Lesungen alter Meister
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159 Themen in dieser Kategorie
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Wilhelm Busch ~ "Über das Älterwerden"
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"Ich nahm die Wahrheit mal aufs Korn und auch die Lügenfinten. Die Lüge machte sich gut von vorn, die Wahrheit mehr von hinten." Busch, Wilhelm Das große Glück, noch klein zu sein, sieht mancher Mensch als Kind nicht ein und möchte, dass er ungefähr so 16 oder 17 wär‘. Doch schon mit 18 denkt er: „Halt! Wer über 20 ist, ist alt.“ Warum? Die 20 sind vergnüglich – auch sind die 30 noch vorzüglich. Zwar in den 40 – welche Wende – da gilt die 50 fast als Ende. Doch in den 50, peu à peu, schraubt man das Ende in die Höh‘! Die 60 scheinen noch passabel und erst die 70 miserabel. Mit 70 aber hofft man still: …
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Jean Paul ~ Aehrenlese
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Aehrenlese Sei künftig auf der Lebensreise, Wie hier in diesem Buch Die vollgeschrieb'nen Blätter, weise, Doch berg' es vor der Menge klug, Durch Thaten nur, nicht durch Sentenzen, Such' mild wie Mondenlicht zu glänzen, Moral'sche Schwätzer gibt's genug! Jean Paul 1763 - 1825 (Johann Paul Friedrich Richter, deutscher Dichter, Publizist und Pädagoge) aus dem Album- und Gedenksprüche. Eine Aehrenlese, C. Daberkow's Verlag, Wien 1893 Music: Oleksii Kalyna Bild:Ahmed Demir Rezitation: Uschi Rischanek (mir aus dem Herzen!) Jean Paul Aehrenlese warmth_Oleksii_Kalyna.mp4
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"Die Kunst ist ein Ding viel zu groß und zu schwer und zu lang für ein Leben, und die, welche ein großes Alter haben, sind erst Anfänger in ihr." R.M.R. Wenn es nur einmal so ganz stille wäre Wenn es nur einmal so ganz stille wäre. Wenn das Zufällige und Ungefähre verstummte und das nachbarliche Lachen, wenn das Geräusch, das meine Sinne machen, mich nicht so sehr verhinderte am Wachen -: Dann könnte ich in einem tausendfachen Gedanken bis an deinen Rand dich denken und dich besitzen (nur ein Lächeln lang), um dich an alles Leben zu verschenken wie einen Dank. Rainer Maria Rilke…
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Heinrich Heine ~ Ich dacht an sie 🥀
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"Kunst ist der Zweck der Kunst, wie Liebe der Zweck der Liebe." H.H. Ich dacht an sie den ganzen Tag, Und dacht an sie die halbe Nacht. Und als ich fest im Schlafe lag, Hat mich ein Traum zu ihr gebracht. Sie blüht wie eine junge Ros, Und sitzt so ruhig, still beglückt. Ein Rahmen ruht auf ihrem Schoß, Worauf sie weiße Lämmchen stickt. Sie schaut so sanft, begreift es nicht, Warum ich traurig vor ihr steh. «Was ist so blaß dein Angesicht, Heinrich, sag mirs, wo tuts dir weh?» Sie schaut so sanft, und staunt, daß ich Still weinend ihr ins Auge seh. «Was weinest du so bit…
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Emerenz Meier ~ Mein Wald, mein Leben
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Mein Wald, mein Leben Ich sah den Wald im Sonnenglanz, Vom Abendrot beleuchtet, Belebt von düstrer Nebel Tanz, Vom Morgentau befeuchtet: Stets blieb er ernst, stets blieb er schön, Und stets mußt' ich ihn lieben. Die Freud' an ihm bleibt mir besteh'n, Die andern all zerstieben. Ich sah den Wald im Sturmgebraus, Vom Winter tief umnachtet, Die Tannen sein in wirrem Graus, Vom Nord dahingeschlachtet; Und lieben mußt' ich ihn noch mehr, Ihn meiden könnt' ich nimmer. Schön ist er, düsterschön und hehr, Und Heimat bleibt er immer. Ich sah mit hellen Augen ihn, Und auch mit tränenvollen; Bald hob er meinen frohen Sinn, Bald sän…
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Max Hayek ~ Ein Mensch der dich liebt (1930)
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EIN MENSCH, DER DICH LIEBT Wenn du einen Menschen gefunden hast, der dich liebt, hast du das Kostbarste gefunden, das auf Erden gefunden werden kann. Dann ist der Schatz dein, den die Schatzgräber vergeblich suchen, die Feinperle über allen Wert, das Kleinod, von dem die alten Bücher sagen. Laß die andern auf Thronen sitzen, laß sie Reichtum haben, Rang und Würden, Ruhm, weltlichen Erfolg, laß sie große Gelehrte und Künstler sein: wenn sie keinen Menschen kennen, der sie liebt, sind sie arm in all ihrer Fülle. Liebe ist ein Wort für viele Dinge. Da läuft einer flüchtiger Freude nach, erreicht sie und nennt sie Liebe. Da liebt einer Tiere, da liebt einer die Natur…
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Dein allererstes Wort war: Licht: da ward die Zeit. Dann schwiegst du lange. Dein zweites Wort ward Mensch und bange (wir dunkeln noch in seinem Klange) und wieder sinnt dein Angesicht. Ich aber will dein drittes nicht. Ich bete nachts oft: Sei der Stumme, der wachsend in Gebärden bleibt und den der Geist im Traume treibt, dass er des Schweigens schwere Summe in Stirnen und Gebirge schreibt. Sei du die Zuflucht vor dem Zorne, der das Unsagbare verstieß. Es wurde Nacht im Paradies: sei du der Hüter mit dem Horne, und man erzählt nur, dass er blies. Rainer Maria Rilke, 1.10.1899, Berlin-Schmargendorf Music: Jerome Chau…
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Rainer Maria Rilke ~ Du bist so groß
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"Wenn wir uns mitten im Leben meinen, wagt er zu weinen mitten in uns."R.M.R. Du bist so groß Du bist so groß, dass ich schon nicht mehr bin, wenn ich mich nur in deine Nähe stelle. Du bist so dunkel; meine kleine Helle an deinem Saum hat keinen Sinn. Dein Wille geht wie eine Welle und jeder Tag ertrinkt darin. Nur meine Sehnsucht ragt dir bis ans Kinn und steht vor dir wie aller Engel größter: ein fremder, bleicher und noch unerlöster, und hält dir seine Flügel hin. Er will nicht mehr den uferlosen Flug, an dem die Monde blass vorüberschwammen, und von den Welten weiß er längst genug. …
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Erich Mühsam ~ Ich bin ein Pilger
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"Warum ich Welt und Menschheit nicht verfluche? Weil ich den Menschen spüre, den ich suche."E.M. Ich bin ein Pilger, der sein Ziel nicht kennt Ich bin ein Pilger, der sein Ziel nicht kennt; Der Feuer sieht und weiß nicht, wo es brennt; Vor dem die Welt in fremde Sonnen rennt. Ich bin ein Träumer, den ein Lichtschein narrt; Der in dem Sonnenstrahl nach Golde scharrt; Der das Erwachen flieht, auf das er harrt. Ich bin ein Stern, der seinen Gott erhellt; Der seinen Glanz in dunkle Seelen stellt; Der einst in fahle Ewigkeiten fällt. Ich bin ein Wasser, das nie mündend fließt; Das tauentströmt in Wolken sich ergießt; Das küßt un…
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Charles Baudelaire ~ „An eine, die vorüberging“
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Der Straßenlärm betäubend zu mir drang. In großer Trauer, schlank, von Schmerz gestrafft, Schritt eine Frau vorbei, die mit der Hand gerafft Den Saum des Kleides hob, der glockig schwang; Anmutig, wie gemeißelt war das Bein. Und ich, erstarrt, wie außer mich gebracht, Vom Himmel ihrer Augen, wo ein Sturm erwacht, Sog Süße, die betört, und Lust, die tötet, ein. Ein Blitz … dann Nacht! – Du Schöne, mir verloren, Durch deren Blick ich jählings neu geboren, Werd in der Ewigkeit ich dich erst wiedersehn? Woanders, weit von hier! zu spät! soll's nie geschehn? Dein Ziel ist mir und dir das meine unbekannt, Dich hätte ich ge…
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Charles Baudelaire ~ Der Albatros
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Oft fangen die Matrosen, um sich zu vergnügen, Den mächtigen Meeresvogel ein, den Albatros; Den Schiffen, die den bittern Abgrund überfliegen, Folgt er in gleichgemut der Fahrt geselltem Troß. Kaum aber ist er hingezwungen auf die Planken, Läßt dieser König des Azur in seiner Scham Die großen weißen Flügel kläglich an den Flanken Wie Ruder niederhängen, ungeschickt und lahm. Wie linkisch er sich hinschleppt in der Flügel Steife! Er, sonst so schön, wie ist er häßlich in der Schmach! Den Schnabel neckt ihm einer mit der Stummelpfeife, Ein andrer, hinkend, äfft den Flug des Krüppels nach! Des D…
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Selma Merbaum ~ Poem - (1941)
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„Und hast du auch noch tausend Sterne in der Hand - sie kann noch zehnmal tausend tragen.” S.M. Poem Die Bäume sind von weichem Lichte übergossen, im Winde zitternd glitzert jedes Blatt. Der Himmel, seidig-blau und glatt, ist wie ein Tropfen Tau vom Morgenwind vergossen. Die Tannen sind in sanfte Röte eingeschlossen und beugen sich vor seiner Majestät, dem Wind. Hinter den Pappeln blickt der Mond aufs Kind, das ihm den Gruß schon zugelächelt hat. Im Winde sind die Büsche wunderbar: bald sind sie Silber und bald leuchtend grün und bald wie Mondschein auf lichtblondem Haar und dann, als würden sie aufs neue blühn. …
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Selma Merbaum ~ Lied
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Lied Nimm hin mein Lied - Es ist nicht froh, Der Regen weint und weint. Und wer ihn sieht Weiß sowieso, Wie es das Glück gemeint. Es ist vorbei Die helle Zeit, Die Lachen uns gelehrt. Sie ging entzwei, Zwiespalt gedeiht - Wenn auch die Welt sich wehrt. Kehrt sie zurück? Ich weiß es nicht. Vielleicht weiß es der Wind. Er kennt das Glück, Wenn's nicht zerbricht, So sagt er's uns geschwind. Doch sieh, der Wind Verbirgt sich doch - Er ist ja gar nicht da. Ganz wie ein Kind, So glaubt er noch: Nur er weiß, was geschah. Nimm hin mein Lied. Vielleicht bringt es das Lachen einst zurück. Und wer es liest, Der…
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Max Hayek ~ Der Gefangene
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Der Gefangene Nicht hinter Stäben saß der, den ich meine: Er ging so frei wie ihr im Sonnenscheine Und sah die Wolken so wie ihr im Blauen - Hinschweben und erfreute sich am Schauen! Die Blumen und die Farben und die Sterne Die hatt' er, wie nicht jeder von euch, gerne, Und wußte auch dem Leide zu begegnen Und blinde Torheit einsichtsvoll zu segnen. Das war es nicht: er fand, es wär' die Erde. Max Hayek (1914) Music: Olegg Kyrylkovv Bild/Rezitation: Uschi Rischanek Hayek Der Gefangene MelancholicOlegKyrylkovv.mp4
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Selma Merbaum ~ Müdes Lied
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Müdes Lied Ich möchte schlafen, denn ich bin so müd, und so müd und wund ist mein Glück. Ich bin so allein - selbst mein liebstes Lied ist fort und will nicht mehr zurück. Schlaf ich einmal, so träume ich auch, und Träume sind so wunderschön. Sie zaubern einen lächelnden Hauch auch übers schwerste Geschehn. Träume tragen Vergessen mit sich und schillernden bunten Tand. Wer weiß es - vielleicht auch bannen sie mich für ewig in ihr Land. Selma Merbaum 23.12.1941 Music: Verbovets Bild: AhmedDemir Rezitation: Uschi Rischanek Merbaum Müdes Lied ottonweed_Verbovets.mp4
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Selma Merbaum ~ Lied der Freude (11.02.1941)
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Selma Merbaum 15.2.1924 - 16.12.1942 Lied der Freude Liegt das Eis so schwer und weiß und es hindert jede Regung. Ist der Fluß so still - ohne Bewegung, möchte doch gern schäumen, wild und heiß. Und es können keine Wellen rauschen, können nicht dem Lied des Winters lauschen, schlafen, eingekrümmt in tiefem Kummer, einen bösen, schweren Winterschlummer. Müde hängt die Sonne in der grauen Luft, weiß und müde liegt der Schnee. Alles tot und müd und ohne Duft, und es weint ein eingeschneiter Baum vor Weh. Zerrt der Fluß an seinen Fesseln, will kein Eis, bäumt sich auf, verzweifelt, wild und heiß, schäumte gerne noch verrückt ins…
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Und doch, obwohl ein jeder von sich strebt wie aus dem Kerker, der ihn hasst und hält, - es ist ein großes Wunder in der Welt: ich fühle: alles Leben wird gelebt. Wer lebt es denn? Sind das die Dinge, die wie eine ungespielte Melodie im Abend wie in einer Harfe stehn? Sind das die Winde, die von Wassern wehn, sind das die Zweige, die sich Zeichen geben, sind das die Blumen, die die Düfte weben, sind das die langen alternden Alleen? Sind das die warmen Tiere, welche gehn, sind das die Vögel, die sich fremd erheben? Wer lebt es denn? Lebst du es, Gott, - das Leben? Rainer Maria Rilke, 19.9.1901, Westerwede Music: Calvin Clavier …
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Edgar Allan Poe ~ An Eine im Paradies
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Du warst für mich all dieses, Lieb, Was Seele füllt und Sein, Warst Inselgrün im Meere, Lieb, Springbrunn und Altarstein Voll Frucht- und Blumenwunder, Lieb, Und all das Blühn war mein! O Traum, dem Sterben kam! O Sternenhoffen, dessen Licht Sturmwolke mir benahm! Ein Rufen aus der Zukunft spricht: “Voran! Voran!” – Doch Gram Um das, was war, nimmt Zuversicht, Macht müd und flügellahm. Denn weh! des Lebens warmer Glanz Erstrahlt für mich nicht mehr! Die Woge raunt im Brandungstanz Zum Sand: nie mehr – nie mehr Wird wundgeschossne Schwinge ganz, Dürr bleibt der Baum und blätterleer, Dem jäh ein Blitz zerschlug den Kranz. …
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Edgar Allan Poe ~ Träume
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Oh, wär mein junges Leben doch ein Traum. Und würd auch mein Geist nicht wach bis das der Strahl der Ewigkeit den Morgen brächte. Obwohl der Traum von schlimmen Kummer war, er war doch besser als die Wirklichkeit des wachen Lebens für den, dessen Herz gleich von Geburt an auf der Erde sein muss – Ein Chaos aus der tiefsten Leidenschaft. Doch sollte es so sein, der Traum geht ewig; wie Träume in der Kindheit zu mir waren; sollte es so sein, es wäre Narrheit noch auf eine höhere Macht zu hoffen. Denn als die Sonne hell im Sommer schien, hab ich von Licht und Lieblichkeit geträumt. Doch hab ich mein Herz verloren in einem Land der Phantasie, getrennt von meinem Heim, un…
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Edgar Allan Poe ~ Ein Traum im Traume
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Ein Traum im Traume Auf die Stirn nimm diesen Kuß! Und da ich nun scheiden muß, Laß mich dir gestehn zum Schluß: Die ihr wähntet, daß ein Traum Meine Tage, irrtet kaum. Wenn die Hoffnung sich zerschlug - Wann und wo sie auch entflohn, Ob bei Nacht im Schattenflug, Ob am Tage, als Vision - War sie darum weniger Trug? Was sich uns erfüllt, was nicht, Ist im Traum ein Traumgesicht. Wo die Welle, weiß von Gischt, Um den Brandungsfelsen zischt, Steh ich, und vom goldnen Sand Halt ich Körner in der Hand. Wenige! Doch selbst diese, ach! Gleiten in die Flut gemach, …
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Selma Merbaum ~ Träume (1941)
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Träume Es sind meine Nächte durchflochten von Träumen, die süß sind wie junger Wein. Ich träume, es fallen die Blüten von Bäumen und hüllen und decken mich ein. Und alle diese Blüten, sie werden zu Küssen, die heiß sind wie roter Wein und traurig wie Falter, die wissen: sie müssen verlöschen im sterbenden Schein. Es sind meine Nächte durchflochten von Träumen, die schwer sind wie müder Sand. Ich träume, es fallen von sterbenden Bäumen die Blätter in meine Hand. Und alle diese Blätter, sie werden zu Händen, die zärteln wie rollender Sand und müd sind wie Falter, die wissen: sie enden noch eh' sie ein Sonnenstrahl fand. …
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Erich Mühsam ~ An dem kleinen Himmel meiner Liebe
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An dem kleinen Himmel meiner Liebe will - mich dünkt - ein neuer Stern erscheinen. Werden nun die andern Sterne weinen an dem kleinen Himmel meiner Liebe? Freut euch, meine Sterne, leuchtet heller! Strahlend steht am Himmel, unverrücklich eures jeden Glanz und macht mich glücklich. Freut euch, meine Sterne, leuchtet heller! Kommt ein neuer Stern in eure Mitte, sollt ihr ihn das rechte Leuchten lehren. Junge Glut wird euer Licht vermehren, kommt ein neuer Stern in eure Mitte. An dem kleinen Himmel meiner Liebe ist ein Funkeln, Glitzern, Leuchten, Sprühen. Denn ein neuer Stern beginnt…
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Denn sieh: sie werden leben und sich mehren und nicht bezwungen werden von der Zeit, und werden wachsen wie des Waldes Beeren den Boden bergend unter Süßigkeit. Denn selig sind, die niemals sich entfernten und still im Regen standen ohne Dach; zu ihnen werden kommen alle Ernten, und ihre Frucht wird voll sein tausendfach. Sie werden dauern über jedes Ende und über Reiche, deren Sinn verrinnt, und werden sich wie ausgeruhte Hände erheben, wenn die Hände aller Stände und aller Völker müde sind. Rainer Maria Rilke, 19.4.1903, Viareggio aus: 'Das Buch von der Armut und vom Tode' Music: Aleksey Chistilin Rezitation: Uschi R…
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Anna Ritter ~ Das hat die Sommernacht gethan
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Das hat die Sommernacht gethan Die Nacht ist keines Menschen Freund - Was flüsterst du von Treue? Der Mond verblaßt, der Morgen graut ... Am Bette sitzt die Reue. Die Reue ist ein häßlich Weib Und möcht' mich wohl verderben - Reiß mir das Herz nicht aus dem Leib, Ich will ja noch nicht sterben. Mein Blut ist heiß, dein Mund so süß ... O Gott, wie kannst du küssen! Das hat die Sommernacht gethan, Daß wir versinken müssen. Anna Ritter (1865- 1921) Bild: Carolynda Macdonald Music: Oleksii Kalyna Rezitation: Uschi Rischanek Ritter Das hat regretOleksii_Kalyna.mp4
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Rainer Maria Rilke ~ Die Kathedrale ⛪
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In jenen kleinen Städten, wo herum die alten Häuser wie ein Jahrmarkt hocken, der sie bemerkt hat plötzlich und, erschrocken. die Buden zumacht und, ganz zu und stumm, die Schreier still, die Trommeln angehalten, zu ihr hinaufhorcht aufgeregten Ohrs -: dieweil sie ruhig immer in dem alten Faltenmantel ihrer Contreforts dasteht und von den Häusern gar nicht weiß: in jenen kleinen Städten kannst du sehn, wie sehr entwachsen ihrem Umgangskreis die Kathedralen waren. Ihr Erstehn ging über alles fort, so wie den Blick des eignen Lebens viel zu große Nähe fortwährend übersteigt, und als geschähe nichts anderes; als wäre Das Geschick, was si…
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Max Hayek ~ Merkspruch
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Merkspruch ... Was du im Leben Gutes getan, Das sieht der Himmel nicht sonderlich an: Das Gute hat er in dich gelegt, Wie das Herz, das dir im Leibe schlägt! Die Blume blüht - sie vermag nichts dagegen, Ihre Blühkraft hat ja im Samen gelegen! Das Licht muss leuchten - es ist sein Wesen, Dazu wards von Gott ja auserlesen! Drum: wenn du etwas Gutes getan, Das sieht der Himmel nicht sonderlich an. - Du hast nur, wie die Blume geblüht Und ein wenig Licht aus dir geglüht! Doch wenn du dem Übel widerstanden, Wenn du den Feind in dir bezwungen, Den Verführungsteufel niedergerungen Und die Liebe gelöst hast aus ihren …
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Du musst das Leben nicht verstehen, dann wird es werden wie ein Fest. Und lass dir jeden Tag geschehen so wie ein Kind im Weitergehen von jedem Wehen sich viele Blüten schenken lässt. Sie aufzusammeln und zu sparen, das kommt dem Kind nicht in den Sinn. Es löst sie leise aus den Haaren, drin sie so gern gefangen waren, und hält den lieben jungen Jahren nach neuen seine Hände hin. Rainer Maria Rilke (* 1875-12-04, † 1926-12-29) 8.1.1898, Berlin-Wilmersdorf Music: CalvinClavier Bild: Sarah Paxton Ball Dodson 1891 Rezitation: Uschi Rischanek Rilke Du musst beautifulCalvinClavi…
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Erich Mühsam ~ Als ich dich fragte...
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Als ich dich fragte.. Als ich dich fragte: Darf ich Sie beschützen? Da sagtest du: Mein Herr, Sie sind trivial. Als ich dich fragte: Kann ich ihnen nützen? Da sagtest du: Vielleicht ein andres Mal. Als ich dich bat: Ein Kuß, mein Kind, zum Lohne! Da sagtest du: Mein Gott, was ist ein Kuß? Als ich befahl: Komm mit mir, wo ich wohne! - Da sagtest du: Na, endlich ein Entschluß! Erich Kurt Mühsam (* 1878-04-06, † 1934-07-10) music: HDStudio rezitation: Uschi Rischanek Mühsam Als ich dich fragte lovein_HDstudio.mp4
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Erich Mühsam ~ Meine Seele
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Meine Seele ist so fremd allem, was als Welt sich preist, allem, was das Leben heißt. Meine Seele ist so rein – keine Scham ist ihr zu eigen. – Nackend steht sie, ohne Hemd abseits eurem Lebensreigen. – Darum nennt ihr sie gemein. Meine Seele weiß es kaum, daß ihr schmähend sie verflucht; – sie tut keiner andern wehe; – ihren fernen, fremden Traum stört nicht einmal eure Nähe! – – Meine Seele sucht. – Sie sucht. Erich Kurt Mühsam Music: MusicLFiles Bild/Rezitation: Uschi Rischanek Mühsam Meine Seele calmMusicLFiles.mp4
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Selma Merbaum ~ Abend - (1941)
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"Und alle Vögel horchen wie im Rausche – man hört nur Duft." S.M. Der Himmel ist vom hellsten Blau und weiße Wolken lächeln mit ihm. Und schlanke Bäume, dunkel oder grün, sehen dich an und sagen lautlos: schau! Alles ist eingehüllt in weiche Luft, die still ist, so als ob sie einem Märchen lausche. Und alle Vögel horchen wie im Rausche - man hört nur Duft. Die weißen Wolken blinken wie der Schnee, der auf Vergissmeinnicht gefallen ist. Und ganz so blau liegt auch das weiche Weh, das sich über die Bäume gießt. Und - sind die Bäume dunkel oder grün? Sie wissen es wohl selber nicht genau. In einem Fenster zittert…
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Henry van Dyke ~ Die Zeit
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"Takt ist der ungesagte Teil dessen, was man denkt." H.v.D. Die Zeit ist zu langsam für die, die warten. Zu schnell für die, die sich fürchten. Zu lang für die, die trauern, zu kurz für die, die frohlocken, aber für die, die lieben, bedeutet Zeit Ewigkeit. Was das Leben auch bringt, ich werde an deiner Seite sein. - Henry van Dyke - (November 10, 1852 – April 10, 1933) US-amerikanischer Geistlicher und Schriftsteller Botschafter der Vereinigten Staaten in den Niederlanden Music: Calvin Clavier Bild/Rezitation: Uschi Rischanek Van Dyke Die Zeit passacagliaCalvinClavier.mp4
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"Der wahrhaft Tapfere fürchtet kein Urteil, es sei denn das des eigenen Gewissens." E.M. Ich wollt das Lied des Herzens nicht verschweigen. Ich wollt es jubelnd zu den Menschen schmettern, die bleich am Baume der Erkenntnis klettern, das Glück vermutend in den kahlen Zweigen. Ich wollt sie rufen zu den breiten Küsten, an die des Meeres Wellen silbern schlagen. Ich wollt sie lehren leichte Schultern tragen und freien Sinn in übermüt′gen Brüsten. Ich stoß ins Horn. Noch einmal. - Doch ich staune: die Menschen lachen, die ich wecken wollte, als ob ein Misston in die Lüfte rollte. - Es muss ein Sandkorn sein in der Posaune. …
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Rainer Maria Rilke - Ich will Du sein
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Ich will Du sein Ich will leise Träume träumen Und mit ihrem Glanz wie mit Ranken meine Stube schmücken zum Empfang Ich will den Segen Deiner Hände auf meinen Händen und meinem Haar in meine Nacht mitnehmen Ich will nicht zu den Menschen reden Damit ich den Nachklang Deiner Worte (der wie ein Schmelz über den meinen zittert und ihren Klang reich macht) Nicht verschwende und ich will nach der Abendsonne in kein Licht mehr sehen Um am Feuer Deiner Augen tausend leise Opfer zu entzünden... Ich will aufgehen in Dir Wie das Kindergebet im lauten jauchzenden Morgen Wie die Rakete bei den einsamsten Sternen Ich will Du sein Rainer Ma…
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Erich Mühsam ~ Mein Gefängnis
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Mein Gefängnis Auf dem Meere tanzt die Welle nach der Freiheit Windmusik. Raum zum Tanz hat meine Zelle siebzehn Meter im Kubik. Aus den blauen Himmeln zittert Sehnsucht, die die Herzen stillt. Meine Luke ist vergittert und ihr dickes Glas gerillt. Liebe tupft mit bleichen leisen Fingern an ein Bett ihr Mal. Meine Pforte ist aus Eisen, meine Pritsche hart und schmal. Tausend Rätsel, tausend Fragen machen manchen Menschen dumm. Ich hab eine nur zu tragen: Warum sitz ich hier? Warum? Hinterm Auge wohnt die Träne, und sie weint zu ihrer Zeit. Eing…
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Josef Weinheber ~ Die Hausfrau und das Mädchen 😊
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"Marie, ich bitt Sie auf den Knien, ziehn S' mir nicht so närrisch an die Jalousien, Sie reißen mir die Fensterstöck heraus! Und heute nachmittag, bleibn Sie zuhaus und putzen Messing. Schaun S' die Schnallen an, wenn man nicht ständig hinterher sein kann, verdreckt das Haus. Skandal! Bei Herrn drin ist ein Chaos, der Papierkorb platzt vor Mist, der Lurch ist schon so dick, daß man ihn riecht, und von der Küche reden wir erst nicht. Papier und Fetzen müchteln in der Speis, das Schneidbrett pickt - wir kriegn am End noch Mäus! - und hundertmal schon hab ich Ihnen gsagt, daß man am Küchenherd ein Hauberl tragt, …
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Selma Merbaum ~ Sehnsuchtslied
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Leise schlägst in deinem Lied du einen Ton an - und dir ist, als fehlte noch etwas. Und du suchst verwirrt bei allen Tönen, ob sie dir nicht sagen können, wo’s zu finden, wo und wie und wann… Doch der eine ist zu blass und zu lüstern ist der zweite und der dritte ist so voll mit Weite - viel zu voll. Du suchst lange - Moll und Dur und Moll werden lebend unter deinen Händen. Und dann schlägst du plötzlich eine Taste an, und - es kommt kein Ton. Und das Schweigen ist dir wie ein dumpfer Hohn, denn du weißt es plötzlich ganz genau: Dieser fehlt dir. Wenn ihn deine Hände fänden, fiele ab von deinem Lied der Bann, wär’ das Ende nicht…
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Rainer Maria Rilke - Der Schauende
| erstellt von Uschi Rischanek- 2 Follower
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Ich sehe den Bäumen die Stürme an, die aus laugewordenen Tagen an meine ängstlichen Fenster schlagen, und höre die Fernen Dinge sagen, die ich nicht ohne Freund ertragen, nicht ohne Schwester lieben kann. Da geht der Sturm, ein Umgestalter, geht durch den Wald und durch die Zeit, und alles ist wie ohne Alter: die Landschaft, wie ein Vers im Psalter, ist Ernst und Wucht und Ewigkeit. Wie ist das klein, womit wir ringen, was mit uns ringt, wie ist das groß; ließen wir, ähnlicher den Dingen, uns so vom großen Sturm bezwingen, - wir würden weit und namenlos. Was wir besiegen, ist das Kleine, und der Erfolg selbst macht uns klein. D…
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Josef Weinheber ~ Der Traum
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Du siehst mich manchmal an, als hätt ich schuld. Ich habe von deiner Huld nicht einen Hauch vertan. Ich lebe ja vom Traum dass du mich liebst. Traum wird zum grauen Raum, wenn du dich gibst. Bleib immer, wo du stehst. Du stehst so fern. Du nahst mir und vergehst: Bleib ferne, Stern! Ich will dich anders und: inniger als du mich. Verwehr mir deinen Mund: Ich liebe dich! Music: Oleggio Kyrylkoww Bild/Rezitation: Uschi Rischanek Weinheber Der Traum lastgoddbayOleggio_Kyrylkoww.mp4
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Selma Merbaum ~ Ja (Klassik neu gefasst)
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Du bist so weit. So weit wie ein Stern, den ich zu fassen geglaubt. Und doch bist du nah – nur ein wenig verstaubt wie vergangene Zeit. Ja. Du bist so groß. So groß wie der Schatten von jenem Baum. Und doch bist du da – nur blaß wie ein Traum in meinem Schoß. Ja. 6.VII.1941 Music: Calvin Clavier Bild: Sami Carnine Rezitation: Uschi Rischanek Merbaum_Ja_midnightCalvinClavier.mp4
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Selma Merbaum ~ Stille
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Im Zimmer schwebt die Stille und die Wärme, ganz wie ein Vogel in durchglühter Luft, und auf dem schwarzen kleinen Tische liegt still das Deckchen, dünn und zart wie Duft. Das Glas mit klarem Wasser, wie ein Traum, wacht, daß das Glöckchen neben ihm nicht lärme, und wartet scheinbar auf die kleinen Fische. Die rote Nelke dämmert in den Raum, als wäre sie dort Königin. Die ganze Stille scheint für sie zu sein, und nur die Flasche mit dem süßen Wein blinkt still und wie befehlend zu ihr hin. Sie aber schwebt auf ihrem grünen Stengel, dünn wie im Kindertraum das Kleid der Engel, und ihr betäubend süßer Duft lullt ein, als wollt' er aus dem Mä…
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Max Hayek ~ Der Film des Lebens
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Hör', was geheime Wissenschaft verkündet: In jenem allerletzten Augenblick, Wo sich dein Geistiges vom Körper trennt Und in das Ätherreich des Ewigen mündet. Wo es den Schmerz der Zeit nicht kennt — In jenem allerletzten Augenblick Rollt sich dir magisch mit Sekundenschnelle, Volldeutlich bildhaft und in Farbenhelle Noch einmal ab dein irdisches Geschick! Du siehst auf Mutter und Geburt zurück Und siehst in langer, wechselvoller Reihe, Seltsam umschauert von der letzten Weihe, All das, was dir vergönnt war, durchzuleben! Du siehst Geschehenes vorüberschweben, Liebe und Haß, Gewalt'ges und Gemeines, Glück, Unglück, Sieg und…
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Selma Merbaum ~ Du, weißt du...
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Du, weißt du, wie ein Rabe schreit? Und wie die Nacht, erschrocken bleich, nicht weiß, wohin zu fliehn? Wie sie verängstigt nicht mehr weiß: Ist es ihr Reich, ist es nicht ihr Reich, gehört sie dem Wind oder er ihr, und sind die Wölfe mit ihrer Gier nicht zum Zerreißen bereit? Du, weißt du, wie der Wind schrill heult und wie der Wald, erschrocken bleich, nicht weiß, wohin zu fliehn? Wie er verängstigt nicht mehr weiß: Ist es sein Reich, ist es nicht sein Reich, gehört er dem Regen oder der Nacht und ist der Tod, der schauerlich lacht, nicht sein allerhöchster Herr? Du, weißt du, wie der Regen weint? Und wie ich geh', e…
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Erich Mühsam ~ Wie ich dich liebe...
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Wie ich dich liebe! Denn ich liebe alle dunkeln Fragen, die die Wahrheit hinterm Auge tragen, - und die Worte lieb ich, die verschwiegen auf dem Grunde einer Lüge liegen. - Sag' mir nichts! - Ich will aus deinem Wesen tief heraus mir jedes Goldkorn lesen; - aus dem Schimmer der Verschwiegenheiten will ich deiner Seele Bild bereiten; und es soll in meinem Herzen stehn, hauchlos rein - und nur für dich zu sehn. Erich Mühsam (1878-1934) Music: Oleg Kyrylkovv Rezitation: Uschi Rischanek Mühsam Wie ich dich liebe classicalOleg_Kyrylkow.mp4
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Johann Wolfgang von Goethe - Mailied (1771) 1 2
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Wie herrlich leuchtet Mir die Natur! Wie glänzt die Sonne! Wie lacht die Flur! Es dringen Blüten Aus jedem Zweig Und tausend Stimmen Aus dem Gesträuch Und Freud' und Wonne Aus jeder Brust. O Erd', o Sonne! O Glück, o Lust! O Lieb', o Liebe! So golden schön, Wie Morgenwolken Auf jenen Höhn! Du segnest herrlich Das frische Feld, Im Blütendampfe Die volle Welt. O Mädchen, Mädchen, Wie lieb' ich dich! Wie blickt dein Auge! Wie liebst du mich! So liebt die Lerche Gesang und Luft, Und Morgenblumen Den Himmelsduft, Wie ich dich liebe Mit warmem Blut, …
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Max Hayek ~ Der Weg
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Eh' ich in dieses Leben trat, Wies mir ein Engel jegliches Geschehen: Er ließ mich alle meine Wunden sehen Und alle meine Missetat, Er ließ mich alle meine Sünden wissen Und alles Leiden, das ich tragen müsste, Die liebeleere, hassdurchtobte Wüste, Die Stundenzahl voll Schmerz und Finsternissen — Auch wies er mir die trunknen Seligkeiten Die ich, gleich einem Gott, durchfühlen würde, Das Äthersein, darin ich ohne Bürde Im Lichte schwebte über Dunkelheiten, Ließ er verheißend durch das Herz mir rinnen. — Der Liebe ungemessne Wonnen Erschauernd bebten alle meine Sinnen Und mich umstrahlten tausend Himmelssonnen! Und als er…
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Rainer Maria Rilke ~ Der Einsame
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Der Einsame Wie einer, der auf fremden Meeren fuhr, so bin ich bei den ewig Einheimischen; die vollen Tage stehn auf ihren Tischen, mir aber ist die Ferne voll Figur. In mein Gesicht reicht eine Welt herein, die vielleicht unbewohnt ist wie ein Mond, sie aber lassen kein Gefühl allein, und alle ihre Worte sind bewohnt. Die Dinge, die ich weither mit mir nahm, sehn selten aus, gehalten an das Ihre -: in ihrer großen Heimat sind sie Tiere, hier halten sie den Atem an vor Scham. Rainer Maria Rilke - Mitte August 1907, Paris Aus: Das Buch der Bilder Music: Denis Pavlov Bild: Alexander Von Humboldt (1758 - 1828) Rezitation: U…
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'Das Gedicht „Das Leben, das ich selbst gewählt“ stammt aus der Feder von Max Hayek und nicht von Hermann Hesse.' Ehe ich in dieses Erdenleben kam, ward mir gezeigt, wie ich es leben würde: Da war die Kümmernis, da war der Gram, da war das Elend und die Leidensbürde, da war das Laster, das mich packen sollte, da war der Irrtum der gefangen nahm, da war der schnelle Zorn, in dem ich grollte, da waren der Hass und Hochmut, Stolz und Scham. Doch da waren auch die Freuden jener Tage, die voller Licht und schöner Träume sind, wo Klage nicht mehr ist und nicht mehr Plage, und überall der Quell der Gaben rinnt. …
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Aus einem Brief von Rainer Maria Rilke an Helmuth Westhoff 1901 Die meisten Menschen wissen gar nicht, wie schön die Welt ist und wie viel Pracht in den kleinsten Dingen, in irgendeiner Blume, einem Stein, einer Baumrinde oder einem Birkenblatt sich offenbart. Die erwachsenen Menschen, die Geschäfte und Sorgen haben und sich mit lauter Kleinigkeiten quälen, verlieren allmählich ganz den Blick für diese Reichtümer, welche die Kinder, wenn sie aufmerksam und gut sind, bald bemerken und mit dem ganzen Herzen lieben. Und doch wäre es das Schönste, wenn alle Menschen in dieser Beziehung immer wie aufmerksame und gute Kinder bleiben wollten: einfältig und fromm im Gefühl –…
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LIEBE DIE STARB VOR DER ZEIT aus den Briefen zwischen Arthur Schnitzler und Olga Waissnix
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LIEBE DIE STARB VOR DER ZEIT Arthur Schnitzler und Olga Waissnix Ein Briefwechsel Anfang December 1886 Lieber Herr Doctor! Kennen Sie das Märchen vom Rübezahl & der Prinzessin? Der Berggeist raubte einst ein Königskind und um es zu zerstreuen, gab er ihm einen Zauberstab u. Ein Rübenfeld. Eine leise Berührung und jede Rübe wurde eine liebe Gespielin. Auch mir hatte ein gütiges Geschick solch einen Zauberstab beschert. Wie süß dufteten die Fichtenbäume in meinem Zimmern, wie weich kauerte ich in meiner Kaminecke umgauckelt von den Spukgestalten meines selbstgeschaffenen Reiches. - Aber nie zufrieden sehnt man sich hinaus aus der Märc…
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Erich Mühsam ~ Wollte nicht der Frühling kommen?
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Wollte nicht der Frühling kommen? Wollte nicht der Frühling kommen? War nicht schon die weiße Decke von dem Rasenplatz genommen gegenüber an der Ecke? Nebenan die schwarze Linde ließ sogar schon (sollt ich denken) von besonntem Märzenwinde kleine, grüne Knospen schwenken. In die Herzen kam ein Hoffen, in die Augen kam ein Flüstern - und man ließ den Mantel offen, und man blähte weit die Nüstern... Ja, es waren schöne Tage. Doch sie haben uns betrogen. Frost und Sturm und Schnupfenplage sind schon wieder eingezogen. Zugeknöpft bis an den Kiefer flieht der Mensch die Gottesfluren, wo ein gelblichwei…
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