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Die Verborgene Seite eines Photobuchs

 

 

 

Jahr 3

 

Ich habe dieses Photo gefunden,

 

es ist mein ältester Besitz.

 

Schwarz-weiße Schönheit in Mutters jungem Anlitz.

 

Der kugelig runde Bauch,

 

ich erinnere mich genau,

 

ich war drei und du warst das Weihnachtskind,

 

es sind nur Stunden bevor du geboren wirst,

 

schwarzes Haar und Deckchen blau.

 

 

 

Jahr 9

 

Ein Prachtessen in diesem Jahr,

 

schöne Kleider, schwarzer Anzug,

 

eingeladen waren Freunde, Kollegen, Nachbarn,

 

die ganze Schar.

 

Hähnchen, Kartoffeln, Erbsen, Brötchen und Reis.

 

Dein halbes Gesicht verdeckt die Schüssel Mais.

 

Wir standen eng, gequetscht, kaum zu sehen sind wir.

 

Und Vater war nicht mehr hier.

 

 

 

Jahr 11

 

Die Villa war räumig, sonnig und hell,

 

alles passte perfekt zusammen,

 

die Kugeln, die Teller, die Menschen, das Gestell.

 

In der Mitte der neue Vatersmann,

 

im Anzug und mit Laptop schnell aus dem Foto geräumt,

 

Mutter bestand auf das Bild,

 

gab ihm ein Rahmen damit es jeder sehen kann,

 

Juwelen funkeln grün und golden,

 

der Vatersmann hat seinen Flug versäumt.

 

Ich vergess es nicht, nie, deine rote Wange.

 

Man kanns kaum sehen, nur leicht, du drehst dich weg.

 

In der Villa waren wir nicht lange.

 

 

 

Jahr 13

 

Die Wände waren voller Schimmel,

 

man kann es vor dem Baum einfach nicht sehen,

 

ein Getümmel an Kinder, die vor den grünen Nadeln stehen.

 

Tiffany, Gustav, Grete, Marie.

 

Waren das die Namen? Wir mochten sie nie.

 

Streit und Gezanke jeden Tag,

 

ein Kampf um das Spielzeug, Geraufe um den Nachschlag.

 

An diesem Weihnachten doch standen wir,

 

in einer Reihe, weiße Kleidchen wie kleine Engel aus dem Himmel.

 

 

 

Jahr 16

 

Die Wände waren voller Poster,

 

Nickelback, Tokyo Hotel, Rammstein, Nena, EAV.

 

Die Neuen taten als wären wir im Kloster.

 

Jeden Abend ein Gebet, auf Knien vor dem Bett,

 

konnte mans so überhaupt nennen?

 

Wir schliefen in einem Kabinett.

 

Ich seh das Foto an, ich erkenne die Gesichter,

 

neu und anders, jedes mal,

 

neues Haus, neue Geschwister.

 

 

 

Jahr 17

 

Wir haben uns gesagt das wird das Letzte werden.

 

Es ist noch kahl und unberäumt,

 

der kleinste Weihnachtsbaum, aber was soll das schon?

 

Es ist unser, es gehört nur uns,

 

sonst ist niemand hier,

 

keine Eltern, keine Kinder, es gehört nur mir und dir!

 

Bald mit deinen Büchern, meiner Kunst.

 

Ich seh dich Lächeln, breit und verträumt,

 

ohne Last, ohne Sorgen, ohne Beschwerden.

 

 

 

Jahr 18

 

Kein Photo gabs in diesem Jahr.

 

Wir waren nicht zuhaus,

 

waren frei und wollten raus.

 

Unter der Brücke, mit Freunden und Marijuana

 

verbrachten wir diesen Weihnachtstag.

 

Ich denke gern zurück an diese Nacht, erleuchtet mit Mond und die Sterne wachten.

 

Selbst als wir von der Polizei liefen,

 

Du hast uns durch den Nachbarsgarten geschlichen, der, den wir nicht mochten,

 

traten mit Absicht durch sein Blumenfeld und lachten.

 

 

 

Jahr 19

 

Pubertät und Rebellion hatten dich fest im Griff,

 

Schule schwänzen, schlechte Noten, Lehrerkonferenzen,

 

Ich weiß noch wie deine Hose am Boden schliff.

 

Wir schrien, wir sagten dumme Sachen

 

Ich hab so hart versucht aufzuziehen ein paar Grenzen.

 

Im Foto gibst du mir den Mittelfinger,

 

wir haben nicht geredet an dem Tag aber ich musste das Foto machen.

 

 

 

 

 

Jahr 20

 

Ich zieh bald aus, hast du gedroht,

 

ich hab geschrien, geweint, gelogen, nur du sahst rot.

 

Man kanns nicht sehen auf dem Bild,

 

keinen von uns beiden,

 

nur den winzig kleinen Baum,

 

in einem winzig kleinen Raum,

 

während wir in verschiedenen Zimmern leiden

 

und den anderen um seine Grausamkeit beneiden.

 

 

 

Jahr 21

 

Ich musste heulen und auch lachen

 

Als ich dieses Foto fand.

 

Die Arbeit hatte mich fest in ihrem Bann,

 

seit sechs Jahren der gleiche verdammte Job,

 

ich kanns nicht in Worte fassen, ich hatte so gar keinen Bock.

 

Die erste Weihnacht war ich weg,

 

du hattest frei, warst alleine, hast gesagt es ist okay, zumindest gibt es kein Geschrei.

 

hast ein Selfie gemacht, mit dem selben kleinen Baum.

 

Fast wäre es alt geworden und vergammelt, in deinem cleveren Versteck.

 

 

 

Jahr 22

 

Wir waren jetzt erwachsen, reif und verantwortungsvoll.

 

Weißt du noch wie wir Twister gespielt haben?

 

Mit deinen Freunden und Kollegen und jeder Menge Alkohol.

 

Wir konnten reden, scherzen, das Kriegsbeil war begraben.

 

Vanessa war dabei,

 

ihr wart so ekelhaft mit euren Umarmungen und euren Küssen,

 

so sehr gehüllt in dem Gestank der Liebe wart ihr zwei.

 

Ich mochte sie, sie hatte Tattoos und rauchte,

 

war für mich da als ich sie brauchte.

 

Es schmerzte mir genau wie dir sie gehen zu sehen.

 

 

 

Jahr 23

 

Die Wohnung war zu ersten Mal nur mein,

 

du warst jetzt weg, ich war allein.

 

Ein paar Besuche, noch weniger Telefonate,

 

doch dieses Weihnachten kamst du mit Geschenken beladen,

 

ich gab dir das neue Handy, bekam die hässlichste Weihnachtskarte.

 

Du warst glücklich, hattest Freunde und eine gute Arbeit.

 

Ich konnte mir nichts Schöneres wünschen für meine letzte Weihnacht.

 

Wir hatten echt ne geile Zeit.

 

 

 

Jahr 21

 

Hey. Hab gestern einen Anruf von deiner Arbeit erhalten. Bist nicht

 

aufgetaucht. Sie waren sauer. Dacht mir nichts

 

dabei, fuhr zur Wohnung, meiner Alten.

 

Ich hass dich dafür. Ich kanns einfach

 

nicht verstehen! Werd

 

dir das nie verzeihen! In zwei Wochen

 

ist Weihnachten, scheiße! Wie

 

soll ich feiern, alles was ich will ist schreien! Fick dich und

 

lebwohl, wer braucht dich schon!

 

 

 

Jahr 22

 

Über ein Jahr ists jetzt schon her. Hab erst vor ein paar Monaten

 

Den Mut gehabt deine Sachen anzusehen. Kanns nicht ertragen. Hab das

 

Fotobuch gefunden. Kann den Anblick kaum ausstehen. Ich feier heuer

 

nicht allein. Tamara ist hier, vor nem Monat eingezogen. Auf dem Esstisch

 

steht ein Foto von dir, konnts einfach

 

nicht ansehen, hab den Rahmen fliegen lassen.

 

 

 

Jahr 31

 

Hallo. Du kennst mich nicht,

 

wir hatten nie die Freude Bekanntschaft zu machen.

 

Ich war dabei alte Sachen auszuräumen,

 

als ich auf dieses Photobuch stieß.

 

In der hintersten Ecke unseres Schlafzimmerkasten.

 

Er spricht nicht viel von dir,

 

aber zwei Wochen vor Weihnachten kauft er Blumen, jedes Jahr.

 

Eigentlich wollte ich nur sagen, wir sind glücklich,

 

verheiratet seit drei Jahren,

 

unser erstes Baby ist auf dem Weg!

 

Ich weiß jetzt, zu Weihnachten muss ich viele Fotos machen.

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Geschrieben

Hallo AlexinBlack,

willkommen in der PoetenWG!

Dein Erstling liest sich wie Tagebucheinträge.

Ob die gelegentlichen Endreime aus der Aneinanderreihung von Lebensmomenten ein Gedicht machen, ist wohl Ansichtssache.

Vielleicht wäre der Prosabereich dafür geigneter oder man liest es als Gedichtzyklus?

LG

Perry

  • 3 Monate später...
Geschrieben

Danke für das Feedback!

 

Die Metrik eines Gedichtes trägt viel zu dem Gedicht bei und ist bei vielen Gedichtformen streng vorgegeben. Ich persönlich empfinde Gedichte, die dieser strengen Metrik folgen, besonders edel. Aber ich fürchte ich bin ihrer (noch?) nicht mächtig. Deshalb bevorzuge ich Freie Rhythmen, die an kein Schema gebunden sind, um frei schreiben zu können.

 

Bitte gebt mir auch in Zukunft viele Hinweise und Verbesserungsvorschläge. ich bin sehr dankbar für alles!

 

Liebe Grüße,

Alex

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