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Der Mann mit Namen Herbert war Chef in einer großen Fabrik. Er hatte viel Geld, fuhr tags Ferrari, nachts Lamborgini, die Villa lag stilvoll am See. Natürlich trug er nur seidene Krawatten, trank ständig Sekt und rauchte Havanna. Leider aber ging die Fabrik eines Tages pleite, wie heute ja dauernd eine pleite geht, und der Boss war jetzt nur noch Abteilungsleiter in einer Bank, einer kleineren Regionalbank, und wohnte in einem Bungalow. Anfangs lief alles normal, er sparte auf einen neuen Mercedes. Da verspekulierte sich die Bank im Aktiengeschäft und Herbert wurde wegrationalisiert und stand wieder auf der Straße. Das Arbeitsamt gab ihm eine Hausmeisterstelle in einer Schule, aber es war eine Zwergschule, die bald schloss und so gab es keine Arbeit mehr, so sehr er auch danach suchte. Und er hatte kein Geld mehr. Und saß in einer Hütte, durch die der Wind pfiff. Und das kurz vor Weihnachten. Ganz allein. Herbert grübelte, rang die Hände, zitterte und wollte schon weinen. Doch dann sagte er leise zu sich selbst: ich will mir einen Tannenbaum holen.

Herbert ging in einen Baumarkt. Er suchte drei Sägen aus, ein große, eine mittlere und eine kleine. Denn er wusste nicht, welche Art Baum er sich wünschte. An der Kasse zahlte er nur die kleine, die andern hatte er unterm Mantel versteckt. Das war sein letztes Geld gewesen.

Im Wald fand er gleich die Schonung. Die Tannen standen hier dicht an dicht, als Weihnachtsbäume zum Fällen gepflanzt, alle in der richtigen Größe. Aber Herbert sah all die Bäume und fand sie langweilig. Er konnte sich nicht entschließen. Die große und die mittlere Säge störten ihn beim Gehen. Er warf sie in die Schonung und dachte, dass die Waldarbeiter sie brauchen könnten. Es dämmerte schon, als er auf eine Lichtung kam. Und dort stand ganz allein zwischen großen, den Platz umsäumenden Tannen, ein winzig kleines Bäumchen, dass eine Haube aus frisch gefallenem Schnee trug. Es zitterte im kalten Abendwind. Doch als Herbert stehen blieb und sich zu ihm hinunterbeugte, war ihm, als ob das Zittern aufhörte. Da nahm er kurzerhand die kleine Säge und durchschnitt den Stamm. Dann trug er das Tännchen unter dem Mantel heim.
In seiner Hütte klemmte er es im Riss eines alten Holztisches fest. Er nahm aus einem verschlissenen Koffer eine staubige Weihnachtskugel, die er, unschlüssig, wohin er sie hatte wegwerfen sollen, schließlich eingepackt und hierher mitgenommen hatte. Die hängte Herbert sich jetzt an einen der beiden kleinen Zweige des Baums. Da der Baum unter der Last sofort zur Seite kippte, machte er auf der anderen Seite eine Kerze fest und zündete sie an. Es gab ein warmes Licht, das den Baum und Herbert brüderlich verband.
Am nächsten Tag, es war Heiligabend, ging Herbert wieder in den Wald. Er wusste nicht, was er hier wollte, hatte aber einen Sack gestohlen und bei sich, weil ihm nach Geschenken war. Er atmete die kalte Luft, die würzig und irgendwie nach Freiheit schmeckte. Bisher hatte Herbert keine Freunde gehabt. Jetzt hatte er einen. Den Baum.
Er dachte an die Fabrik zurück, an sein Haus, seine Autos und seine Einsamkeit. Dann fielen ihm die andern Arbeitslosen ein, die er auf dem Arbeitsamt gesehen hatte und später in dem Dorf, an dessen Rand er jetzt wohnte, zurückgezogen, weil er nicht zu ihnen gehören wollte.
Als er an die Lichtung kam, fand er jetzt weitere Zwergtannen, die er gestern gar nicht bemerkt hatte. Vielleicht zwanzig. Er schnitt alle ab, befreite sie vom Schnee und schob sie in den Sack. Es war schon dunkel, als er das Dorf erreichte. Ein Polizeiwagen bog um die Ecke und Herbert versteckte sich schnell hinter einer Litfaßsäule. Großes Weihnachtskonzert, stand darauf, 20 Euro. Herbert stand noch unschlüssig, als ein Mann in löchrigen Hosen die Straße herunterkam. Tag, Andreas, sagte Herbert, denn er erinnerte sich, im Lottogeschäft den Namen gehört zu haben, hab was für dich. Was denn, Zigaretten?, antwortete der Mann und griff erfreut in den Sack. Au, das sticht, rief er, willst du mich verarschen? Nein, sagte Herbert, keine Zigaretten, ein Bäumchen, magst du? Hm, ja, sagte Andreas, warum nicht. Ist ja Weihnachten. Und als Arbeitsloser ohne Geld krieg ich ja sonst keins. Schmück es aber, bestand Herbert, sonst ist es traurig. Wird gemacht, sagte Andreas und gab ihm die Hand. Als Herbert weiterging, traf er immer mehr Arbeitslose und bald war sein Sack leer.

Herbert ging in seine Hütte, begrüßte seinen kleinen Freund und zündete die Kerze an. Dann sang er für ihn ganz leise: Oh, Tannenbaum...
Es klopfte an seiner Tür. Draußen hörte er Stimmen. Als er aufmachte, sah er Kerzenschein, Kugeln, kleine Weihnachtsbäume und fröhliche Gesichter. Komm, Herbert, wir wollen auf dem stillen Dorfplatz zusammensitzen. Keiner soll heute allein sein. Herbert traute seine Augen nicht. Dann nahm er sein kleines Bäumchen, schütze das Licht mit der Hand vor dem Wind und folgte ihnen. Alle saßen sie jetzt in der Runde und sangen: Oh, Tannenbaum...
Herbert wusste, dass es das schönste Weihnachten war, das er je erlebt hatte. Und dass ein Räuber ein guter Mensch sein kann.

 

(aus dem Fundus)

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Geschrieben

Lieber @gummibaum!

Etwas eigenartig die Geschichte, das muss ich zugeben, aber wohl an ihrem Ende bemessen nicht übel. Ob ich die Resonanz in diesem Zusammenhang unbedingt gebraucht hätte, dass auch ein Räuber ein guter Mensch sein kann, weiß ich nicht. Aber dass dem - darüber hinaus -  so sein kann, glaube ich allemal. Deine Phantasie ist schon etwas ganz Besonderes lieber Gummibaum. Auf jeden

Fall war die Geschichte unterhaltsam. Danke dafür.

Sonja

Geschrieben

Danke, lieber Carlos. Rasanz mag ich (und Ruhe auch).

 

Vielen Dank, liebe Sonja. Mir ging es auch darum, dass es wichtig ist, auf Menschen zuzugehen. 

 

Danke, liebe Sternwanderer. Ich schrieb sie, als meine Kinder sich nicht mehr belehren lassen wollten. 

 

 

Liebe Grüße von gummibaum

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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