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Stadtlast

In schweren Zimmern leben,

wo langsam alle Zeit verrinnt; -

nach Zeitvertreib sie streben,

mit Augen, die erloschen sind.

Nur manchmal scheint dann Traurigkeit

wie unter einem Tuch heraus -,

dann tritt ein Ahnen groß und weit

in bittendes Verzeih'n hinaus.

Wo draußen wacht und atmet seine Erde,

verirrt sich dann und wann ein Kind -,

hält liebend Ausschau nach dem großen Erbe,

das leise streichelt wie ein Wind...

***

 

P.S.:

 

https://www.youtube.com/watch?v=nf-jx7MsMQU

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Geschrieben

Hallo Holger,

ich lese alle deine Gedichte, kann aber selten was dazu sagen, weil ich kein Fan der reimenden Zunft bin.

Hier weht gut spürbar ein Hauch von Einsamkeit im Alter durch die Zeilen. Kann sein, dass diese in einer Stadt häufiger anzutreffen ist wie in ländlichen Gegenden.

Was die Rolle des "Kindes" anbelangt, werde ich den Eindruck einer Erberwartung nicht los, was mir aber etwas zu konträr zu der ansonsten bedauernden Stimmung der Bilder wäre.

LG

Perry

Geschrieben

Guten Morgen Perry.

 

Ich freu mich ganz besonders, Dich auf meiner Seite begrüßen zu dürfen. - Ich habe einiges von Dir

gelesen und die Anzahl Deiner Beiträge sagt einiges aus über Dein vitales Engagement in diesem Forum aus...

 

Nun, ein Jeder entwickelt ja seine eigenen Gedanken zum jeweiligen Gedicht; so entsteht ein Facettenreichtum,

der immer wieder überrascht und die besondere Bedeutung von Gedichten unterstreicht.

Und so hast auch Du Deinen eigen Blick auf das Werk entwickelt, Perry, den ich ein wenig mit meiner eigenen

Bedeutungsintention erweitern möchte:

 

Die sozialstruktuelle Vereinsamung des Menschen erreicht paradoxerweise in den dichtbesiedelten Städten den höchsten Grad seiner Ausprägung.

Die Seele krankt und die Psychologen haben es mit immer mehr Angstneurose und Depressionen zu tun, die auch mit der

besagten Vereinsamung (selbst im Kreise vieler Menschen und in der Familie kann der Mensch vereinsamen) zu tun haben.

Dieses soziale Bild, das eben in den Städten besonders ausgeprägt ist, nimmt das Gedicht auf und beschreibt eindringlich in jeder Zeile - nahezu mit jedem Wort - diesen Zustand von Traurigkeit, der - so wird später im Gedicht deutlich - seine Ursache in der Entfremdung von sich selbst und der wachsenden Dekadenz des Menschen hat: das Kind verkörpert wiederum die menschliche Natur in seiner ganzen Reinheit. - Ein Mensch, der in diesem Kosmos lebt - es muss ja kein Kind sein - hat das innere Band zur Natur unseres Planeten und damit den Kontakt zum Ursprung aller Dinge

niemals verloren, er trägt in natürlicher Form die Gewissheit in sich, dass die Seele glücklich sein möchte auf Erden und wo "draußem

die Erde wacht und atmet" ist er diesem Glückspotential sehr nahe, denn das ist das alte Erbe des Schöpfers: Nähe

zum Göttlichen in den Armen der Natur zu finden; die Städte mit den grauen Betonfassaden und dem Neonlicht hingegen, lassen die Seele

krank werden, "die Zimmer werden schwer" und "die Augen sind erloschen"... - Schon damals, im 18ten Jahrhundert hat sich

Jean Jacques Rousseau diesem Problem gewidmet; von ihm stammt ursprünglich der Spruch "Zurück zur Natur".

 

Ich hoffe, Perry, dass ich Dir mit meinen Zeilen die Bedeutung des Gedichtes aus meiner Sicht ein wenig nahe bringen konnte.

 

Liebe Grüße,

 

Holger

Geschrieben

Lieber Holger,

 

hier gefällt mir vor allem deine Bildsprache. Ich finde es ein spannendes Phänomen, dass manche Zimmer schwer wirken. Es ist wohl das eigene Unwohlsein, dass man beim Betreten in sich spürt und dann im Raum wahrzunehmen meint.

Allein das Wort Zeitvertreib finde ich immer spannend. Eigentlich finde ich den englischen Ausdruck "to kill time" noch sprechender, aber Zeit zu vertreiben bzw. zu verscheuchen ist ja eigentlich auch ein Tod auf Raten.

In Strophe 2 mag ich die Kombination aus dem Hinaustreten, das sich durch das Herausscheinen ankündigt. Das ist eine befreiende Bewegung, die man zurecht als groß und weit beschreiben kann. (Über das Wort "Weite" fange ich hier besser gar nicht erst an). Auch gefällt mir das Tuch, mit dem "sie" bildlich - und in der Wirklichkeit ja auch wörtlich - ihr Inneres verstecken, in diesem Fall eben die Traurigkeit.

Das verirrte Kind ist natürlich ein rührendes Bild und eines, das mir auch oft durch den Kopf geht. Oft kommt es mir vor, als seien wir Menschen ahnungslose Kinder - voller Leben zwar, aber eigentlich noch überfordert mit der Aufgabe, für uns und unsere Umwelt zu sorgen, verwirrt und orientierungslos. Schön an deinem Gedicht ist aber, dass es "draußen" eben nicht nur Orientierungslosigkeit und Verwirrung gibt, sondern auch das geliebte, streichelnde Erbe.

 

Ich würde das Erbe nicht mit einem Anspruch hin Verbindung bringen, sondern mit einer Verantwortung. Das Erbe könnte die Schönheit unserer Welt sein, die es nach dem großen Ahnen (eine Erkenntnis?) zu erhalten und zu bewunder gilt. Das Erbe könnte das Wohlergehen der anderen, verirrten Kinder sein, die es anzuleiten gilt, nach dem Hinaustreten in die Weite. (Höhlengleichnis lässt grüßen, hoffen wir nur auf ein besseres Ende )

Das Erbe wird in die Hände des Kindes gelegt werden, aber eigentlich weiß es noch nicht, was es ist oder was damit zu tun ist. Trotzdem ist es nichts Bedrohliches, sonst würde es nicht liebend danach Ausschau halten.

Das würde dann vielleicht auch zum bittenden Verzeihen in S2Z4 passen? Soll hier die Orientierungslosigkeit, das Kindhafte verziehen werden? Das ist ehrlich gesagt das Bild, mit dem ich am wenigsten Anfangen kann.

 

 

Edit: Ich sehe, dass du, während ich schrieb, auf Perry geantwortet hast. Da bin ich aber froh, dass ich das noch nicht gesehen hatte. So konnte ich noch ein wenig selbst herumdeuten. Die psychologische Ebene macht natürlich auch Sinn. Nur finde ich dann das Wort "verirrt" doch verwirrend. Denn was du damit doch meinst, ist dass ein Mensch in den Schoß der Natur zurück findet? Ist es nicht eher ein Finden als ein Verirren?

Geschrieben
ch würde das Erbe nicht mit einem Anspruch hin Verbindung bringen, sondern mit einer Verantwortung. Das Erbe könnte die Schönheit unserer Welt sein, die es nach dem großen Ahnen (eine Erkenntnis?) zu erhalten und zu bewunder gilt. Das Erbe könnte das Wohlergehen der anderen, verirrten Kinder sein, die es anzuleiten gilt, nach dem Hinaustreten in die Weite. (Höhlengleichnis lässt grüßen, hoffen wir nur auf ein besseres Ende )

Das Erbe wird in die Hände des Kindes gelegt werden, aber eigentlich weiß es noch nicht, was es ist oder was damit zu tun ist. Trotzdem ist es nichts Bedrohliches, sonst würde es nicht liebend danach Ausschau halten.

Ganz recht A., es geht hier auch um Eigenverantwortung, die wiedrum nicht individuell begrenzt sein muß, sondern auf´s Ganze - die Gesellschaft an sich - wirken mag. - In einer Erweiterung könnte man auch Kants "Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“ heranziehen, denn sich einem ursprünglichen Zustand wiederum anzunähern heißt, dass ein Zustand der schlecht ist für die menschliche Seele überwunden wird.

 

 

Das würde dann vielleicht auch zum bittenden Verzeihen in S2Z4 passen? Soll hier die Orientierungslosigkeit, das Kindhafte verziehen werden? Das ist ehrlich gesagt das Bild, mit dem ich am wenigsten Anfangen kann.

Nun, diese "Pflicht des Menschen" (Kant) dockt ja an, bei einem Unvermögen des Menschen; dieses Unvermögen zu erkennen und zu überwinden meint´das "bittende Verzeihen", das aus einer Einsicht geboren wurde. - Daraus Änderungen im Leben zu bewirken ist noch eine ander Herausforderung.

Nein, das "kindhafte" ist unbedingt anzustzreben, weil darin der Schlüssel zum Glücklichsein verborgen, ist und hier schließt sich der Kreis, weil das Kind (das in jedem Menschn west - mehr oder weniger verschüttet- ) in einer Sonderstellungt der Unschuld in der Lage ist "Ausschau nach dem großen Erbe" zu halten. -

 

 

Nur finde ich dann das Wort "verirrt" doch verwirrend. Denn was du damit doch meinst, ist dass ein Mensch in den Schoß der Natur zurück findet? Ist es nicht eher ein Finden als ein Verirren?

Das ist sinnbildlich gemeint: Wenn die Welt des Menschen ein Irrgarten der Verwirrungen im Rahmen sozialpoltischer Reizüberflutung ist, dann ist es eine positiv konnotierte Verirrung (hin zu Ursprung und Natur), wenn man den Weg aus den zuvor geschilderten Verwirrungen heraus findet, um dann befreit in den Schoß des besagten Erbes zu sinken. - Hier handelt es sich also um ein Oxymoron: Das Verirren beinhaltet gleichzeitig ein Finden, wie Du richtig angemerkt hast.

 

Allerherzlichst,

Holger

Geschrieben
Das Verirren beinhaltet gleichzeitig ein Finden, wie Du richtig angemerkt hast.

Ich kenne das Wort "verirren" in dieser Bedeutung eben nur zusammen mit anderen Wörtern wie "Ich habe mich hierher verirrt" oder "Wohin hast du dich denn verirrt?". Bei dir taucht das Wort aber mit "sich" auf: "verirrt sich dann und wann ein Kind" und "sich verirren" kenne ich eben nur mit der Bedeutung des Sich-Verlierens. Und ich glaube, das war es dann, was mich verwirrt hat.

Mir hätte es wahrscheinlich geholfen, wenn das Wort "dorthin" aufgetaucht wäre, z.B. so:

 

Dorthin, wo draußen wacht und atmet seine Erde,

verirrt sich dann und wann ein Kind -,

Wenn man die zwei Silben woanders einsparen wollte, könnte man das "draußen" streichen. Das stellt man sich bei "Erde" sowieso vor, oder?

 

So, jetzt bin ich mal wieder völlig abgedriftet - dieses mal ins Thema Textarbeit - und habe gar nicht das geschrieben, was ich eigentlich wollte.

 

Nun also noch zum Inhalt:

Ich tue mich mit dem "bittenden Verzeihen" vielleicht auch deswegen so schwer, weil ich nicht finde, dass es dort etwas zu verzeihen gibt. Wenn ich noch Unmündig und das auch noch nicht erkannt habe, kann ich nichts dafür. Wenn ich es zwar erkannt habe und auch vor habe, die Unmündigkeit hinter mir zu lassen, aber das noch nicht fertig gebracht habe, dann kann ich auch nichts dafür. Nur wenn ich einsehe, dass ich Unmündig bin und aus Bequemlichkeit, Faulheit, Arroganz oder ähnlichen Motiven mich weigere meine Unmündigkeit zu verlassen, dann könnte man mir etwas vorwerfen, was man mir dann auch wieder verzeihen könnte.

Generell finde ich, dass wir den Fehlern viel mehr verhaftet sind, als uns gut tut. Warum einen Fehler nicht einfach erkennen und daraus lernen, anstatt ihn mit Dingen wie Vorwürfen, Verzeihung, schlechtem Gewissen, Vergeltung etc. zu zelebrieren?

 

So, jetzt bin ich den Senf auch noch los geworden. Leider neigen wir ja auch dazu, mehr über die Reibungen und Unschönheiten zu sprechen als über das Wahre und Schöne. Wisse also, dass mir dein Gedicht gut gefällt und dass die Länge meiner Kritik nicht proportional zu meinem Empfinden ist.

 

LG,

A.

Geschrieben

Danke für Deine intensive Betrachtung, A. !

 

 

Nur wenn ich einsehe, dass ich Unmündig bin und aus Bequemlichkeit, Faulheit, Arroganz oder ähnlichen Motiven mich weigere meine Unmündigkeit zu verlassen, dann könnte man mir etwas vorwerfen, was man mir dann auch wieder verzeihen könnte.

Und genau das ist es, was im Gedicht angesprochen wird: die Wahl der Möglichkeiten zu nutzen, hin zu einem Zustand, der Glück und Zufriedenheit

verspricht, wie immer der auch individuell aussehen mag...

 

 

 

Wenn man die zwei Silben woanders einsparen wollte, könnte man das "draußen" streichen. Das stellt man sich bei "Erde" sowieso vor, oder?

Das "Dorthin" wäre tatsächlich eine Alternative. - Ich wollte das "draußen", also die Abwesenheit der Stadt, deutlich herausstellen, jedoch wäre auch Dein

"Dorthin" ambivalent.

 

 

Warum einen Fehler nicht einfach erkennen und daraus lernen

Sehr richtig, lieber A.. - Wer weiß - vielleicht sind wir ja genau deshalb hier auf Erden.^

 

Herzlichst,

Holger

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