verdrängten die Bilder vor ihren Augen, doch sie ging ihren Weg weiter. Hatte sie das nicht schon immer so getan? Gab es überhaupt eine Alternative dazu? Wo war ihre Wahlfreiheit, wie sie auf den schmutzigen Schildern mit ihren nichtssagenden Pfeilen an den Rändern der hässlichen Wege verkündet wurde, die indirekt von Blut überzogen waren, deren Löcher ihren Sohn verschlungen hatten und über die sie noch nie zuvor nachgedacht hatte? Anscheinend war sie vorangekommen. Sie spürte die angestrebte Wärme der Flüssigkeit, es war kein Wasser mehr, die bereits ihren gesamten Körper umgab. Sie hatte auch einmal gehört, das, was sie tat, sei richtig. Es fühlte sich nicht mehr nicht so an, und legal war es sowieso nicht, doch sie wollte sich ja von all diesen Werten zu befreien, von den Gesetzten, den Emotionen und natürlich von der Wahrscheinlichkeit. Sie selbst sprach es anfangs in ihrem Kopf nicht aus, doch sie schämte sich für ihre Taten. Die Zweifel an ihrer Skepsis traten hervor, und hallten als eine von vielen Stimmen durch ihren Körper. Bis jetzt war alles so gewesen, wie es sein sollte, und nun zerschlug sie die Utopie ihres Lebens mit einem mächtigen Hammer, aber weil ihre natürlich keine solch bedrohlichen Waffen zur Verfügung standen, zerschlug sie sie in Wirklichkeit mit der verschrumpelten Leiche eines Delfins. All die verschiedenen Kräfte, die auf sie wirkten, bildeten das Fundament eines Berges, eines solchen Haufens toter Steine, der so stumm und taub ist, dass es in den Augen eines denkenden und fühlenden Wesens kaum Sinn ergibt, dass ein solches Ungetüm überhaupt existieren kann, und der trotzdem täglich Leben beendet und Leben ausruft. Wie sich dieses Monstrum in der Gestalt eines verformten Kegels im Laufe seiner Entwicklung nach oben, in seinem Streben nach jener Richtung, die häufig mit dem Guten assoziiert und als Ziel definiert wird, wie der Berg so immer weniger wird und sich an seiner Spitze, in der letzten Ebene, schließlich eine Singularität befindet, so stapelten sich ihre kognitiven Prozesse, unklar, ob es Gedanken oder Emotionen waren, und immer mehr der ziehenden Kräfte brachen hinweg. Eine einzelne Sache blieb übrig, doch diese war anfangs noch verschwommen, als wäre sie gerade geschlüpft und noch mit unreinem Schleim bedeckt, so dass sie selbst sie nicht vollständig erkennen konnte. Doch dieses Etwas geleitete sie zu einem Beschluss, welcher ihr sofort bewusst war. Sie begann zu schwimmen, in diesem ätzenden Gemisch, das sie davor für Wasser gehalten hatte. Sie spürte Boden unter ihren Füßen, so sehr, wie sie dieses Gefühl davor gehasst hatte, verehrte sie es nun, und schaffte es, ihre Augen zu öffnen. Sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, sie geschlossen zu haben, wer weiß, wie lange das schon her gewesen war. Sie kämpfte sich durch die flüssige Masse, ihr Körper erhob sich über der verhassten Brühe, die ihr Tod und Erkenntnis bringen hätte können. So wuchs sie, streckte ihre zitternden Arme aus, und erschrak, als sie plötzlich einem ihr allzu gut bekannten Gefühl ausgesetzt war. Es war das Gefühl der Anwesenheit von Macht, das sie in ihrer Vergangenheit, die sie nun erstmals als ein eigenes Kapitel betrachtete, so oft eingeschüchtert hatte. Doch nun wurde es weder von einer Autoritätsperson noch von einem Gerüst aus Beton ausgestrahlt, sondern kam direkt aus dem einzigen, das sie in diesem Moment wahrnehmen konnte: Aus ihr selbst.
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