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Schmuddelkind

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Alle erstellten Inhalte von Schmuddelkind

  1. Lieber Hugin, liebe Amadea, vielen Dank für eure Kommentare! Oh, wenn man Pech hat, drängt es aus der Brust raus. Schöne Ergänzung, Hugin! Was Spenderhirne angeht, sind meine Ansprüche recht simpel, Amadea: Hauptsache, das Hirn ist in der Lage, die Footballregeln zu verstehen. Ich denke, die meisten Bikerhirne sollten das leisten können. Da bin ich also ganz unbesorgt. LG
  2. Danke, lieber Carlos! Freut mich sehr, dass es dir gefällt. Eigentlich war es eher ein relativ gedankenloser Versuch, ein "Sonett" aus einhebigen Versen zu schreiben und da war mir die Herausforderung wohl wichtiger als der Inhalt. Daher bin ich mir selbst nicht klar, ob "Buchen" doppeldeutig gemeint sein kann. Welche doppelte Bedeutung hast du darin erkannt? LG
  3. Liebes Nesselröschen, liebe sofakatze, vielen lieben Dank, dass ihr euch meines kleinen Gedichts angenommen habt. Ich schätze, du hast recht, Nesselröschen. Das LI scheint eher schüchtern zu sein, da es in der Beziehung, die dem Gedicht vorausgeht, eher eine passive und rezeptive Rolle eingenommen hat, wohl einerseits, weil diese Berührungen, gleich wieviel Leid sie befördern, schlicht und ergreifend schön sind. Andererseits wohl, weil es dem LD nicht als aktiv Handelnder entgegentreten kann oder will. Gut beobachtet! Für dieses Lob muss ich mindestens ein "Wow" erwidern. Danke, liebe sofakatze! Deiner präzisen Analyse kann ich voll und ganz zustimmen. Es ist ein Teufelskreis aus Nähe und Leid, dem das LI plötzlich entfliehen mag. Dieses Gedicht ist vielleicht so etwas wie die zweite Version eines anderen Gedichts, das ich vor nicht allzu langer Zeit hier gepostet habe, in dem das LI die Begrüßung und mithin diesen Teufelkreis begrüßt. Denn beides wäre ja verständlich: Die Berührung wegen ihres Liebreizes suchen oder sie abzulehnen, um nicht in diesem letztendlich unerfüllten und leidvollen Zustand gefangen zu sein. Deine Version gefällt mir gut, weil es dieses Gefangensein verdeutlicht, von dem ich eben sprach. Aber käme dann nicht auf der reinen Bildebene eher die Vorstellung einer Umarmung auf, aus der sich das LI befreien würde? Mit anderen Worten: Kann das LI fordern, dass es selbst losgelassen wird, wenn unmittelbar nur die Hand im Griff des LD ist? Ist eine offene Frage. Bin mir nämlich selbst nicht sicher. LG
  4. 7. Februar 1856 Welch Vergnügen man in den kleinen Unterschieden vor der Gleichförmigkeit dieser Ödnis verspüren kann! Inzwischen ist der Sand hier ein ganz anderer; dunkler und fester, beinahe lehmartig mit vereinzeltem Geröll. Auch sind zuweilen ein paar kleine Pflänzchen auszumachen, die mich stets dazu einladen, abzusteigen und diese kleinen Wunder zu bestaunen, weniger wegen ihrer Schönheit - sind diese dürren Strauchgewächse doch kaum eine größere Augenfreude als trockenes Getreide - als vielmehr weil das Leben doch auch hier seinen Platz findet, wo der Tod ein viel leichteres Spiel hat. Und auch Emil findet seine ganz eigene Freude an der kargen Vegetation. So dankbar er sich darüber zeigt, dass ich ihm des Öfteren Entlastung biete, indem ich neben ihm hergehe (was mir auf diesem Boden deutlich leichter fällt als in dem feinsandigen Gelände, das wir hinter uns gelassen haben), so dankbar bin auch ich, dass ich in ihm einen derart geduldigen Begleiter gefunden habe, der bisher noch nie über seine Last klagte. Schon einige Anekdoten habe ich gehört über Kamele, die sich weigerten, ihre Reiter weiter zu befördern. Hoffnung stiften solche Abschnitte, die ich in diesen Landschaftsänderungen erkenne, weil ich erfahre, dass ich vorankomme. Den Blick zum Horizont gerichtet, muss man unweigerlich glauben, diese schier endlose Weite sei unüberwindbar. Aber wie viele Abende habe ich schon den Horizont erreicht, den ich am Morgen noch für jenseits meiner Kräfte wähnte? Daher habe ich mir vorgenommen, mich an Vorläufigerem und Näherem zu orientieren. Voller Vorfreude erwarte ich, in wenigen Tagen bei einer Oase anzukommen. Wenn ich diese innere Leichtigkeit in dunklem Sand und trockenem Gestrüpp bereits finde, wie paradiesisch mag dann ein Ort sein, an dem Palmen wachsen, Menschen miteinander reden und ich mein Haupt im Wasser kühlen darf?
  5. Liebes Sternenherz, vielen lieben Dank für dein großes Lob meines doch so kleinen Textes. Ja, in der Poesie hat man die Möglichkeit, mehr zu sagen, als Alltagssprache es erlauben würde, weil man eine solche Dichte erreichen kann. So ist es mitunter möglich, Gefühle auszudrücken, für die man sonst unendlich viele Worte bräuchte. Das ist übrigens auch der Grund, warum ich die Sprache der Mathematik liebe. In dieser Hinsicht sind sich Mathematik und Poesie sehr ähnlich. Bin ganz verlegen, liebe Sali - da verschlägt's mir die Sprache und ich muss mich hinlegen um mich dem Umfallen zu widersetzen. Unwiderstehlich dein Kommentar, liebe Lina. LG
  6. Liebe Sali, lieber Hayk, lieber Joshua, ein arg verspätetes, aber nicht minder herzliches Danke an euch für eure ausführlichen Kommentare. Joa, schlechte Stimmung wird wohl eine Motivation sein, wenn jemand den Sommer zerstören will, liebe Sali. Und an so einem schwarzen Tag lacht einem wohl jeder Sonnenstrahl und jedes bunte Blümchen zynisch ins Gesicht. "Ach, überall fröhliche Menschen! Das kotzt mich richtig an." Also, der Ruhrpott-Bengel ist mir sehr sympathisch, lieber Hayk. Ja, ich denke, das beschwingte Tempo und die doch sehr überdramatisierte Darstellung der Weltabkehr lassen die Deutung zu, dass da jemand in die Pfütze gefallen ist und behauptet, er würde ertrinken. Ich glaube, als ich es damals geschrieben hatte, war dieser ironische Unterton nicht beabsichtigt, aber heute muss ich selbst darüber schmunzeln. Wow! Da erkennst du ja ne ganze Menge Konkretes darin und ich finde deine etwas ernstere Deutung im Kontrast zu Salis und Hayks Interpretation interessant, lieber Joshua. Ich denke, das war auch in etwa die Motivlage, die mich damals beim Schreiben begleitet hat. Heute, mit fast zehn Jahren Abstand, kann ich dem Text beide Gesichter abnehmen und freue mich, dass verschiedene Leser (wohl auch je nach Stimmungslage und generellem Blickwinkel auf solche Schicksalsschläge) auch zu einem der beiden Aspekte des Themas geneigt sind. Das macht so ein Gedicht zu mehr als das, was man geschrieben hat. LG
  7. Lieber Hugin, liebe Letreo, verzeiht mir, dass meine Antwort so lange auf sich warten ließ! Bin selbst ganz überrascht, wie lang eure Kommentare schon her sind und dass ich bisher die Zeit nicht finden konnte, zu antworten. Aber in letzter Zeit ist hier so viel los. Jedes Wochenende ist irgendwie verplant. Naja, heute habe ich einen Tag frei und möchte mich zumindest all den unbeantworteten Kommentaren widmen. Über eure Kommentare habe ich mich auch sehr gefreut, weil ich sehe, dass ihr solche Empfindungen kennt. Ja, es ist interessant, was ein Kindheitsort mit einem machen kann. Wie man plötzlich wieder Kind ist und dazwischen doch die kritische Distanz des Erwachsenen erreicht und vergleicht, was alles (tatsächlich oder der Erinnerung bzw. veränderten Wahrnehmung geschuldet) anders ist. LG
  8. Vielen lieben Dank, liebe Sali, für dein Lob und deine schöne und nicht minder schmunzelwürdige poetische Erwiderung. Im Leben lässt sich Tragik und Komik selten klar voneinander unterscheiden. Dieser Empfindung versuche ich immer wieder in meinen Texten Raum zu gewähren. Ich freue mich sehr, dass du dies so oft entdeckst und es dich erreicht. LG
  9. Danke, lieber Hugin, für deinen kritischen Beitrag zur anmaßenden Gottesbevormundung selbst ernannter Anwälte Gottes. So sehe ich das auch. Meistens geht es solchen Menschen meiner Beobachtung nach darum, eigene Unsicherheiten beim Vertreten und Behaupten von Standpunkten zu kaschieren. So sucht man sich einen allmächtigen Gott als Alter Ego, hinter dem man sich verstecken kann. LG
  10. Hallo Perry, da hast du sicher recht. Ein Feuer "legen" ist wohl keine gute Idee. Ich schätze, ich sollte lieber ganz einfach "machen" schreiben, wa? Danke für den Hinweis! LG
  11. Lieber Edo, oh, das ist eine ganz besondere Ehre für mich, dass du diese Geschichte für deinen Enkel ausdruckst. Denn tatsächlich hatte ich auch Jugendliche als potentielle Leser im Sinn. Dieses Buch soll zum einen Jugendliche ab der neunten Klasse die Schulmathematik näherbringen und sie weit darüberhinaus führen und so ihr Interesse am Fach Mathematik wecken, das in der Schule eher mechanisch und grau präsentiert wird. Zum anderen geht es mir aber auch darum, Erwachsene zu erreichen, die aufgrund negativer Schulerfahrungen irgendwann für sich beschlossen haben, Mathematik sei nichts für sie. Auch kann man natürlich diese Geschichte eher als eine Geschichte lesen und die Mathematik darin eher passiv auf sich wirken lassen. Unter Umständen kann ich mir auch vorstellen, dass dieses Buch für angehende und aktive Mathelehrer interessant sein könnte, wobei die Frage ist, wieviel des pädagogischen Impetus in die Schule hinüber gerettet werden kann, da sich das Unterrichten einer Klasse doch beträchlich vom Einzelunterricht unterscheidet. Insofern, um deiner Frage, an wen dieses Buch primär gerichtet ist, final auszuweichen: Jeder, der irgendetwas in dem Buch für sich finden kann, ist eingeladen, es zu lesen. LG
  12. Liebe Liara, liebe Sali, vielen Dank für euer Interesse an dem Büchlein. Tatsächlich hat sie noch gar nicht so richtig angefangen. Bisher war das alles eher die Einleitung. Wenn die Geschichte so richtig in die Gänge kommt, wird sie sich in eine unvorhergesehene Richtung entwickeln und dann wird es hoffentlich etwas packender. Ich freue mich aber, dass du sie bis hierhin schon als schön bezeichnen kannst. Danke für dein Lob, Sali! Ich fühle mich zwar auch sehr dem afrikanischen Kontinent hingeneigt, aber Wüsten mag ich eigentlich gar nicht so. Umso mehr wundert es mich, dass ich irgendwann anfing, diese Geschichte zu schreiben. Aber bei literarischen Texten geht es ja nicht so sehr darum, wovon sie handeln, sondern wie sie geschrieben sind und dahingehend bin ich schon recht ob deiner Adjektive "flüssig" und "spannend" beruhigt. LG
  13. Folge 1: Wie werden die Gummibärchen gemacht? Emily aus Recklinghausen hat uns gefragt, wie eigentlich die Gummibärchen gemacht werden. Das haben wir uns auch gefragt und wollten der Sache mal nachgehen. Dazu sind wir nach Bremen gefahren. Da gibt es eine große Gummibärchenfabrik. Und das erste, was man sieht, wenn man in die Fabrik reinkommt, sind ganz viele Käfige mit Bären drin. Und was das Besondere an diesen Bären ist, das zeigt uns Frau Schulz mit dem Ultraschall-Gerät. Mit diesem - ich nenn das mal - Griff streift sie über den Bauch der Bärin und was in dem Bauch ist, das sieht man auf diesem Monitor. Und wenn man genau hinschaut, erkennt man fünf ganz, ganz kleine Babybären - Embryos nennt man die. So ein Embryo sieht schon ein bisschen so aus wie ein Bär, aber noch nicht ganz. Z.B. hat er noch kein Fell und er ist durchsichtig. Sieht eigentlich ein bisschen aus wie ein Gummibärchen. Aaaber bis aus einem Bärenembryo ein richtiges Gummibärchen wird, gibt es in der Fabrik noch eine Menge zu tun. Als erstes muss das Embryo ja aus dem großen Bär raus. Dazu kriegt er so eine Spritze. Keine Angst! Das tut dem Bär nicht weh. Piekst nur ein bisschen. Das kennt ihr sicher auch vom Arzt. Und wenn der Bär das nächste Mal auf's Klo muss, kommen die ganzen Embryos raus. Da sieht man sie. Schön weich und durchsichtig. Aaaber so ganz fertig sind sie noch nicht. Das merkt auch Christoph, wenn er hier einen probiert. "Igitt!" macht Christoph; der schmeckt ja gar nicht. Schmeckt ziemlich salzig. Gummibärchen sollen ja süß schmecken. Also kommen sie erstmal auf's Fließband und dann in diesen großen Behälter mit Zuckermasse. Darin müssen sie einen Tag lagern, bis sie schön süß sind. Jetzt kann man sie eigentlich schon essen. Schmeckt jetzt auch dem Christoph. Hmmm, lecker! Etwas fehlt aber noch. Habt ihr bestimmt schon gemerkt. Die Gummibärchen sind ja gar nicht bunt. Also nochmal auf's Fließband und durch diese Maschine, wo sie mit Lebensmittelfarbe besprüht werden. Dann weiter zu dieser Maschine. Da werden sie abgepackt. Und dann landen sie im Laden. Hat also eine ganz schöne Reise hinter sich, das Gummibärchen - aus dem Bauch von Mama Bär in euren Bauch. (Aus dem Fundus)
  14. 4. Februar 1856 Trotz meines Schleiers sind meine Haare voller Sand, fast als sei die Wüste nichts Äußeres, als entstünde sie aus mir heraus; an meinem Körper klebt der Sand; in meinem Mund ständig Sand! Gelingt es mir abends, mich noch eben vom Sande zu befreien, hat er am Mittag wieder Besitz von mir ergriffen. Überhaupt führt alles hier immer wieder zum selben Punkte zurück. Kaum trinke ich einen Schluck, bin ich wieder durstig. Kaum gelange ich 10 Kilometer voran, wähne ich mich doch wieder am gleichen Ort, mitten in der Wüste. Ich versuche meinen Geist von dieser Trostlosigkeit abzubringen und stelle mir Afrika vor - jenseits der Wüste. Ich weiß im Grunde nichts darüber und doch sehne ich mich seit meiner Kindheit in den wundervollsten Bildern danach. Was ich über das Wesen der Menschen , über die Natur und über mich selbst erfahren und zu lernen vermag, davon habe ich keine Vorstellung. Doch in mir liegt eine Gewissheit, dass ich nicht mehr als derselbe Mann zurückkehren werde. Also schweife ich über die Wüste hinweg zu Orten von unergründlich tiefer Schönheit, zu den Savannen mit ihren Löwen und Elefanten, zu dichten, unberührten Wäldern mit Pflanzen, deren bunte Schätze all unseren Sinnen gänzlich unbekannt sind, zu grün gesäumten Flüssen, wo Gemeinschaften leben, die unsere Vorstellung davon, wie der Mensch ist und wie er sein kann, ins Unendliche zu dehnen vermögen. Doch die meisten meiner Gedanken versanden in der Wüste.
  15. Woche 3 "Ich kann die binomischen Formeln auswendig. Ist mir relativ leicht gefallen, weil ich mich noch ganz gut erinnern konnte." Béla erwartet mit selbstzufriedener Miene die Aufforderung des alten Mathematikers: "Dann lass mal hören!" "(a+b)² = a²+2ab+b² - das ist die erste binomische Formel. Die zweite lautet: (a-b)² = a²-2ab+b² und die dritte: (a+b)*(a-b) = a²-b²" Der Alte nickt mit gespitzten Lippen: "Und warum ist das so?" "Das stand so im Internet", entgegnet Béla mit verspielt frechem Unterton. "Da hat das Internet sogar nicht unrecht. Aber warum sind die Formeln richtig? Warum lautet beispielsweise die erste binomische Formel nicht anders? Warum ist da etwa dieses seltsame 2ab?" Er notiert (a+b)² und fragt den Jungen: "Was bedeutet dies?" "Dass ich (a+b) quadrieren, also mit sich selbst mal nehmen muss. Deshalb: (a+b)*(a+b). Ach ja", erkennt Béla in überraschender Klarheit: "Dann muss ich nur die Klammern auflösen, indem ich jeweils einen Buchstaben aus der ersten Klammer mit einem Buchstaben aus der zweiten Klammer multipliziere. Das heißt, das a aus der ersten Klammer mal dem a aus der zweiten Klammer: a². Dann mal dem b aus der zweiten: ab. Nun das b aus der ersten mal dem a aus der zweiten: ba und schließlich die beiden b: b²" Als der Junge fertig ist, liest er den erarbeiteten Term am Stück vor: "a²+ab+ba+b². Ich habe also das ab (bzw. ba) zwei mal, also 2ab. Damit ergibt das insgesamt a²+2ab+b² - wow! Das ist tatsächlich die binomische Formel. Die Sache ist ja ganz simpel." Zuvor erschien ihm die binomische Formel wie eine willkürliche Anordnung von Zeichen, die auswendig zu lernen sei wie das Alphabet. "Du siehst", erwacht die Stimme des alten Mannes gemeinsam mit Bélas Erkenntnis: "Wenn man die Bedeutung eines Problems erkannt hat, löst es sich oft fast von selbst. Das größte Problem ist nämlich nicht, dass wir Probleme haben, sondern dass wir uns nicht mit ihnen beschäftigen wollen. Analog funktioniert dies natürlich auch für die zweite und dritte binomische Formel. Daher lassen wir diese nun beiseite und gehen zur Anwendung über." Er schreibt (x+3)² auf den Zettel und schiebt ihn dem Jungen zu. Dieser erkennt, dass er die erste "Zahl", also x, quadrieren muss und schreibt daher x². Daraufhin rechnet er zwei mal x mal drei und notiert +6x. Schließlich quadriert er noch die Drei und erhält neun: x²+6x+9. "Sehr gut!", bescheinigt der Alte anerkennend. "Nun achte mal darauf, wie der Term jetzt aussieht!" "Da sehe ich ein quadratisches Glied, ein lineares Glied und ein absolutes Glied. Das dürfte dann Level 3 sein." Langsam beschleicht ihn eine Ahnung, die er noch nicht ausformulieren kann. Da ergreift der Alte wieder das Wort: "Aha! Wenn ich also eine Klammer zum Quadrat vor mir sehe, kann ich daraus einen solchen Level-3-Term machen. Da hege ich die leise Hoffnung, dass dies umgekehrt vielleicht auch klappt. Möglicherweise kann ich, wenn ich Level 3 habe, den Term als eine solche quadrierte Klammer vereinfachen. Lass uns das mal versuchen: x²+8x+16 - das will ich also schreiben als eine quadrierte Klammer, also: (___)². Versuchen wir doch zuerst einmal herauszufinden, welches Rechenzeichen in die Klammer kommt." "Ein Pluszeichen, weil da nur Pluszeichen zu sehen sind; das ist dann die erste binomische Formel." "Also so: (_+_)², ja? Dann wollen wir mal sehen, was wir in der Klammer links einsetzen müssen." "Ich schätze x, weil ich ja bei der binomischen Formel das x quadrieren muss und dann steht da x², wie ich es ja auch bei dem Level 3 Term am Anfang sehen kann." "Ganz genau. Also (x+_)². Nun ignoriere kurz das absolute Glied, also die 16, und versuche aus dem linearen Glied (8x) zu erschließen, was die zweite Zahl in der quadrierten Klammer sein müsste!" Diese Aufgabe macht Béla sehr zu schaffen. Immer wieder kommt ihm eine Idee, doch wenn er das Gefühl hat, der Lösung ganz nah zu sein, zerplatzen seine Gedanken - vermutlich aus Vorfreude. Da bietet der alte Mann seine Hilfe an: "8x entspricht in der binomischen Formel diesem 2ab, oder? In 8x steckt also zwei mal die eine Zahl aus der Klammer mal die zweite Zahl aus der Klammer. Was ist denn noch gleich die erste Zahl aus der Klammer?" "x - ach ja, und das x findet sich wieder hinter der Acht. Also ist acht zwei mal die andere Zahl in der Klammer. Dann muss in die Klammer vier. Vier mal zwei ist nämlich acht. Dann heißt es also: (x+4)²" "Das war nicht so einfach. Aber du hast es dir klug erschlossen. Ich will es dir noch ein bisschen einfacher machen, denn was du implizit gesagt hast: Man muss sich auf die Zahl vor dem x konzentrieren. Die Hälfte dieser Zahl kommt in die Klammer." "Ja, stimmt!" "Zumindest sagt uns das dieses lineare Glied. Die Frage ist dennoch, ob das absolute Glied dahinter - die 16 - auch nichts dagegen hat." "Das ist hier kein Problem. Denn hinten steht in der binomischen Formel ja immer das Quadrat der zweiten Zahl aus der Klammer. Und 16 ist das Quadrat von 4. Also passt alles ganz toll zusammen." "Gut erkannt. Was wäre nun, wenn da hinten nicht 16, sondern 15 stünde?" "Dann würde das mit der binomischen Formel nicht mehr funktionieren", folgert Béla ohne Zögern. Mit weitsichtigem Lächeln antwortet sein Lehrer: "Da hast du recht. Dann könnten wir nicht so ohne Weiteres die binomische Formel anwenden, um aus dem Term eine quadrierte Klammer zu machen. Doch vielleicht gibt es ja eine Möglichkeit, den Term auszutricksen." "Auszutricksen?", fragt Béla verwundert. Der Alte hebt kurz die Augenbrauen und grinst so, als hätte er ein Geschenk für den Jungen. "Wenn da x²+8x+15 steht, stört mich doch die 15; denn das ist nicht die Zahl, die ich mir wünsche. Welche Zahl wünsche ich mir noch gleich?" "16" "Und warum?" "Weil die Hälfte von acht, also der Zahl vor dem x, vier ist und die vier muss ich dann noch quadrieren - also 16." "Richtig. Dann schreibe ich doch einfach mal meinen Wunsch auf, als wäre Weihnachten: x²+8x+16" "Aber dann steht da doch nicht mehr dasselbe. Ich kann mir doch nicht einfach so eine schönere Aufgabe wünschen." "Da hast du recht. Nicht einfach so. Denn ich mache hier ja einen Fehler. Um diesen Fehler auszugleichen, mache ich ihn wieder rückgängig und nehme die 16 wieder weg." Er notiert x²+8x+16-16 und der Junge erkennt, dass +16 und -16 sich aufheben und eine Null bilden. Da fährt sein Lehrer fort: "Wenn ich jetzt also wieder die ursprüngliche 15 addiere, habe ich doch den ursprünglichen Term wieder, nur in anderem Kleid: x²+8x+16-16+15. Das sieht jetzt unnötig kompliziert aus, aber erkennst du, was man jetzt machen kann?" Béla erkennt in den ersten drei Gliedern sofort einen alten Bekannten wieder und erklärt "Jetzt kann ich aus diesem x²+8x+16 wieder diese Klammer basteln - also: (x+4)². Ah! Und aus den beiden Zahlen ganz hinten kann ich eine Zahl berechnen: -16+15 ergibt -1." Er ergreift den wohl irgendwann abgelegten Stift und notiert: (x+4)²-1. "Du siehst", erklärt der alte Mann, "wir können auch dann diese binomische Klammer erzeugen, wenn die Zahlen nicht ganz zu passen scheinen - zur Not bleibt da vielleicht noch eine Zahl übrig. Man muss nur ein bisschen mit ihnen kommunizieren, bis wir das in ihnen erkennen können, das uns weiterbringt. Man nennt diese kleine Spielerei, die wir gerade hinter uns gebracht haben, übrigens quadratische Ergänzung." "Ich habe das wohl verstanden. Aber ich weiß nicht, ob ich das ganz alleine hinkriegen würde." "Deshalb solltest du es versuchen: x²-6x+5 = 0" Béla fühlt sich unsicher. Noch einmal geht er im Kopf durch, was die beiden alles mit dem letzten Term angestellt haben und erinnert sich, dass er sich zunächst eine Zahl wünschen muss. "Ich wünsche mir die Neun; die Hälfte von sechs ist nämlich drei und drei quadriert ist neun." Er schreibt auf die linke Seite des Gleichheitszeichens x²-6x+9 und merkt schnell, dass neun natürlich nicht dasselbe wie fünf ist. Also zieht er die Neun wieder ab und schreibt die ursprüngliche Fünf dahinter: x²-6x+9-9+5 steht auf der linken Seite und rechts des Gleichheitszeichens schreibt sich die Null von selbst, da er an ihr ja nichts verändert hat. Während der Alte zutraulich nickt, fährt Béla fort: "Aus den ersten drei Dingern da kann ich eine quadrierte Klammer machen" (___)² "In die Klammer kommt diesmal ein Minuszeichen, weil nach dem x² ein Minus steht." (_-_)² "Links in der Klammer steht natürlich x und rechts die Hälfte von 6, die ja vor dem x steht - das ist dann die Drei." (x-3)² Béla merkt, wie sich die Gleichung so langsam, nachdem erst einmal der Anfang gemacht ist, fast selbstständig zurecht rückt. "Dahinter bleibt noch -9+5. Das kann ich rechnen... Das ist dann -4." (x-3)²-4 = 0. Endlich erkennt Béla den ganzen Sinn dieser Übung, da seine Intuitionen ins Bewusstsein empor steigen, so wie die Gleichung aus der Logik abgeleitet eine bekanntere Form annimmt. "Oh! Das sieht fast so aus wie bei Level 1! Ich kann doch jetzt einfach die Vier von der quadrierten Klammer trennen und dann die Wurzel ziehen. Also rechne ich +4." (x-3)² = 4 - nun zieht er auf beiden Seiten die Wurzel und befreit somit die Klammer von ihrem Quadrat: x-3 = 2. Auch dass es eine zweite Lösung geben muss, fällt ihm schnell wieder ein: x-3 = -2. Beide Gleichungen, merkt er sofort, sind rasch zu lösen, indem man drei addiert, sodass aus der ersten Gleichung x=5 hervorgeht, während die zweite Gleichung sich als x=1 zu erkennen gibt. "Das ist ausgesprochen schade. Ich habe gar nichts zu meckern", scherzt der alte Mathematiker. Béla schnauft kurz durch. "Puh, das ist nicht ganz einfach. Aber ich denke, ich kann mich daran gewöhnen. Eigentlich... Im Prinzip macht man ja immer dasselbe, oder? Man nimmt die Hälfte der Zahl vor dem x, quadriert sie, schreibt sie hin, zieht sie wieder ab und so weiter." Die Augen des Alten beginnen zu leuchten, als er mit locker sitzendem Zeigefinger in Richtung der Brust seines Schützlings weist. "Gut beobachtet! Wir vollziehen tatsächlich immer dieselben Arbeitsschritte. Und das ist ein bisschen so wie beim Kochen. Wenn wir einmal verstanden haben, wie das Gericht gelingt, schreiben wir ein Rezept auf und können es immer auf dieselbe Weise kochen. In der Mathematik nennen wir ein solches Rezept "Formel". Und so eine Formel hilft uns, Dinge schneller und mit mehr Gewissheit zu erledigen, die wir schon verstanden haben. Für solche Gleichungen auf Level 3 gibt es daher auch eine Formel - die pq-Formel. Nicht erschrecken! Diese Formel sieht erst einmal ein bisschen gruselig aus, aber wenn man sich daran gewöhnt hat, ist sie unser bester Freund. Die Zahl vor dem x nennen wir p; die nackte Zahl da hinten nennen wir q - und zwar jeweils mit dem Vorzeichen." Béla staunt nicht schlecht, als die alte, aber zarte Hand zu schreiben aufhört und einen kryptischen Text zum Vorschein bringt: x1/2 = -p/2 +/- sqrt((p/2)²-q). "Oh, das sieht aber wirklich kompliziert aus." "Ich weiß, aber es ist im Grunde genommen einfacher als das, was wir die ganze Zeit gemacht haben. Was es kompliziert macht, sind nur die vielen Zeichen. Lass es mich dir erklären: Dieses x1/2 steht für die beiden Lösungen, die eine solche Gleichung haben kann. Wir haben ja bisher schon festgestellt, dass bei einer quadratischen Gleichung oft zwei Lösungen am Ende stehen, also x1 und x2. Diese beiden Lösungen erhalten wir, wenn wir die beiden genannten Zahlen korrekt für p und q einsetzen und diese Rechnung durchführen. Die Rechnung selbst ist nicht so schwierig, wie sie aussieht. Neu ist dieses "+/-"-Zeichen. Es bedeutet einfach nur, dass hier eigentlich nicht eine Aufgabe steht, sondern zwei Aufgaben, eine Plus- und eine Minus-Aufgabe, denn wir wollen ja auch zwei Ergebnisse haben. Diese beiden Aufgaben stehen jetzt zwar so komisch in demselben Term, aber wir rechnen sie natürlich ganz in Ruhe nacheinander. Und wenn du mal darauf schaust, was wir so rechnen, entdeckst du vielleicht auch tatsächlich unsere Gedankengänge aus der quadratischen Ergänzung. Da steht doch zum Beispiel die Quadratwurzel. Die haben wir ja am Ende gezogen, nicht wahr? Oder in der Wurzel dieses (p/2)² - das bedeutet ja nur, dass wir die Zahl vor dem x (diese nennen wir ja p) halbieren und das Ergebnis dann quadrieren. Das haben wir doch ganz am Anfang gemacht, damit wir wussten, welche Zahl wir uns wünschen." "Ja, stimmt. Ein bisschen kann ich das tatsächlich darin erkennen. Können wir mal eine Beispielaufgabe rechnen?" "Das wollte ich auch gerade vorschlagen. Lass uns doch die bereits gelöste Gleichung einmal mit der pq-Formel lösen! x²-6x+5 = 0 - was ist das p und was ist das q?" "Also, das p ist 6, weil vor dem x 6 steht." "Nicht ganz." "Ach ja, stimmt: -6; das Vorzeichen muss ich ja berücksichtigen. Und q ist die Fünf dahinten." "Gut, dann schreib doch mal die pq-Formel mit den eingesetzten Zahlen hin!" Béla bemerkt, dass er zunächst -(-6) durch zwei teilen muss. Da er weiß, dass Minus mal Minus Plus ergibt, schreibt er sofort 6/2 +/- sqrt((6/2)²-5). In seinen Gedanken teilt er die Aufgabe in zwei Teilaufgaben auf: 6/2, was vor dem +/- steht und die etwas kompliziertere Aufgabe nach dem +/-. Zunächst beschäftigt er sich mit der ersten Teilaufgabe und erkennt sehr schnell, dass 6/2 drei ergibt. Er schreibt also 3+/-. Die zweite Teilaufgabe muss von innen nach außen gerechnet werden. Er fängt also bei der Rechnung 6/2 an, deren Ergebnis 3 er bereits kennt. Nun quadriert er also die Drei und erhält 9. Davon zieht er 5 ab, was 4 ergibt. Daraus zieht er schließlich die Wurzel und kommt auf: x1/2 = 3+/-2. Die erste Lösung ist also 3+2 und damit 5 und die zweite Lösung ist 3-2, also 1. "Tatsächlich", bemerkt Béla, "ist keine einzelne Teilaufgabe so richtig schwierig." "Ja. Nur die Vielzahl der Arbeitsschritte macht es erst einmal etwas unübersichtlich. Daher ist es wichtig, die Verwendung dieser Formel gut einzuüben. Wichtig ist, dass die pq-Formel nur anwendbar ist, wenn alle Glieder auf einer Seite des Gleichheitszeichens stehen. Auf der anderen Seite steht also null. Außerdem darf vor dem x² keine Zahl stehen, also keine Zahl außer der unsichtbaren Eins. Diese Bedingungen müssen wir durch Umformen erst herstellen, wenn sie nicht von Anfang an gegeben sind. Du kannst ja mal noch ein paar Gleichungen auf Level 3 lösen. Wir haben noch Zeit." Scheinbar ohne die geringste geistige Anstrengung schreibt der Alte vier verschiedene Gleichungen nacheinander auf und schiebt Béla das Blatt zu [der Leser darf sich eingeladen fühlen, diese Gleichungen selbst zu lösen, wenn er möchte, was übrigens für alle Aufgaben in diesem Buch gilt; es ist aber natürlich auch völlig in Ordnung, das Buch eher passiv zu lesen und sich eher auf die Charaktere und ihre Beziehung zu konzentrieren]: a) x²-4x+3=0 b) x²+10x+16=0 c) 2x²-12x-14=0 d) 3x²-5x=x+3 Béla braucht für die erste Gleichung noch etwas länger, aber die zweite und dritte Gleichung löst er völlig mühelos und er merkt, wie in seinen Händen die Mathematik selbst ganz einfach wird. Als er fast am Ende der vierten Gleichung angelangt ist, gerät er jedoch ins Stocken: "Die Wurzel aus zwei - das kriege ich, glaub ich, nicht im Kopf hin. Darf ich da den Taschenrechner benutzen?" "Na gut, tippe es mal ein!" "1.41421356237 - das ist ja eine hässliche Zahl." "Ja, sie sieht nicht besonders attraktiv aus und es ist sogar noch schlimmer, denn das sind nicht alle Ziffern dieser Zahl. Da kommen noch ganz viele weitere Ziffern, die der Taschenrechner nicht kennt, um genau zu sein: unendlich viele. Und anders als bei bereits bekannten Zahlen wie 0,33333... wiederholen sich die Ziffern hier nicht. Bei 0,33333... weiß ich, was die tausendste Ziffer ist, ohne nachzuschauen. Bei Wurzel aus 2 ist das anders." "Oh, das ist ja seltsam. Wenn diese Zahl unendlich viele Ziffern hat und sie sich nicht wiederholen, kann ich ja gar nicht die komplette Zahl hinschreiben. Gibt es diese Zahl denn überhaupt, wenn ich sie nicht schreiben kann?" "Interessante Frage! Nun, es ist wichtig zu verstehen, dass eine Zahl nicht aufgrund ihrer Ziffern existiert, so wie du auch nicht durch die Buchstaben deines Namens existierst. Die Ziffern sind ja nur Zeichen, die wir benutzen, um eine Zahl zu beschreiben. Aber auch ohne Beschreibung kann diese Zahl doch bestehen. Du existierst ja auch nicht erst dann, wenn ich deinen Namen schreibe." "Stimmt. Aber wie kann man denn dann überhaupt mit dieser Zahl rechnen, wenn wir nicht alles über sie wissen?" "Die Dezimalschreibweise, also die Schreibweise als Kommazahl, beschreibt in erster Linie die Größe einer Zahl. Bei Wurzel aus 2 stößt diese Schreibweise an ihre Grenzen, da diese Beschreibung unendlich lang würde. Ich kann ja nur endlich viele Ziffern hinschreiben und daher immer nur die ungefähre Größe erkennen, nie die exakte Größe. Aber wie Menschen, sind auch Zahlen sehr komplexe Wesen und lassen sich nicht allein auf ihre Größe reduizieren. Es ist wichtiger, den Charakter einer Zahl zu erkennen." "Charakter?" "Ja, wenn ich einfach nur sqrt(2) schreibe, weiß ich schon sehr viel darüber, wie diese Zahl sich verhält, wenn ich mit ihr interagiere. Z.B. weiß ich, wenn ich sie quadriere, dass 2 herauskommt, denn Wurzel aus 2 bedeutet ja: es ist eine Zahl, die quadriert 2 ergibt. Das sehe ich der Zahl 1.41421356237... nicht an, obwohl es dieselbe Zahl mit anderem Namen ist. Da ich über ihre Bedeutung nachdenke, verstehe ich viel besser, was diese Zahl mir sagen will, was ihre Eigenschaften sind, wie sie sich verhält, als wenn ich nur auf die Größe achte. Es ist also so etwas wie der Charakter der Zahl, dass sie die Wurzel aus 2 ist. Daher bevorzugen wir Mathematiker, die Rechenaufgabe ganz simpel, aber völlig klar zu betrachten und schreiben, dass die Wurzel aus 2 einfach die Wurzel aus 2 ist. Wir sagen einfach, Wurzel aus 2 sei eine Zahl. Fertig! So möchte die Zahl genannt werden." Mit offenem Mund schaut der Junge seinen Lehrer an. Darf man es sich so einfach machen? Kann man einfach eine Rechenaufgabe hinschreiben und sie zum Ergebnis ebendieser Aufgabe erklären? Einerseits erscheint ihm dies zu simpel und irgendetwas in ihm sagt, dass Mathematik doch nicht so simpel sein kann. Wieso tut man sich sonst so schwer damit? Andererseits ist es ganz angenehm, nicht alles ausrechnen zu müssen. Dann erinnert er sich daran, wie der Alte in der ersten Stunde meinte, es sei wichtig hinter die Zeichen zu gelangen und die Bedeutung dessen zu erkennen, was die Zeichen beschreiben und er hört nun die Wurzel aus 2 für sich selbst sprechen. Er ahnt, dass dies ein großer Schritt ist, den Zahlen richtig zuzuhören und dadurch die Einfachheit und Klarheit der Mathematik anzunehmen. Zugleich sieht er aber auch diese bedrohlich wirkende Komplexität einer Zahl mit unendlich vielen Ziffern und es beschäftigt ihn sehr: "Warum hat die Wurzel aus 2 überhaupt unendlich viele Ziffern? Ich meine, die kann dann doch niemand gezählt haben. Und wenn sie niemand zählt, kann man doch nicht wissen, ob sie ein Ende haben oder nicht." Der alte Mann lächelt. "Das ist eine kluge Frage. Wie kann man sich überhaupt sicher sein, dass es von irgendetwas unendlich viel gibt, wenn man so weit nicht zählen kann? Darum ist die Mathematik so schön, weil wir sie in uns tragen; wir müssen sie dort nur entdecken, in unserem Geist, in unserer Logik und unserer Intuition. Der Verstand eines jeden Menschen birgt das gesamte verstehbare mathematische Universum, das nur darauf wartet, erforscht zu werden. Mathematik ist eine Reise nach innen. Wir finden sie nicht in der unsicheren und beschränkten Realität, können sie nicht durch Beobachtungen oder durch das Zählen ergründen - zumindest nicht ausreichend. Die Wurzel aus 2 hat deshalb unendlich viele Ziffern nach dem Komma, weil sie eine irrationale Zahl ist. Diese Zahlen sind uns neu. Sie erweitern unser Spielbrett. Alle Zahlen, die wir bisher kannten, lassen sich als Brüche schreiben. Damit meine ich Brüche, in denen der Zähler und der Nenner natürliche Zahlen sind, also 1, 2, 3 usw.. 0,5 bedeutet nichts anderes als 1/2, 0,66666... ist einfach 2/3. Auch die natürlichen Zahlen lassen sich als Brüche schreiben: 3 ist 3/1. Solche Zahlen nennt man rationale Zahlen. Die Wurzel aus 2 lässt sich nicht als Bruch schreiben; sie ist zwar nur ein bisschen größer als 7/5. Jedoch ist sie eben nicht genau 7/5. Es gibt keinen Bruch, der genau Wurzel aus 2 ergibt. Solche Zahlen, z.B. auch die Wurzel aus 3, 5 oder 6 - also aus Nichtquadratzahlen - sind also nicht rational - sie sind irrational. Eine rationale Zahl kann ich als Dezimalzahl schreiben, also als Kommazahl, indem ich sie auf den Nenner 10 oder 100 oder 1000 etc. erweitere. 1/2 ist, mit 5 erweitert, 5/10. Anders ausgedrückt haben wir also eine Fünf an der Zehntel-Stelle, die sich direkt nach dem Komma befindet - daher also 0,5. Manche Brüche lassen sich nicht auf einen solchen Nenner bringen; man kann bei ihnen aber so etwas wie eine Simulation durchführen, als hätten sie den Nenner 10 oder 100 etc.. Dann lassen sie sich auch als Dezimalzahl schreiben, als periodische Dezimalzahl, also mit unendlich vielen Ziffern, wobei sich eine Ziffernfolge wiederholt. Bei irrationalen Zahlen kann ich so etwas nicht machen, weil sie ja keine Brüche sind und daher auch nicht so erweitert werden können, dass ich aus ihnen eine abgeschlossene Dezimalzahl erhalte. Denn nur Brüche lassen sich erweitern." "Das ist irgendwie einleuchtend." Dennoch beschleicht den Jungen die Vermutung, dass darüber noch nicht alles gesagt sein kann. Er versteht nicht ganz, was ihm noch fehlt. Währenddessen sieht der Alte Béla beim Denken zu und lässt den Zweifel in ihm wirken. Er weiß, dass sein Schüler die Frage selbst finden muss. Plötzlich ergreift dieser wieder das Wort: "Aber woher weiß man denn, dass Wurzel aus 2 wirklich irrational ist? Ich meine, ich kann versuchen, die Zahl als Bruch zu schreiben und ich werde es wohl nicht hinkriegen. Aber nur weil ich es nicht hinkriege, heißt das doch nicht, dass es unmöglich ist." Sein Lehrer neigt den Kopf zufrieden lächelnd zur Seite und lässt für wenige Sekunden ein ahnungsvolles "das" stehen. "Das ist ein guter Einwand. Nur weil es dir nicht gelingt, die Wurzel aus 2 als Bruch zu schreiben - oder mir oder weil es bisher keinem Menschen gelungen ist, auch keinem der klügsten und erfahrensten Köpfe der Mathematik, heißt es nicht, dass es nicht machbar ist. Vielleicht haben wir bisher alle noch nicht die richtige Methode gefunden, um dies zu erreichen. Dass es niemandem gelungen ist, bedeutet nicht, dass es unmöglich ist. Es gibt ja unendlich viele Brüche. Daher kann ich nun nicht alle Brüche daraufhin überprüfen, ob sie eventuell die Wurzel aus 2 ergeben. Und das ist genau der Grund, warum wir Mathematik betreiben, weil wir uns nicht mit diesen Vermutungen begnügen wollen, weil wir nicht unsere begrenzte Sicht als Maßstab für die Wahrheit zulassen wollen. Wir wollen es mit Gewissheit verstehen und entwickeln daher raffinierte Ideen, solche Probleme zu lösen. Leider werden in der Schule solche Ideen ausgeblendet - da sollt ihr Formeln lernen und Zahlen einsetzen, als wärt ihr Maschinen. Ja, manche Formeln muss man können, weil sie Ideen vereinfachen, die wir bereits entwickelt haben. Deshalb sollst du auch die pq-Formel lernen. Aber das ist nicht das Wesen der Mathematik. Das Wesen der Mathematik ist eine Sinnsuche des Geistes in sich selbst. Wie man etwa beweist, dass die Wurzel aus 2 irrational ist, zeige ich dir daher sehr gerne... nächste Woche." "Oh, können wir das nicht jetzt noch machen? Ich würde gerne länger bleiben." "Nein, deine Mutter macht sich sonst bestimmt Sorgen. Uns läuft nichts davon."
  16. 3. Februar 1856 Meine erste Nacht in der Wüste war schlaflos. Wusste ich zwar vorher schon, dass die Nächte hier mitunter sehr kalt werden können, doch kann man sich eine solch frostige Kälte nicht vorstellen, wenn es am Tage derart heiß ist. Auch musste ich dabei einsehen, dass ich mich viel zu schlecht vorbereitet hatte. Eine wärmere Decke wäre vonnöten. Nun gut, ich werde in dieser Wüste nicht erfrieren. Länger als ein paar Wochen wird meine Durchreise ohnehin nicht dauern. Noch in der Dunkelheit ritt ich auf die Berge zu, die sich als Silhouetten vor dem klaren Sternenhimmel abzeichneten. Von oben auf dem Grat bei Sonnenaufgang - nie habe ich solche Schönheit in einer derartigen Grausamkeit gesehen. Ein goldenes Meer tat sich vor mir auf und erzwang meine Demut. So weit das Auge reicht und bis an den Horizont meiner Vorstellung nur Sand! Und eines dieser unzähligen Sandkörner bin ich. Nachdem ich heute früh das Gebirge passiert hatte, erschien mir die Mittagssonne bedeutend brennender als gestern, was mir eine längere Pause abnötigte. Emil - so nenne ich mein Kamel - hat es mir gedankt. Ich bin froh über das Mindestmaß an Gesellschaft, das ich an ihm habe. Es ist fast, als müsse ich ihn nicht führen, als führe er mich entschlossen durch die Wüste, wohl wissend, dass sie weit hinter dem Horizont endet. Ich kann es nicht erwarten, bis ich dort angelangt bin. Diese Hitze flimmert immerzu in meinen Sinnen und unaufhörlich erfüllt ein tiefes Pfeifen des Windes die Luft und sinkt in meinen Verstand hinab. Was Emil fraß, weiß ich nicht, denn ich konnte beim besten Willen keine Pflanzen ausmachen. Aber er fraß, während ich die Pause für einen kleinen Erkundungsmarsch nutzen wollte. Nach wenigen hundert Metern jedoch begriff ich meinen Fehler, als die Hitze mich vornüber drückte und ich mich mit den Händen auf meinen Knien abstützen musste. Da musste ich mich fragen, was ich hier in dieser leer belassenen Landschaft überhaupt zu entdecken gehofft hatte. Zurück am Rastplatz angekommen, ruhte ich mich in Emils Schatten aus, zu müde, um einen Gedanken zu beginnen. Am späten Nachmittag, als die Sonne langsam zur Ruhe kam, brachen wir wieder auf. Ich beginne zu verstehen, dass in der Wüste nicht ich der Herr über meinen Körper bin. Nein, getrieben bin ich vom Diktat der Wüste. All meine Handlungen haben in der Natur ihren Urheber.
  17. Schmuddelkind

    Wüstenregen

    2. Februar 1856 Als der Händler, dem ich dieses prächtige Kamel abkaufen wollte, mich fragte, warum ich die Wüste alleine durchquere, nur um einen fremden Mann zu suchen, der vermutlich schon längst tot sei, antwortete ich recht zielbewusst: "Auch wenn wir uns nicht kannten, hätte er für mich dasselbe getan." Wohl stehen dem alten Mann Weisheit und Verständnis eines Lebens am Rande der Wüste ins Gesicht geschrieben, doch auf eine solche Torheit wusste er sich keinen Rat, als mir zu versichern, dass die Wüste keine Leichtfertigkeit verzeihe, besonders nicht den Europäern. Daraufhin vertraute er mir das Tier an, ohne einen Taler zu verlangen. Kurz zögerte ich ob der Schwere, die ich darüber empfand, doch ließ ich mich nicht abbringen, sattelte und belud das Kamel und stieg auf. Dem Händler blieb nichts mehr, als mir Gottes Segen zu wünschen, was ich erwiderte, ehe ich dem Süden entgegen ritt. Zwar könnte ich die Torheit, die ich ihm entgegnete mit einigem Sinn schmücken - nicht ohne Grund kann ich annehmen, dass Eduard Vogel nach mir gesucht hätte, sowie er aufbrach, um den verschollen Geglaubten Barth zu finden, Männer, die einen Weg begingen, um einen Weg zu finden. Doch als die Stadt hinter mir verschwand und die dürre Endlosigkeit sich um mich schloss, dass ich dem Eindruck erliegen musste, die Wüste müsse einen Mann unweigerlich verschlingen, wurde mir gewiss, was ich vorher schon ahnte: es ist dennoch eine Torheit. Männer, die verschwinden, um Männer zu suchen, die verschwunden sind. Nein - so edel dies erscheinen mag - mich in diese Kette des leidvollen Heldenmutes einzureihen, kann kein hinreichender Grund für meine Reise sein. Vermutlich habe ich auch deshalb niemandem in der Heimat gestanden, wohin meine Reise wirklich geht, damit dies mit mir ein Ende findet - ob ein gutes oder schlimmes Ende weiß die Wüste allein. Wenn ich ganz ehrlich zu mir bin, weiß ich nicht genau, was mich dazu bewogen hat. Aber ich spüre, dass es einen ursprünglicheren, inneren Grund am Quell meiner Seele gibt, unabhängig von allen äußeren Anlässen und Rechtfertigungen, jeglichen Selbstbildnissen zuvorgekommen. Nur in diesem Empfinden kann ich den Mut aufbringen, den ich auf meiner Reise brauche. Denn was auch immer es ist, das ich suche - ich finde Leid und Angst in mir. Dabei ist der erste Tag noch nicht vergangen. Aber ich finde auch eine Ruhe bei mir, für die ich keine Worte haben kann, da der undeutlichste Gedanke darüber bereits diese Ruhe zu brechen vermag. Durch meinen Zelteingang beschaue ich mein Kamel, wie es derart friedvoll und über die Gefahren der Wüste erhaben in der Abendsonne liegt. Ich bewundere dieses Tier ob seiner Genügsamkeit und Sorglosigkeit. Wir haben uns heute bereits ausgezeichnet verstanden. Bald geht die Sonne unter und schickt mir hoffentlich einen kühlen Gruß.
  18. Woche 2 "Ich habe mir Gedanken über Ihre Frage gemacht." Der Alte macht ein merkwürdig angestrengtes Gesicht mit Blick nach oben, ein zusammengekniffenes, ein weit aufgerissenes Auge, den Mund schräg verzogen, als er sich zu erinnern versucht: "Welche Frage denn? Ach ja, du kannst mich übrigens duzen." Béla ist ein wenig überrascht, lässt sich jedoch nichts anmerken: "Also, warum man nicht durch null teilen darf." Diese Frage hat ihn in der vergangenen Woche sehr beschäftigt, denn es war ihm fast unangenehm, dass er von dieser Regel wusste, ohne jemals wirklich die Frage zu stellen, ob dieses Verbot denn berechtigt sei. Es erschien ihm, wenn er übertrieben philosophisch darüber sinnierte, als ein Schritt in die Freiheit, dass der alte Mann ihm nahelegte, die Frage nach dem Sinn eines Verbotes sei berechtigt. Bisher hat er in den Regeln der Mathematik eine Sache gesehen, die größer war als der Mensch, als seien sie von Göttern gemacht und sie anzufechten sei Blasphemie. Genau aus diesem Grund wurde der alte Mann von Bélas Initiative plötzlich ganz ergriffen, da er dahinter viel mehr sah, als eine einfache mathematische Frage: "Oh ja, das hätte ich fast vergessen. Das ist natürlich eine interessante Frage. Was sind denn deine Gedanken dazu?" "Ich habe mich erst einmal gefragt, was es bedeutet, wenn man durch eine Zahl teilt." "Sehr klug! Das ist genau die Frage eines Mathematikers. Mathematiker stellen einfache Fragen, um zu tiefen Erkenntnissen zu gelangen. Was bedeutet es also deiner Meinung nach, durch eine Zahl zu teilen?" "Also, wenn ich zum Beispiel sechs durch zwei rechne, frage ich mich eigentlich, wie oft die Zwei in die Sechs reinpasst, also wie oft ich zwei plus zwei rechnen muss, bis ich bei sechs bin. In dem Fall brauche ich dafür drei Zweien, weil zwei plus zwei plus zwei sechs ergibt. Deshalb ist sechs durch zwei gleich drei." "Genau das ist die Bedeutung der Division, ja." "Ja, und wenn ich jetzt durch null teile, zum Beispiel eins durch null, dann frage ich mich ja dasselbe. Ich frage mich, wie oft ich null plus null rechnen muss, bis ich bei der Eins ankomme. Und wenn man so darüber nachdenkt, merkt man ja, dass man nie bei der Eins ankommt, wenn man immer nur eine weitere Null und noch eine Null und so weiter dazurechnet." Der alte Mann zeigt sich zufrieden, fast schon stolz auf die Gedanken seines Schülers, als hätte er selbst gerade erst herausgefunden, warum man nicht durch null teilen darf: "Besser hätte ich es gar nicht auf den Punkt bringen können. Und das gilt natürlich auch für zwei durch null, drei durch null und so weiter. Was ist aber, wenn ich null durch null teile?" "Das geht auch nicht", entgegnet Béla ohne zu zögern. "Warum nicht?" "Weil man nicht durch null teilen k... Oh, Moment." Der Junge merkt, dass an der Frage doch mehr hängt, als er intuitiv glaubte. Die Null scheint schon eine verrückte Zahl zu sein - ein Außenseiter, ganz anders als die anderen Zahlen, aber mit dem Vermögen, Einiges in der sonst so klaren Ordnung der Zahlen durcheinander zu wirbeln. Also ergänzt er: "Null geteilt durch null ist eins, oder?" "Oder - trifft es ganz gut. Du hast natürlich recht: null durch null ist eins, weil ein mal null null ergibt. Was ist nun aber zwei mal null?" "Oh, zwei mal null ist natürlich auch null. Also könnte null durch null auch zwei sein?" "Ja, oder drei oder vier oder 27 oder ein halb oder minus eine Milliarde. Denn all diese Zahlen ergeben, mit null multipliziert, null." Obwohl Béla dem Gedankengang folgen kann, ist er verwirrt: "Kann man dann sagen, dass null durch null einfach jede beliebige Zahl ist, dass da einfach alles herauskommt?" "In gewisser Weise kann man das sagen, ja. Aber da uns diese Beliebigkeit keinen Erkenntnisgewinn bringt, sagen wir einfach, dass null durch null nicht definiert ist und schließen es aus der Mathematik aus - zumindest für gewöhnlich. Null durch null ist also ebenfalls verboten, wenn man so will, aber aus einem anderen Grund, als das bei eins durch null der Fall ist." Béla ist erschüttert. Das klingt ihm alles sehr beliebig, fast schon künstlerisch. Kann das denn Mathematik sein? Können Menschen einfach so über Zahlen entscheiden? Sind Zahlen nicht unabhängig von den Menschen da? Gehorchen sie nicht Regeln, über die Menschen nicht einfach so nach Gutdünken entscheiden können? Was sind Zahlen überhaupt? Sind Zahlen wirklich einfach so da? Was ist mit minus eins? Béla weiß, dass vor ihm ein Mann sitzt, aber kann es auch minus einen Mann geben? Das klingt tatsächlich auch ziemlich frei erfunden. Ist die Mathematik am Ende doch erfunden? Wenn ja, warum gibt es darin so viele strenge Regeln? Und warum weicht der Alte diese dann einfach so auf? Fragen erfüllen sein Bewusstsein, nebeln ihn ein und regen ihn an. Unmöglich kann er all diese Fragen auf einmal stellen. Er versucht, möglichst viel seines Wissensdurstes in eine Frage zu packen: "Aber kann man denn einfach so eine Rechenaufgabe ausschließen?" "Das ist eine gute Frage", entgegnet der Lehrer "und sie rührt nah an die Frage, was denn Mathematik überhaupt ist. Diese Frage kann ich dir heute nicht abschließend beantworten - und tatsächlich sind sich die Mathematiker selbst da auch nicht so ganz sicher. Wir werden gewiss immer wieder auf diese Frage zurückkommen müssen und jedes mal wird die Antwort eine etwas andere sein. Lass mich dir für heute die Mathematik aber als ein Spiel beschreiben." "Ein Spiel?!" - das ist ziemlich genau das Gegenteil von dem, was Béla unter Mathematik versteht. Doch der Alte zeigt sich unbeirrt: "Ja. Wir einigen uns auf ein Spielbrett (zum Beispiel das Brett der natürlichen Zahlen, auf dem wir ganz am Anfang zu spielen gelernt haben) und auf bestimmte Regeln wie zum Beispiel: "zwei plus drei ist dasselbe wie drei plus zwei"." Der Alte zeichnet Kästchen mit Zahlen darin auf ein Blatt Papier - in das erste Kästchen die Null, in das zweite die Eins und so weiter. "Das Spielbrett nennen wir übrigens Zahlenraum und die Regeln nennen wir Axiome. Und dann spielen wir einfach. Wir probieren dies und jenes aus, entdecken die Addition, die Multiplikation, Muster in den Zahlen, Primzahlen - all diese interessanten Dinge. Wichtig ist aber, dass wir uns immer an die Regeln halten. In der Mathematik, auf die wir uns geeinigt haben, dürfen wir keine Rechenoperationen durchführen, die den Spielregeln widersprechen. Eine Regel lautet zum Beispiel: "Man kann keine große Zahl von einer kleinen Zahl subtrahieren, also abziehen." Wenn wir das versuchen, müssten wir ja auf einem Feld links von der Null landen und das gibt es nicht. Nachdem man dieses Spiel aber eine Weile spielt, wird es irgendwann langweilig und man möchte vielleicht ein anderes Spiel spielen, denn das Meiste in dem Spiel der natürlichen Zahlen ist uns schon bekannt. Dann erinnert man sich vielleicht an diese Regel: "Keine große Zahl von einer kleinen subtrahieren!" und kommt auf die Idee, diese Regel einfach abzuschaffen. Nun merkt man aber, dass wir hierfür auf unserem Spielbrett nicht genügend Felder haben. Also brauchen wir ein neues Spielbrett und nennen es "ganze Zahlen", was einfach die natürlichen Zahlen, erweitert um die negativen Zahlen, darstellt." Während der Alte mit sanfter, ruhiger Stimme seine Erklärungen fortsetzt, zeichnet er ein paar Kästchen links von der Null, beginnend mit minus eins, gefolgt von minus zwei und so weiter. "Wir müssen nur aufpassen, dass unsere neuen Regeln nicht einander widersprechen und wenn es etwas Interessantes in diesem neuen Spiel zu entdecken gibt, die neuen Regeln immer befolgend, können wir damit auch eine Weile viel Spaß haben, bis wir auch hier wieder an Grenzen stoßen und wir das Bedürfnis haben, eine Regel zu brechen, um ein neues Spiel zu erfinden, zum Beispiel die Brüche. Jedesmal wenn wir dies tun, gewinnen wir eine ganze Menge interessanten Spielmaterials, verlieren aber auch eine Kleinigkeit des vorigen Spiels - das soll im Detail heute aber nicht weiter unser Problem sein, denn wir haben ja noch die quadratischen Gleichungen vor uns. Was ich dir nur damit sagen wollte: Die Regeln der Mathematik sind nicht völlig beliebig, denn sie dürfen einander nicht widersprechen und sind somit der Logik Untertan. Aber sie sind dennoch etwas, worauf sich Menschen geeinigt haben, um Freude am gemeinsamen Grübeln zu empfinden. Eine Aufgabe wie null geteilt durch null ist im Ergebnis so beliebig, dass es sofort langweilig wird und wir beschließen, dass wir das gar nicht im Spiel haben möchten - ähnlich wie man ja auch beim Schach bestimmte langweilige Situationen durch die Regeln verhindert; man darf dort ja zum Beispiel nicht beliebig oft denselben Zug immer wieder ausführen und wieder rückgängig machen. Das würde ja zu nichts führen. Es gibt manchmal auch Situationen, in denen eine Aufgabe wie null durch null interessant wird und dann können wir es irgendwie definieren - und da dabei ja alles Mögliche herauskommen könnte, sind wir in unserer Wahl sehr frei. Ich könnte dann auch beschließen: "Null geteilt durch null ist - in diesem Zusammenhang, in dieser einen Situation - 8.946.176. Aber im Allgemeinen gestehen wir der Aufgabe kein Ergebnis zu, da jedes Ergebnis willkürlich wäre." Es ist schwer, dem Alten nicht zuzuhören. Auch wenn Béla einigermaßen erschlagen ist von so vielen neuen Gedankengängen - alles, was sein Lehrer ihm mitteilt, scheint, obwohl dieser Bélas Vorstellungen sehr weit dehnt, klar und zusammenhängend und entführt ihn in eine faszinierende Welt, wovon er nie für möglich gehalten hat, sie in solch grauen Notwendigkeiten wie den Zahlen verborgen zu finden. "Ich schätze, das habe ich jetzt verstanden. Aber es fällt mir schwer zu glauben, dass die Mathematik einfach so erfunden sein soll wie irgendwelche Spielregeln. Es geht doch nicht nur um Erdachtes, sondern auch um Dinge, oder? Wenn ich zwei Äpfel habe und drei dazu nehme, erhalte ich fünf Äpfel. Das ist doch auch Mathematik, aber das kann ich nicht ändern." "Da wirfst du einen wichtigen Punkt auf, den Philosophen, die weitaus klüger sind als ich, schon seit Jahrtausenden diskutieren und daran können wir irgendwann auch mal anknüpfen. Aber da die Gefahr besteht, dass wir diese Probleme heute auch nicht mehr lösen, sollten wir uns nun wohl lieber den quadratischen Gleichungen widmen, so sehr ich mich freuen würde, dieses Thema mit dir zu vertiefen. Aber manchmal kann auch ein Mathematiker Sachzwänge nicht wegdefinieren." Wir haben uns letzte Woche mit der Gleichung 3x² - 9x = 0 beschäftigt." Noch während Béla sich darüber wundert, dass der Alte sich so leicht an diese Gleichung erinnert, als wäre sie etwas Persönliches, fährt dieser fort: "Und wir haben festgestellt, dass wir mit unserer altbekannten Masche, einfach das Gegenteil von dem zu machen, was dort steht, nicht weiter kommen. Jetzt nimm mal an, die Gleichung würde lauten 3x² - 9 = 0. Würde es dann so funktionieren? Übrigens: Solche Was-wäre-wenn-Fragen sind ganz wichtig in der Mathematik, denn was nicht ist, lässt uns oft besser verstehen, was tatsächlich ist." Béla schiebt in seinem Kopf die neun auf die andere Seite. Er erkennt, dass die Zahl vor dem x² verschwinden muss und teilt durch drei. Er sieht die Gleichung x² = 3 und weiß, dass er nun die Wurzel ziehen kann. Er weiß nicht, welche Zahl dabei entsteht, aber er weiß, dass es eine Zahl ist und antwortet erleichtert: "Ja, das würde funktionieren. Zumindest hat es gerade in meinem Kopf geklappt." "Gut. Woran liegt es also vermutlich, dass die eine Gleichung sich so lösen lässt, wie wir es gewohnt sind und die andere nicht?" Béla ist noch etwas unsicher. Dennoch fühlt er sich vor dem Alten inzwischen selbstbewusst genug, seine Vermutung zu äußern: "Also in der einen Gleichung kommt neben dem x² auch x vor, in der anderen nicht. Also hat es vielleicht damit zu tun?" "Genau so ist es", entfährt es dem alten Mann mit großen Augen. "Unterschiedliche Typen von quadratischen Gleichungen verlangen unterschiedliche Lösungswege. Wenn wir also eine Gleichung lösen wollen, ist es wichtig, sie vorher genau zu betrachten, sie gewissermaßen kennenzulernen. Denn Gleichungen sind wie Frauen. Sie sind nicht alle gleich. Sicher, wir hatten mit unserer bisherigen Masche bei allen Gleichungen Erfolg. Und auch unter Frauen gibt es gewiss einige, bei denen man mit dem ewig selben Spruch Erfolg haben kann. Aber die wirklich interessanten Frauen - die interessanteren, komplexeren Gleichungen - reagieren empört, wenn wir uns ihnen mit einer simplen, altbekannten Eroberungstaktik nähern. Dann machen sie dicht und denken nicht daran, uns ihre Geheimnisse zu offenbaren. Man muss zunächst die richtigen Fragen stellen und gut zuhören, um sie kennenzulernen, um sie zu verstehen, ehe man einen Weg zu ihrem Innersten finden kann." "Redest du jetzt über Frauen oder über Gleichungen?", fragt der Junge amüsiert. "Über beides." "OK, ich verstehe: Gleichungen sind unterschiedlich und man muss sie genau betrachten, bevor man versucht sie zu lösen. Aber worauf genau muss ich denn dabei achten.?" Der Alte greift zum Stift und erklärt: "Wir müssen darauf achten, welche Glieder die Gleichung besitzt. Eine quadratische Gleichung kann aus maximal drei Gliedern bestehen: einem quadratischen Glied - das ist irgendeine Zahl mal x²" Er notiert dabei 2x² = "Dieses Glied muss natürlich vorkommen, denn ohne x² ist es ja keine quadratische Gleichung. Darüberhinaus kann, muss aber nicht vorkommen: irgendeine Zahl mal x - dies nennt man das lineare Glied, da wir es aus den linearen Gleichungen kennen, mit denen wir uns letztes Jahr beschäftigt haben." Er ergänzt die Gleichung: 2x² = 4x "Und dann kann es noch eine nackte Zahl geben - muss aber nicht unbedingt sein. Diese nennen wir absolutes Glied." Währenddessen vervollständigt er die Gleichung: 2x² = 4x - 6 "Je nachdem, welche dieser Glieder unsere Gleichung besitzt, ist eine bestimmte Lösungsstrategie sinnvoll. Betrachten wir zunächst den einfachsten Fall - Level 1: Wir haben nur ein quadratisches und ein absolutes Glied, z.B. so: 2x² + 2 = 20" Da wendet Béla ein: "Aber wir haben doch zwei Zahlen, also zwei absolute Glieder." "Das ist richtig. Wir haben zwei Zahlen. Aber diese können wir jederzeit durch Addition oder Subtraktion miteinander verschmelzen lassen. Hier könnte ich z.B. minus zwei rechnen. Dann haben wir links keine nackte Zahl mehr und auf der rechten Seite steht dann 18. Deshalb sagen wir, sobald wir - egal wie viele - Zahlen haben, ist es ein absolutes Glied. Übrigens: Die Null zählt als gar kein Glied, weder absolut, noch linear, noch quadratisch. " "Die Null will immer eine Sonderbehandlung, oder?" "Ja, dagegen lässt sich leider zum Glück nichts tun. Jedenfalls lässt sich eine solche Gleichung, wie du mir vorhin selbst erklärt hast, mit der altbekannten Masche lösen: Die Zahlen Schritt für Schritt von dem x² trennen und am Ende die Wurzel ziehen. Du kannst es ja hier mal gerne versuchen." Ohne zu zögern, nimmt Béla den Stift in die Hand und erklärt seine Lösung: "Die +2 nach dem x² stört mich. Also rechne ich minus zwei." Das kurze Zögern des Stifts wird vom sanften Nicken des Alten durchbrochen und die Gleichung 2x² = 18 kommt zum Vorschein. "Dann teile ich durch zwei. Auf beiden Seiten. Heißt: x² = 9. Und jetzt kann ich tatsächlich die Wurzel ziehen." Instinktiv greift Béla zum Taschenrechner, welcher allerdings in einer schnellen Bewegung von seinem Lehrer weggezogen wird. Mit vorgeblicher Strenge schaut dieser seinen Schützling an: "Die Bedeutung der Aufgabe zu verstehen, ist wichtiger als das Ergebnis hinzuschreiben. Wenn du sofort alles in den Taschenrechner eintippst, beraubst du dich der Möglichkeit zu verstehen, was hier passiert. Versteh mich nicht falsch: Wenn du 299,88 : 7,14 rechnen sollst, verlange ich nicht von dir, dass du das im Kopf machst. Darauf hätte ich auch keine Lust. Aber die Wurzel aus neun ist nicht so schwer, wenn man darüber nachdenkt, was die Aufgabe bedeutet. Das kannst du sogar schneller mit dem Verstand herausfinden, als du es eintippen kannst." "Ach ja, drei!", schließt Béla unmittelbar. Also notiert er x = 3. "Sehr gut", kommentiert der Mann mit stolzerfüllter Stimme. "Du hast den Lösungsweg gesehen und ihn von Anfang bis Ende beschritten und deine Lösung stimmt auch. Allerdings ist das nur die halbe Wahrheit. Es gibt nämlich noch eine weitere Lösung." "Huch, wie das?" "Unsere Frage war ja, welche Zahl, mit sich selbst mal genommen, neun ergibt. Und bei der Drei ist das der Fall: drei mal drei ist neun. Aber es gibt noch eine weitere Zahl, die mit sich selbst multipliziert, neun ergibt. Kannst du sehen, welche das ist?" Der Junge überlegt eine Weile, versucht es mit der Zwei, mit der Vier, und merkt schnell, dass dies alles nicht zur Neun führt, erst recht nicht, wenn er kleinere oder größere Zahlen benutzt. Da der Alte aber darauf besteht, dass es noch eine weitere Lösung geben muss, kommt ihm in den Sinn, dass es sich um eine ganz andere Zahl handeln muss. Vielleicht muss er das Spielbrett erweitern. Vielleicht negative Zahlen? Minus mal minus ergibt plus. Voller Überraschung über die Einfachheit dieser Lösung ruft er aus: "Minus drei! Minus drei mal minus drei ist plus neun." Im Lächeln des Alten drückt sich aus, wie einfach mathematische Zusammenhänge sein können, wenn man die richtige Perspektive einnimmt und sein Nicken offenbart die Anerkennung darüber, dass Bélas Stochern im Nebel der falschen Fragen, ihn nicht entmutigt hat, die richtige Frage zu finden: "So ist es. Und das ist etwas, das der Taschenrechner dir vorenthalten hätte, weil er nicht nachdenken kann. Aber du kannst nachdenken. Verlass dich mehr auf deine Gedanken als auf unsichtbare Vorgänge im Inneren eines grauen Kastens!" "Ich habe immer Angst, Fehler zu machen und verlasse mich deshalb lieber auf den Taschenrechner", erklärt sich Béla. Sein Lehrer nickt verständnisvoll und antwortet: "Ja, wenn du für dich selbst denkst, kannst du Fehler machen. Aber ich möchte gerne deine Fehler sehen, weil ich deine Gedanken sehen möchte. In der Mathematik geht es nicht so sehr um richtig oder falsch, als vielmehr darum, seine Gedanken nachvollziehbar zu machen, andere mitzunehmen auf seine Gedankenreise. Und was den allwissenden Taschenrechner anbelangt, folgendes Experiment: Frage bitte den Taschenrechner, was 2^53 + 1 - 2^53 ist!" "Null" "...sagt der Taschenrechner. Nun überlege selbst, wie das Ergebnis lauten sollte!" "Also, ich sehe die Zahl 2^53 und ich sehe, wie sie hinten wieder abgezogen wird - also null. Und dann steht da noch plus eins. Also ist das Ergebnis eins? Wow! Wie kommt es, dass ich besser rechnen kann als die Maschine, die dafür gebaut wurde?" "Vereinfacht gesagt, ist es so, dass der Taschenrechner bei so großen Zahlen wie 2^53 keinen Unterschied mehr macht, ob man plus oder minus eins rechnet. Für ihn ist beides gleich groß und er rechnet 2^53 - 2^53. Und da er zwar generell eins addieren kann, aber nicht weiß, was dies bedeutet, fällt ihm dieser Fehler gar nicht auf. Du aber kennst die Bedeutung von "plus eins" und du verstehst, was hier passiert." Diese Erkenntnis ist Béla fast unangenehm. Er beschließt, lieber das Thema zu wechseln: "Level accomplished! Level 1 war einfach. Ich glaube, ich bin bereit für ein Level-Upgrade. Daraufhin lacht der Alte: "Also gut - Level 2. Jetzt kommen wir dort an, wo wir letzte Stunde aufgehört haben: 3x² - 9x = 0. Wir haben also ein quadratisches und ein lineares Glied und das ist schon etwas schwieriger, wie wir festgestellt haben. Hier ist es ganz angenehm, dass beide Glieder auf derselben Seite stehen und auf der anderen Seite steht null. Falls dem mal nicht so sein sollte, müssen wir erst diesen Zustand herstellen, indem wir Glieder auf die andere Seite schieben. Ist das so weit verständlich?" Béla, der den Zweck dieser Maßnahme noch nicht sehen kann, aber die Anweisungen seines Lehrers verstanden hat, nickt und sein Gegenüber fährt fort: "Gut. Was haben denn nun 3x² und 9x gemeinsam?" "Beide haben ein x." "Richtig! Denn x² ist ja nichts anderes als x mal x. In beiden Gliedern kommt also x als Faktor vor. In sokchen Fällen, wo in allen Summanden der gleiche Faktor vorkommt, kann man diesen Faktor ausklammern. Weißt du noch, wie das geht?" Das Ausklammern hat Bélas Schullehrer letztes Jahr so lange üben lassen, dass er sich tatsächlich noch immer daran erinnern kann, auch wenn ihm nie klar geworden ist, wofür das gut sein soll: "Also ich schreibe das x vor die Klammer und in die Klammer kommt der ganze Rest, der noch übrig ist. In dem Fall: x*(3x - 9) = 0." "Sehr schön! Und jetzt nehmen wir die Vogelperspektive ein und betrachten nur ganz grob, was hier steht: 3x - 9 steht ja letztendlich für eine Zahl. Also haben wir eine Zahl" - er zeigt auf das x - "mal eine andere Zahl" - er umkreist mit dem Finger (3x - 9) - "und das Ergebnis dieser Rechnung soll null sein. Wie ist das nur möglich? Wie kann das Ergebnis einer Malaufgabe null sein?" Béla probiert in seinem Kopf verschiedene Malaufgaben aus, die null zu ergeben versprechen: 1*0; 10*0; 0*3; auch 0*0 - all diese Aufgaben, so bemerkt er rasch, bedeuten eine Zahl mit null zu multiplizieren. Also schlussfolgert er: "Mindestens eine der beiden Zahlen muss null sein." "So muss es wohl sein, ja", ruft der Alte begeistert aus, während seine Gestik sich in einer Jugendlichkeit verliert, die sonst zuweilen kurz zwischen den Sätzen eines erfahrenen Mathematiklehrers aus seinen Augen hervorblitzt. "Mindestens einer der Faktoren muss null sein, wenn das Produkt null sein soll. Das bedeutet x muss null sein oder 3x - 9 muss null sein - oder beides. Also können wir schreiben: x = 0 oder 3x - 9 = 0. Und damit bist du hinter die Zeichen gekommen." "Oh, das ist ja cool! Ich hab jetzt also nur diese beiden Gleichungen zu lösen? Die sind ja ganz einfach", kommentiert Béla. Eilig beginnt er diese Gleichungen zu notieren und gerät sogleich ins Stocken: "Soll ich jetzt das Wort "oder" hinschreiben?" "Das könntest du tun. Aber Mathematiker sind von Natur aus faul und solche Wörter, die wir oft benutzen wie "oder", "und", "es gibt" und so weiter kürzen wir gerne mit einem Zeichen ab. Das Zeichen für "oder" ist ein kleines v." "Und wie ist das Zeichen für "und"?" "Ein kleines v, das auf dem Kopf steht. Du siehst, so blöd sind die mathematischen Zeichen gar nicht." x = 0 v 3x - 9 = 0 liegt auf dem Papier, so klar und einfach wie Regentropfen auf einem Blatt nach den Wirren eines Sturms. Der Junge erkennt, dass x = 0 bereits eine Lösung der Gleichung darstellt und dass die andere Lösung in der Gleichung 3x - 9 = 0 verborgen liegt. Er rechnet plus neun und erhält die Gleichung 3x = 9. Schließlich teilt er durch drei und erkennt die zweite Lösung: x = 3. Dass sich hinter einer solch schweren Aufgabe eine derart einfache Frage verbirgt, kommt Béla fast vor wie Magie - eine Magie, die er langsam zu beherrschen beginnt. Der Alte lässt dieses Gefühl noch eine Weile in dem Jungen wirken, ehe er das Wort ergreift: "Fassen wir also noch einmal zusammen: Bei quadratischen Gleichungen auf Level 2 - wir haben ein quadratisches und ein lineares Glied - bringen wir zunächst alles auf die eine Seite des Gleichheitszeichens, so dass auf der anderen Seite null steht. Dann klammern wir das x aus und können stets erkennen, dass x gleich null oder dass das, was in der Klammer steht, gleich null ist. Und auf diese Weise erhalten wir aus einer komplizierten Gleichung zwei einfache Gleichungen, die sich fast von alleine lösen. Und damit müssen wir uns für heute begnügen. Wir sehen uns nächste Woche wieder." "Oh!", entgegnet Béla enttäuscht. "Und was ist mit Level 3?" "Level 3 wird sich bis nächste Woche leider noch gedulden müssen. Allerdings würde sich Level 3 sehr freuen, wenn du dir bis dahin die binomischen Formeln noch einmal anschaust."
  19. Vielen Dank für die ansprechenden Kommentare, liebe Sali und lieber Gaukel! Das beruhigt mich, denn ich habe noch zwei, drei Kapitel geschrieben und habe ja nun wieder Blut geleckt und mir vorgenommen, das Projekt wieder aufzugreifen. Ich denke, in fast jedem steckt ein Béla. Die meisten bilden sich ein, dass sie Mathe hassen, weil sie so schlechte Erfahrungen damit in der Schule machen mussten. Aber im Grunde stecken diese mathematischen Fragen in uns, weil sie doch tatsächlich Fragen sind, deren Antworten auch bereits in uns schlummern. Die meisten lassen diese Fragen nur nicht mehr zu, weil sie in der Schule gelernt haben, dass Fragen zu stellen zu Augenrollen, Gelächter, schlechter Bewertung etc. führen kann. Ich hoffe, dass ich mit dem Buch ein paar Leser zurück zu diesen Fragen führen kann und freue mich sehr über deinen ausgeprägten Wissensdurst. Das ist eine gute Idee. Danke! Oder alternativ könnte ich die Gleichungen in der Buchfassung an den entsprechenden Stellen an den Rand schreiben oder so. Ja, irgendwie muss da mehr Übersichtlichkeit her. Danke! Ob hier dumme Fragen erlaubt sind? Was für eine dumme Frage! Ich freue mich, wenn du dich dazu setzt, etwas Neugier und ein paar Fragen mitbringst. Da war der Titel jedenfalls kein Klickbait oder so. So viel kann ich dir schon versprechen. Irgendwann wird es tatsächlich auch um diese Frage gehen, wie groß die Unendlichkeit ist. Ich hoffe, ich spanne dich dann nicht zu sehr auf die Folter, denn wie schnell das Buch zu dieser Frage gelangt, hängt natürlich davon ab, wie schnell ich schreibe. Knorkator spinnen auf eine sehr sympathische Weise. Das kenne ich. Ich war auch meist auf der anderen Seite und wurde weggekürzt. Das hast du schön gesagt. Ich habe es den Lehrern dann auch nicht einfach gemacht, denn was man auf einer Seite der Gleichung macht, muss man natürlich auch auf der anderen Seite machen. Jedenfalls ist die Schule echt kein Ort für Kinder. LG
  20. Woche 1 Der alte Mann nickt verständnisvoll, als Béla resigniert zusammenfasst: "Mathe ist so schwer. Ich verstehe gar nichts davon, was mein Lehrer da immer erzählt. Ich sehe da immer nur irgendwelche komischen Zeichen und ich verstehe nicht, was das bedeuten soll - oder wofür es gut ist. Und wenn ich mal meinen Mut zusammennehme und den Lehrer danach frage, schlägt er nur die Hand auf die Stirn und sagt: "Das ist doch aus der 8. Klasse bekannt."" Tiefe Falten legen sich um das Lächeln des Alten, das nach all den Jahren des Unterrichts noch immer die Zuversicht einer unbekümmerten Jugend birgt und für einen Moment scheint es fast, als wäre er jünger als sein Schüler. Dieses Lächeln begleitet nun auch seine Antwort: "Ich verstehe dich gut. Ich dachte als Schüler auch, Mathematik sei kompliziert, weil ich darin nur die Zeichen erkannt habe, die man sieht. Erst als ich mit der Zeit lernte, die richtigen Fragen zu stellen, erkannte ich die leicht verständliche Bedeutung und dieses wundervolle Gedankenuniversum hinter diesen Zeichen und mit einem Mal war Differentialrechnung einfacher als die Abseitsregel. Mir ist egal, wie dein Schullehrer das sieht, aber in meinem Unterricht gibt es keine dummen Fragen. Falsche Fragen bringen keine zufriedenstellenden Antworten, aber deswegen sind sie noch lange nicht dumm. Denn daraus kann man lernen, weitere Fragen zu stellen. Und wenn man erst einmal die richtige Frage ausgesprochen hat, ist alles ganz klar und einfach - das gilt in der Mathematik wie im Leben generell. Ich werde dir oft Fragen stellen, die du nicht beantworten kannst. Das bedeutet nicht, dass ich eine Antwort erwarte. Ich erwarte nur einen Gedanken: einen Kommentar, eine Frage, ein Problem, eine Idee. Und scheue dich nicht, zu fragen! Fragen stellen bedeutet Mathematik betreiben und ich habe noch nie einen Schüler gegessen." Béla entfährt ein Schmunzeln: "OK!" Er ist sich nicht ganz sicher, ob er genau verstanden hat, was sein Gegenüber ihm mitteilen wollte, aber er fühlt, dass ihm ein Großteil seiner Nervosität genommen wurde. Vielleicht liegt es am ruhigen, besonnenen Tonfall des Alten, vielleicht daran, dass alles, was dieser sagte ganz und gar anders war als das, was die Lehrer, die er bisher kannte so von sich gegeben hatten. Aber dieser Lehrer scheint tatsächlich auf seiner Seite zu sein. "Gut", sprach der alte Mann, "lass uns mal sehen, wo wir anfangen wollen. Ihr solltet in der Schule gerade quadratische Gleichungen behandeln, nicht wahr?" "Ich bin mir nicht so sicher..." "Das sind die Gleichungen mit dem x² darin." "Oh ja, genau!", erinnert sich der Junge eilig nickend. Für wenige Sekunden schaut der Mann gedankenverloren an die Decke, um sich dann nach vorn zu beugen und die Gleichung 3x²-9x=0 auf seinem Zettel zu notieren. Er legt den Stift auf den Zettel wie eine unausgesprochene Einladung und fragt den Jungen: "Hast du eine Idee, wie man diese Gleichung lösen könnte?" Béla kommt sofort in den Sinn, was er zunächst tun würde. Aber würde der alte Mann dasselbe tun? Oder würde er die Augen rollen? Er zögert, denn er hat Angst. Vermutlich würde er sich ohnehin blamieren und er wird noch nicht einmal verstehen, was genau so blamabel an seiner Antwort ist. So langsam muss er aber etwas sagen. Ach, was soll's: "Vielleicht können wir die 9x auf die andere Seite bringen?" "Das könnten wir sicherlich tun", entgegnet der alte Mann: "Die Frage ist nur, ob wir damit Erfolg haben können. Ich kann schon mal vorwegnehmen, dass wir damit nicht sehr weit kommen werden und ich werde dir gleich auch erklären, wieso." "Oh, dann tut es mir leid. Ich dachte mir schon, dass meine Idee schlecht war." "Nein, Ideen sind immer gut. Aber Ideen bringen auch Fehler mit sich. Lernen heißt aber, über Fehler nachzudenken - nicht sich dafür zu entschuldigen. Du bist ja hier, um Mathe zu lernen. Also bist du auch hier, um Fehler zu machen." "OK!" "Um aus diesem Fehler zu lernen, sollten wir ihn also tatsächlich erst einmal begehen - also nicht nur im Kopf, sondern auf dem Papier. Deine Idee, die 9x auf die andere Seite zu bringen, kann ich nämlich gut nachvollziehen. So ähnlich haben wir ja bisher immer Gleichungen gelöst. Wie würdest du das also anstellen?" "Ähm, plus 9x rechnen." "Genau! Dann schreib mal bitte die nächste Zeile auf!" 3x²=9x folgert Béla reflexhaft. "Richtig. Und dann?" "Durch drei teilen." "Das ist naheliegend, nicht wahr? Dann mach mal ruhig! Dem Papier kann das ja nicht weh tun." - x²=3x - "So. Was würdest du als nächstes tun?" "Vielleicht die Wurzel ziehen?" "Klar, wir denken ja bisher immer in Gegenteilen. Und die Quadratwurzel ist ja das Gegenteil vom Quadrieren." Ohne Aufforderung schreibt Béla x=3x. Da spitzt der Alte den Mund: "Vorsicht! In einer Gleichung können wir ja - fast - alles rechnen, was wir wollen, solange wir es auf beiden Seiten machen." "Klar, richtig. Danke!" Sofort korrigiert Béla seinen Fehler: x=√(3x) Da erkennt Béla mit einem Mal das Problem: "Oh! Jetzt habe ich ja das x in der Wurzel. Das ist auch blöd." "Absolut! Was müssten wir denn jetzt machen, um das x da zu befreien?" "Wieder quadrieren. Und dann sind wir wieder am Ausgangspunkt." "Richtig - und dann würden wir wieder die Wurzel ziehen und wieder quadrieren, Wurzel, Quadrat, Wurzel, Quadrat... bis uns schwindelig wird." Plötzlich äußert Béla eine Idee: "Und was ist, wenn wir stattdessen durch x teilen?" Nun fangen die Augen des alten Mannes an zu leuchten. Seine Freude über eine selbst formulierte Idee Bélas bereits in der ersten Stunde erfüllt den ganzen Raum und durchfährt augenblicklich Bélas Bewusstsein. "Die Idee gefällt mir! Dann wäre ja links nur noch x, denn x²:x scheint ja einfach x zu sein. Und rechts hätten wir nur noch drei. Dann wäre die Gleichung ja schon gelöst. Leider, so gerne ich das jetzt machen würde - der Gleichung gefällt diese Idee nicht." "Nein?!" fragt Béla überrascht und hakt dann scherzhaft nach: "Sture Gleichung!", woraufhin der Lehrer ins Lachen gerät. Als er sich davon wieder erholt, erklärt er: "Das Problem ist: x könnte ja auch null sein. Und wenn wir durch x teilen, könnte das also auch bedeuten, dass wir durch null teilen und das dürfen wir ja nicht." "Ach ja, stimmt." "Das findet die Gleichung dann blöd, dass wir was Verbotenes machen und wird direkt zickig und verrät uns nicht mehr all ihre Geheimnisse. Falls x nämlich tatsächlich null sein sollte, verschweigt sie uns das. Weißt du auch, warum man nicht durch null teilen darf?" Kurz überlegt Béla noch und antwortet schließlich: "Also, ich weiß, dass man es nicht darf, aber mir war nie so wirklich klar, warum." In diesem Augenblick schaut der Alte auf die Uhr - für gewöhnlich sagt ihm eine innere Stimme, wann die 45 Minuten zu Ende sind, was er sich immer noch durch einen Blick auf die Uhr bestätigen lässt: "Mit dieser Frage werden wir uns dann nächste Woche beschäftigen." Als die beiden sich verabschieden, merkt Béla, dass er sogar ein wenig traurig ist, dass der Unterricht schon vorbei ist. Er erkennt deutlich, warum sein Lösungsweg nachvollziehbar, aber falsch war und er ist darüber überraschenderweise dankbar. Aber nun, da er weiß, wie man eine solche quadratische Gleichung nicht löst, würde er zu gerne wissen, wie es stattdessen funktioniert. Was ihn aber noch mehr beschäftigt: Zum ersten Mal ist ein Lehrer tatsächlich an seinen Ideen interessiert, selbst dann, wenn sie falsch sind.
  21. Ich hatte eigentlich immer eher die Assoziation eines plattgefahrenen Maulwurfs. Das hast du im Original gelesen? Solche Fraktale erweitern unser Verständnis der Realität schon ungemein, besonders da klar wird, dass mit ganz einfachen Regeln sehr komplexe Strukturen geschaffen werden können, was dabei hilft, die Komplexität der Natur zu verstehen. Es ist schade, dass nur wenige Menschen den Zugang dazu finden und das liegt wohl zum Einen am Bildungswesen (Schulmathematik hat ja im Grunde so gut wie nichts mit Mathematik zu tun), zum Anderen wohl auch daran, dass dem Laien erst einmal die Zeichen im Weg stehen und man sich da erstmal durchkämpfen muss. Da wären gute Mathe-Bücher hilfreich, die den Einstieg in die Thematik erleichtern. Ich habe mal ein Buch zu schreiben begonnen, das zugleich ein anfängerfreundliches Fachbuch über Mathematik und eine längere Geschichte über die Beziehung zwischen zwei Menschen werden sollte. Irgendwann hat mich dann aber die Ausdauer verlassen. Dein Gedicht inspiriert mich nun, das Projekt wieder aufzugreifen. Wenn ich mal ein bisschen Zeit habe, nehme ich das mal wieder in Angriff. Die Mandelbrotmenge sollte da auch irgendwann behandelt werden.
  22. Liebe Sali, als alter Freund von Fraktalen und komplexen Strukturen in einfachen Iterationen kann ich dir nur danken, dass du mit diesem Gedicht etwas Licht auf die Schönheit der Mathematik wirfst. Besonders gefällt mir die Formulierung: "Der letzte Punkt wird nicht erreicht." Wenn man sich tiefer und tiefer in die Mandelbrot-Menge hinein begibt, reift sowohl das Verständnis, dass es kein Ende gibt, als auch das Gefühl, dass das Ende doch bald erreicht werden muss. In diesem Widerspruch zwischen Verstand und Intuition liegt aus meiner Sicht die eigentliche Schönheit von Fraktalen - die Schönheit vieler mathematischer Sachverhalte überhaupt. Wer nicht weiß, wovon hier die Rede ist, darf die Details gerne überspringen und sich dieses faszinierende Video über die Visualisierung der Lösungsmenge einer recht simplen "Gleichung" ansehen. Nur damit man eine Vorstellung der Schönheit bekommt, die Sali hier bedichtet. LG
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