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Geschrieben am

Am Müggelsee sitzt wie ein Stein
ein junger Mann am Waldesrand
mit einem Bleistift in der Hand;
ein Bund Papier auf seinem Bein.

Vielleicht lässt er die helle Gischt
der Wellen, als es heftig stürmt,
die aus dem Dunkel aufgetürmt
zum Steg hin, ein in sein Gedicht.

Vielleicht beschreibt er den Moment,
als auf dem Spiegel, rau und flach -
die Sonne bricht sich tausendfach -
den Sturm nichts von der Ruhe trennt.

Vielleicht ergreift ihn ein Vielleicht,
als das Gewässer in sich ruht
und weilt und weiter sonst nichts tut,
was ihm zur Nachempfindung reicht.

Vielleicht schreibt er auch lediglich,
dass seine Tränen, die er schied,
in diesem Wasser niemand sieht.
Vielleicht schreibt er auch über mich.

 

 

(Aus dem Fundus)

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  • Schön 4
Geschrieben

Vielen Dank, ihr beiden!:smile:

 

Hätte gar nicht gedacht, dass das Gedicht so gut ankommt, freue mich nun aber umso mehr darüber.:grin:

 

Am 9.10.2020 um 11:40 schrieb Sonja Pistracher:

Dem Maler auf diese Weise über die Schulter schauen, ist reines Vergnügen. 

Oh, schön, dass das deutlich wurde! Tatsächlich habe ich dieses Gedicht geschrieben als ein selbstreferentielles Gedicht, darüber wie ebendieses Gedicht entsteht

 

Am 9.10.2020 um 13:33 schrieb gummibaum:

Wow, das ist gut! Am Ende scheinen die Personen identisch zu sein.

Ja, ich schätze, so habe ich es auch gemeint, obwohl es natürlich auch immer noch etwas Interpretationsspielraum gibt. Aber ich glaube, die Lesart, dass das LI der Beschriebene ist, gefällt mir am besten.

 

Am 9.10.2020 um 13:33 schrieb gummibaum:

Alternativ evtl.: wie aus dem Dunkel / die Sonne schillert tausendfach

Wow, danke! Beide Alternativen finde ich sehr stark und übernehme sie gerne beide.:smile:

 

LG

  • Schön 1
Geschrieben

Hallo Schmuddelkind,
gefällt mir auch gut, wie sich hier das innere Befinden am äußeren Geschehen reflektiert.
Konstruktiv wäre vielleicht in der Zeile
"Vielleicht ergreift ihn ein Vielleicht" ein Synonym etc. besser,
denn es "vielleichtet" ja bereits durch die 4 Zeilenanfänge sehr stark.

LG
Perry

Geschrieben

Danke auch an euch beide, Buchstabenenergie und Perry!:smile:

 

Am 12.10.2020 um 10:04 schrieb Buchstabenenergie:

Das ist wirklich gut.

Mitten im Lesen dacht ich mir "ein Künstler beschreibt einen Künstler, wär doch nett, wenn er das Gedicht dem Maler schenkt".

Und zum Schluss schließt sich gefühlt der Kreis.

Stimmt natürlich: Der junge Mann mit dem Papier in der Hand könnte ja zu Beginn noch ein Maler sein. Wohl erst allmählich, als der mutmaßliche Maler anfängt, ein Gedicht zu schreiben, tut sich der Verdacht auf, dass "er" das LI selbst ist und dass das Gedicht, das wir lesen können, das Gedicht dieses Künstlers ist. Wenn man also von der Annahme eines fremden Künstlers ausgeht (wozu das Gedicht in der "Er"-Form ja auch verleitet), ist der Überraschungseffekt natürlich viel größer.:smile:

 

Am 12.10.2020 um 13:05 schrieb Perry:

gefällt mir auch gut, wie sich hier das innere Befinden am äußeren Geschehen reflektiert.

Freut mich sehr, dass dir das Gedicht zusagt. Ich lese nämlich selbst auch gerne solche Gedichte, in denen die Außenwelt ein Spiegel der Innenwelt ist. In gewissem Sinne ist es ja auch so, dass wir unsere Außenwelt aus uns heraus konstruieren - zumindest zu einem gewissen Maß.

 

Am 12.10.2020 um 13:05 schrieb Perry:

Konstruktiv wäre vielleicht in der Zeile
"Vielleicht ergreift ihn ein Vielleicht" ein Synonym etc. besser,
denn es "vielleichtet" ja bereits durch die 4 Zeilenanfänge sehr stark.

Danke für deinen Vorschlag! Du hast natürlich recht, dass in dem Gedicht ohnehin sehr viele "Vielleichts" vorkommen und eben besonders an der Stelle - da wird es sehr auffällig. Aber das finde ich schon ganz gut so. Gerade an der Stelle unterstreicht es ja die Selbstreferentialität des Gedichts, denn es wird beschrieben, dass dem Dichter ein "Vielleicht" in den Sinn kommt, gerade als ein "Vielleicht" in dem Gedicht zu lesen ist. Insofern kann man es auch so lesen, als wäre das zweite "Vielleicht" in dem Vers eine Beschreibung des ersten "Vielleicht". So redet dann das Gedicht über sich.

 

Dass das Wort Vielleicht generell zu Beginn jeder Strophe anaphorisch auftaucht drückt aus, welche Vagheit der Künstler absichtlich kreiert. Indem er nur Deutungshypothesen äußert, aber sie durch das wiederholte "Vielleicht" nicht auf eine Version festlegen will, tut er so, als wäre das Geschehen rein fiktiv und hätte nichts mit ihm zu tun. Es ist ein bemühter Versuch, zu verschleiern, dass der Text einen autobiographischen Hintergrund hat. Die Wiederholung des "Vielleicht" klingt dabei so ungelenk, wie sich am Ende ja auch sein Verschleierungsversuch herausstellt.

 

LG

Geschrieben

Liebes Schmuddelkind,

kaum las ich den ersten Vers, funkte Walther mir dazwischen:

Ich saz ûf eime steine,
und dahte bein mit beine;
dar ûf satzt ich den ellenbogen;
ich hete in mîne hant gesmogen
daz kinne und ein mîn wange.
dô dâhte ich mir vil ange,
wie man zer werlte solte leben:

...

Ich sehe Dich tatsächlich am Müggelsee sitzen und lass mich von der Stimmung in Deinem Gedicht einfangen. Müggelsee - das ist eine gute Empfehlung für einen Tagesausflug am kommenden Wochenende. Ich werde mich da auch mal hinsetzen und auf eine Eingebung warten.

Für Dein Gedicht: Chapeau!

Liebe Grüße, - bitte weiter geben -

Hayk

 

  • Schön 1
Geschrieben

Vielen Dank, lieber Heinz!:smile:

 

Dein Beitrag, besonders der Verweis auf Walther von der Vogelweide, ist liebenswürdig.

 

Am 15.10.2020 um 14:09 schrieb Hayk:

Ich sehe Dich tatsächlich am Müggelsee sitzen und lass mich von der Stimmung in Deinem Gedicht einfangen. Müggelsee - das ist eine gute Empfehlung für einen Tagesausflug am kommenden Wochenende. Ich werde mich da auch mal hinsetzen und auf eine Eingebung warten.

Ich hoffe sehr, es hat geklappt. Aber auch so ist es sicher keine Zeitverschwindung, sich an den Müggelsee zu setzen. Ist schon ein schönes Fleckchen Berlin. Am Friedrichshagener Ufer gibt es leckeren Glühwein. Kann ich nur empfehlen (und im Sommer dann süße Erdbeerbowle).:grin:

 

Ja, dort war ich früher zu meiner Berliner Zeit sehr gerne und habe schon so manches Gedicht und so manche Geschichte am Ufer geschrieben. Insofern gehe ich davon aus, dass dein Bild sehr nah an der Realität ist.

 

Am 15.10.2020 um 14:09 schrieb Hayk:

Für Dein Gedicht: Chapeau!

Freut mich sehr, dass es dir so gut gefällt und überhaupt, dass es so gut anzukommen scheint. :smile:

 

Am 15.10.2020 um 14:09 schrieb Hayk:

Liebe Grüße, - bitte weiter geben -

Weitergegeben und mit lieben Grüßen zurück quittiert.:wink:

 

LG

  • 6 Monate später...
Geschrieben

Hallo @Schmuddelkind

 

und hi Schmuddi

 

Dieses war mit eines der ersten Gedichte die ich hier las und dachte mir das ist mit das Beste das ich hier gelesen habe und: hier bin ich richtig.

Dieses schwebende beschreibende Vielleicht der Möglichkeiten bis hin zu einer Kehrtwendung in einem melancholischen Schluss: wunderschön!

 

Liebe Grüße

 

Sali

Geschrieben

Hallo Sali,

 

ich darf dich enttäuschen: Es gibt hier auf jeden Fall bessere Gedichte. Aber ich bin über alle Maßen geschmeichelt, dass es ausgerechnet ein Gedicht aus meiner Feder war, das dich dazu bewogen hat, hier deine Zelte aufzuschlagen. (das soll ein Emoji der Verlegenheit sein - weiß nicht, ob das klar wird)

 

vor 12 Minuten schrieb SalSeda:

Dieses schwebende beschreibende Vielleicht der Möglichkeiten bis hin zu einer Kehrtwendung in einem melancholischen Schluss: wunderschön!

Ich bin der offizielle Beauftragte für Möglichkeitenvernichtung.:wink:

Ja, melancholische Untertöne, die manchmal an die Oberfläche geraten, sind wohl (neben humorvollen Betrachtungen inmitten ernster Gedanken) meine Schwäche. Ich freue mich, dass du darin Schönheit erkennen kannst. Danke!:smile:

 

LG

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