17.5.2012
Liebe Babsi,
ich glaube, zu träumen, so schwärmerisch ist mir zumute! Nie weiß ich, ob ich nun glücklich sterben will oder ewig leben möchte, wenn ich sie um mich habe. Als sei das Leben mit einem kurzen Blick in ihre lachenden Augen getan, als sei nichts mehr zu tun, als die Arme in der Gewissheit eines tragenden, warmen Frühlingswindes weit auszustrecken, über den Belangen der Menschen schwebend, so einfach ist doch alles, wenn ich ihr im Wald verspielt hinterher jage, wie ich es getan habe. Querfeldein rannten wir wie Kinder durch die Brombeerbüsche, vorbei an der nicht eben seichten Senke, die ehemals ein Wasserlauf dort geschaffen haben muss, weniger von den Dingen an sich als vom schöpferischen Eindruck derer Bewegung aufnehmend und kamen am Waldesrand zu stehen, überwältigt vom Anblick der olivgrünen Wiese, die sich zwischen uns und dem Hang in der Abendsonne zu weiten schien. "Oh, wie ist das schön!" meinte sie, im Gegenwärtigen vollkommen aufgegangen, während ich sie in meine Arme nahm. Jene Nacht verbrachten wir auf dem Bergener Hang auf einer Bank, abertausend Sterne über uns, die Lichter der Stadt unter uns, so dass wir nicht wussten, wo der Himmel aufhört.
Es gibt Geschehnisse, da ist es beinah greifbar, dass unsere Handlungen bloße Hervorbringungen derselben sinnerfüllten Monade sind, etwa wenn sie meine Frage bejaht, ehe ich sie auch nur zur Hälfte aussprechen kann oder als ich auf die Trauerweide am Ufer des Sees just in dem Moment zuzurudern begann, als sie mir ins Ohr flüsterte: "Da wollen wir uns verstecken." oder als ich mich im Wilhelmsbader Schlosspark auf die Wiese warf in der fraglosen Gewissheit, sie würde ihren Kopf auf meine Brust legen und ich mich selten wichtiger gefühlt habe, als ihr als Kissen zu dienen. Und es gibt, ach... so viele Wunder an ihr, für die schlichte Dankbarkeit zu empfinden kaum auszureichen scheint, um mein angeregtes Gemüt zur Ruhe zu bringen... wenn ich Ausflugsziele aufzähle in der Hoffnung, etwas davon könnte sie ansprechen, worauf sie nur mit sanftem Wohlwollen reagiert: "Was immer du willst. Hauptsache, du nimmst mich mit!" oder wenn sie mit jedem Einfall, sich unversehens mit einer ganz anderen Sache zu beschäftigen, mich mühelos dafür begeistert, mit jedem unverhofften Kuss, den ich zart im Nacken spüre, wenn ich etwas lese, bis mir die Worte vor den Augen verschwimmen und ich nichts lieber tue als meinen Heine beiseite zu legen, überhaupt mit jeder Offenbarung ihrer plötzlichen Impulse ihriges dazu tut, damit wir beide im Zustande der völligen Hingabe für das wohlige Erleben dahin taumeln, so dass der Abschied wie ein überraschender Wetterumschlag über uns kommt.
Doch bei all dem Vergnügen, muss ich eine Besorgnis erwähnen: So wie in dem Moment, bevor ich sie küsse, all meine Sinne nur dem gewissen, innigen Kuss zugeneigt sind und dem Augenblicke selbst dadurch seinen Zauber geben, ihn jedoch der Gegenwärtigkeit in der Lust auf das Kommende berauben, so geschieht alles, was wir teilen, jede zärtliche Berührung, jedes verständnisvolle Zublinzeln, jede vertraute Heiterkeit in der Erwartung einer noch tieferen Verbundenheit, als befände ich mich in einem Traum und wüsste davon und möchte aufwachen, um sie endlich mit meinen leiblichen Augen zu sehen, ihr wundervolles Wesen, von dem ich nur eine Ahnung haben kann, bei wachem Verstand tief im Inneren begreifen. Ich möchte ihr so nahe sein, dass ich mich durch ihren Herzschlag lebendig fühlen kann! Doch ist eine nähere Betrachtung denn wirklich einem tieferen Verstehen zuträglich? Ist der Wald nicht viel reicher durch seine herrliche Stille und das unplastische Grün, welches einem umgibt, als durch die kleinen Verästelungen, die man mit viel Mühe in den Blättern seiner Bäume genau beschreiben kann? Ich spüre, dass dies umso mehr für die Betrachtung von geliebten Menschen gilt, doch in meinem fortdauernden Begehr, mich zum Ausdruck zu bringen, kann ich nicht anders, als sie zu fragen, woran sie denkt, wenn sie angestrengt ins Leere schaut oder was sie empfindet, wenn sie eine Sorge äußert. Ich will ihr nahe sein!
Mir ist, Babsi, als stürze mich ihre unbefangene Seele ins Verderben, als sei Liebe mein Verhängnis. Die Liebe, dieses banale Rätsel - schon so oft in tausenden Jahren wiederholt, aber so neu, dass mir mein Verstand und aller Gelehrten Meinungen wertlos sind, wenn ich im Kummer an sie denke, wie nur ich an sie denken kann, wie ich nur an sie denken kann.
Verzeih, du wirst in meiner Rede kaum mehr als die Niedergeschlagenheit eines wirren Mannes erkennen können und ich sollte dir mehr darüber schreiben, wenn ich nur nicht mit jedem Gedanken daran bitterlich weinen müsste. Verzeih!
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