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So richtig amerikanisch


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Vor kurzem lud mich ein alter Freund zu Tony's Pizza ein: "Wenn du mal so richtig amerikanisch Pizza essen willst, dann musst du mitkommen. Die haben die besten amerikanischen Pizzen der Stadt." Davon zeigte ich mich allerdings wenig begeistert: "Pizza wurde doch von den Italienern erfunden. Insofern bezweifle ich sehr, dass das wirklich eine Auszeichnung ist. Ich lade dich ja auch nicht in die Jägerklause ein und sage: "Da gibt's die beste deutsche Peking-Ente."" Da hallte es mir entgegen: "Ey, du bist so ein Schwarzmaler! Noch nicht da gewesen und direkt losschießen." Obwohl ich wusste, dass ich recht hatte, war das Argument zu stark, um meinen Widerstand aufrecht zu erhalten. Also willigte ich schließlich ein.

Im Eingangsbereich stand ein Mitarbeiter mit eintätowiertem Lächeln, begrüßte uns und erklärte sogleich: "Wir haben heute All you can eat-Büffet. Das kostet 14,99 €. Eine einzelne Pizza können Sie da nicht bestellen. Aber sie bekommen ja so viele Pizzen, wie sie wollen." "14,99!", empörte ich mich an meinen Freund gerichtet: "Bei meinem Lieblings-Italiener kostet eine große Pizza Prosciutto 7,40 €." "Das kannst du doch gar nicht vergleichen. Wir sind dabei." Drin angekommen, sahen wir eine Menge angespannter Menschen, die sich um etwas versammelten, was ich später als den Büffet-Tisch identifizieren konnte.

Wir suchten uns erst einmal einen Platz, legten unsere Sachen ab und schritten dem Pulk entgegen. Meine Begleitung bemerkte ungeduldig: "Ich kann gar nichts sehen. Ich nehme dich mal Huckepack." Während ich die Augen rollte, ahnte ich, dass Widerspruch zwecklos sei und stieg ihm auf die Schultern. Da öffnete sich eine Luke und fünf Pfannen mit Pizzen unterschiedlicher Toppings, wie der Belag hier hieß, wurden eilig hindurch auf den Büffettisch geschoben, ehe sich die Klappe blitzschnell wieder schloss. Sofort stürzten sich die hungrigen Tiere mit einigem Gebrüll und Zähnefletschen auf das Futter. Mein Freund warf mich ab und sprang mitten in die Meute und als ich so da lag, hörte ich allerlei aggressive Laute, die die Hackordnung klären sollten: "Du Arschloch hast zwei Stücke genommen." "Versuch sie mir doch wegzunehmen!" "Lassen Sie mich durch, verdammt! Ich hab Kinder." "Wir brauchen einen Arzt!" "Erst wenn das ausgefochten ist."

Als sich die Wolke der Gewalt verzogen hatte, näherte ich mich verstört dem nunmehr verlassenen Büffettisch. Alles Essbare war bis auf den letzten Krümel verschwunden. Resigniert ging ich zu meinem Platz und beobachtete mit großen Augen, wie mein Freund die letzten Bissen seines Pizzastückes verzehrte. "Ach, du hast gar nichts genommen? Musst du unbedingt kosten. Ist super lecker." Da kam die Bedienung: "Wollt ihr vielleicht was trinken?" "Ich würde gerne was essen", stieß ich zugegebenermaßen etwas wehleidig aus. "Sorry, die letzten Stücke dieser Runde sind gerade ausgegangen. Aber wenn du dich noch zwanzig bis dreißig Minuten gedulden kannst, kannst du mit etwas Glück bei der nächsten Runde was ergattern." Bei der Erwähnung der zwanzig bis dreißig Minuten, schrie mein Magen ein hörbar wütendes "Nein!". Ich jedoch bemühte mich, gesellschaftsfähig zu bleiben, warf einen kurzen Blick in die Karte und meinte verwundert: "4,90?! Na gut, einen Vanille-Shake bitte, aber ohne Sahne." "Ohne Sahne - das macht dann 50 Cent extra." "Bitte?" "Na, da wird was extra berechnet, weil ich der Küche bescheid sagen muss. "Na gut. Dann soll es so sein." Ich hatte an dem Abend den Krieg miterlebt. Ich hatte schon zu viel gesehen, um mich über unberechtigte Preisaufschläge zu entrüsten und ergab mich resignierend meinem Schicksal.

 

Als der Shake eintraf, kam ich nicht umhin zu bemerken, dass letzte Spuren, a posteriori beseitigter Sahne zu sehen waren, doch ich schwieg und blickte traurig einige Minuten in mein Glas, während mein Gegenüber über irgendetwas gesprochen haben muss. Ich probierte einen ersten Schluck. Er schmeckte nicht nach Vanille, sondern nach flüssigem Zucker. Ich fürchtete spontane Diabetes, wenn ich den Shake austrinken würde und ließ ihn ehrfürchtig stehen. Dann packte mich jedoch der Ehrgeiz. Ich wusste: dies ist ein Sport, bei dem es um Feldposition geht. Also platzierte ich mich als einer der ersten Gäste nahe des Büffettisches und sah, wie sich die missgünstige Menge langsam um mich herum versammelte. Gleich würde der Moment kommen, für den ich hergekommen war und ich würde mein gottgegebenes Recht auf eine bezahlte Pizza verteidigen bis auf's Blut.

Als sich die Luke öffnete und die Gladiatoren ihre Schwerter drohend auf die Schilde schlugen, hatte ich mich längst in einen Tunnel der totalen Fokussierung gedacht. Längst war ich zu einem Tier geworden. Mit ausgestrecktem Arm stieß ich den Feind zu meiner Rechten von mir, während ich mit raschem Griff der linken Hand ein Stück Pizza ergatterte. Unerwartet musste ich einen harten Angriff von hinten einstecken, bei dem ich meine Pizza aus der Hand verlor. Gerade noch konnte ich zusehen, wie ein Mann sie auffing, da stieß mich ein Kontrahent von links so zurück, dass ich dem Dieb unbeabsichtigt eine Kopfnuss gab. Während dieser blutend auf dem Boden lag, riss ich ihm die Pizza aus den Händen, hielt sie mit beiden Armen schützend vor meiner Brust, wie ein Runningback seinen Football schützt, und rannte mit der ganzen Gewalt einer wütend drängenden Bewegung durch die Reihen der Blutrünstigen hindurch, die einen Fumble forcieren wollten.

Geschafft! Mich in Sicherheit wähnend, strahlte ich wie ein siegreicher Held, bereit die Früchte meines Sieges zu genießen. Da sah ich ein Mädchen mit traurigem Blick: "Ich hab solchen Hunger." Nach kurzem Zögern gab ich ihr also die Beute und setzte mich, selbst den Tränen nah, wieder an meinen Tisch. Plötzlich hörte ich das Mädchen empört ausrufen: "Ich will aber eine Salami-Pizza!" und sah mein Pizzastück gegen die Scheibe fliegen. Als es kaum 5 cm die Scheibe hinuntergerutscht war, entnahm es ein geistesgegenwärtiger Restaurant-Insasse und verputzte es auf der Stelle.

Auch in den nächsten beiden Pizzarunden sollte ich, bis auf Hämatome im Gesicht, leer ausgehen. Als es mir schließlich gelang, doch noch ein Stück Pizza bis zu meinem Platz herüber zu retten, hielt ich ein fetttriefendes, wabbeliges, schleimiges Stück Pizza wie das Erbe der Menschheit vor mir, führte es mit bis zur Unendlichkeit gesteigerter Vorfreude zu meinem Mund und... Die Spitze des unerwartet weichen und elastischen Stückes beugte sich vornüber und der Belag fiel, der Pizzakrümmung folgend, zu Boden. Sofort wuselten Menschen zwischen meinen Beinen herum und stritten sich um Pilze, Mais und Schinken. Ich wollte nicht zulassen, dass die Trauer darüber den Augenblick zerstört, indem ich endlich eine Pizza in der Hand hielt und machte das Beste daraus. Die Tomatensauce hatte die Farbe und Konsistenz von Ketchup. Und sie schmeckte wie Ketchup.

Irgendwann kam die Bedienung zu uns und teilte uns mit, dass wir jetzt gehen müssten, da der Laden gleich schließen werde. "Nein!" schrie ich die Dame an. Ich hatte zu viel mitgemacht, um nun unverrichteter Dinge zu gehen. "Erst will ich meine Pizza. Ich habe knapp 15 Euro bezahlt und ich werde nicht eher gehen, bis ich ein richtiges Stück Pizza gegessen habe. Mit Belag und Käse. Verstehen Sie? Ich wollte doch nur eine Pizza", fing ich zu weinen an: "Nun sehen Sie, was aus mir geworden ist. Sie haben doch bereits meine Seele. Also bitte, bitte geben Sie mir Ihre Pizza! Ich zahle auch 50 Cent extra. Ich helfe auch beim Abwasch mit. Aber ich flehe Sie an. Ich brauche diese Pizza mehr als Sie sich vorstellen können." Sie blickte etwas ungläubig, als versuchte sie durch den Wahnsinn in meinen Augen hindurch zu blicken und entgegnete schließlich: "Ich rufe jetzt die Polizei."

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