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Unterschiede

(Ein Sonett à la Sestine)

 

Der Reiche, er erwacht wie jeden Morgen
und kann von wohlgedeckter Tafel speisen,
er denkt Gedanken, die um Wohlstand kreisen,
der Reiche lebt sein Leben ohne Sorgen.

 

Der Arme, er erwacht wie jeden Morgen
und muss von karg gedeckter Tafel speisen,
er denkt Gedanken, die um Mangel kreisen,
der Arme lebt sein Leben voller Sorgen.

 

Der Arme geht, den Reichen zu bedienen,
wie immer, kehrt und putzt und wäscht den Wagen,
zuhause liegt sein krankes Kind im Sterben.

 

Der Reiche kommt und heißt den Armen dienen:
"Wie immer, kehr und putz und wasch den Wagen!"
Zuhause liegt sein krankes Kind im Sterben.

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Geschrieben

Hallo Anonyma,
du hast es echt drauf. Hut ab, Nase auf den Boden. So etwas würde ich nie hinkriegen.
Thematisch bleibt der der Text etwas an der Oberfläche hängen und durch die Struktur geht mir etwas das Gefühl  verloren. Deshalb mag ich auch keine Pantun.
Aber handwerklich top oft he Pop, sofern ich das beurteilen kann!

grüßend  Freiform

 

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Geschrieben

Hallo Anonyma,

 

das sonderbare deiner Zeilen ist für mich, dass gerade die Unterschiede durch die Wiederholung beider Perspektiven zu übergeordneten Gemeinsamkeiten werden.

Letztlich scheint mir sogar die Gemeinsamkeit viel mehr im Fokus, als die (imaginären) Unterschiede.

Und es bleibt so, dass an gewissen Dingen Reichtum nichts ändert. Der Arme und der Reiche sind geeint durch den Vers "Zuhause liegt sein krankes Kind im Sterben."

Kein Geld ändert etwas daran.

Beide sind gleichsam betroffen, wohl unwissentlich. Der eine sieht nur, was der andere hat, der andere sieht nur, was der eine will.

Und viel mehr eint beide. Kreisen doch beide Gedanken um zwei gegensätzliche Bezüge der gleichen Sache - zwei Pole einer Welt.

Hier wird sichtbar, wie wichtig die Perspektive ist. Und indem du beide einnimmst werden die Parrallelen sichtbar, in aller Absurdität, in allen Unterschieden so identisch.

 

Ich vermute, dass du hier bewusst stark akzentuierte Stereotypen aufgebaut hast, die zugleich von beiden Seiten absolut einfältig und schlicht sind.

Es ist ein wenig wie @Freiform es schreibt - thematisch bleibt es an der Oberfläche. Denn die beschriebenen Typen haben hier keine Tiefe, keine eigentliche Persönlichkeit oder Differenz, keine klaren Gefühle. Diese bleiben für den Leser verborgen, weil jede Darstellung hier zu viele Interpretationen zulässt.

Da also gar kein Einblick in das Innenleben der beschriebenen Charaktere möglich ist, gerade ich schnell in eine Monotonie. Die ich hier gar nicht so schlecht finde, und die vielleicht so gewollt ist. Denn es ist genau dies monotone, einseitige Bild das die Menschen dem jeweils anderen zuschreiben. Ohne die Person dahinter wirklich zu sehen..

 

Mit den Wiederholungen ist es so ein schmaler Grat, wo es schnell zu viel des Guten sein kann.. Andererseits entsteht erst dadurch dies eindringliche aber oberflächliche Bild.

Man könnte sagen: Deine Worte bleiben im Gedächtnis haften, ohne einen wirklichen Abdruck zu hinterlassen.

Was selbstverständlich nur mein persönlicher Leseeindruck ist :rolleyes:

 

Umso mehr bin ich aber fasziniert, wie stark dieses Nichtssagende ist. Denn wie ein Spiegel scheinen die Worte, blicke ich auf die Realität unser Gesellschaft. Wie unendlich weit ist diese Oberfläche auf der wir uns tagtäglich bewegen ohne je in die Tiefe zu gehen, ohne je den Menschen hinter einer Maske oder einer Zuschreibung zu erblicken, ohne uns je von Kategorisierungen wie "arm" und "reich" oder "fleißig" und "faul" usw. loszusagen und darüber hinaus (oder hinunter durch) zu blicken! Wie fad ist diese Welt aus diesem Blick betrachtet!

Wir unterscheiden nicht nur zwischen 'Mensch' und 'Mensch' weil der eine eben 'Mensch' ist und der andere.. nun ja.. 'Mensch', wir implizieren unablässig bestimmtes Verhalten durch bestimmte Typen in bestimmten Wertungen usw.. und setzen damit ein derart realitätsfernes Bild zusammen, dass es ad absurdum ist.

 

Du hast jedenfalls unbewusst oder bewusst eine Menge Aussage in Nichtssagung verpackt und mir als Grübelpaket vorgelegt.

Kein Überraschungspaket - Glück gehabt!

Aber nun braucht mein Kopf erst einmal eine wohl verdiente Denkpause     smilie_sleep_051.gif

 

Liebe Grüße, Lichtsammlerin

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Geschrieben

Hallo Anonyma,

 

Ein schön schlichter und sehr nachdenklicher Fingerzeig auf:

Arm vs. Reich, denn größer kann der gesellschaftliche Unterschied nicht sein.

 

Wie ich es aus dem Schlussvers für mich herauslese, ist der Reichtum des Protagonisten eher nicht selbst erarbeitet worden, sondern ist in selbigen hineingeboren.

Ich glaube (Ausnahmen bestätigen die Regel) wenn man selfmade reich ist, vergisst man seine Bodenständigkeit nicht so schnell und hat ein Augenmerk auf das Ergehen seiner Mitmenschen resp. Angestellten und behandelt sie entsprechend.

 

 

LG Sternwanderer

 

 

 

 

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Geschrieben (bearbeitet)

Hallo Freiform,

 

Am 25.3.2020 um 16:19 schrieb Freiform:

du hast es echt drauf. Hut ab, Nase auf den Boden. So etwas würde ich nie hinkriegen.
Thematisch bleibt der der Text etwas an der Oberfläche hängen und durch die Struktur geht mir etwas das Gefühl  verloren. Deshalb mag ich auch keine Pantun.

das war nur so eine Idee - ich fragte mich, ob sich wohl das Sonett mit einer Sestine 'kombinieren' lässt. Und ich fragte mich auch, hm, und wenn ich ganze Verse wiederhole, statt nur die Endreime, was lässt sich damit machen? Probieren, dachte ich, geht über Studieren. 

 

Thematisch oberflächlich - kommt auf die 'Lesart' an. 

Da Lichtsammlerins Kommentar mir die beste 'Vorlage' bietet, um darauf näher einzugehen, verstehst du sicher, warum ich bitten möchte, dann in meiner Antwort an sie nachzulesen. 

Was Gedichtformen wie Pantun oder Villanelle anbetrifft, ein paar Mal habe ich auch diese Formen verwendet. Allerdings dann mit lustigem Inhalt - das funktioniert tatsächlich bei diesen Formen ziemlich gut, wie ich zumindest (für mich) feststellte. Wenn man da nämlich die Wiederholungen der Verse zur Verstärkung der 'Komik' nutzt, klappt das wirklich gut.

Allerdings nicht nur bei lustigen Inhalten. Es kommt, wie immer, darauf an, wie man etwas verwendet - und ob man vielleicht auch etwas 'kombiniert'. 

 

Am 25.3.2020 um 16:19 schrieb Freiform:

Aber handwerklich top oft he Pop, sofern ich das beurteilen kann!

Dankeschön! 

 

Vielen Dank für deinen Kommentar! :smile:

 

LG,

 

Anonyma

 

______________________________________________________________________

 

Am 25.3.2020 um 18:19 schrieb Lichtsammlerin:

das sonderbare deiner Zeilen ist für mich, dass gerade die Unterschiede durch die Wiederholung beider Perspektiven zu übergeordneten Gemeinsamkeiten werden.

Letztlich scheint mir sogar die Gemeinsamkeit viel mehr im Fokus, als die (imaginären) Unterschiede.

Jein, möchte ich sagen. Ja - beide sind Menschen, beide sind Männer, beide machen sich Gedanken über etwas, beide haben ein Kind. 

Es sind Unterschiede - und keine imaginären, sondern kleine Unterschiede, die einen großen Unterschied machen.

 

Am 25.3.2020 um 18:19 schrieb Lichtsammlerin:

Und es bleibt so, dass an gewissen Dingen Reichtum nichts ändert. Der Arme und der Reiche sind geeint durch den Vers "Zuhause liegt sein krankes Kind im Sterben."

Kein Geld ändert etwas daran.

Das ist richtig, die finanziellen Verhältnisse ändern daran nichts - es ist ja auch die Frage, die im Raum steht, ob die beiden Kinder aus dem gleichen Grund im Sterben liegen.

Kennst du den Aufbau eines Sonetts? (Ich schreibe das jetzt ohnehin nicht nur für dich, sondern auch mit für andere, eventuelle Leser.) 1. Quartett: These, 2. Quartett: Antithese, 3. + 4. Strophe (Terzette): Synthese. Ich nahm das 'wörtlicher', so möchte ich sagen.

Die Frage lautet: Sind der Arme und der Reiche wirklich geeint, dadurch, dass bei beiden ein krankes Kind zuhause im Sterben liegt? 

Am 25.3.2020 um 18:19 schrieb Lichtsammlerin:

Beide sind gleichsam betroffen, wohl unwissentlich. Der eine sieht nur, was der andere hat, der andere sieht nur, was der eine will.

Ja, unwissentlich, dass sie diese Gemeinsamkeit haben. Dem zweiten Satz muss ich hier widersprechen. Bei beiden 'kreisen' die Gedanken um das, was für sie jeweils die 'Hauptsache' in ihrem Leben ist. Bei beiden richtet sich die 'Konzentration' zwar nach innen - aber der 'Fokus' liegt jeweils auf etwas ganz anderem.

 

Am 25.3.2020 um 18:19 schrieb Lichtsammlerin:

Und viel mehr eint beide. Kreisen doch beide Gedanken um zwei gegensätzliche Bezüge der gleichen Sache - zwei Pole einer Welt.

Deshalb stimme ich hier zu, das hast du gut erkannt. 

 

Am 25.3.2020 um 18:19 schrieb Lichtsammlerin:

Hier wird sichtbar, wie wichtig die Perspektive ist. Und indem du beide einnimmst werden die Parrallelen sichtbar, in aller Absurdität, in allen Unterschieden so identisch.

Hier möchte ich die Frage stellen - was ist wohl die Ursache dafür, dass die beiden, wie du sagtest, um 'zwei gegensätzliche Bezüge zur gleichen Sache', trotz aller Parallelen, eine so unterschiedliche Perspektive haben? 

 

Am 25.3.2020 um 18:19 schrieb Lichtsammlerin:

Ich vermute, dass du hier bewusst stark akzentuierte Stereotypen aufgebaut hast, die zugleich von beiden Seiten absolut einfältig und schlicht sind.

Auf dem Begriff 'Stereotypen' kaue ich ein bisschen herum. Ich würde sie 'exemplarische Beispiele' nennen. Sind sie beide einfältig? Wirklich? 

 

Am 25.3.2020 um 18:19 schrieb Lichtsammlerin:

Es ist ein wenig wie @Freiform es schreibt - thematisch bleibt es an der Oberfläche. Denn die beschriebenen Typen haben hier keine Tiefe, keine eigentliche Persönlichkeit oder Differenz, keine klaren Gefühle. Diese bleiben für den Leser verborgen, weil jede Darstellung hier zu viele Interpretationen zulässt.

Da also gar kein Einblick in das Innenleben der beschriebenen Charaktere möglich ist, gerade ich schnell in eine Monotonie. Die ich hier gar nicht so schlecht finde, und die vielleicht so gewollt ist. Denn es ist genau dies monotone, einseitige Bild das die Menschen dem jeweils anderen zuschreiben. Ohne die Person dahinter wirklich zu sehen..

Scheinbar bleibt es an der Oberfläche - wie ich sagte, es kommt darauf an, den Fokus beim Lesen ganz bewusst auf die kleinen Unterschiede zu richten. Diese geben Antworten - auch bezüglich der Interpretationsmöglichkeiten. 

Tatsächlich gibt es da schon einen Blick in das Innenleben. Nur keinen 'direkten'.

Aber mit oberflächer Monotonie, damit hast du recht. 

Und das war durchaus so beabsichtigt. Das Gedicht ist von mir so konzipiert, dass etwas Bestimmtes notwendig ist: Hinterfragen. Und auch etwas 'zwischen den Zeilen lesen'.

Mit den letzten beiden Sätzen hast du erneut recht. Preisfrage: Warum sieht der Reiche beim Armen nicht die Person dahinter - und warum sieht der Arme beim Reichen nicht die Person dahinter?

Gibt es vielleicht, durchaus in der Realität, Gründe für Oberflächlichkeit - und wie gleich oder verschieden sind diese?

 

Am 25.3.2020 um 18:19 schrieb Lichtsammlerin:

Mit den Wiederholungen ist es so ein schmaler Grat, wo es schnell zu viel des Guten sein kann.. Andererseits entsteht erst dadurch dies eindringliche aber oberflächliche Bild.

Man könnte sagen: Deine Worte bleiben im Gedächtnis haften, ohne einen wirklichen Abdruck zu hinterlassen.

Was selbstverständlich nur mein persönlicher Leseeindruck ist :rolleyes:

Ja, die Oberfläche hinterlässt natürlich keinen wirklichen Abdruck, richtig. Die Wiederholungen 'maskieren' hier, sie 'kaschieren' den Hintergrund, lenken beim Lesen ab - das ist so gewollt, stimmt. 

Weil es im 'echten' Leben ganz genauso ist - wie leicht lassen wir uns ablenken und bleiben dann an der Oberfläche 'hängen'? 

Wie oft nehmen wir das 'Gegebene' als Grundlage und wie oft und wie viel hinterfragen wir? Es erfordert 'Suchen'. Und einen 'geschärften' Blick auf die kleinen - Unterschiede, um zu verstehen. 

Und ebenso selbstverständlich: Danke für das Schildern deines Leseeindrucks! :grin:

 

Am 25.3.2020 um 18:19 schrieb Lichtsammlerin:

Umso mehr bin ich aber fasziniert, wie stark dieses Nichtssagende ist. Denn wie ein Spiegel scheinen die Worte, blicke ich auf die Realität unser Gesellschaft. Wie unendlich weit ist diese Oberfläche auf der wir uns tagtäglich bewegen ohne je in die Tiefe zu gehen, ohne je den Menschen hinter einer Maske oder einer Zuschreibung zu erblicken, ohne uns je von Kategorisierungen wie "arm" und "reich" oder "fleißig" und "faul" usw. loszusagen und darüber hinaus (oder hinunter durch) zu blicken! Wie fad ist diese Welt aus diesem Blick betrachtet!

Wir unterscheiden nicht nur zwischen 'Mensch' und 'Mensch' weil der eine eben 'Mensch' ist und der andere.. nun ja.. 'Mensch', wir implizieren unablässig bestimmtes Verhalten durch bestimmte Typen in bestimmten Wertungen usw.. und setzen damit ein derart realitätsfernes Bild zusammen, dass es ad absurdum ist.

Ja - darum geht es 'auch' in diesem Gedicht. Es ist als eine Art 'Spiegel' von mir gedacht. Wer schaut ganz genau hin, hinterfragt, richtet den Blick auf die kleinen Unterschiede, die einen großen Unterschied ausmachen. Ganz gegen meine sonstige Vorgehensweise ist hier sogar der Titel ein wichtiger Bestandteil. 

Die Frage ist, was hier zu lesen ist, wenn die Oberfläche betrachtet wird - und was ergibt sich beim Lesen der kleinen Unterschiede, jeweils im Zusammenhang?

Das Gedicht ist vielleicht doch näher an der Realität, als - die Oberfläche zeigt ...

 

Am 25.3.2020 um 18:19 schrieb Lichtsammlerin:

Du hast jedenfalls unbewusst oder bewusst eine Menge Aussage in Nichtssagung verpackt und mir als Grübelpaket vorgelegt.

Kein Überraschungspaket - Glück gehabt!

Aber nun braucht mein Kopf erst einmal eine wohl verdiente Denkpause     smilie_sleep_051.gif

Ganz genau - und bewusst. Ein 'Grübelpaket' - besser könnte ich es nicht ausdrücken, das trifft den Nagel auf den Kopf. 

Ich hoffe, du hattest gestern die Zeit für deine - und ja, ich stimme zu, wohlverdiente Denkpause. Ein dickes Extra-Dankeschön dafür, dass du dir so viele Gedanken gemacht hast!

 

Worum geht es im Gedicht 'unter der Oberfläche'? Das Gedicht hat 'Schlüsselstellen' - sie bieten die Schlüssel, um es 'aufzuschließen' - denn sie stellen unter der Oberfläche Verbindungen her.

 

Im ersten Quartett sind das drei Stellen:

 

Die wohlgedeckte Tafel

Die Gedanken, die um Wohlstand kreisen 

Das Leben, das ohne Sorgen gelebt wird

 

Im zweiten Quartett sind es genauso drei Stellen - an gleicher Stelle:

 

Die karg gedeckte Tafel

Die Gedanken, die um Mangel kreisen

Das Leben, das voller Sorgen gelebt wird

 

Oberflächlich betrachtet, lediglich das Gleiche 'in Grün'. Aber - was besagt vor allem das 'Kreisen'? Es sagt aus, worauf der innere, gedankliche Fokus liegt. Mangel - das ist mehr als nur zu wenig zu essen. Und, sehr wichtig in diesem Zusammenhang das von mir bereits erwähnte 'Hinterfragen'. Was könnte die Ursache dafür sein, dass der Reiche sein Leben ohne Sorgen lebt - und was ist das Resultat dieser 'Denkrichtung'?

Beim Armen ist es etwas anders. Voller Sorgen - warum voller Sorgen? Worum macht er sich Sorgen? Voller Sorgen - viele Sorgen. Um vieles, woran es fehlt. 

Zwei Schlüsselwörter, die einen deutlichen Hinweis geben, wenn man sie genauer betrachtet:

 

Reich: Kann

Arm: Muss

 

Der Reiche kann sein Leben ohne Sorgen leben - wenn er will. Er denkt einfach an nichts anderes, weil er nur an Wohlstand, an seinem Reichtum interessiert ist. Er könnte anders, aber - er will nicht.

Der Arme muss sein Leben voller Sorge leben, weil es an zu vielem mangelt - hat er die Wahl? Durchaus. Er könnte Frau und Kind verlassen. Als ein Beispiel. Aber - er kann nicht anders.

Sind diese beiden Menschen also im Inneren - gleich? Oder gibt es da einen echten Unterschied?

 

Die Terzette  geben Antworten.

 

Arm: Geht

Reich: Kommt

 

Wieder zwei Worte, die echte, wirkliche Gegensätze sind, so wie kann und muss. Und hier - in umgekehrter Reihenfolge als in den beiden Quartetten davor.

 

Zusammenhänge - das Hinterfragen und das Verbinden. Den Schlüssel finden - im Zusammenhang ist er verborgen. So, wie im Leben nun mal die Wahrheit unter der Oberfläche zu finden ist, so ist das auch hier der Fall.

 

Im Zusammenhang - der Arme, er muss zur Arbeit gehen. Obwohl zuhause sein krankes Kind im Sterben liegt. Würde er nicht gehen, was wäre dann? Er würde seine Arbeit womöglich verlieren - und dann? Er hat - keine Wahl. Er muss. 

Seine Gedanken kreisen um den Mangel - aber keineswegs nur um sich selbst.

 

Im Zusammenhang - der Reiche, dessen Kind ebenfalls zuhause im Sterben liegt. Könnte der Reiche bei seinem Kind sein? Warum nicht? Ja, warum bleibt er nicht zuhause, bei seinem Kind, das nicht nur krank ist, sondern - stirbt? Weil er nur an seinen Wohlstand denkt. Er - kreist nur um sich selbst. Lässt sein sterbendes Kind zuhause allein - weil er zur Arbeit gehen will. Um dem Armen Anweisungen zu geben. 

 

Die Unterschiede hier sind gravierend: Der Arme geht, weil er muss, den Reichen zu - bedienen.

Der Reiche kommt - und 'heißt' den Armen 'dienen'. Der Arme, dem wird gesagt, wo sein - Platz ist. Der des Dieners. Weil der Reiche sicher weiß, dass der Arme gehorcht. Weil er muss. Der Reiche könnte ihn sonst einfach - rauswerfen, Wenn er will, kann er. Was er will.

 

Bedienen - das Dienen heißen (befehlen).

 

Die versteckten Unterschiede unter der Oberfläche, die sind nur scheinbar klein - sie sind in Wirklichkeit nicht nur gravierend, sie sind - existentiell. 

 

Mein Sonett fordert zum Hinterfragen auf, zum genauen Hinsehen und zum Nachdenken darüber. Weil eine Oberfläche nicht zeigt, was sich darunter verbirgt - da muss man nachsehen. Manchmal auch ganz genau. Darüber reflektieren. Um einen Blick unter die Oberfläche, auf 'verborgene' Wahrheiten werfen zu können, die gar nicht verborgen sind, sie sind immer da. Aber eben - unter der Oberfläche. 

 

Hier im Gedicht verbergen sich Unterschiede, die tatsächlich sogar - Gegensätze sind. So gleich - und doch so verschieden, der Reiche und der Arme.

 

Ganz besonders herzlichen Dank für deinen ausführlichen, interessierten Kommentar! :grin:

 

LG,

 

Anonyma

 

_______________________________________________________________________________

 

Hallo Skalde,

Am 25.3.2020 um 20:57 schrieb Skalde:

Sehr, sehr schön !!!

vielen, vielen Dank - ich freue mich sehr über dein Kompliment! :blume:

LG,

 

Anonyma

 

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Hallo Sternwanderer,

Am 26.3.2020 um 08:51 schrieb Sternwanderer:

Ein schön schlichter und sehr nachdenklicher Fingerzeig auf:

Arm vs. Reich, denn größer kann der gesellschaftliche Unterschied nicht sein.

ja, manchmal ist es gerade das Schlichte - das mit nachdenklichem Finger denselben punktgenau in die Wunde legt. 

 

So groß der gesellschaftliche Unterschied ist - so groß ist auch der menschliche Unterschied zwischen dem Armen und dem Reichen hier im Gedicht. Denn wir Menschen - sind immer Menschen. Und gesellschaftliche Unterschiede werden von Menschen für/gegen Menschen verursacht ... für und gegen, je nachdem ... Gegensätze. 

Wie wir - so gleich und doch oft so gegensätzlich.

 

Am 26.3.2020 um 08:51 schrieb Sternwanderer:

Wie ich es aus dem Schlussvers für mich herauslese, ist der Reichtum des Protagonisten eher nicht selbst erarbeitet worden, sondern ist in selbigen hineingeboren.

Ich glaube (Ausnahmen bestätigen die Regel) wenn man selfmade reich ist, vergisst man seine Bodenständigkeit nicht so schnell und hat ein Augenmerk auf das Ergehen seiner Mitmenschen resp. Angestellten und behandelt sie entsprechend.

Ja, es ist durchaus eine mögliche Interpretation. Möglich, dass dieser Reiche hier in Reichtum hineingeboren wurde. Und - Hänschen hat gelernt, dass dieser das einzig Wichtige ist. Also befasst er sich auch nur damit. Aber doch eher weniger wahrscheinlich, insgesamt gesehen.

 

Persönlich sehe ich das etwas anders - ich glaube, die 'Selfmade-Millionäre' (ich verwende einfach mal diesen bekannten Begriff) sind vielleicht bodenständiger/realistischer - aber sind sie menschlicher? Was ist notwendig, um nach 'oben' zu kommen, um reich zu werden? Nun, ich würde sagen, eine gehörige Portion Rücksichtslosigkeit, wenig oder keine Empathie - schließlich müssen auch 'menschliche Hindernisse' aus dem Weg geräumt werden. Das ist einfach erforderlich. Mitgefühl und Rücksichtnahme - damit wird man nicht reich. Muss nicht gerade der 'Selfmade-Man' ganz besonders 'hart' sein? Und wie viele Kinder der Reichen landen in der Alkohol-, Drogen- oder Sexsucht, wenn sie ihrerseits nicht 'hart' genug sind?

Wie viel 'Interesse' an Mitmenschen und später dann, an Angestellten und Arbeitern kann sich so jemand 'leisten'? Die Realität sagt - sehr, sehr wenig. Wenn jemand reich werden will, dann ist das, auch wenn es vorkommt, meistens eher 'Mittel zum Zweck', denn der Zweck heiligt ja bekanntlich die Mittel. Solche und solche. Je weiter oben jemand dann ist, desto weniger sieht er sich gezwungen, da 'Zugeständnisse' machen zu müssen ... das ist die Realität, wie sie ist. 

 

Und es ist eine traurige Realität.

 

Auch dir danke ich herzlich für deine Gedanken dazu und für deinen Kommentar!

 

LG,

 

Anonyma

 

____________________________________________________________________________________

 

Hallo Carlos,

 

Am 26.3.2020 um 10:23 schrieb Carlos Larrea:

Hier hast du eine große lyrische Herausforderung mit deiner Lieblings-Gedichtform erfolgreich vereint.

Non plus ultra.

jaja, das Sonett. Ich komme einfach nicht darum herum - will ich aber auch gar nicht. Nur versuche ich eben, auch viel zu variieren und nicht nur 'Standard-Modelle' zu verwenden, das ist mir wichtig. Also dachte ich mir so, denn ich mag Herausforderungen, warum nicht mal ein Sestinen-Sonett schreiben? (Mit so einem bisschen 'Anklang' an Richtung Triolett, Pantum und Vilanelle, vielleicht auch noch, wenn man's mal genauer nehmen will. Will ich's ganz genau nehmen? Manchmal, manchmal auch nicht. Ich nahm mir hier einfach ein paar - Freiheiten. Mache ich öfter. Weil gerne.) :wink:

 

Ich danke auch dir herzlich für deinen Kommentar und dein Lob! :smile:

 

LG,

 

Anonyma

 

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