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Brandt: Sie sprechen unbefangen von Farbpaletten, von Wahrheit und Kunst, als seien diese Dinge selbstverständlich und selbsterklärend. Haben sie eigentlich schon einmal an der Kraft der Sprache gezweifelt? Daran, dass bestimmte Worte und Begriffe, egal wie inflationär sie bereits sind, dass ausdrücken, was du sagen und mitteilen willst? Braucht es nicht deshalb stets den Wandel in der Metapher und den Prämissen der Dichtung, damit sie sich der Inflation entziehen kann? Oder ist Dichtung, Poesie, schlicht nicht von der Inflation der Sprache betroffen, ihrer Ansicht nach?

Jürges: Der Sinngehalt oder die Kraft der Sprache, die ja unser Menschsein bedingt, stellt im Gedicht eine gänzlich andere Bedeutungsebene dar als im Alltag. – Der poetische Moment ist das Bemühen, das ganze Sein zu umfangen. – Ich liebe Worte, die das Leuchten von Kinderaugen oder die bleiche Ferne des Mondes ausdrücken, die nach Meer schmecken und dem Staub ewiger Wüsten. – Worte, die Visionen ausrufen wie Dantes „Göttliche Komödie“, deren mächtiger Ton nicht einmal in der Zukunft verhallen wird. – Die besondere Kraft solcher Art von Sprache ist Evolution und Leitstern zugleich und ein Zeugnis der Treue des Menschen zum Menschen. – Es leuchtet schon etwas Geheimnisvolles darin, wenn der Dichter jenes ergreift, was den Sinnen gehört und mit dem verbündet, was reiner Geist ist. – Nie würde mir also in den Sinn kommen, an der Kraft der Sprache zu zweifeln, die glorreich transzendent wirken kann, wenn die lyrische Sprache sich auflöst in Bilder und auf diese Weise ganze Welten im Innersten erschafft. –

Dennoch kann das Wort niemals in Gänze aufrichtig sein, gemessen an den letzten Wahrheiten dieser Welt, es kann aber ein großes Schauen bewirken, hin zum Glanz der Seele – zur Innigkeit mit allem was ist.

Der Dichter ist ja Konzeptualist; dieses Denkgebilde findet in der Metapher eine ideale Verwirklichung seiner selbst, das heißt, dass sich die Bedeutungszusammenhänge entscheidend erweitern lassen und dem von Dir benannten Inflationären in der Zeit/Sprache durch eine sich wandelnde Anschaulichkeit besonders entgegenwirken können. Eigentlich ist der lyrische Diskurs stetig, ohne in Wiederholungen zu verfallen, was nicht heißen soll, das Vergangenes obsolet ist, denn wir hatten ja schon ausgeführt, dass Gedichte autonome Gebilde sind, die zeitlos in ihrem ewigem Wert schweben. – Und dieser angestrebte Wert in der Dichtung wird eben auch durch Veränderung und Wandlung erzielt und kennzeichnet damit den Charakter von Kunst überhaupt. Schiller hat einmal gesagt: „Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit, und neues Leben blüht aus den Ruinen.“

Brandt: Es gibt einen Text von Milan Kundera, in der er die wichtigsten 38 Wörter seines Romanschaffens auflistet und jedes von ihnen, mit dem Sinn- und Seinszusammenhang, den er darin begründet sieht, erläutert. Wenn sie die Gelegenheit hätten fünf Wörter, die für ihre Dichtung oder Gedankenwelt unschätzbar wichtig/bedeutsam sind, die wiederkehrende Impulse und Verwirklichungen liefern, auszuwählen und mit ihrem ureigenen Verständnis dieses Wortes zu beleuchten, welche wären es?

Jürges: Urgrund, Liebe, Schönheit, Unsagbarkeit und Dasein.

Brandt: In was für einem Verhältnis steht die Unsagbarkeit zu ihrem dichterischen Schaffen?

Jürges: Das Ringen des Dichters darum, auch dem Unsagbaren Ausdruck zu verleihen, beginnt zum Beispiel mit der oben benannten Metapher als Möglichkeit und Mittel. – Dazu fähig zu sein, im Sinne einer Synästhesie Dinge vielschichtig wahrzunehmen, zu evozieren, kann entscheidend dazu beitragen, in einem geistigen Umwandlungsprozess die Möglichkeiten der Sprache zu erweitern. – Wenn Poesie auf diese Weise über das Unsagbare triumphiert – es gibt einen Ausdruck dafür: Das Inkommensurable – geschieht das Paradoxe, dass sich Dinge, welche sich dem Ausdruck entziehen, bildhaft im Geiste formieren.

Ich sage bewusst „im Geiste“, weil solches nicht rational denkbar ist; somit gibt es dabei durchaus Überschneidungen mit der Mystik. – Auch heute wirken Dichter, wie zum Beispiel Durs Grünbein, deren Metaphysik an das zurückliegende Streben von Dichtern anknüpft. –

Wittgenstein sagte einmal, dass man darüber „Schweigen muss, worüber man nicht sprechen kann“, dem möchte ich widersprechen, weil es in der Dichtung durchaus Möglichkeiten gibt, etwas Unsagbares auf eine geheimnisvolle Weise zum Entflammen zu bringen. – Dieses Feuer der Urbrunst, wie ich es einmal nennen möchte, heißt es im Geplärr unserer Zeit am Glühen zu halten. – Man spürt jenen Zauber auch bei einfachen Gedichten wie Eichendorffs „Mondnacht“, dessen Verse an etwas anklingen, das schlicht nicht zu sagen ist – dem tiefsten Glühen von Dichtung überhaupt: Der Blick über die Gipfel des Schluchtengebirges unseres Lebens hinaus.

Dieses Bemühen, hineinzuhorchen in die wirkliche Natur der Dinge – das Unsagbare umzuwandeln in etwas zu Verspürendes – durchzieht all mein Schaffen als Dichter.

© Holger Jürges, 2015

 

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Geschrieben

Hallo Holger,

 

und weiter sehr interessant; Schade das es zerrissen ist, wenn man es als Ganzes lesen könnte wäre es genial..

Wie kommt man eigentlich zu solch einem Interview , bzw. wurdest du dahingehend angeschrieben oder ergab es sich aus einer evt. Lesung ?

Brandt ist aus Österreich, warst du in Wien, oder war er zu Gast in Deutschland? Ich bin erstaunt wie erfolgreich du dein Wissen weitergibst; und vor allem gefällt mir die Art und Weise wie du über die Dichtung im allgemeinen sprichst und welche Standpunkte du hier darlegst; Man bekommt einen ganz anderen, eigenen Bezug zu deiner Literatur, weil man selten die Möglichkeit bekommt , die Gedanken und Hintergründe eines Künstlers zu lesen, bzw. nicht den Zugang hat oder die Seite kennt wo man da nachlesen und hinterfragen kann;

Also für mich ist dein Einstellen dieses Interview schon eine Bereicherung; Finde ich echt super; Vielleicht hast du noch mehr Standpunkte oder Wissenswertes, was einem kleine Hobbyschreiber wie mich interessieren könnte; Das wäre für alle, die sich damit auseinandersetzen wollen ein sehr, sehr guter Anfang; Du zitierst hin und wieder Dichter wie Schiller, Goethe , Rilke und Eichendorff .. so wie es aussieht hast du dahingehend ein enormes Wissen und ich wäre erfreut über die namhaften Dichter etwas zu erfahren, oder deine Einstellung zu ihre Wirken und Werken.. ich melde mich mal dahingehend bei dir an :-)

 

Die Kunst des Schreibens, wenn ich das jetzt richtig verstanden habe liegt im eigentlichen im sich hineinfühlen können; Die Wortschöpfung und deren Aussage zu minimalisieren um schlussendlich im Ganzen ein Staunen auszulösen;

So kenne, ich das von deinen Gedichten auch; Hab ich ja schon in einem Kommentar erwähnt;

 

 

weil es in der Dichtung durchaus Möglichkeiten gibt, etwas Unsagbares auf eine geheimnisvolle Weise zum Entflammen zu bringen. –

Mit lieben Grüßen,

Behutsalem

 

übrigens... dein neues Avartbild gefällt mir wahnsinnig gut, passt voll zu dir und deinem Wort;

Geschrieben

Hallo Holger,

 

danke fürs Einstellen dieses anregenden Interviews. Der Anmeldung Behutsalems würde ich übrigens gerne folgen.

Dennoch kann das Wort niemals in Gänze aufrichtig sein, gemessen an den letzten Wahrheiten dieser Welt, es kann aber ein großes Schauen bewirken, hin zum Glanz der Seele – zur Innigkeit mit allem was ist.

Die Stelle trifft es für mich sehr gut. Worte sind ja ziemlich grobe und sperrige Dinger, die zwangsläufig an der eigentlichen Sache vorbeizielen. Wirklichkeit ist eben einfach feinmaschiger als Sprache. Dennoch versuchen wir, etwas mit Worten zu beschreiben, für das es keine Worte gibt. Eigentlich ein wahnwitziges Unterfangen.

Darum kann ein Gedicht nur eine Rampe für den Leser sein, mit der er sich beflügeln kann und dann vielleicht doch dort ankommt, wo Sprache versagt, "weil es in der Dichtung durchaus Möglichkeiten gibt, etwas Unsagbares auf eine geheimnisvolle Weise zum Entflammen zu bringen".

 

LG,

A.

Geschrieben

Hallo Holger,

 

Neues kann ich zu dem deinem zweiten Teil nicht mehr hinzufügen und schließe mich Behutsalem's und A.Akke's Worten an.

 

Auch ich möchte dir recht herzlich für das Einstellen dieses Interviews, das man meines Erachtens durchaus als kleines Essay betiteln kann, danken.

 

LG Sternwanderer

Geschrieben
Schade das es zerrissen ist

Hallo Line,

 

die Administratoren versuchen heute, den Text in einem Beitrag zu vereinen, was mir wegen der beschränkten Anzahl der Textzeichen nicht möglich war.

 

 

Wie kommt man eigentlich zu solch einem Interview , bzw. wurdest du dahingehend angeschrieben oder ergab es sich aus einer evt. Lesung ?

Brandt ist aus Österreich, warst du in Wien, oder war er zu Gast in Deutschland?

Timo Brandt stammt aus dem hamburger Raum und ist dann zum Studieren zur Uni Wien gegangen. - Er schreibt selbst Gedichte, ist Autor und

Literaturkritiker. - Das Interview entstand aus unserer früheren Verbindung in Deutschland.

 

 

Man bekommt einen ganz anderen, eigenen Bezug zu deiner Literatur, weil man selten die Möglichkeit bekommt , die Gedanken und Hintergründe eines Künstlers zu lesen, bzw. nicht den Zugang hat oder die Seite kennt wo man da nachlesen und hinterfragen kann;

Wir sind doch alle Künstler - in der eine oder anderen Form. - Mit dem Einstellen des Interviews möchte ich wirklich Interessierten ein wenig

helfen, einen tieferen Blick - einen inspirierenden Kontakt - zur Kunst zu finden, der so möglicherweise noch nicht geschhen ist.

 

Du zitierst hin und wieder Dichter wie Schiller, Goethe , Rilke und Eichendorff .. so wie es aussieht hast du dahingehend ein enormes Wissen und ich wäre erfreut über die namhaften Dichter etwas zu erfahren, oder deine Einstellung zu ihre Wirken und Werken.. ich melde mich mal dahingehend bei dir an

Nun, ich hab selbst einige Bücher vefasst und bei Lesungen wunderbare Resonanzen von den Menschen erfahren dürfen; im Gesamtzusammenhang häuft sich natürlich ein wenig Wissen an, zumal ich auch sehr der Philosophie und den Ergebnissen der Quantenphysik (ja, auch dieses faszinierende Thema fließt in meine Dichtung mit ein; im Interview nehme ich kurz Stellung dazu) zugetan bin. - Gern bin ich bereit, im persönlichen Bereich des Forums weitere Einblicke zu geben.

 

Soviel erstmal...

 

Herzlichst,

 

Holger

Gast
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