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Geschrieben am

 

 

Unkendorf lebt

Erster Akt

 

 

der kleine Schmalzmolch

hebt die Rotznase

bei schwerem Sommerregen

bibbert er

rutscht patzig herab

an Omas Schmalzglase

welches bereits halb leer…

 

fast schwarz zittern Tropfen

zeichnen auf Scheiben

ein kosmisches Mosaik

ein rhythmisches Klopfen

als spräche zu ihm

ferne Musik

 

auf silbernen Spinnweben

hinterm Uhrmacherschrank

wiegt sich

der hundsgemeine Flackerfleck

wie immer jagt er

andren einen Schreck

als weiß

sein Wachsgesicht hinabwankt

 

koppschussallah kalbsgulasch!

schriekt er

wie eine gespießte Ratte

wir übersetzen:

was machst denn da?

 

ich höre eine neue Sprache

umpste der Schmalzmolch gerade

sie erzählt von einem geheimen Ort

hier im vergess‘nen Unkendorf

 

denn Unkendorf liegt im mythischen Osten

wo Orte und Landschaften verrosten

die Kinder

in die laute Weststadt ziehn

die Menschen

dunklem Sturm entfliehn

 

indes Fachwerkhäuser zerfallen

erlangen sie Gesichter

und Falten

und Knorpelzwerge

und Wurzelzopfler

kriechen aus warmer Regenerde

 

humpelnde Alte stricken

hinter Staubfenstern

indes sie schöner Jugend gedenken

da sie an heiße Liebe glaubten

ihren Lehrern blind vertrauten

 

die erzählten

bis die Kreide brach

von gleichen Chancen

auf dem Arbeitsmarkt

und bekamen dicke Pensionen

für ihre gesponnenen

Lügenvisionen

 

doch ohne Geld und Studium

blieben sie

in kleinen Kammern

und entkamen nie

tranken oder schenkten

sich zu Weihnachten

einen kleinen Apfelstrudel

selbst gebacken

 

mit ihnen hielten’s

nicht mal Freunde aus

welche Autos besaßen

von privilegierten Eltern

sie vermochten

sich hinfort bewegen

und Arbeit finden

in finanzierten Welten

 

aus dunklen Winkeln

starrten Knopfaugen

die Mauerkitzler

und Ritzenspitzler schraubten

an ihren Wegen und Verstecken

denn sie lieben das Rieseln

und Necken

 

horch!

wie der kleine Krümel fällt

und noch ‘nen kleineren Krümel hält

den er zart küsst

bevor beide zerplatzen

es hieß:

sie wurden erwachsen…

 

draußen weint

das ehrwürdige Brunnenrad

früher liebkosten

es fleißige Hände

schaufelten seine Tränen

aus tiefem Grab

und dankten

für die kühlende Spende

 

auf seinen schwarzen Rippen hocken

fremde Sippen

die krächzend abrocken

und spreizen ihre Totenflügel

und lobpreisen

der Menschen Übel

 

welche sie nähren

und wilde Sippen mehren

dann lachen die Krähen

ohne Sorgen

auf ewigen dunklen

und seltsamen Müllbergen

wo Geräte liegen

einst gepriesen

als Höhepunkt von Morgen

 

der kleine Schmalzmolch

schleckt genüsslich

seine Klumpnase duftet süßlich

vom alten Lebkuchen

unter den Schrank gerutscht

den er als kleines Kissen nutzt

 

ach die schönen Sachen

welche herumliegen!

sie strahlen einen überirdischen Frieden

und durch den Staub

und durch ewigen Zeitvertreib

erlangen sie

seltsame Persönlichkeit

 

draußen rieselt

durch die Rostrinne

mit gehässigem Gluckern

vorbei an einer Warzenspinne

mit dickem weißem Unglückskreuz

ein Tropftrapps

und klatscht recht eklig herab

 

fängt sich an einem Traubenblatt

dessen Reben

das Speisekammerfenster umschmeicheln

dann beginnt er gierig zu speicheln

und rutscht in den Salat

 

paar Köter kläffen in der Ferne

blinken erste verschlafene Sterne

treibt ein frischer Nachtwind

die Heere

wilder Tropfen

über die sieben Meere

 

dann brennen die Öllampen

im kleinen Munkelort

denn Strom und Geschäfte

sind längst fort

alle auf einem Haufen

schuften in der Stinkestadt

wo Hitze herrscht

und jeder Pflichten hat

 

auf halb verfall‘nen Schildern

scheinen Insekten zu wildern

die sich aufregende Dinge erzählen

denn sie hocken lange

auf knorrigen Briefkastenpfählen

 

bis Stare herabflitzen

und manche erwischen

wie sie dreist im Regen glitzern

planschen mit dunkelhaarigen Wangen

und aus Wassertropfen

kristalline Zukünfte lesen

denn Magie entsteht unverfälscht

in verlassenen Wesen

.

 

wird laufend fortgesetzt…

 

© j.w.waldeck 02.08.2006

 

 

 

 

where_the_slime_lives____by_waldeck_d23sshz-fullview.jpg

  • Gefällt mir 3
  • wow... 2
Geschrieben (bearbeitet)

Hallo J.W. ! 

 

Dein erster Akt ist phänomenal. Ich mag daran die feinen kleinen Details und bin ehrlich gesagt so fasziniert von deinen Wortfindungen, dass ich gar nicht weiß was ich schreiben soll. Unkendorf lebt.. aber hallo, das tut es .. dachte ich mir beim lesen., denn du konntest mir wahnsinnig tolle Bilder in den Kopf malen. Ich hatte Hint - naus - dorf in meinen Gedanken, ein kleines verschlafenes Dörfchen hier in meiner Gegend.. entlegen von der Großstadt, wo man denkt da wäre die Zeit stehen geblieben . Dabei ist nur die Jugend auf und davon. und die " Alten " harren aus. Aber warum auch nicht..es ist ihr zu Hause. Wie gesagt, ich mag die  kleinen feinen Details,  wie z.B. 

vor 14 Stunden schrieb J.W.Waldeck:

indes Fachwerkhäuser zerfallen

erlangen sie Gesichter

und Falten

und Knorpelzwerge

oder...

das ist sowas von gut geschrieben... 

 

vor 14 Stunden schrieb J.W.Waldeck:

humpelnde Alte stricken

hinter Staubfenstern

indes sie schöner Jugend gedenken

da sie an heiße Liebe glaubten

ihren Lehrern blind vertrauten

 oder

vor 14 Stunden schrieb J.W.Waldeck:

draußen weint

das ehrwürdige Brunnenrad

früher liebkosten

es fleißige Hände

schaufelten seine Tränen

aus tiefem Grab

und dankten

für die kühlende Spende

Wenn etwas so bemerkenswert geschrieben ist, dann stört einen die Länge überhaupt nicht, im Gegenteil... man ist fast traurig wenn es zu Ende ist.. um so erfreuter war ich, dass da dann stand..

 

wird laufend fortgesetzt....

 

Und dann kommt das Bild und das flasht mich.. Wahnsinn... wie Münder die sprechen und erzählen..

Allo ich bin begeistert.. 

 

Sehr, sehr gerne gelesen und kommentiert, 

mit behutsamen Grüßen Behutsalem

 

die natürlich ein Lesezeichen setzt, denn das muss ich mir einfach noch einmal zu Gemüte führen...

  • Gefällt mir 1
Geschrieben

Hallo Behutsalem,

 

 

Ich schrieb vieles aus einem Guss und damals war mir die Länge egal, bzw. ich

hörte auf wenn die Geschichte erzählt wurde.

Der nächste Teil ist nicht so kreativ, hat aber als Bindeglied seine Funktion,

um das Übel beim Namen zu nennen, warum sich die Natur erhebt.

Ich habe das natürlich in einer harmlosen Märchenform belassen,

Aber es sind nicht nur schöne Szenen, das wollte ich nur vorsichtig anklingen lassen.

 

Möchte sagen, mit dem zweiten Teil: "Unter Kannibalen", bin ich nicht zufrieden.

 

Es gibt nicht viele, die solche Art Geschichten mögen werden.

Ich setze zumindest die ersten vier Teile herein.

Für den Rest setze ich ein Link.

 

Verschlafene Dörfchen im Grünen, dazu mit Waldanbindung,

sind meine absoluten Sehnsuchtsorte.

Am besten noch mit einem Teich zum fischen...

 

 

Mit freundlichem Gruße dankend,

 

Waldeck

 

 

  • 3 Jahre später...
  • 2 Wochen später...

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