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Weihnachtliches (Selbst-)Gespräch am Weinregal


maerC

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Weihnachtliches (Selbst-)Gespräch am Weinregal

 

Hallo, guten Tag, Herr ... äh ..., ja, hab Sie lange nicht gesehen und jetzt ausgerechnet im Supermarkt. Fast hätte ich Sie hinter der Maske nicht erkannt. Wie geht es Ihnen? Alles in Ordnung?

Das ist schön. Heutzutage ist es beruhigend zu hören, dass es kein Problem gibt, gesundheitlich und so, nicht wahr?

Haben Sie die Weihnachtsfeiertage gut verlebt? Hatten Sie Besuch?

Sie waren zu zweit, das ist nett, man soll ja auch die Kontakte reduzieren.

Ach, Sie meinen sich und eine Flasche Rotwein. Na, Sie sind mir ein Schelm!

Haben Sie sich nicht ein bisschen einsam gefühlt an diesem frohen Fest?

Nanu, Weihnachten interessiert Sie nicht? Wir feiern doch die Geburt von Jesus Christus, dem Sohn Gottes.

Na ja, die Weihnachtsgeschichte ist schon etwas unwahrscheinlich, unbefleckte Empfängnis und so, aber die muss man heute auch nicht wörtlich nehmen, eher wie ein Märchen aus der damaligen Zeit.

Dann sind Sie ein, äh, Heide, oder wie sagt man: Atheist, Agnostiker? Doch nicht etwa Buddhist?!

Aha, aber wer hat dann die Menschen, die Welt, die Schwarzen Löcher und alles erschaffen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Naturwissenschaft das alles irgendwann wird erklären können.

Ach, da stimmen Sie mir zu! Ach so, Sie meinen, nur weil die Wissenschaft es bis zur Selbstvernichtung der Menschheit zeitlich nicht schaffen wird, alle Rätsel zu lösen.

Irgendwie bedaure ich Sie, weil Sie so gar nichts haben, das Ihnen eine Art Halt und Sinn gibt im Leben. Ohne die Religion und ihre Gebote würden sich die Menschen auch heute noch gegenseitig die Köpfe einschlagen.

Was, Sie meinen, mit der Religion erst recht?! Na, zumindest unter Christen ist das doch inzwischen stark zurückgegangen. Ja gut, es gibt sie noch, die Gewalt im Namen der Religion. Aber gewalttätig ist nicht die Religion, es sind die Menschen.

Okay, Menschen werden von religiösen Eiferern radikalisiert und aufgehetzt. Dagegen setzt gerade das Christentum das Prinzip der Nächstenliebe.

Ja gut, es stimmt schon: Nächstenliebe geht auch ohne Gott.

Und mit Weihnachten als Geschenke-Fest für Kinder mit Weihnachtsbaum, Weihnachtsmann und 'Jingle Bells' haben Sie auch nichts im Sinn?

Na klar, das ist auf Kommerz ausgerichtet, und feiern kann jeder, wann und wie er will. Mag sein.

Ich für meinen Teil bleibe gern bei der seit Jahrzehnten erprobten Tradition und begehe in froher und besinnlicher Weise Weihnachten.

Ach, Sie auch, aber mit einer Flasche Rotwein?! Na, da sind wir uns gewissermaßen doch noch einig geworden.

Ich wünsche Ihnen eine schöne Zeit zwischen den Jahren und einen guten Rutsch ins neue Jahr.

Na, das dachte ich mir fast. Jahreswechsel und überhaupt Daten interessieren Sie also auch nicht.

Klar, der Kalender ist nur ein kulturelles Konstrukt anstelle des natürlichen Laufs der Erde mit Wintersonnenwende, Sommersonnenwende und so weiter.

Aber im täglichen Leben und in der Wirtschaft zum Beispiel brauchen wir doch eindeutige Termine.

Ach, Sie arbeiten zu Hause, freiberuflich, Sie schreiben. Interessant. Termine kennen Sie nicht. Sie schreiben, wenn Ihnen was einfällt. Manchmal gar nicht, manchmal Tag und Nacht. Worüber denn?

So so, über alles, auch Gedichte. Interessant. Haben Sie schon was veröffentlicht?

Aha, Sie arbeiten noch dran.

Sagen Sie mir Bescheid, wenn wir uns mal wieder treffen sollten, ob man was von Ihnen kaufen kann. Dann bitte ich Sie, mir das Büchlein zu signieren, und ich habe ein prima Weihnachtsgeschenk für meine Frau. Die liest alles.

Und wenn Sie mal berühmt werden sollten, haben wir was Wertvolles von Ihnen zu Hause, hihihi ... . —

Auwei, was hab ich mich verplaudert! Tschüss, machen Sie 's gut, vielen Dank, und bleiben Sie gesund!

Ihr Infektionsrisiko ist ja wirklich sehr gering.

 

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Wer die Feder so führen kann, den Disput so lebendig gestalten kann, obwohl er von einseitiger Natur ist, der beeindruckt mich sehr lieber @maerC. Eine perfekt geführte Konversation, die so viele Fragen und Antworten zugleich in den Raum stellt, dass man sich augenblicklich Gedanken dazu macht, Stellung bezieht und sich fast geistig als im Dritte der Bunde mitunterhält. Das ist eine besondere Begabung, wenn durch geschriebene erdachte Gedanken diese Lebhaftigkeit entsteht. Egal, ob man des einen oder anderen Meinung teilt.

Ausgesprochen schön, interessant und mit sprachlichem Geschick geschrieben. Wenn die Flasche die Ansprechperson ersetzt, wenn die Antworten sich in der Frage widerspiegeln, wenn die Grundwerte klar ausgesprochen als unbestätigt im Raum stehen bleiben und man doch voll vom Geschehen mitgenommen wird, dann ist die Erzählung gelungen. So wie hier.

Sehr gerne gelesen.

Lieben Abendgruß

Sonja

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Liebe Sonja,

bei der Vielzahl der täglich hier erscheinenden Texte weiß ich es besonders zu schätzen, dass du meine im Vergleich zu vielen Gedichten etwas längere Kurzgeschichte offenbar intensiv gelesen und mir eine so ausführliche und differenzierte Rückmeldung gegeben hast. Vielen Dank dafür und liebe Grüße von

maerC

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