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Peripherie des Krieges - Oder die Befreiung der Yarra L. (1)


Yue

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Sura erwachte unbequem, auf einem Stuhl, in irgendeinem Raum.

Irgendwo und irgendwann.

 

Der Kopf pochte dumpf, wahrscheinlich von der Droge die sie ihr gegeben hatten.

Ihre Eintrittskarte hier her.

Das begriff sie jetzt, als sich der Nebel zu lichten begann, der ihrem Verstand die Sicht versperrt hatte.

Ein halbdunkler karger Raum in dem es nichts gab außer dem Tisch auf dem sie bis eben scheinbar gelegen hatte und einige Kerzenständer, die ein ärmlich warmes Flackerlicht an den unverputzten Wänden tanzen ließen.

 

Ein Ort der nichts spezielles erzählte, also genau jenen Zweck erfüllte, der ihm angedacht war.

Wieder griff dieses kurze Schwindelgefühl sich Raum, ein verklärender Nachhall der Substanz, die immer noch durch ihre Blutbahn rauschte und die Oberhand zu gewinnen versuchte. Im nächsten Moment bemerkte sie die Frau, die ihr gegenüber Platz genommen hatte.

Ob sie schon die ganze Zeit bei ihr gesessen hatte, oder was "die ganze Zeit" überhaupt bedeutete, ließ sich nicht mehr klären.

Aber welche Rolle spiele das noch? Scheinbar hatte man ihr Ersuchen gehört und nun würde es beantwortetet werden.

Auf welche Weise auch immer.

 

 

Sura konzentrierte sich auf die Frau.

Alt war sie, so viel ließ sich erkennen. Das Gesicht war zerfurcht und von unzähligen Falten durchzogen.

Die gesamte Kartographie eines langen Lebens, voller Entbehrungen, Kummer und Tod zeichnete sich darauf ab.

Viel mehr gab die derbe Kutte nicht Preis, die ihren Körper umhüllte und ihm so jegliche Form nahm.

Die große Kapuze rahmte das verlebte Gesicht ein und schien es in ständigem Schatten zu halten.

Nur die Augen waren...

Oh, diese Augen!

Sie war es! Ganz sicher!

 

Jeder kannte die Gerüchte und die Geschichten.

Die von Freiheit, Widerstand, sowie Mut sprachen und die die Menschen nur hinter vorgehaltener Hand weitergaben.

Ein Wispern bloß, gleich einer leisen Ahnung in dunklen Ecken.

Einzig für jene bestimmt, denen man genug vertrauen konnte.

Von der Art welche man ansonsten nur vorsichtig denken durfte und die einen beflügelten. Sehnsüchtige Befruchtung, der Gedankenwelt.

Und kurzes Entfliehen der grausamen Realität.

Hoffnung lag in ihnen.

 

Doch es gab auch die anderen Erzählungen.

Die verdrehte Version der Diebe und Brandschatzer.

Jener Plünderer, Vergewaltiger und Mörder, die man jetzt Regierung nennen musste.

Von Terrorismus war die Rede, von Volksfeinden und Verbrechern.

Es waren die Geschichten, die man in der Schule aufsagte, oder bei den Leuten erzählte, bei denen man sich nicht sicher war.

So lernte es bereits jedes Kind, denn schon ein kleiner Fehler konnte schlimme Folgen nach sich ziehen.

Verhaftungen, Befragungen und Verhöre.

Oft der ganzen Familie, oder auch Freunde und Bekannte manchmal.

Gefängnisse, Lagerhaft... Tod. Kaum jemand kehrte zurück und die die es taten waren...

Verloren.

 

Es gab viele Denunzianten, Nutznießer und jede Menge Mitläufer.

Wirklich überzeugt waren nur wenige, aber es reichte schon aus, an die Sorte Mensch zu geraten, die sich den Weisungen der Propaganda ergaben, oder resigniert hatten und sich im Schatten des Unrechts bequem eingerichtet.

Um nicht aufzufallen, oder zu gefallen, wegen der kleinen Vorteile und Annehmlichkeiten, die sie boten.

Durch dieses perfide einfache System hatten sie die Kontrolle.

Bestrafe eine Gruppe, erziehe alle anderen.

 

Suras Herz machte einen Satz.

Sie war es wirklich. Das hieß, es gab vielleicht Hoffnung.

Es musste welche geben, wenn sie es bis hier her geschafft hatte.

Das bedeutete etwas, da war sie sicher!

Die Frau, auf die sie all ihre verbliebenen Träume projiziert hatte und um die sie gebetet hatte, sie möge nicht nur ein Gerücht sein, saß ihr direkt gegenüber.

 

Sie wurde eingehend betrachtet, forschend fast.

Aus Augen von einem blassen Blau. Wie zwei Eissplitter ragten sie aus dem Schatten der Kapuze.

Ausgewaschen so schien es ihr, als wären sie bereits am verlöschen und hätten schon ein vielfaches der einstigen Strahlkraft verloren.

Aber immer noch lebendig, loderte ein Funken darin, der von besseren Zeiten erzählte. Und von schlimmeren.

Kein Zweifel mehr, wer sie da musterte. Sie hatte sie gefunden.

Die Mutter der Engel.

 

Sura war unsicher was nun folgen würde.

Der Moment begann sich bereits zu ziehen, die Stille wurde langsam greifbar, als die Frau das Schweigen brach und das bereits einsetzende nervöse Rutschen, beendete.

Mit überraschend melodischer und tiefer Stimme sagte sie, man habe sie gefunden.

Der Preis würde hoch sein, für alle von uns, ob ihr das bewusst sei.

Ob sie bereit wäre, ihn zu zahlen.

Eine schreckliche Frage, über die sie bereits schemenhaft nachgedacht hatte.

Nur nicht in letzter Konsequenz, wie ihr nun aufging.

 

Soldaten würden sterben, auf beiden Seiten, dass hatte sie von Anfang an einkalkuliert.

Auch das es dabei nicht bleiben würde. Dieses Regime würde es niemals hinnehmen und ungestraft lassen. Unbeantwortet.

Selbst kleine Vergehen wurden hart geahndet.

Aber ihre Autorität so dermaßen in Frage zu stellen, dass war etwas völlig anderes.

 

War es das wert? War sie das wert?

Verhaftungen in großer Zahl womöglich.

Verhöre auf den Straßen und in dunklen Gassen.

Und die schlimmere Sorte, in den finsteren Kellern, ohne Ausweg.

Verschärfungen der Kontrollen, neue Checkpoints und Rationierungen, Einschränkungen, mehr Verbote und Erlasse.

Schuldige mussten gefunden werden, Köpfe rollen.... Tote.

Und das alles für eine Person. Eine Entartete.

Yarra.

 

Würde man sie hassen? Einige sicherlich.

Die meisten würden es verstehen, oder nicht? Zumindest war es das was sie sich einzureden versuchte.

Lag in all der nachfolgenden Tragik nicht auch ein wenig Hoffnung?

Ein Beweis das sie nicht so übermächtig waren, wie sie sich gern gaben?

Und ein Zeichen sogar, welches davon kündete, dass jeder einzelne Mensch zählte.

Wie gern sie sich das einredete. Es war so leicht.

 

Sura verdrängte all die aufkeimenden Bilder, die guten wie die schlimmen.

Dann nickte sie ernst.

Die Alte verzog den Mund zu einem Anflug dessen, was man zweifellos als Lächeln deuten konnte.

Schließlich kam der alte Lederbeutel ins Spiel, der allen Besitz enthielt.

Alles was sie hatte anhäufen können und noch weit darüber hinaus.

Fluchtgeld. Abgespart von nichts und wieder nichts.

Geborgt, erbettelt und gestohlen sogar.

Es würde nicht reichen!

 

Sie schob ihn über den Tisch.

"Der Lohn... für die Soldaten..." von dem sie nur hoffen konnte, sie würden jemals dazu kommen, ihn auszugeben.

Eine verbeulte Silbermünze kullerte zwischen den abgegriffenen und kläglich wenigen Scheinen heraus.

Die alte Frau verfolgte ihren Weg stumm, mit ihren klaren, kalten Augen und fing sie dann, mit einer Geschicklichkeit, die man unmöglich erwartete, genau im richtigen Moment.

 

Sie drehte sie zwischen den Fingern und betrachtete sie, als wäre sie das faszinierendste was sie je gesehen hatte.

Wieder dieses Lächeln. Und ein Kopfschütteln.

„Keine Soldaten dieses Mal. Nicht hierfür“ sagte sie leise.

Sie löste den Blick und sah Sura direkt in die Augen.

Und sprach dann ein Wort, dessen kalte Endgültigkeit jedem Kind des Landes das Blut in den Adern gefrieren ließ.

„Engel“.

 

Mit ruhigen Fingern schob sie die vergilbten Scheine in das muffige Leder des Beutels zurück und reichte ihn über den Tisch, an Sura zurück.

Die Münze erschien wieder, wirbelte durch ihre Finger, in ihrem glänzenden Matt. Und all ihrer Wertlosigkeit.

Die alte Mutter nickte unbestimmt und Sura spürte einen Luftzug, direkt hinter sich.

Unbekannte Hände, aus dem Dunkel, die ein kleines Tablett vor ihr abstellten.

Ein Becher und eine Pille. Ihre Karte, für den Aufbruch.

Es war besiegelt.

 

Der Blick der alten Frau streifte sie noch einmal und blieb dann wissend an ihren Augen haften.

Wieder hob die tiefe Melodie der alten Stimme an, in ihrem seltsam klaren Singsang.

„Geh nach Hause Mädchen und warte dort. Pack zusammen was Du hast.Und sei bereit.“

Mit einsetzender Wirkung und bereits vernebelten Sinnen brach ihr letztes Wort sich Bahn. Nur noch ein Hauch, im beginnenden Nebel, der Droge.

„Morgen“

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