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Geschrieben am

Ich weiß du würdest mich schelten, wenn du sehen könntest, wie ich immer wieder deine Briefe lese und dann stundenlang in Gedanken und Träumen versunken im Sessel sitzen bleibe, während der Tag ereignislos an mir vorüberzieht. Aber ich kann nicht anders, noch nicht, und vielleicht werde ich es auch nie schaffen, das Band zwischen uns zu trennen, um mich neuen Menschen zuzuwenden. Ich erinnere mich noch genau, wie du zu mir sagtest „Wenn ich gehe, ziehe dich nicht zurück, sondern versuche, neue Liebe im Leben zu finden. Du bist so ein wunderbarer Mensch und da draußen gibt es genug andere, die es verdient hätten deine Freundschaft und Liebe zu empfangen. “Das ist jetzt schon lange her, aber irgendwie schaffe ich den Absprung nicht.

 

Ich habe schon vieles weggegeben, was mich an unsere Zeit erinnert, um nicht immer wieder auf Schritt und Tritt an dich erinnert zu werden, aber von deinen Briefen kann ich mich einfach nicht trennen. Sie sind der Hort meines Lebens! Die beweisen, dass ich nicht nur der unnahbare Knötterkopp von nebenan bin, sondern auch ein Mensch, der etwas zu geben hat, wenn ich das auch gut zu verbergen weiß. Noch ein letztes Mal lese ich deine Zeilen und nehme sie in Gedanken mit in die Küche. Es ist spät geworden und es wird Zeit, das Abendbrot zuzubereiten. Ich glaube, du wärest stolz auf mich, wenn du sehen könntest, wie ich den Haushalt schmeiße. Du würdest dir eine spitze Bemerkung aber sicher nicht verkneifen können: „ Du hättest mir früher auch gern öfter helfen dürfen!“ Ich hätte dich dann liebevoll aber leicht beschämt angeschaut und erwidert „Ich weiß.“

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Geschrieben

Wunderschön, lieber Freiform!

 

Ich bekam beim Lesen der letzten Zeilen Gänsehaut - das gebe ich freimütig zu. Ich hoffe, ich schaffe es bald, den Text ausführlicher zu kommentieren, aber für den Moment möchte ich dir wenigstens meine überschwängliche Lesefreude an diesen traurigen Zeilen da lassen.

 

LG

 

P.S.: Dein Brief erinnert mich ein wenig an Richard Feynmans Brief an seine verstorbene Frau:

 

"October 17, 1946

 

D’Arline,

 

I adore you, sweetheart.

 

I know how much you like to hear that — but I don’t only write it because you like it — I write it because it makes me warm all over inside to write it to you.

 

It is such a terribly long time since I last wrote to you — almost two years but I know you’ll excuse me because you understand how I am, stubborn and realistic; and I thought there was no sense to writing.

 

But now I know my darling wife that it is right to do what I have delayed in doing, and that I have done so much in the past. I want to tell you I love you. I want to love you. I always will love you.

 

I find it hard to understand in my mind what it means to love you after you are dead — but I still want to comfort and take care of you — and I want you to love me and care for me. I want to have problems to discuss with you — I want to do little projects with you. I never thought until just now that we can do that. What should we do. We started to learn to make clothes together — or learn Chinese — or getting a movie projector. Can’t I do something now? No. I am alone without you and you were the “idea-woman” and general instigator of all our wild adventures.

 

When you were sick you worried because you could not give me something that you wanted to and thought I needed. You needn’t have worried. Just as I told you then there was no real need because I loved you in so many ways so much. And now it is clearly even more true — you can give me nothing now yet I love you so that you stand in my way of loving anyone else — but I want you to stand there. You, dead, are so much better than anyone else alive.

 

I know you will assure me that I am foolish and that you want me to have full happiness and don’t want to be in my way. I’ll bet you are surprised that I don’t even have a girlfriend (except you, sweetheart) after two years. But you can’t help it, darling, nor can I — I don’t understand it, for I have met many girls and very nice ones and I don’t want to remain alone — but in two or three meetings they all seem ashes. You only are left to me. You are real.

 

My darling wife, I do adore you.

 

I love my wife. My wife is dead.

 

Rich.

 

PS Please excuse my not mailing this — but I don’t know your new address."

Geschrieben

Hallo Schmuddelkind,

einen herzlichen Dank für das “wunderschön”. Es freut mich sehr, dass dich meine Textidee positiv angesprochen hat. Richard Feynmans Briefwar mir nicht bekannt ( gefällt mir aber auch ), eine Themenverwandtschaft ist durchaus zu erkennen. In meinem Text habe ich bewusst vermieden, das Wort Tod zu erwähnen, weil es sich aus dem Text herauslesen lässt, hoffe ich jedenfalls.

 

Dankeschön!

 

grüßend Freiform

 

Hallo Sternwanderer,

der Text ist wie 99,5% meiner Texte nicht autobiographischer Natur, ich versuche nur ein Bild zum Leben zu erwecken. Wenn ich es schaffe einen Leser damit zu berühren ist das sehr schön. Ich danke dir ganz herzlich für deinen schönen Kommentar und die Gefallens Bekundung!

 

Dankeschön!

 

grüßend Freiform

Geschrieben

Hallo Freiform,

 

sehr bewegende Worte, aus denen die Sehnsucht und Verlassenheit spricht. Jemanden gehen zu lassen, der einem viel bedeutet hat, ist unglaublich schwer. Und die ganzen Floskeln, dass das Leben weiter geht, ändern daran nichts.

Im Gegenteil, sie führen einem nur umso mehr vor Augen, was fehlt. Und so harrt man in Gedanken und die Welt da draußen hat plötzlich alle Farbe verloren, deine Zeilen schildern das sehr ausdrucksvoll.

aber irgendwie schaffe ich den Absprung nicht. ----> Mir sagt das Wort "Absprung" nicht sehr zu, mag auch mein persönliches Empfinden sein. Ich fände ein "Ausbruch" aus den Gedankenschlaufen oder ein "Neuanfang" passender. Umformuliert auch "aber irgendwie finde ich den Abschluss nicht."

Vielleicht kannst du damit etwas anfangen - sonst nicht

Du würdest dir eine spitze Bemerkung aber sich nicht verkneifen können ---> hier hat sich glaube ich ein Dreher eingeschlichen.

---> Du würdest dir eine spitze Bemerkung aber sicher nicht verkneifen können: (Da anschließend eine wörtliche Rede kommt würde ich auch Doppelpunkte setzen)

 

Liebe Grüße, Lichtsammlerin

Geschrieben

Hallo Lichtsammlerin,

einen herzlichen Dank für das aufmerksame lesen! Bei mir wird man ja immer fündig.

Das Wort Absprung finde ich schon passend. Für mich geht mit dem Wort Absprung ein Gefühl von Angst einher. Trau ich mich zu springen, oder nicht. Aber wie du richtig bemerkst ist das mehr persönliches empfinden. Freut mich sehr das der Text die bewegt hat!

 

Dankeschön!

 

grüßend Freiform

  • 2 Wochen später...
Geschrieben

Lieber Freiform,

 

jetzt schaffe ich es endlich, dir etwas ausführlicher zu schreiben.:classic_smile:

 

Am 19.1.2020 um 17:16 schrieb Freiform:

In meinem Text habe ich bewusst vermieden, das Wort Tod zu erwähnen, weil es sich aus dem Text herauslesen lässt, hoffe ich jedenfalls.

Ja, das tut es und es war genau die richtige Idee. Habe in Bezug auf Lenaus Schilflieder vor Kurzem geschrieben, dass ich es so schön feinfühlig fand, dass das Unaussprechliche unausgesprochen bleibt und man es dennoch zwischen allen Zeilen lesen kann - das ist dir hier auch gelungen, besonders durch die Konjunktive, was die Adressatin alles täte ("du würdest mich schelten, wenn du sehen könntest"; "du wärest stolz auf mich, wenn du sehen könntest"; "Du würdest dir eine spitze Bemerkung aber sicher nicht verkneifen können"; "Ich hätte dich dann liebevoll aber leicht beschämt angeschaut und erwidert"). Im Konjunktiv selbst ist viel Schmerz enthalten durch die Diskrepanz zwischen der fröhlichen Vorstellungswelt und der harten Realität, diese Interaktionen nie mehr mit dem Anderen führen zu können.

 

Die Tatsache, dass der Ich-Erzähler an seine tote Frau schreibt, ist an sich ein herzzerreißender Vorgang, da hier das Empfinden über den Verstand siegt (der einem sagt, dass es ins Leere gehen muss) und in gewisser Weise den Tod überwindet. Der geliebte Mensch ist nicht mehr da, aber die Gefühle für ihn dauern fort. Indem du den Leser zum Zeugen dieser intimen Nicht-Begegnung machst (denn die Briefform ist die authentischste Form unter den Prosatexten, da der Text selbst bereits Teil der Handlung ist und dem Leser ermöglicht durch das Lesen selbst am Geschehen teilzuhaben), zwingst du ihn, sich auf diese scheinbar "sinnlose" Suche nach Nähe zum Verstorbenen einzulassen und selbst die Grenzen dessen, was der Verstand im Angesicht des Schmerzes begreifen kann, zuzugeben. Es ist also ein, allein schon durch die Form, enorm wirkungsvoller Text.

 

Am 19.1.2020 um 10:29 schrieb Freiform:

Ich weiß du würdest mich schelten, wenn du sehen könntest, wie ich immer wieder deine Briefe lese und dann stundenlang in Gedanken und Träumen versunken im Sessel sitzen bleibe, während der Tag ereignislos an mir vorüberzieht.

Wundervoller Einstieg! Eine Verschachtelung etlicher Paradoxien und Spannungsverhältnisse, als die das Leben ohne den Menschen erscheint, der das Leben doch so bedeutsam machte. Da ist das nachvollziehbare Missverhältnis zwischen Wirklichkeit und Traum: Träume habe  hier Vorrang vor der Realität und werden wohl durch das unbemerkte Verstreichen des Tages (der sowohl für die Zeit, als auch für das Erleben der Außenwelt steht) als realer erlebt als die Realität. Einerseits hat man als Leser den Impuls: Das sollte doch nicht so sein. Andererseits kann man es verstehen und neigt vielleicht sogar dazu, glücklich für den Ich-Erzähler zu sein, da er in der Realitätsflucht wenigstens Trost findet, in den Vorstellungen, mit dem geliebten Menschen noch immer zusammen zu sein.

 

Eine solche Vorstellung ist eben auch die eingangs erwähnte Szene, dass die Verstorbene mit ihm schimpfen würde, dass er sich ebensolchen Vorstellungen zu- und der Realität abwendet. Dies erzeugt einen interessanten Widerspruch durch Selbstreferentialität, sodass das Schelten zwar als redliche Besorgnis der Geliebten erscheint und einen ersten Einblick in ihre Güte erlaubt, zugleich aber auch an Ernsthaftigkeit verliert, weil sie selbst wiederum ein Produkt der bescholtenen Vorstellungswelt des Ich-Erzählers darstellt. Dabei ist ja der Vorgang des Scheltens von Seiten einer geliebten Person selbst schon ein solcher Widerspruch zwischen Ernsthaftigkeit und Freude - ein Akt, der sich aus Liebe vollzieht und doch eine Einschränkung zum Ziel hat. In diesem ersten Satz lese ich schon die ganze Bandbreite der Empfindungen heraus, die die beiden füreinander gehabt haben müssen und denen er immer noch anhängt.

 

Am 19.1.2020 um 10:29 schrieb Freiform:

Wenn ich gehe, ziehe dich nicht zurück, sondern versuche, neue Liebe im Leben zu finden.

Ein zweiter Blick in den Charakter der geliebten Verstorbenen: Wieder zeigt sich die Güte und Selbstlosigkeit in einer Aufforderung. Ja, das ist wahre Liebe, den anderen frei und glücklich wissen zu wollen, auch wenn man selbst keinen Vorteil mehr davon hat. Es ist ja nicht leicht, sich den geliebten Menschen glücklich mit einem Anderen vorzustellen, aber die Adressatin dieses Briefes überwindet solche inneren Widrigkeiten, weil ihr wirklich am Glück des Geliebten gelegen ist. Dieser wiederum kann dieses Glück nicht ergreifen, weil sie ihm in ihrer Güte und Liebe so wert ist, dass er nicht loslassen kann und wohl auch nicht will. Der Wunsch, für den Anderen da sein zu wollen, stirbt eben nicht mit dem Menschen.

 

Am 19.1.2020 um 10:29 schrieb Freiform:

Das ist jetzt schon lange her, aber irgendwie schaffe ich den Absprung nicht.

Hier hatte ich für einen Moment auch ein Bedenken, das Lichtsammlerin angesprochen hat: ob das Wort "Absprung" hier nicht vielleicht zu lapidar sein könnte. Aber als ich darüber nachdachte, verstand ich, dass das Wort sehr stimmig ist, denn es reflektiert das lockere, nahe Verhältnis der beiden. In der Liebe muss man sich nicht immer gewählt ausdrücken, um verstanden zu werden.

 

Am 19.1.2020 um 10:29 schrieb Freiform:

Ich habe schon vieles weggegeben, was mich an unsere Zeit erinnert, um nicht immer wieder auf Schritt und Tritt an dich erinnert zu werden, aber von deinen Briefen kann ich mich einfach nicht trennen. Sie sind der Hort meines Lebens! Die beweisen, dass ich nicht nur der unnahbare Knötterkopp von nebenan bin, sondern auch ein Mensch, der etwas zu geben hat, wenn ich das auch gut zu verbergen weiß.

Wow! Das geht mir sehr unter die Haut. Da steckt so viel ehrliche Selbstpreisgabe drin. Wie das Selbstbild hier eben auch vom Bild gestützt wird, das die geliebte Person gezeichnet hat! Auf diese Weise wirkt sie bis weit nach ihrem Tod hinaus auf liebevolle Weise auf ihn. Der "Hort des Lebens" ist hierfür ein wundervoll poetischer Ausdruck, der in aller Kürze alles sagt und keine Fragen mehr offen lässt. 

 

Am 19.1.2020 um 10:29 schrieb Freiform:

Du würdest dir eine spitze Bemerkung aber sicher nicht verkneifen können: „ Du hättest mir früher auch gern öfter helfen dürfen!“

Klasse! Hier baut sich die Selbstwahrnehmung, die ja, wie bereits erklärt, auch mit der Fremdwahrnehmung durch die geliebte Person verflochten ist, zu einem Bild der Geliebten aus: Aufgrund der ihm bewussten Schwächen, ist er in der Lage zu verstehen, wie sie auf die Überwindung dieser Schwächen reagieren würde. Er kann ihr Leben nach dem Tod weiterspinnen, weil er sie kennt, weil Selbstwahrnehmung und gegenseitige Wahrnehmung so sehr miteinander verflochten sind, dass das Band, wie im ersten Absatz erwähnt wurde, nicht mehr getrennt werden kann. Und das ist dann auch die Conclusio des Textes aus meiner Sicht.

 

Insgesamt ein sehr reflektierter und äußerst gefühlvoll geschriebener Text über ein nahegehendes Thema. Danke fürs Schreiben!:classic_smile:

 

LG

  • wow... 1
Geschrieben

Hallo Schmuddelkind,

ich bin ganz begeistert von deiner Textanalyse! :attention:
Sie ist um Lichtjahre meiner Fähigkeit einer brauchbaren Textanalyse voraus. Chapeau!
Ich kann dir gar nicht genug danken für die Wertschätzung, die du diesem Text zukommen lässt.
An dem Tag, muss mich die Muse wohl ordentlich unterstützt haben, als ich diesen Text so aufs virtuelle Papier gebracht habe.

 

Dankeschön! :grin:

 

grüßend Freiform

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