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5.4.2012


Schmuddelkind

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Liebe Babsi,

 

ich bin ein entzweiter Mann! Gestern hatte sie Geburtstag. Wie wild schlug mir mein Herz vor Freude und Aufregung, als sie mir schrieb, sie wünsche sich kein Geschenk sehnlicher, als dass ich sie anriefe! Und doch, wie war es mir zugleich so schwer! Wie kann mir diese wunderschöne Stimme, die mir so viel wert ist, eine Strafe für mein Verlangen sein? Die schlimmsten Fehler, die wir machen, sind unvermeidlich. Kann ein Mensch sich einen anderen Menschen aussuchen? Nein, er wird hingezogen oder abgestoßen oder treibt träge davon. Und doch fällt dies alles mit unerträglicher Wucht auf uns zurück.

 

Ich habe sie angerufen; denn ich konnte nicht anders. Ich will nur sie! Ich sehe es ganz klar, ohne einen Gedanken davon denken zu müssen. Da erschlug mich wieder die ganze Schwerelosigkeit ihres freimütigen Wesens, das mich doch tragen sollte, das mich befreien sollte: "Wir haben schon so lange nicht mehr telefoniert. Ich hab dich vermisst!". Wie sie diese bedeutsamen Worte mit einer solchen Selbstverständlichkeit, Reinheit und Leichtigkeit sagen konnte... Da hatte ich Mühe meine Unrast zu verbergen und musste aufpassen, dass sich mein Atem nicht überschlug. Was ist das für ein Leben, dass ich auf meinen Atem achte, wenn ich mit ihr spreche? Und was wäre das für ein Leben, nicht mit ihr zu sprechen?

 

Welch eine Wonne und welch eine Folter, wieder so viel Sinn und so viel fromme Andacht vor dem Menschsein in all den natürlichen, kleinen Bewegungen ihrer Stimme und all den noch so profanen Äußerungen über ihren Geburtstag, ihre Familie und ihre Arbeit zu vernehmen! Eine unbeschreibliche Regung durchfuhr meine Seele, als sie davon schwärmte, mit mir ein Glas Wein zu trinken. Manchmal denke ich, wenn ich es ausdrücken könnte, dass... alles, ach! Wenn es Worte dafür gäbe, dann müsste sie es verstehen und dann hätte sie ein Einsehen und ein Mitempfinden. Dann bilde ich mir ein, könnte sie nicht anders, als meine Gefühle zu teilen.

 

Sie fuhr fort: "Aber leider bist du so weit weg, du Lieber." und ihre Stimme füllte sich mit einer Wehmut, die man nicht darstellen kann, wenn man sie nicht empfindet. Aber was sind Raum und Zeit als bloße Vorstellungen, Entsprechungen unserer Angst? Und was sind sie wert, wenn man keine Angst mehr hat, nicht einmal vor dem Tod? Ich wünschte, ich wär so weit!
 

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