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Geschrieben am

1. Szene

Der Wecker läutet den Tag mit Pachelbels Canon ein. "Liebste, weckst du mich?" Du küsst meine Wange und ich öffne die Augen, um zu sehen, ob ich nicht träume. Als ich mich zu dir umdrehe, lächelst du mich an und streifst mir zärtlich durch das Haar: "Kommst du mit?" "Wohin auch immer du gehst", antworte ich entschlossen. Falten graben sich über deinen Augen ein, als du erwiderst: "Erst einmal zum Brunch mit meinen Eltern, wäre ein Anfang." "Ach, das wird bestimmt lustig." "Nein, wird es nicht. Aber ich bin bei dir." Ich bin mir nicht sicher, ob du den zweiten Satz wirklich ausgesprochen hast oder ob ich ihn aus der Bestimmtheit schloss, mit der du meinen Arm hältst.


2. Szene

Seine erste Frage nach einer langen Weile unbeholfenen Schweigens: "Und was tun Sie so?"
"Ich bin Schriftsteller"
"Kann man denn davon leben?"
"Nein. Aber man kann dafür leben."
"Die haben hier wirklich das beste Lachsfilet der ganzen Stadt", wendet er sich noch kauend seiner Frau zu. Endlich schluckt er und richtet das Wort wieder an mich:
"Verzeihung!" - ich winke gönnerhaft ab - "Also sind Sie gar kein Schriftsteller. Womit verdienen Sie dann Ihren Unterhalt, wenn ich fragen darf?"
"Zur Zeit gehe ich zwei, drei Gelegenheitsarbeiten nach", beginne ich zu erklären, als du ergänzt:
"Martin ist wirklich sehr fleißig. Er..."
"Fleißig sind sie wohl alle, die Künstler. Van Gogh soll geradezu besessen gewesen sein von seiner Arbeit."
Ich habe große Lust, mein Ohr abzuschneiden und es ihm auf den Teller zu legen.

 

 

3. Szene

Der Sohn meiner Mitbewohnerin ist sehr bemüht, das Glas mit der Tomatensauce zu öffnen, während ich die Gurken schneide.
"Martin, bist du wieder der Gepetto?"
"Aber naturalmente! Aber erste musse hacke die Gurke, musse hacke die Zwiebele, dass wir macke eine leckere Pasta, häh?"
"Ja, musse koche in die Cucina, häh? Aber bringst du mir noch das Laufen bei?"
Beschwingt hebe ich ihn vom Hocker. Er hängt an seinen Armen von meinen Händen herab, wie eine Marionette an ihren Fäden, macht betont tollpatschige Laufversuche und fragt:
"Können wir auch mal mit der Leonie Pasta kochen? Das ist meine Freundin, so wie deine Melanie."
"Ich dachte, Nele sei deine Freundin."
"Die auch. Ich hab zwei."
"Achso. Warum das?"
"Wenn eine böse ist auf mich."

Lachend hebe ich ihn hoch und presse ihn gegen meine Brust. Er schaut aus dem Fenster hinaus.
"Ist die Welt noch größer als der Fernsehturm?"
"Klar, die Welt ist so groß, dass man gar nicht weit genug laufen kann. Du weißt ja: nach dem Fernsehturm kommt Wandlitz und dann Wustrow..."
"Und dann kommt Frankfurt und dann das Saarland und dann China. Und Japan ist noch weiter weg als China."
"Genau! Und das alles ist die Welt - und noch viel mehr."
"Weißt du, die Mami hat mich auf die Welt gebracht."
"Ich weiß."
"Und warum?"
"Weil sie dich lieb hat."

Inzwischen habe ich begonnen, die Zwiebeln zu hacken. Als mir Tränen in die Augen steigen, fragt er besorgt:
"Warum weinst du?"
"Ich weiß nicht, was soll es bedeuten" Er stimmt mit ein:
"dass ich so traurig bin.
Ein Märchen aus uralten Zeiten,
das kommt mir nicht aus dem Sinn."

 

 

4. Szene

""Fotoprint.com - die Zukunft der Vergangenheit"... Ich fasse es nicht, dass ich so etwas schreibe." Deine Augen schweifen zwischen sterilen Holzmöbeln hindurch und landen vorübergehend bei mir:
"Wieso? Ich finde den Slogan gut. Nicht so pathetisch wie dein Versicherungsspruch."
"Mir geht es um etwas Grundsätzliches: ich sollte etwas Belangvolles schreiben, etwas, was die Menschen wirklich brauchen, was sie bewegt."
Plötzlich gehst du schnurgerade auf einen anvisierten Punkt zu, den ich noch nicht verorten kann.
"Für so etwas geben die Menschen kein Geld aus. Schau Schatz, dieses Regal?"
"Wieso? Ich hab doch noch mein altes Bücherregal."
"Das alte Ding?!"
"Das alte Ding habe ich als junger Student mit meinen eigenen Händen gebaut und es ist stabiler als diese IKEA-Regale. Wenn das Haus einstürzt, sind die Bücher in Sicherheit. Außerdem passen dort doch gar nicht alle meine Bücher rein."
"Dann musst du eben aussortieren", beschließt du pragmatisch.
"Aussortieren?! Das sind Bücher, keine alten Löffel."
Für eine Sekunde unterbrichst du das Ausmessen und schlägst vor: "Du kannst doch meinen eReader benutzen."
"Ach, allein schon dieser hässliche Anglizismus! Ich kann mit dem Ding nicht lesen. Ich brauche Papier zwischen den Fingern."
"Ach Schatz, das Leben wäre viel einfacher, wenn du nicht jede Erfindung aus diesem Jahrhundert boykottieren würdest. Also, dieses Regal?"
"Ja, OK", resigniere ich und lasse deinen Kuss über mich ergehen.
"Du bist n Schatz!"

 

 

5. Szene

"Der Kühlschrank ist aber doch recht groß. Bist du dir sicher, dass er nicht Überbreite hat?" Du läufst, mich einwinkend vorweg, so dass ich hinter dem Kühlschrank nur noch dein undeutbares Fuchteln erkenne.
"Ach, das wird schon schief gehen."
"Schief wird es wohl auch nicht gehen." Du gibst mir eine zärtliche Backpfeife:
"Quatschkopf!"
Nach einigem Quetschen, Drehen, Auspacken, erneut Versuchen und Fluchen, lüge ich:
"Das hätte mir auch passieren können."

Ich stelle den Kühlschrank also unter das Fenster, sehe in der Not das Glück, dass unsere neue Wohnung hochparterre liegt und wir ein großes Küchenfenster haben und schlage vor:
"OK, wir heben den Kühlschrank an und stellen ihn auf der Fensterbank ab. Dann halte ich, während du reingehst. Dann hältst du ihn, bis ich drin bin und wir schleppen ihn gemeinsam rein."
Der Kühlschrank lehnt gerade auf dem Fensterbrett und meinen Händen, als ein skeptisch drein blickender Mann in schwarzer Lederjacke vorbei kommt:
"Was tun sie da?"
"Ich halte einen Kühlschrank."
"Warum?"
"Damit er nicht runter fällt."
"Ich bin mir nicht sicher, ob ich nicht lieber die Polizei rufen soll."
"Nein danke", entgegne ich mit verblüffend authentischer Freundlichkeit "Wir schaffen das schon alleine. Trotzdem bin ich Ihnen sehr verbunden für die angebotene Hilfe. Auf gute Nachbarschaft!"

 

 

6. Szene

Da meine Ideen mit der Zeit immer mehr auf Erfahrungen, statt auf guten Absichten beruhten, reifte in mir die Überzeugung heran, dass Liebe den einfachen Sachverhalt beschreibt, dass die Flucht zweier Menschen vor der Einsamkeit in der Flucht des Anderen ihr Ziel findet. Nicht einmal das ist uns gelungen. Und wir fanden überzeugende Rechtfertigungen dafür: wir waren einfach zu verschieden (du hast den menschlichen Körper von innen, aber nie ein Glühwürmchen gesehen); wir haben uns in unterschiedliche Richtungen entwickelt (ich wurde so, wie du mich haben wolltest und so wolltest du mich nicht haben).

Da sitzt du also ausgerechnet zwei Sitzreihen weiter in der U-Bahn mit Blickrichtung zu mir, den Blick jedoch krampfhaft auf die Berliner Wahrzeichen fokussiert, die neben dir auf dem Fenster aufgedruckt sind. Noch nie habe ich in diesem Drei-Millionen-Einwohner-Dorf Bodo Wartke erblickt, oder Bela B.. Aber du sitzt hier zwei Wochen später in meiner U-Bahn, mit schnöder Selbstverständlichkeit aller Wahrscheinlichkeit spottend. Da du nach zehn Minuten immer noch nicht müde wirst, zwischen dem Brandenburger Tor, der Siegessäule, dem Reichstag und der Gedächtniskirche eine fünfte Figur zu suchen, beschließe ich, an der nächsten Station auszusteigen. Doch du scheinst dieselbe Idee zu haben, weswegen wir synchron aufstehen. Also setze ich mich wieder hin - wenn du aussteigst, kann ich ja sitzen bleiben. Wieder sind wir so gnadenlos synchron.

Also sitzen wir einfach da und schauen beschämt unter uns. Ich nutze jede Station, um unauffälig aus dem Fenster zu schauen; denn das Problem an einer U-Bahn ist, dass es lächerlich aussieht, in einem dunklen Tunnel aus dem Fenster zu starren. Dann, hin und wieder beäuge ich deine Mimik genau, wie du unter dich schaust, ob da ein Zeichen von Bedauern, eine Spur nostalgischer Verklärtheit, ein triumphales Lächeln oder ein Hauch von Stolz auf die gewonnene Freiheit zum Vorschein kommt. Wenn ich wieder unter mich schaue, bilde ich mir ein, dass du mich in ähnlicher Weise musterst und konzentriere mich darauf, unverdächtig zu wirken. Zum Glück muss ich drei Stationen weiter tatsächlich aussteigen.

 

 

7. Szene

"Und was ist mit diesem Kühlschrank?", fragt mein Nachmieter, nachdem die meisten Angelegenheiten geklärt sind. Dieser bescheuerte Kühlschrank! "Ich bekam ihn einfach nicht mehr aus der Wohnung", erkläre ich lapidar. Nach einer Sanierung, musste auch das Küchenfenster ausgetauscht werden. Allerdings wurden inzwischen Fenster dieses veralteten Formates nicht mehr produziert und so sah sich die Hausverwaltung gezwungen, ein kleineres Fenster einzubauen. Natürlich dachte ich damals nicht an meinen Auszug aus der Wohnung und schon gar nicht an diesen bescheuerten Kühlschrank, der nun wohl für immer in dieser Wohnung verweilen müsste.

"Den brauche ich aber nicht", erwidert er schroff. Ich versuche, es ihm schmackhaft zu machen: "Er läuft in der besten Energieklasse. Ich war immer zufrieden mit dem Ding. Wenn ich könnte, würde ich ihn mitnehmen, aber mir sind die Hände gebunden."
"Ich sag es, wie es ist: wenn ich die Mühen der Zerlegung und Entsorgung auf mich nehmen muss, verlange ich Schadenersatz."
"Wie?", knirrsche ich.
"Sagen wir mal 200 Euro - das dürfte hinkommen."
Da ich des Streitens und Verhandelns müde bin, willige ich widerwillig ein.

 

 

(Aus dem Fundus)

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Geschrieben

Klasse, liebes Schmuddelkind, wie du so stinknormale Alltagsszenen skizzierrst. Ich habe jede einzelne Szene mit Genuss gelesen und irgendwie spielte sich in meinem Unterbewusstsein jeweils ein passender Sketch ab.

 

Danke für diese gelungene Unterhaltung!

 

Lieben Gruß, Letreo

 

Geschrieben

Liebe Letreo,

 

ich freue mich sehr, dass ich dich mit diesen Szenen unterhalten konnte und sie sich so plastisch vor deinem geistigen Auge abspielen konnten.:smile:

 

Zwar sind diese Szenen lose durch eine Handlung miteinander verbunden, aber hier liegt in der Tat der Fokus auf den Szenen selbst.

 

LG

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