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Mutter und Vater


Tabby

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Mutter

 

Die Nacht erblicke ich, pechschwarz und zügellos, all umschließend und kalt. Ich ziehe sie an,

mit all ihrer Finsternis, seit dem ich denken kann. Ich stehe am offenen Fenster unseres

Badezimmers, starre hinaus, bin jedoch bind um etwas zu sehen. Verloren in etwas in dem

ich mich nie gefunden hatte. Mich denen hingebend, die an mir zerren und ziehen, mich hinabzuziehen,

in ein Schwarz, dem Ihren so ähnlich. Einzig und allein das Licht der Zigarette, welches

sich zwischen meinen Fingern windet, erhellt einen minimalen Kreis, zu unbedeutend, um der Rede

wert zu sein, jedoch immer noch vorhanden. Licht, in einer solchen Finsternis....

Schritte, Schritte auf der Treppe! Noch bevor ich sie höre, weiß ich dass sie erklingen werden.

Hastig stopfe ich all jene Dinge in meinen Taschen, von denen ich es nicht ertragen könnte, sie jemals preiszugeben.

Verzweifelt bemühe ich mich, alles zu verstecken, doch meine Taschen sind übersättigt, erbrechen all jene Schandtaten

meines Lebens. Die Schritte auf der Treppe werden lauter, ich werfe die Zigarette aus dem Fenster, tief, tief in die

schwärzeste Nacht hinein. Panisch und Gott und die Welt verleumdend, stopfe und drücke ich all

jene Untaten in meine Taschen, jedoch, vergebens.

Die Schritte verstummen und mit ihnen mein vorgetäuschter Zorn. Die Tür öffnet sich. Natürlich ist sie es: Mutter.

Reiner, vollkommener Engel und harter, verschmähter Richter zugleich.

Stillschweigend stehen wir da, all die Grausamkeiten meines Lebens liegen zu ihren Füßen, da wo sie hingehören.

Ich kann der Reinheit nicht standhalten, die von ihr ausgeht, und da ich weder reden noch schweigen kann, sterbe ich.

 

Langsam, ganz langsam, öffne ich meine Augen. Ich liege auf dem Boden. Vor mir, ich kann es kaum ertragen, liegen

sie alle. All jene Dinge, die ich verbergen wollte. Ich schließe meine Augen, so fest ich kann, in der

Hoffnung ich könne sie zumindest vor mir selbst verbergen. Sie sind so widerwärtig abstoßend, ich kann dem nicht

standhalten.

Dann, spüre ich, wie etwas ganz sanft, als wäre es kaum zumutbar, mein Kinn anhebt.

Ich öffne meine Augen und bin geblendet. Mutter. Das pure Licht.

Ich kann den Blick nicht von ihr wenden. Langsam, ganz langsam hebt sie eines der Gräueltaten meines Daseins

vom Boden auf, dreht und wendet es in ihren Händen so makellos, und wirft es hinter sich ins gleißende Licht. Anfänglich, kann ich mich nicht von der Widerwärtigkeit meiner Fehler, die hier auf dem Boden verstreut sind lösen,

doch mit jedem der Schandtaten, die sie vom Boden aufhebt, und hinter sich wirft, fühle ich mich freier.

Immer schneller fliegen ihre Hände nach hinten, ich kann wieder atmen, immer schneller fliegen ihre Hände nach hinten,

ich kann sehen, immer schneller, bis ich mich finde in all dem.

Lächelnd, nachdem sie alle verschwunden sind, greift sie zwischen meine Finger, dehnt und streckt das Licht,

bis es mich ganz in sich einschießt. Ich lichte.

Selbst ich könnte die Nacht jetzt nicht mehr wieder erkennen.

Ah Mutter....

Sie ergreift meine Hand, umschließt den Kern meines Lichtes und hilft mir auf.

Lachend schreiten wir hinaus in die Finsternis, die uns beiden nun nichts mehr anhaben kann und ich richte meinen

Blick gen Himmel. Was ich sehe ist meine Zukunft, gemeißelt durch die Hand die ich vergöttere, in die Ewigkeit.

 

 

Vater

 

 

Immer da gewesen, selbst in den dunkelsten Stunden. Für immer.

 

 

Mein Vater ist wie das Meer. In Zeiten der Flut bäumt er sich auf, verschlingt alles, was unter ihm

begraben liegt. Man darf sich davon nicht beeindrucken lassen, sondern muss das Specktakel mit einem großzügig

bemessenem Abstand genießen.

Mein Vater flucht, wirft Gegenstände um sich und schreit mit Herz zerreißender Hingabe.

Wie eine riesige Welle, die sich ein ums andere Mal aufbäumt, tobt und wütet er, bis nichts mehr so ist wie es war.

Mich kann er damit jedoch nicht beeindrucken, denn ich weiß was auf die Flut folgt, und zwar unweigerlich:

Die Ebbe.

Mit der Ebbe zieht die Nachdenklichkeit und Vernunft in das Wesen meines Vaters ein.

Immer mehr zieht er sich in sein tiefstes Inneres zurück, immer weiter, bis ihm dicke Tränen über die

Wangen rollen.

Reue.

Stoppelige Wangen, die ich als Kind und selbst heute noch wund küsste.

Dort, tief in seinem Inneren, wo ich in ihm wohne, kann er es nicht verleugnen.

Mein Dasein.

Er ist es dann: Mein Vater.

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