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Nachkriegszeit

 

Ich war ein Einzelkind von etwa 10 Jahren.

Meine Familie lebte damals in einem Mietshaus mit 2 Parteien.

Im UG eine 5köpfige Familie – eine Tochter war bereits verheiratet.

Wenn ich nachts im Bett lag, hörte ich sie streiten (die Wände waren sehr dünn)- es ging immer ums Geld; der junge Mann trank gerne einen über den Durst (kann ich heute im Nachhinein bei der Konstellation verstehen). Habe bis heute Herzklopfen, wenn ich einen Betrunkenen sehe, kann damit nicht umgehen.

Die junge Frau bekam ein Kind (Hausgeburt), es starb gleich nach der Geburt. Die Großmutter nahm mich am nächsten Tag mit in den Keller und zeigte mir das tote Mädchen – ich sehe das Wachspüppchen noch heute vor mir.

Wir zogen ein paar Jahre später um in unser eigenes Haus.

Meine Eltern schickten mich nach der Schule, mit 14 Jahren, zur Ausbildung in eine renommierte Großstadt-Firma. Bis dato bin ich noch nicht aus unserer Kleinstadt rausgekommen. Es gab eine Fahrgemeinschaft, sonst wäre der Arbeitsweg noch beschwerlicher gewesen.

Unser Ausbilder war ein gemeines Überbleibsel des zweiten Weltkriegs. Er hat uns Auszubildende gedemütigt und geschunden, wo er nur konnte.

Zum Mittagessen führte er uns ins feine Kasino (damals noch mit befrackten Kellnern ausgestattet), um dann loszubrüllen „Ihr fresst alle wie die Schweine“.

Am schlimmsten waren die ersten sechs Wochen der Ausbildung.

Jeden Tag wurden wir durch eine andere Abteilung geschleust, worüber dann ein Bericht anzufertigen war. Er hat diesen Korrektur gelesen bis zum ersten Rechtschreibfehler, dann kam er zurück und musste bis zum nächsten Tag nochmals abgeschrieben werden. So haben sich diese Berichte in 6 Wochen ins Unermessliche gesteigert.

Nach meinem sehr guten Abschluss wurde es besser. Doch es hat lange gedauert, bis sich mein Selbstbewusstsein stabilisiert hat.

In der Nachkriegszeit haben sich die Eltern noch nicht mit der Schule bzw. dem Ausbildungsbetrieb auseinandergesetzt.

Es hieß einfach: „Lehrjahre sind keine Herrenjahre!“

16.09.19 © alterwein

 

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Geschrieben

Hallo Mathi

Das mit dem Baby berührt mich besonders. Das muss ja ganz furchtbar traurig und erschreckend für Dich gewesen sein.

Zu den Schikanen des Ausbilders

Ähnliches habe ich von meinen Bekannten gehört, die einige Jahre älter sind als ich. Deren Freunde haben den Ausbilder dann mal kurz nachts aufgelauert. Und zweimal quer durch den Kanal gescheucht. Der war hinterher, immer sehr nett zu den Frauen. Früher regelte man so einiges auf seiner Weise. Hart aber herzlich!

Gott sei Dank gibt es jetzt gute und strenge Gesetze, die das Schikanieren von Auszubildenden verhindern.

Gerne gelesen

LG Josina

Geschrieben

Hallo Josina,

 

die Geschichte mit dem Baby war schrecklich, zumal wir das Drama (war eine Hausgeburt) hautnah miterlebt haben.

 

Ausbildung:

Diese Zustände können sich die jungen Leute heute (gottseidank) nicht mehr vorstellen. Eine Freundin von mir musste täglich, Sommer wie Winter,

8 km hin und 8 km zurück, mit dem Fahrrad bis zur nächsten Bushaltestelle fahren.

 

Unser Ausbilder hatte ca. 60 junge Frauen zu betreuen und hat unsere Angst schamlos ausgenutzt. Die Steno- und Schreibmaschinenkurse waren natürlich in unserer Freizeit und wurden "sorgfältig" von ihm überwacht. Auch auf die Berufsschule hatte er großen Einfluss. Bei mir als Einser-Kandidatin hatte er nicht soviel zu meckern, ich bekam auch mal ein Lob. Doch haben mich diese drei Jahre (war erst vierzehn) stark geprägt. Hatte lange Zeit eine sogenannte "Vorgesetzten-Phobie".

 

Danke fürs Lesen und Mitfühlen

 

LG

Mathi

Geschrieben

Hallo Mathi

Das waren sicher sehr harte Zeiten für Dich Mathi. Ich bin 1955 geboren.

Und konnte auch noch so viel bitten und betteln ich durfte auch nicht weiter zur Schule gehen (deswegen die Probleme mit der Otto-Graphie hin und wieder).

Immerhin habe ich mit 15 Jahren eine schöne Ausbildung als Schneiderin gemacht, die viel Spaß machte. Viele junge Frauen damals wurden in die Fabrik oder im Haushalt untergebracht. Damit sie Geld für Ihre Aussteuer

zusammen bekamen später gute Mütter und Hausfrauen wurden.

Auch habe ich für die Emanzipation der Frauen mitgekämpft. Meine 3 Mädels haben dann später auch

studiert. Gut das die Zeiten sich geändert haben. Die meisten Männer sich darüber freuen eine taffe Frau an Ihrer Seite zu haben.

Und Du hoffentlich jetzt Deine Ruhe hast, machen kannst was Du möchtest. So wie ich im Moment, zum

ersten Mal in meinem Leben.

Ich wünsche Dir noch eine schönen sonnigen Tag.

LG Josina

Geschrieben

Hallo Mathi,

 

das sind sehr eindringliche Zeilen, die sich für mich teilweise anhören, wie aus einer gänzlich fremden Welt oder einem anderen Jahrtausend.

Erinnert mich an einige Geschichten, die meine Oma mir viel erzählt hat.

Mit 14 von der Schule zu gehen ist heute ja auch eher unüblich. Dein Ausbilder schien die autoritären Strukturen tief verankert zu haben, und sie an euch weiter geben zu wollen.

"ich sehe das Wachspüppchen noch heute vor mir." Gänsehaut bei diesen Zeilen. Das muss schlimm gewesen sein.. hatte es einen Grund, dass deine Großmutter dir das tote Baby noch einmal zeigte? Ich hätte erwartet, dass man dies den Kindern erspart..

 

Ich danke dir jedenfalls für diese tiefen Einblicke.

LG

Lichtsammlerin

 

Ps: In der vorletzten Zeile "In der Nachkriegszeit..." fehlt das c

Geschrieben

Hallo Martin Heide,

 

dein Bericht von dieser Zeit hat es aber in sich.

Die Behandlung von unehelichen Kindern kenne ich auch, meine Freundin war in dieser Situation. Es wurde ständig darüber getuschelt.

 

Nach der Lehre habe ich die Firma gewechselt und gleich geheiratet (ging natürlich schief) - man wollte raus aus der Zwangsjacke.

Da haben es die jungen Leute heute besser und das ist gut so.

 

Lieben Gruß

alterwein

Geschrieben

Hallo zoe,

 

es war ein ganz andere Zeit (bin 1948 geboren). Es war die Nachkriegs- die Aufbauzeit. Man muss zur Entschuldigung der Eltern sagen,

sie hatten andere Sorgen. Wo wäre unser Land, wo wären wir heute ohne den Fleiß und Aufbauwillen der Nachkriegsgeneration?

Mir persönlich ging es als Einzelkind zu Hause nicht schlecht. Meine Eltern haben ein Haus gebaut und konnten sich eine weiterführende Schule trotz meiner Bestnoten nicht leisten.

 

Freue mich über deine Gedanken

 

lieben Gruß

alterwein

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