Sechs auf einen Streich
Sechs auf einen Streich
„Streiten sie sich etwa?“ Hans hörte, wie sich die Eltern leise unterhielten. Er selbst sollte schon schlafen. 23 Uhr war lange vorbei. Dann hörte er, wie Vater etwas lauter sprach: „ Wer soll denn später einmal den Betrieb übernehmen, aus dem Nichts habe ich ihn aufgebaut.“ Vater hatte eine gut gehende Schneiderei, der Plan war, dass der Sohn einmal in seine Fußstapfen tritt. Doch Hans hatte ganz andere Pläne, er wollte in die Welt hinaus, das Leben kennenlernen. Am nächsten Tag ging er, noch ganz in Gedanken versunken, durch sein Dorf. Alles erdrückte ihn hier, er kannte jeden Stein, jede Ecke, nein er wollte etwas erleben. Da sah er seinen Rotschopf. Er nannte sie so, da er ihren Namen nicht kannte. Sie ging vor ihm, mit ihren hautengen Jeans und dem super knallroten Bascap auf dem Kopf, aus der freche kleine Zöpfe hervor lugten, die ihn immer wieder in den Bann zogen. Aber sie? Sie hatte ihn noch niemals angesehen. Scheinbar wusste sie auch gar nicht, dass er überhaupt existierte. Wo ging sie wohl hin? Mit einem Rucksack auf dem Rücken steuerte sie auf den nahe gelegenen Wald zu. Auf einmal bemerkte er, wie eine dunkle Gestalt ihr folgte. Oh, oh, das sah nicht gut aus. Wie von einem Magneten angezogen folgte er ihr ebenfalls. Mit Kopfhörern auf den Ohren schien das Mädchen ihre Umwelt gar nicht wahrzunehmen. Völlig sorglos lief sie durch den Wald, sogar ein paar Blumen pflückte sie. Hans musste lächeln, soviel mädchenhaftes hatte er ihr gar nicht zugetraut. Eine Lichtung tat sich vor seinen Augen auf. Darauf stand ein Einfamilienhäuschen. Sein Rotschopf lief geradewegs darauf zu. Dort angekommen, ging die Tür auf und sieben kleine Zwerge stürmten heraus. Sie lachten und freuten sich scheinbar über ihr Kommen. Das Mädchen packte ihren Rucksack aus, denn sie hatte für jeden kleinen Wicht ein Mitbringsel dabei. Eine gemütlich, rundlich ältere Dame erschien ebenfalls in der Tür. Sie begrüßten sich herzlich und plauderten ein paar Worte. Hans hörte wie sie stöhnte: „ Ach ich muss noch die Betten schütteln, meiner letzten Haushaltshilfe kündigte ich den Dienst, die war so etwas von faul! Und dann wollte sie auch noch gut bezahlt werden!“ Mit den Blumen in der Hand verschwand sie im Haus. Auf einmal hörte Hans ein Geräusch in seiner unmittelbaren Nähe. Er sah, wie die dunkle Gestalt sich eine Sturmhaube über das Gesicht zog und mit einem lautem Aufschrei auf das Mädchen zulief. Die Kinder stoben ängstlich davon. Der Unhold packte das Mädchen, brachte ein Seil zum Vorschein und wollte sie fesseln. Abrupt ging oben am Dach ein großes Fenster auf und ein riesiges Federbett wurde mit Wucht heruntergeschleudert und die zwei darunter begrub. Die Kinder und auch Hans, wie vom Blitz getroffen, rannten darauf zu, befreiten das Mädchen, zogen den Mann mit der Sturmhaube heraus, den Hans mit einem Schlag zu Boden streckte. Frau Holland, so hieß die ältere Dame, ergriff schnell ihr Handy und forderte die Polizei an, die auch sofort zur Stelle war. Sie nahmen ihn fest, mit den Worten dass Carsten Wolf kein unbeschriebenes Blatt sei und sie schon lange nach ihm fahnden. Frau Holland sah nun bekümmert auf ihr großes Federbett. Die Nähte waren alle aufgerissen. Wie gut, dass Hans sich die Warnung seines Vaters zu Herzen genommen und immer ein Nähbesteck dabei hatte. Flugs brachte er es zu Tage und in Windeseile sah das Bett wieder wie neu aus. Sein Rotschopf sah ihn bewundernd an und ein „Wow“ ließ ihn leicht rot werden. Frau Holland wies die Kinder an, ins Haus zu gehen, und ob er Scarlett, so hieß das Mädchen, zurück ins Dorf bringen könnte. Ihr war unwohl bei dem Gedanken, dass sie allein ginge. Als sie den Wald hinter sich gelassen hatten war es schon sehr dunkel geworden. Nur in einem Gehöft sah man noch Licht und ein Mädchen fegte emsig den Hof. Es war kalt und regnete. Sah sie überhaupt noch etwas? Sie gingen zu ihr hin, es war Ella. „Sag mal, du arbeitest noch?“ fragte Hans. Sie zuckte etwas hilflos mit den Schultern: „Die Tiere müssen noch gefüttert werden,“ seufzte sie dann
„Und deine Eltern?“ fragte Hans weiter. Ella zeigte mit einer Kopfbewegung hin zum Wohnhaus. Scarlett und Hans schlichen sich zum hellerleuchteten Fenster hin. Fassungslos sahen sie die Stiefmutter mit einer Flasche Wodka wie im Trance am Tisch sitzen und eine Zigarre rauchen. Ihr gegenüber saßen die zwei Stiefschwestern, die sich gerade eine Prise Heroin durch die Nase zogen. Hans und Scarlett waren entsetzt. Draußen in der Kälte rackert sich Ella ab wie das letzte Aschenputtel und im Haus vergnügten sich Stiefmutter und Stiefschwestern. Da muss was passieren. Er fragte Ella: „Was hast du denn alles für Tiere?“
„Nun, eine Ziege, einen Esel, ein Schwein, Hund und Katze, ach ja, da wären noch zwei Hühner und ein Hahn.“
Hans ordnete an: „ Ich nehme den Esel und den Hahn, Scarlett, du nimmst Hund und Katze und Ella nimmt das Schwein.“ Leise mit den Tieren schlichen sie zur Haustür, öffnete sie und mit einem starken Klaps auf den Hintern der Tiere jagten sie diese in die verräucherte Stube. Den Hahn warf er wie einen Falken nach oben, so dass er wie ein Kreisel über den Köpfen der Frauen drehte. Völlig aufgeschreckt schrien sie, rannten wie von der Tarantel gestochen durch das Dorf und riefen voller Panik: „Die Außerirdischen sind gekommen, sie wollen uns holen, Leute helft uns!!“ Mit wild fuchtelnden Armen rannten die Frauen kreischend durch das Dorf, immer wieder mit den gleichen Worten. Irgend jemand rief die Polizei, mit Sirenengeheul und Blaulicht jagte ein Rettungswagen herbei. Man packte diese wild gewordenen Weiber, steckten sie in die Zwangsjacke und brachten sie in eine Psychiatrie.
Ella, Hans und Scarlett verfolgten mit weit aufgerissenen Augen dieses Szenarium. „Die siehst du nicht gleich wieder,“ lachte Hans nun und man klatschte sich triumphierend ab.
„ Ella, jetzt beginnt dein Leben, mach das Beste daraus“
Scarlett sagte beunruhigt: „Ich muss nach Hause, Mutter wird sich bestimmt schon sorgen.“ Leise flüsterte sie in sein Ohr: “Coole Aktion von dir“ küsste ihn und verschwand in die Dunkelheit. Hans stand wie versteinert am Fleck. Sie hatte ihn geküsst, tatsächlich geküsst. Er breitete seine Arme weit aus, sah hoch in den Sternenhimmel und stieß einen Jubelschrei hinauf. Er fühlte sich wie Hans im Glück.
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