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So, jetzt ist es also passiert. Obwohl ich natürlich immer wusste, dass dieser Tag irgendwann kommen würde, hat es mich doch ziemlich umgehauen. Meine Gefühle schwanken zwischen Hass, Wut, Erleichterung und Freude. Ach ja, und ich habe ein ziemlich schlechtes Gewissen. Weil ein winziger Teil meines "Ichs" sich freut. Darf man das? Darf man sich freuen, wenn die eigene Mutter im Begriff ist, zu sterben?

 

So, jetzt ist es raus. Meine Mutter stirbt und ich freue mich darüber. Ein bisschen. Ein bisschen bin ich auch traurig deswegen. Aber nicht so sehr, wie ich sein sollte, fürchte ich. Aber kann man es mir verdenken? Seit mehr als zehn Jahren habe ich sie nicht mehr gesehen, nicht mit ihr gesprochen. Hab ich sie in dieser Zeit vermisst? Nein, eigentlich nicht. Ich habe eine Mutter vermisst, aber nicht meine Mutter. Ich hätte gerne eine Mutter gehabt, mit der ich reden kann, die mich ernst nimmt und versteht, mit der ich mich zum Shoppen verabreden kann oder zum Kaffee trinken, eine Mutter, mit der ich lachen und weinen kann. So eine Mutter habe ich nie gehabt. Ich hatte eine Mutter, die mich physisch und psychisch misshandelt hat, mehr als dreißig Jahre lang. Bis es mir endlich gelungen ist, mich von ihr frei zu machen und jeglichen Kontakt zu ihr abgebrochen habe. Dennoch, eine gewisse Sehnsucht ist geblieben. Nach einer Mutter, die so ist, wie Mütter sein sollen. Lieb und verständnisvoll, manchmal auch sauer, klar, aber immer bereit zur Versöhnung. Pustekuchen, das gab es nicht für mich. Und jetzt, wo sie bald tot ist, wird mir klar, dass es das niemals für mich geben wird. Niemals. Vorbei. Vorbei die Träume von Hoffnung, dass wir uns irgendwann doch wieder annähern, dass wir Mutter und Kind sein können, ohne dass sie mir weh tut. Zu spät. Und zu spät für Erklärungen ihrerseits. Zu spät für Entschuldigungen. Ist ihr Verhalten mir gegenüber überhaupt zu entschuldigen? Von mir? Von der Gesellschaft? Vielleicht nicht. Aber trotzdem...

 

Was sie wohl sagen würde, wenn ich sie ein letztes Mal besuchen würde? Würde sie sich freuen? Oder würde sie noch auf dem Sterbebett mit mir schimpfen und mich fertig machen? Ich kann es nicht sagen. Hat sie mittlerweile eingesehen, dass sie sich mit gegenüber falsch verhalten hat? Bereut sie es, nun, so kurz vor dem Ende? Soll ich ihr einen Schritt entgegen gehen, den Anfang machen? Vielleicht hat sie nach allem nur nicht den Mut, ihrerseits den ersten Schritt zu machen? Aber wer garantiert mir das? Wer sagt denn, dass es eine Versöhnung in letzter Minute geben würde? So viele Fragen, so viel Ungewissheit. So viel Angst. Ich will mir nicht noch einmal von ihr weh tun lassen. Alles ist Unsicherheit. Und diese Unsicherheit hemmt mich. Ich weiß ja, eigentlich "gehört" es sich so, sie zu besuchen, in dieser Zeit. Aber ich will nicht. Alles in mir sträubt sich dagegen. Und doch...

 

Sie ist doch meine Mutter. Wie würde, wie soll ich reagieren, wenn jemand aus meiner Familie sich bei mir meldet und mich bittet, meine Mutter zu besuchen? Wenn sie sagen, dass sie mich sehen will? Soll ich dann zu ihr fahren? Um was zu tun? Um ihr ein letztes Mal zu sagen, dass sie mein Leben zerstört hat? Dass ich bis heute nicht in der Lage bin, ein "normales" Leben zu führen? Soll ich ihr meinen Hass, meine Wut, meine Enttäuschung ins Gesicht schreien? Soll ich die Zähne zusammen beißen, oberflächlich mit ihr reden, dreißig Jahre ignorieren?

Das Telefon klingelt. Meine Tante ist dran. Sie sagt, wenn ich meine Mutter noch einmal sehen will, sollte ich mich so bald wie möglich auf den Weg machen.

 

Soll ich, soll ich nicht?

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Geschrieben

Hallo Sternenstaubsucher,

 

es spielt keine Rolle für mich, ob es sich um Vater, Mutter, Bruder oder Schwester oder sonstwas handelt.

 

Es gibt nur Eines was Du bedenken solltest. Mach Deinen inneren Frieden mit der Person, zu der Du zumindest eine karmische Verbindung hast und die einen Teil Deines Weges ein Begleiter war, an dem Du wachsen konntest. Zumindest in diesem Leben, wird das wohl Deine letzte Möglichkeit sein, ihr und Dir zu vergeben. Verpass es nicht. Vergebung ist auch Erlösung für beide Seiten.

 

LG

 

Jurafriend

Geschrieben

Hallo Sternenstaubsucher,

 

ich schließe mich Jurafriend an. Wir sind hier auf der Erde, um an unseren Herausforderungen zu wachsen, die meistens aus alten karmischen Situationen hervorgegangen sind. Wir alle waren im Rad der Leben schon alles: Bettler, Könige, Kriminelle oder Heilige.

Warum? Um die Ganzheit zu verstehen, die wir in Wirklichkeit sind. Indem wir eine bestimmte Rolle verkörpern, trennen wir uns von der Ganzheit, gewinnen aber das Leben. Doch können wir im Geiste zur Ganzheit zurückfinden, indem wir erkennen, dass der andere, auch wenn er, sie noch so schlimme Sachen gemacht hat, in Wirklichkeit auch du bist. Durch diese Art den anderen zu sehen, fällt es einem leichter den anderen trotzdem zu lieben, denn er ist ja auch du und du solltest dich ohne Einschränkungen lieben. Versuch es, auch wenn es schwer ist. Nur so kannst du diese karmische Situation für immer auflösen. Geh hin, halte ihre Hand und vergib ihr alles, fühle es in deinem Herzen, dann bist du frei. Ich habe etwas Ähnliches durchgemacht, wohl nicht so schlimm wie bei dir. Eines meiner Gedichte beschreibt diese Situation. Ich glaube, ich werde es hier mal zeigen.

 

Ich wünsche dir ganz viel Kraft, du schaffst es!

 

LG Kirsten

Geschrieben

Hallo ihr drei!

 

Die Geschichte ist schon etwas älter. Meine Mutter hat damals überlebt. Ich bin hingefahren ... Sie hat mich, wie erwartet und befürchtet, zum Teufel gejagt. Mittlerweile habe ich meinen Frieden damit gemacht. Sie will mich nicht in ihrem Leben und das respektiere ich. Mein Leben ist auch ohne sie schön und vermutlich besser, als es mit ihr wäre.

 

Ich finde es sehr interessant, dass 3 unterschiedliche Menschen in dieser Sache einer Meinung sind. Und es ist lieb von euch, dass ihr mir so toll zugeredet habt. Ihr seid gute Menschen und es ist schön, euch hier kennen gelernt zu haben.

 

LG

Sternenstaubsucher

Geschrieben

Hallo Sternenstaubsucher,

 

ich kann mich auch nur allen anschließen. Es war trotzdem die richtige Entscheidung das du gefahren bist. Es hätte ja auch sein können, das sie sich bei dir entschuldigt, das sie ihre Fehler eingesehen hätte. Wärst du nicht gefahren und sie wäre gestorben, hättest du es nie erfahren und die Unwissenheit dich dein ganzes Leben gequält. Das sie dich dann doch zum Teufel gejagt hat ist aber eine riesen Enttäuschung und zeigt leider was ein Mensch deine Mutter ist. Wie es aussieht wird sie sich nie ändern, niemals im Angesicht des Todes.

 

Siehe es einfach mal so.

 

Du bist aber ein toller Mensch, der von anderen sehr geliebt wird und respektiert wirst. Du bist für deinen Partner, deine Töchter wichtig und du behandelst diese viel besser und mit viel Liebe, so das Hass eigentlich nie entstehen könnte. Trotz einer solchen Mutter bist ein selbstständiger Mensch und selbst Mutter geworden. Ohne ihr Zutun. Du kannst und solltest sehr stolz auf dich sein.

 

Wünsche dir einen tollen und angenehmen Abend,

 

Kydrian

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