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Ich habe vor vielen Jahren mal eine Erzählung begonnen, ohne Plan, einfach nach dem Motto: Ich will sehen, wie weit ich komme. Ich kam auf 114 eng beschriebene Seiten in 25 Kapiteln und habe dann die Lust verloren. Dabei bin ich höchstens bei der Hälfte der Geschichte angekommen.

Es handelt sich um eine Fantasy-Geschichte über einen Typen, der sich in eine fremde, rätselhafte Welt begibt, in der er für jede Entscheidung, die er trifft ein Stück von seinem Fleisch verliert. Wenn er es nicht rechtzeitig schafft, einen Weg aus dieser Welt hinauszufinden, ist er dazu verdammt, als lebendes Skelett im "Labyrinth" umherzuirren. "Das Labyrinth" heisst auch die Erzählung, jedenfalls bis jetzt. Auf seinem Weg begegnet er einigen rätselhaften Gestalten und manchmal träumt er. Kapitel 5 handelt im Wesentlichen von einem dieser Träume:

 

Ich schlief wie ein Toter bis weit in den Tag hinein. Man sollte meinen, daß mich nichts hätte stören können, doch an zwei Episoden dieser Nacht erinnere ich mich noch.

 

Die eine muß sich ziemlich früh am Morgen abgespielt haben, denn als ich kurz die Augen öffnete, schien ein Hauch von dämmrigem Licht durch die Glasfenster der Kirche. Ein Geräusch hatte mich geweckt. Es knirschte und krachte etwas, wie wenn junges Holz arbeitet oder Dachgebälk einem heftigen Sturm widerstehen muß. Ich wurde fast richtig wach, als das Geräusch aber nach einigen Sekunden wieder aufhörte, war ich zu faul, der Sache nachzugehen. Ich konnte einfach noch nicht aufstehen, mein Körper war viel zu schwer.

 

Später, kurz bevor ich wirklich aufwachte, hatte ich dann einen Traum. Ich lief mit meinen Brüdern, den Wölfen, durch einen verschneiten Wald und über Felder, deren Schneeteppich im hellen Mondlicht aufgeregt glitzerte. Die Nacht unter dem klaren Himmel war bitterkalt, ich spürte es durch mein Fell, doch ich war ein Wolf, so bereitete mir die Kälte kein Unbehagen, denn ich war geschützt und innerlich warm. Warm vom Laufen, warm von der Jagd. Ich hatte mich eine zeitlang vom Rudel getrennt und ein unvorsichtiges Kaninchen gerissen, das in seinem Schrecken über mich einen Moment zu lange gezögert hatte, bevor es davonrannte. Ich schmeckte sein Blut noch in meinem Maul und seine Lebenskraft wärmte jetzt mich.

 

Ich war ein Wolf und die Welt erschien mir herrlich. Mein Körper war kraftvoll, schnell und ausdauernd, mein Fell schützte mich vor der Kälte, ich genoß es, die Bewegung meiner Muskeln im Lauf zu spüren. Die Jagd bereitete mir eine vollkommene Freude, der Geschmack des frischen, warmen Blutes auf meiner Zunge labte Körper und Seele. Die Weibchen sahen mich mit immer begehrlicheren Augen an. Bald würde ich die begehrenswerteste unter ihnen wählen können. Noch war ich nicht Leitwolf, doch nächstes Jahr um diese Zeit würde ich es sein.

 

Ich war mit mir und der Welt zufrieden und fühlte mich von meinem Schöpfer gesegnet. Hatte ER uns nicht geheißen zu jagen? Erfüllten wir, seine auserwählten Kämpfer, nicht seinen Plan, indem wir die Alten erlösten und die Schwachen tilgten? Mein Leben schien sicher und glanzvoll. Ich hatte das Gefühl, ich könnte über Bäume und Berge hinweg bis zum Mond springen, um dort das sagenhafte Kalb zu reißen. DerGedanke belustigte mich sehr.

 

Das Rudel hatte das letzte Feld überquert und war den Hang hinaufgelaufen, auf dessen kahler Kuppe wir in dieser Nacht den Vollmond begrüßen wollten. Während wir uns versammelten hingen die weißen Wolken unseres Atems vor unseren Fängen, unser aller Augen leuchteten und ich bereitete mich darauf vor unseren Gesang zu eröffnen. Gerade als ich mich mit vor freudiger Erregung zuckenden Flanken in den Schnee gesetzt hatte und meinen Kopf zu einem langgezogenen Heulen in die Höhe reckte knurrte Grauschweif, unser Anführer, mich mit steil aufgerichteter Rute von hinten an. Alle anderen Wölfe hatten sich um uns geschart, ich befand mich auf einmal in der Mitte eines Kreises aus goldenen Augen und weißen Zähnen. Meine Brüder und Schwestern sahen mich an, ich witterte ihre Feindseligkeit.

 

„Mondauge,“, sprach Grauschweif mich nach Art der Wölfe an, „Wölfe jagen gemeinsam. Du aber hast allein gejagt. Wölfe töten, um zu leben. Auch Du tötest um zu essen, doch Du würdest auch töten, wenn Du jeden Tag Futter bekämst, denn es bereitet dir Freude, das habe ich gesehen. Du willst die Angst deiner Beute in deiner Kehle spüren. Du kämpfst um des kämpfens willen. Du würdest in deiner Hybris sogar den Menschen angreifen, nicht weil Du dich verteidigen mußt, sondern weil Du dich mit ihm messen willst. Ich weiß, daß sich niemand hier im Rudel gegen Dich behaupten kann. So wirst Du nächsten Sommer meinen Rang einnehmen.

 

Du wirst mich, wenn Du mich besiegt haben wirst, nicht töten, dazu ist dein Respekt vor mir, meinem Alter und meiner Erfahrung noch zu groß. Später aber befürchte ich, daß Du jeden deiner Herausforderer entgegen unseren Gesetzen töten wirst, wenn er dir unterlegen ist. Für lange Zeit könntest Du ein hervorragender Rudelführer sein, aber ich ahne, daß Du unseren Stamm in den Untergang führen wirst, wenn Du alt genug bist, so daß dein Ehrgeiz und dein Machtwille ausgereift sind. Du könntest gar nicht mehr aufhören zu jagen, zu erobern und zu töten. Bis Du unser Volk zu weit führen wirst und der Schöpfer aller Wölfe Dir Einhalt gebieten wird. Das wird unser aller Ende sein.

 

Wie es üblich ist,werden wir dir daher deine wahre Gestalt offenbaren. Hast Du noch etwas zusagen?“

Ich hatte die ganze Zeit nichts erwidert, denn das ziemte sich nicht. Außerdem war ich völlig von dieser Anklage überrascht worden. Meine Verteidigung war dementsprechend schwach.

 

„Bist Du schon so alt geworden, Grauschweif? Hast Du Gesichte? Wie kommst Du zu deinen Anschuldigungen? Habe ich je Anlaß zum Ärgernis gegeben? Habe ich je einem meiner Brüder ein Leid zugefügt? Habe ich je unsere Gesetze gebrochen? Ich würde nie etwas tun, das unserem Volk schaden könnte, das weißt Du. Jeder einzelne hier im Rudel ist mir wertvoll.Du kannst es lediglich nicht ertragen, daß ich dich ablösen werde! Du hast Angst.“

 

Das glaubst Du wirklich,“, entgegnete mir Grauschweif, „ich weiß. Doch ich sehe mehr in dir, als Du selbst. Unsere Magie wird dir und uns zeigen, wer Du wirklich bist.“

 

„Halt! Wartet! Das könnt ihr doch nicht so einfach machen.“ Meine Einwände verhallten ungehört,der Spruch war schon gefallen. Noch während ich winselte begannen die Augen meiner Geschwister mich zu fixieren. Ihre Farbe veränderte sich von Gelb zu einem leuchtenden kalten Blau.

 

Magie war uns verliehen, sobald wir jagdreif wurden, auch mir. Sie leitete uns zu unserer Beute, sie warnte uns vor unseren Feinden, sie half uns, uns in neuen Revieren zurechtzufinden. Sie gehörte zum Leben wie die Kämpfe um die Rangfolge, wie die Jagd und das Fressen selbst. Was ich jetzt erlebte, hatte ich noch nie erlebt, selbst gehört hatte ich davon nur im Flüsterton. Mein Instinkt wußte, was geschah, auch in mir ruhte diese Macht, doch jetzt wandte sich die gesammelte Energie meiner Familie gegen mich. Die Magie der Trennung, der Bann des Rudels strömte auf mich ein. Er durchfloß mich in einer Welle von Emotionen, die heiß und kalt zugleich wirkten. Die Macht strömte durch alle Fasern meines Körpers und verwandelte meine Muskeln in krampfgequälte, schmerzende und zuckende Knoten.

 

Fortsetzung und Ende aufgrund der Zeichenbeschränkung in einem eigenen Thread.

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