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Es war schwierig, mit ihm darüber zu reden. Alles war schwierig mit ihm: Auto fahren, einkaufen, Urlaub, selbst essen war schwierig. Mit ihm zu leben war schwierig. Manchmal glaubte sie fast, ihn zu hassen. Nur die Tatsache, dass sie ihn liebte, konnte sie vom Gegenteil überzeugen. Aber was hieß, ihn zu lieben? Liebe - was soll das eigentlich bedeuten? Immerhin vertraute sie ihm. Sie würde etwa nie vermuten, dass er eine Affäre hätte. Aber war dies gewachsenes Vertrauen oder geschwundenes Misstrauen, weil es ihr inzwischen egal geworden war? Seit über einem Jahr hatten sie keinen Sex mehr gehabt. Wäre es da nicht naheliegend, dass er die Zuneigung woanders suchte? Dennoch hat sie ihn nie verdächtigt - in 25 Jahren Ehe nicht. Vielleicht weil sie ihn sich gar nicht mehr als Mensch mit sexuellen Ambitionen vorstellen konnte. Vielleicht hatte sie inzwischen auch das Gefühl, dass es sie nichts angehe, was ihr Mann privat mache. 

 

Sie begann über diese Gedanken zu weinen, während er mit gehobenen Augenbrauen vom Fernseher zu ihr herüber schaute. Er hatte in 25 Jahren Ehe schon gelernt, dass seine Frau nicht mit sich reden lässt, wenn sie einmal weint, weswegen er ihr Schluchzen inzwischen nur noch als nervig und überflüssig empfindet. Eine Kommunikationsform ohne Kommunikation. Es war schwierig, mit ihr zu reden, weil sie keine Lösungen suchte. Manchmal erschien es ihm, als ob sie Lösungen gar abblockte. Um eine Märtyrerin zu sein? Vielleicht. Vielleicht damit er sich schuldig fühlte, doch dies hat er vor langer Zeit überwunden.

 

Da sie ihn nie als Ehebrecher sah, lastete die Schuld umso schwerer auf ihren Schultern. Sie hätte es für Liebe auf den ersten Blick gehalten, wäre sie nicht verheiratet gewesen. So war es nur schneller, bedeutungsloser, wundervoller Sex. Aber es war schwierig, mit ihm darüber zu reden. Selbst die halbe Wahrheit macht ihn für gewöhnlich wütend. Dennoch fasste sie sich ein Herz und öffnete den Mund, noch unsicher, was sie sagen sollte. In den Gedanken gestand sie ihm alles. Er würde sie nicht ausreden lassen und sie beschimpfen. Sie würde die Beschimpfungen über sich ergehen lassen, bis zu einem gewissen Punkt. Dann würde sie sich rechtfertigen, obwohl sie im Unrecht ist. Er würde empört reagieren und sie hätten sich nichts mehr zu sagen. Also schloss sich ihr Mund wieder.

 

In solchen Situationen könnte er sie gegen die Wand schlagen. Er beschloss, dass es für alle besser sei, wenn es ihm egal ist. Und dennoch: Wie sie weinte und um Worte rang, tat sie ihm fast wieder ein bisschen leid. Wenn sie doch einmal reden würde! Er würde sich vornehmen, ihr zuzuhören, ohne sie zu unterbrechen und er würde Verständnis zeigen, schon alleine, um ihre Ehrlichkeit zu honorieren. Aber sie würde nur darüber reden, wie sie sich fühlt und nicht darüber, was eigentlich los ist. Irgendwann würde er sagen: "Dann lass es halt bleiben!" Nach einer kurzen Pause würde er nachreichen: "Immer wenn Fußball läuft!" Dafür würde er sich schämen. Doch er würde sich nichts anmerken lassen und sie hätten sich nichts mehr zu sagen.

 

Sie wischte ihre Tränen bei Seite und schwieg, um das Vertrauen nicht zu gefährden. Er ließ sie wieder in den Hintergrund seines Denkens gleiten und schaute ungestört Fußball.

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Geschrieben

Salve Schmuddelkind!

 

Ich muss an Virginia denken.

Ja, an die, die sich in einem Fluss ertränkte.

Schwere Steine hatte sie in den Taschen ihres Mantels.

Die von dir beschriebene Situation kann ich direkt nachvollziehen. Das ist Alltag in vielen alten Beziehungen.

Die Leidenschaft ist längst vorbei und man hat nicht gelernt, zu lieben.

Gerne gelesen und darüber sinniert.

C.

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Geschrieben (bearbeitet)

Als ob man im falschen Film ist und doch könnte deine Geschichte nicht treffender sein, Schmuddelkind.

vor 14 Stunden schrieb Schmuddelkind:

Vielleicht hatte sie inzwischen auch das Gefühl, dass es sie nichts angehe, was ihr Mann privat mache. 

Hier musste ich zunächst lachen, obwohl es sicher nicht dazu gedacht ist...

 

Wirklich beeindruckend geschrieben! Die Gedanken, welche sich im Vorwege abspielen und die einen letztendlich wieder davon abhalten, zu reden. Wenn es nicht so beklemmend wäre, würde ich sagen:"Fantastisch".

Nur irgendwie habe ich Mitgefühl mit den zweien.;-(

Den Text könnte ich mir wunderbar für einen Einstieg in der Paarberatung vorstellen, zur Auflockerung...

 

Das habe ich sicher nicht zum letzten Mal gelesen.

 

Lieben Gruß, Letreo

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Geschrieben

Vielen Dank, dass ihr eure Gedanken mit mir teilt, ihr Lieben!:classic_smile:

 

vor 20 Stunden schrieb Sonnenuntergang:

Das ist eine toll geschriebene Geschichte und die Gedanken von Mann und Frau, Mars und Venus sehr schön beschrieben

Danke für das Lob! Ich weiß gar nicht, ob es so sehr mit dem Thema der Geschlechtlichkeit spielt. Ich könnte mir die Rollenverteilung auch gut anders herum vorstellen oder eben auch in einer homosexuellen Partnerschaft, die das Haltbarkeitsdatum überschritten hat. Aber ich freue mich, dass es mir scheinbar gelungen ist, sowohl die Gedanken des Mannes, als auch die der Frau zu vermitteln.:classic_smile:

 

vor 8 Stunden schrieb Carlos:

Schwere Steine hatte sie in den Taschen ihres Mantels.

Manchmal ist die Wirklichkeit die beste Metapher.:sad:

 

vor 8 Stunden schrieb Carlos:

Die von dir beschriebene Situation kann ich direkt nachvollziehen. Das ist Alltag in vielen alten Beziehungen.

Die Leidenschaft ist längst vorbei und man hat nicht gelernt, zu lieben.

Guter Satz! "Nicht gelernt, zu lieben." - ja, manche wissen nach einer Weile nicht, was sie mit diesem Menschen anfangen sollen und dann bleibt man vielleicht aus Bequemlichkeit, Sicherheitsdenken oder Konformismus zusammen und macht einander unglücklich. 

 

vor 8 Stunden schrieb Letreo71:

Hier musste ich zunächst lachen, obwohl es sicher nicht dazu gedacht ist...

Ach, meine Worte sind zu überhaupt nichts gedacht und wenn sie dich zum Lachen bringen, macht mich das fröhlich.:classic_smile:

 

vor 8 Stunden schrieb Letreo71:

Wirklich beeindruckend geschrieben!

Dankeschön!:classic_smile:

 

vor 8 Stunden schrieb Letreo71:

Die Gedanken, welche sich im Vorwege abspielen und die einen letztendlich wieder davon abhalten, zu reden.

Oft scheint auch ein Problem in Partnerschaften oder Freundschaften zu sein, dass man glaubt, den Anderen zu kennen und seine Reaktion vorwegnehmen zu können. Dadurch beraubt man ihn aber der Chance, sich anders zu verhalten, als man es erwartet. Allzu schnell kommt der Gedanke auf, wenn der Partner mal wieder in bekanntem Tonfall Redebedarf anmeldet: "Ach, jetzt kommt wieder die olle Leier!" Und man ist geneigt, alles, was der Partner sagt, vor dem Hintergrund der ollen Leier zu deuten, sieht dabei weniger ihn als vielmehr das, was man von ihm erwartet. Diese Geschichte zeigt vielleicht, dass eine Beziehung so keine Chance hat.

 

vor 8 Stunden schrieb Letreo71:

Nur irgendwie habe ich Mitgefühl mit den zweien

Ja, irgendwie sind ja beide "Opfer" ihrer Beziehungsmuster. Beide leiden darunter und keiner kann etwas dagegen unternehmen. Schon irgendwie bedrückend.

 

vor 8 Stunden schrieb Letreo71:

Den Text könnte ich mir wunderbar für einen Einstieg in der Paarberatung vorstellen, zur Auflockerung...

Zur Auflockerung?:scared:

Und was hast du mit den Leuten vor, wenn es ernst wird?:wink:

 

vor 8 Stunden schrieb Letreo71:

Das habe ich sicher nicht zum letzten Mal gelesen.

Wow! Danke für dieses unglaubliche Lob!:grin:

 

LG

  • Gefällt mir 2
Geschrieben

Cool. Das ist ja eine Ehre, dass du meinen Text dafür als geeignet findest.:classic_smile:

Falls du dir das mit der Schock-Therapie nochmal durch den Kopf gehen lassen willst, kann ich gerne diesen älteren Text von mir beisteuern:

 

 

"Schatz, ich hab vorhin mal wieder onaniert", berichtet er ihr oder dem Fernseher. Sie wippt noch drei mal mit dem Schaukelstuhl. "Und, wie war's?", fragt sie, die psychologische Fachzeitschrift umblätternd, nach. "Gut", antwortet er. "Gut", bestätigt sie. Sie sitzen eine Weile da, sein Blick in Richtung Fernseher, sie in der Ecke, auf dem Stuhl hin und her schaukelnd. Nachdem der Pfiff des Schiedsrichters ertönt, kommentiert er beiläufig: "Juve spielt nicht mehr so gut, wie in den Neunzigern." "Es ist 2014", erklärt sie. "Ja", erwidert er. Das Knarren des Schaukelstuhls und das gleichmäßige Summen des Zuschauerschwarms tönen einige Minuten nebeneinander her.

Sie blättert erneut um und sagt: "Ich hab dich übrigens betrogen, Schatzi. Nur damit du rechtzeitig das Abendessen mit deinen Eltern absagen kannst - am Samstag werde ich dich nämlich wieder betrügen."
Er wendet den Blick vom Spiel ab und sieht sie kurz an: "Aber könntest du nicht auch masturbieren?"
"Klar, aber mit Ole macht es natürlich mehr Spaß. Das verstehst du sicher."
"Ole?! Warum ausgerechnet mit ihm?"
"Na ja, er ist ein paar Jahre jünger als du, gutaussehend und erfolgreich. Aber lass uns doch jetzt nicht darüber streiten."
Ihr Blick ist nach wie vor auf die Zeitschrift fixiert. Sein Blick wandert langsam wieder zurück zum Fußballspiel. Ein Tor fällt. Er nimmt einen Schluck Bier aus der Flasche.

Plötzlich ergreift sie wieder das Wort: "Ach, da fällt mir was ein, Schatz. Ich bin mal meine Planung für das nächste Jahr durchgegangen: Ich überlege gerade, dich Anfang des Jahres zu verlassen und mit Ole zusammenzuziehen."
"Anfang des Jahres?!"
"Na ja, steht ja noch nicht ganz fest. Außerdem haben wir noch mindestens ein halbes Jahr, um einander vorzumachen, wir führten eine Beziehung."
"Hast ja recht, Schatz. Hab sowieso darüber nachgedacht, dich bis zum Ende des Jahres umzubringen. So gegen Weihnachten wäre ein guter Zeitpunkt, finde ich."
"Weihnachten bin ich übrigens nicht da, Liebling. Und hast du da schon was Konkretes im Sinn?"
"Ich habe ja noch den Schlagbohrer - den muss ich dem Nachbarn irgendwann wieder zurückgeben. Jedenfalls könnte ich dir damit durch die Schädeldecke ins Hirn bohren, wenn du schläfst. Kann natürlich sein, dass der Nachbar ihn bis dahin wieder zurück haben will; da dachte ich dann an den Trennschleifer. Mit dem könnte ich dir wohl recht sauber das Genick durchtrennen - müsste dich allerdings irgendwo fixieren."
Verwundert hakt sie nach: "Aber du kannst doch gar nicht mit Werkzeugen umgehen, Schatz. Lass das doch lieber den Profi machen!"
"Mal sehen. Ist ja noch nicht ganz durchdacht", räumt er ein.
Noch mit dem Buch vor der Nase "Eigentlich habe ich ja gehofft, dass dich bis Ende des Jahres deine Depression besiegt und ich dich eines Tages auf dem Dachboden finde, wie du an dem Balken hängst. So, ich gehe dann mal ins Bett. Gute Nacht, Schatz."
"Nacht, Liebling. Lass es dir noch mal durch den Kopf gehen!"

  • Lustig 3
Geschrieben

Danke! Ich bin froh, dass du meine vermeintliche Vielseitigkeit zu schätzen weißt. Es gibt eigentlich nichts Schlimmeres als Künstler, als in einer Schublade eingeschlossen zu werden. Die schmuddelesquen, sehnsüchtig-romantischen Gedichte schreibe ich ebenso gerne wie solche Vorschlaghammer-Texte. Auch lese ich gerne sehr unterschiedliche Texte - Hauptsache, sie wirken in irgendeiner Weise in mir. Ich liebe die Sprache mit all ihren Ausdrucksmöglichkeiten.:grin:

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Geschrieben

Trauerrede, Herz-Schmerz-Gedicht, Satire, Mannschaftsansprache... Man kann mich für alles buchen.:wink:

Nein, es ist einfach so, dass das Leben in seiner ganzen Fülle mich beschäftigt und ich möchte gerne alles einfangen. Das gelingt mir meist nicht, aber den Versuch kann ich dennoch nicht unterlassen. Schreiben macht halt einfach zu viel Spaß und da gehen mir die Themen im Grunde nie aus. Ich glaube doch, dass das für die meisten von uns zutrifft, dass man zu vielen Dingen etwas zu sagen hat und dann eben schreibt, weil man es nicht einfach für sich behalten kann.:classic_smile:

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