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Rückblick


Lichtsammlerin

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Rückblick - März 2018

 

Gestern sah ich dich.
Ich glaube mir blieb für einen Moment das Herz stehen, nur damit es danach unsanft gegen meine Rippen hämmerte. Ich vergaß zu atmen.
Deine Augen waren ein durchdringendes Glühen und deine Lippen verzogen sich zu einem spöttischem Grinsen. Hier. Bei der Beerdigung deiner Mutter. Und du hattest nichts Besseres im Sinn als die kümmerlichen Reste deiner Macht mit allen Mitteln auszuspielen.
Du hast verloren. Das Spiel ist vorbei, hör endlich auf so zu tun, als gäbe es ein Zurück.

Ja, ich bin deinem Blick ausgewichen. Wie immer.

Und dann bist du auf mich zu gekommen, langsam aber bestimmt. Meine Angst verwandelte sich in ein gejagtes Tier, das wild gegen die Wände meines Schädels sprang, während ich ganz erstarrt stand und mich keinen Zentimeter rühren konnte. Deine Hand griff meine Schulter und wie immer war der Griff ein wenig zu fest, um noch freundlich zu sein.

Dann ging alles ganz schnell. Instinktiv.

Eine plötzliche Wut löste meine Starre und ich schlug deine Hand fort, lautlos, ich stieß dich von mir, dass du rückwärts getaumelt bist. Die Leute starrten mich an. Verdammt, wir waren auf einer Beerdigung!

Es war unvermeidlich, dass ich dir begegnen würde. Aber ich konnte Oma doch nicht allein lassen, allein mit dir.

 

Ich weiß nicht, was in meinem Gesicht zu lesen war, aber den Ausdruck in deinem werde ich wohl nie vergessen. Deine Augen, die sagten 'ich bringe dich um' und deine Lippen, die nur noch eine dünne Schnur lodernder Verachtung waren.

Als ich diesen Ausdruck das letzte Mal sah, war ich dreizehn gewesen. Und hatte gebetet es möge das letzte Mal gewesen sein. Damals, als ich noch gebetet habe. An wen auch immer.

Ich sah dich gestern und dieser kurze Moment war es, der alles zurück brachte.

Ich war vier und dachte, du könntest die Monster unter meinem Bett vertreiben. Ich war sieben und verstand das erste Mal, dass DU das Monster warst. Ich war zehn und konnte vor Schmerzen kaum gehen, alles brannte.

Ich sah die Jahre wieder und wieder vor meinen Augen ablaufen. Ich erlebte es.

Wie du vor mir stehst und das erste Mal die Maske ablegst. Deine Hände die jede Stelle meines Körpers ertasten. Worte die Unmögliches verlangen und meine Stimme für Jahre und Jahre in Ketten legen. Da war Schmerz und Angst und Ekel. Irgendwo DU.

Es waren nicht die bruchstückhaften Fetzen von Erinnerungen, wie sie in meinem Kopf auf- und abtauchen, es war alles da, jede Kleinigkeit, jede hässliche Wahrheit, jeder Blick mit dem du meine Seele wie mit Pfeilen durchbohrt hast.

Du musst so kaputt sein, so vollkommen zerstört, zu glauben es wäre okay.

 

Während die Pastorin ihre Rede hielt und alle in Gedanken bei Oma waren, ging ich erneut durch die Hölle meiner Kindheit. Das werde ich dir nicht verzeihen, nie. An diesem Tag, wo ich keinem als Oma nah sein wollte, schicktest du mich zurück in das von dir entfachte Flammenmeer, wohl wissend, dass es mich verschlingen würde.

Draußen lag ein halber Meter Schnee und alle standen knietief im Weiß, als die Urne in der Erde verschwand. Ich habe gewartet. Du standest zwei Meter entfernt und schienst lauernd auf eine Reaktion von mir zu warten, die nicht kam. Ich habe nicht geweint, habe keinen Ton gesagt.

Als alle gingen verabschiedete ich mich wie in Trance, bog zu Fuß um die nächste Ecke und wartete. Ich sah dich mit den anderen davon ziehen, lachend und Späße machend.

Als ich sicher war, dass du fort warst, ging ich zurück auf den Friedhof, in den vielen Fußstapfen der anderen fielen meine kaum auf.

 

Ich setzte mich in den Schnee vor das Grab von Oma. Und dann weinte ich.

Ich wünschte ich könnte sagen, dass ich um Oma geweint habe, meine liebe Oma, aber es wäre nur die halbe Wahrheit. Ihre Abwesenheit stach mir ins Herz und es war umso schlimmer, als dass es nicht deine war. Warum konntest nicht du dort unten liegen, nichts als Asche und Erinnerung.

Begraben unter Erde und Schnee. Bin ich schlecht, weil ich das denke?

Meine Tränen brachten den Verlust nach außen, der seit Jahren angestaute Schmerz brach hervor, bis ich erschöpft und leer und zitternd im Schnee saß.

Der Entschluss war getroffen.

Die Entscheidung, die ich so lange gefürchtet hatte, wandelte sich in Entschlossenheit. Für einen Moment hatte ich keine Angst mehr.

Ich würde nicht länger schweigen. Mein Weg würde hier beginnen und mit jedem Schritt würde ich deiner Macht ein Stück mehr entsagen. Mich dir entgegen stellen. Oma war an meiner Seite, das wusste ich.

 

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7 Kommentare


Empfohlene Kommentare

Gast (Josina)

Geschrieben

Hallo liebe Lichtsammlerin

 

Ich würde nicht länger schweigen. Mein Weg würde hier beginnen und mit jedem Schritt würde ich deiner Macht ein Stück mehr entsagen. Mich dir entgegen stellen. Oma war an meiner Seite, das wusste ich.

 

Diesen Satz finde ich sehr stark. Das LI hat die Hölle durchgemacht als Kind und Jugendliche.

Als Erwachsene den Mut gefunden diesen Widerling, der sich Vater nennt wegzustoßen bei der Beerdigung. Jetzt sollte sie auch nicht länger schweigen damit ihre Seele etwas zur Ruhe kommen kann. Ein sehr berührender Text!

Ich wünsche dem LI viel Mut und Kraft!

Lg Josina

 

 


 

 

 

Freiform

Geschrieben

Hallo Lichtsammlerin,
ein Text, bei dem es einem die Sprache verschlägt und es unmöglich erscheint, die richtigen Worte zu finden.  Die Offenheit, mir der du es inzwischen schaffst, das erlebte zu formulieren, zeigt, dass ein Prozess in Gang ist, der hoffentlich irgendwann abgeschlossen sein wird. Sich etwas von der Seele zu schreiben, beinhaltet so viel heilende Energie!

Nur das Beste für Dich!

 

grüßend Freiform
 

  • Danke 1
Lichtsammlerin

Geschrieben

Hallo Josina,

 

danke dir fürs Vorbeischauen!

Mut und Kraft wird das LI wohl auch in Zukunft noch brauchen, aber Stärke kommt durch jeden Schritt.. mit jedem Wort.

Es freut mich, das meine Worte dich berührt haben.

 

Liebe Grüße, Lichtsammlerin

 

 

Hallo Freiform,

 

braucht es denn die richtigen Worte - gibt es sie? Ich finde sie ja selbst nicht..

Aber es freut mich gerade sehr, dass du einen Prozess erkennst. Wirklich empfinde ich das Schreiben immer als heilsam, wenn auch beizeiten schmerzhaft.. du magst wohl recht haben. Noch sind die Wunden frisch, aber ich hoffe natürlich, dass der Prozess irgendwann abgeschlossen ist. Wenn auch nie etwas vergessen ist.. aber doch weniger belastend.

Danke für deine lieben Worte!

 

Liebe Grüße, Lichtsammlerin

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  • Danke 1
Gast (Nina K.)

Geschrieben

Liebe Lichtsammlerin,

 

was muss das für eine starke Seele sein, die solche Gedanken für sich selbst zulässt UND auch nach außen transportieren kann!

 

Stark (gruselig) , wie hier deutlich wird, dass Vergessen / Verdrängen nicht genug ist. Klar, kann man äußerlich erstmal so sein wie die "normalen" Menschen. Und dann reicht ein Moment, der sogar vorhersehbar war, um ALLES wieder präsent zu machen. Das ALLES lässt die augenblickliche Realität verblassen. 

Es scheint, als hättest Du dich schon in Sicherheit gewähnt und stark genug, um die Gegenwart des Monsters auszuhalten, denn es kann dir ja nichts mehr tun. 

 

Wie schön, dass Du allein zur Oma zurückgegangen bist. Wie schön, dass sie dein Verbündeter war und ist. 

 

Hab auch grad deine letzten beiden Gedichte gelesen. Das ist ein wunderbarer Weg, um den Menschen zu zeigen: Mißbrauch passiert! Monster sehen aus wie Menschen! Opfer sehen aus wie Kinder!

 

Tabuthemen haben ja die komische Eigenschaft, für die Betroffenen allgegenwärtig zu sein. Als wäre man das Fass, das randvoll ist, und dann reicht ein Tropfen.... wie den Füllstand des Fasses auf ein erträgliches Mass bringen?  Es muss wohl immer wieder überlaufen..... es darf immer wieder überschwappen.....

 

LG

Nina

Lichtsammlerin

Geschrieben

Hallo Nina,

 

ob das eine starke Seele ist.. ich weiß es nicht. Es fühlt sich nicht so an. Aber ich freue mich über deine Worte!

Nach außen ist ja vieles normal, muss normal sein. Aber diese "normale" Realität steht eben auf wackeligen Beinen und kann - wie du auch schreibst - in einem Moment in sich zusammen fallen.

Das schwierige an Tabuthemen ist auch, ,dass die Betroffenen selbst tabuisiert werden - ein Teil ihrer Person, ihrer Geschichte, ihres Selbst darf nicht sein. Und muss versteckt werden.. das macht es schwer. Und mit dem Gerüst der Realität kann schnell auch immer wieder das eigene Weltbild zerbrechen.

Es fällt mir nicht leicht das zu thematisieren. Aber ich weiß, wie viele Kinder da draußen leiden.. und nur wenn mehr und mehr Menschen die Augen öffnen, auf einander acht geben, verstehen und aufhören die Opfer zu stigmatisieren, kann den Kindern geholfen werden. Außerdem sind es die Worte, die mein Herz schreibt, ob ich will oder nicht.

Danke für deinen Besuch und die Worte!

 

Liebe Grüße, Lichtsammlerin

Elmar

Geschrieben

Liebe Lichtsammlerin,
erschütternd und verstörend zugleich deine Geschichte -  weil du tabulos das Schweigen brichst - weil du aufdeckst und Unsagbares ans Licht bringst. Dabei ist es gleich ob du für dich selbst schreibst oder für potentielle Leser. Ich denke, du gehst damit den Weg einer kreativen Bewältigung. Ich persönlich denke, dass es ein heilbringender Weg ist. Aber ich möchte dir hier nicht zu nahe treten. Von Herzen alles Gute, das wünsche ich Dir. Elmar

 

  • Danke 1
Lichtsammlerin

Geschrieben (bearbeitet)

Hallo Elmar,

 

ich danke dir sehr, für deine lieben Worte!

Schweigen brechen ist wichtig.. ich denke auch, dass es ein heilsamer Schritt eines langen Weges ist.

Gerade, wenn man jahrelang kämpft um seine Stimme nicht ganz zu verlieren, und wenn sie auch "nur" auf dem Papier spricht. Für mich genauso wie für andere, die um Worte ringen das Unsagbare zu fassen.

Texte entstehen, weil ich sie für mich schreibe. Texte landen hier im Forum, wenn es eine Botschaft gibt, die ich an andere aussenden möchte.

Auch dir alles Gute!

 

Liebe Grüße, Lichtsammlerin

  • in Love 1

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