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Geschrieben am

Im zweiten Weltkrieg arbeitete sie Tag und Nacht in einem Lazarett in Berlin und ging dort den Ärzten zur Hand. Schlimmes musste sie dort mit ansehen und dieser Gräuel war längst in ihre Träume eingezogen. Sie roch das Blut und den Schießpulvergeruch noch während sie schlief, und Bilder von verstümmelten Gliedmaßen und zerrissenen Körpern begleiteten sie durch alle ihre Träume. Jede noch so schöne Erinnerung wurde überlagert von Grausamkeit und so bot das Arbeiten ihr manchmal mehr Erholung als der Schlaf.

Aber all das war immer noch besser, als Tag für Tag zu hungern oder auf dem Schlachtfeld sein Leben zu lassen. Sie vermisste ihre Heimat und die noch lebenden, wie auch die zahlreichen gefallen Verwandten und Freunde. Die spärlichen Briefe, die sie ab und zu bekam, enthielten zusätzliches Gräuel, aber auch Worte der Liebe und Zuneigung, die sie durchhielten ließen, obwohl sie Tag täglich am Rande der Erschöpfung weilte.

Es waren die geretteten Leben, die ihr Kraft und Trost spendeten und die sie nicht vergessen ließen, dass sie auch ein Lächeln besaß. Und mit diesem Lächeln spendete sie vielen Leicht und Schwerverletzten Trost und wenn es die Zeit zuließ, mit einem aufmunternden Handhalten auch etwas Zuneigung, die viele Soldaten lange nicht mehr gespürt hatten im grausamen Alltag an der Front.

Im Luftschutzbunker durchlitt sie Stunden der Angst, und als die Rote Armee vor den Toren Berlins stand, wuchs die Furcht stündlich dem Krieg noch näher zu kommen, als sie es sowieso schon war. Es gingen Gerüchte um, die Russen würden jede Frau und jedes Mädchen ausnahmslos schänden, die sie in die Finger kriegen würden, um sich für ihre gefallenen und vergewaltigten Frauen zu rächen. Wenige Tage später kam der Lazarettleiter zu ihr „Mädchen, die Russen sind da, pack deine Sachen und versuch, nach Hause zu kommen. Wir kommen ohne euch Frauen zurecht. Schließ dich am besten den anderen Frauen an, dann habt ihr größere Chancen.“

Am nächsten Morgen zogen sie los Richtung Heimat. Nach drei Tagen kam der erste Hunger und jeder Meter wurde zu einer noch größeren Tortur, als sie es sowieso schon war. Mit Anfang zwanzig war sie zwar kräftig, aber das entbehrungsreiche Leben hatte schon deutliche Spuren hinterlassen. Ihre Gruppe Frauen marschierte überwiegend nachts, da ihnen die Angst im Nacken saß, auf gegnerische Truppenverbände zu stoßen. Tagsüber ruhten sie sich etwas aus, aber mehr als ein paar Stunden gönnten sie sich nicht.

Auf halber Strecke ihres Weges trafen sie in den Morgenstunden auf einen Zug Flüchtlinge, die auf Heuwagen unterwegs waren. Nach kurzer Diskussion entschloss die Gruppe sich dem Treck anzuschließen. Ihre Füße waren von Blasen übersäht und offene Wunden nässten bereits. Sie bettelten auf einem der Heuwagen mitfahren zu dürfen. Aber die Heuwagen waren bereits überfüllt mit Kleinkindern und alten Menschen, die dem Treck nicht hätten allein folgen können.

Sie durften sich zumindest an den Heuwagen festhalten, was ihre Füße etwas von dem zu tragenden Gewicht befreite. Man gab ihnen kleine Wasserrationen und Brot und durch die große Gruppe fühlten sie sich sicherer, da auch einige Männer mit Gewehren den Treck begleiteten. Diese Kleinigkeiten reichten schon aus, um wieder optimistischer in die Zukunft zu schauen.

Das Glück endete mit dem Geräusch eines vom Himmel stürzenden Jagdflugzeugs. Es wurde zu spät bemerkt und war viel zu schnell, um die Heuwagen noch zu evakuieren. Als die Kanonen bellten, rannte Großmutter instinktiv von den Heuwagen weg, bevor sie zu Boden ging und ohnmächtig wurde.

Als sie das Bewusstsein wiedererlangte, vernahm sie zuerst nur die allzu bekannten Schreie von Verwundeten und dann den Geruch von verbranntem Fleisch. Als sie sich umblickte, standen alle Heuwagen in Flammen und die Alten und Kinder brannten lichterloh.

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Geschrieben (bearbeitet)

Hallo Freiform,

 

eine kleine sehr bewegende Geschichte, deren Szenarien ich alle kenne und dennoch setzen mir deine Worte einen Kloß in den Hals.

 

Großmütter und Eltern entsprechenden Alters können sehr viel Schlimmes über die damalige Zeit erzählen - wenn ihre Seele es schafft Worte zu formen.

 

Meine Großmutter (1899 - 1991) erlebte beide Weltkriege und lebte sie noch, sie würde alles bestätigen, was du z.B. über die russischen Soldaten seinerzeit geschrieben hast. Sie sagte aber auch zu mir, dass einige amerikanischen Soldaten nicht besser waren. 

Mein Vater (1922 - 1991) war in Sibirien in Gefangenschaft, über die Zeit schwieg er. Und wenn wir Kinder ihn dann doch einmal fragten, weinte er nur. Es muss so grausam und menschenverachtend gewesen sein, dass mir die Tränen kommen wenn ich daran denke.

Aus Hungersnot wurden Bisamratten aus dem nahe gelegenen Fluss gefangen und verspeist.

 

An anderer Stelle - Der vierte Advent -  riss ich kurz die Flucht meines Schwiegervaters aus Schlesien an. Von den dreizehn Geschwistern meines Schwiegervaters kamen drei nicht in der neuen Heimat an. Meine Schwiegermutter sprach nicht über die unfreiwillige Reise. Ich gehe davon aus, dass auch sie mit den feindlichen Soldaten näheren Kontakt hatte und aus Gesprächen erkannte ich, dass sie nur Böses in den Menschen vermutete.  Sie verließ später die Wohnung nur noch zum Wäsche aufhängen. 

 

Nie wieder Krieg! Nie wieder sinnloses Töten!  Und Gott gebe, oder wie auch immer er  bei anderen Menschen heißt, dass alle Kriege auf der Welt bald ein Ende haben. 

 

 

 

LG Sternwanderer

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Geschrieben

Ich habe kein "Like" gegeben obwohl es sehr gut geschrieben ist, weil "like" bedeutet "es gefällt mir" und das kann ich nicht sagen, wenn ich von Leid lese. Deswegen schreibe ich lieber einen Kommentar. 

Schon lange sehe ich mir bewusst keinen Film an, lese kein Buch mehr, das mit dem zweiten Weltkrieg zu tun hat. Auch nicht Bücher und Filme über Konzentrationslager oder Judenvernichtung. Es ist genug darüber geschrieben.

Die Russen haben sogar Frauen, die im Krankenhaus lagen, vergewaltigt. 

Der Vater von Peter Härtling starb in russischer Gefangenschaft, seine Mutter wurde von russischen Soldaten vergewaltigt und brachte sich um.

Ich erwähne Peter Härtling weil NICHTS davon erwähnt er in seinen Werken, in seinen Gedichten.

Ich könnte über die jüdischen Eltern der Mutter meines Sohnes erzählen, die als Einzige in der Familie überlebten, weil sie noch vor dem Krieg aus Litauen nach Uruguay auswanderten, aber wozu? Wie gesagt, ich glaube, es ist genug über dieses Thema berichtet worden.

 

 

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Geschrieben (bearbeitet)

Moin Freiform

ich bin sehr bewegt von deiner Geschichte, auch von dem was Sternwanderer u Carlos schreiben. Menschen wie deine Großmutter zollt mein großer Respekt. Meine Mutter ist 92 Jahre alt geworden. Ich bin ihr sehr dankbar dafür das sie meinen Kindern immer wieder viele Fragen aus der Kriegszeit beantwortet hat. Sehr fesselnd geschrieben! Diese wahren Geschichten zu lesen halte ich für sehr wichtig und wachrüttelnd. Aufmerksam gelesen.

HG Josina

 

 

 

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Geschrieben

Hallo Miteinander,

einen großen und herzlichen Dank, für eure Worte und die sehr bewegenden Schilderungen!

Meine Geschichte entspricht  meiner Erinnerung, wie meine Großmutter sie mir vor mehr als drei Jahrzehnten erzählt hat. Es ist leider die Einzige, die ich zum größten Teil behalten habe, alle anderen Erinnerungen ihrer Erzählungen sind nur noch Fragmente.

Mein Bruder und ich waren in unseren Kinderjahren sehr viel bei Omas und Opas und die haben alle vier sehr viel über den Krieg erzählt. Einer der Opas hatte auch viele Kriegsbilder aus Russland, die er uns auch ungeschönt zeigte, als wir schon größer waren. Da waren furchtbare Szenen dabei, die ich bis heute nicht vergessen habe.

Wir haben das Glück im Frieden zu leben und können nur hoffen das es auch so bleibt, aber die Anzahl dauernder bewaffneter Konflikt auf unserm Planeten ist schon beängstigend, besonders wenn Menschen wie Trump und Konsorten die Finger am Knopf haben.

Ja, es ist wohl genug über dieses Thema geschrieben worden, aber über welches Thema nicht?
Die Verrohung und die Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft nehmen zu und jetzt wächst gerade eine Generation heran, die kaum noch jemanden in der Familie aufzählen kann, die das hautnah miterleben mussten. Wir dürfen nicht vergessen und müssen versuchen, für diese Generation die Geschichte lebendig zu halten mit der Hoffnung verbunden, dass das niemand mehr miterleben muss.
 

Ich danke euch ganz herzlich und wünsche allen noch einen friedlichen Sonntag!
@Darkjuls@Sternwanderer@travis@Carlos@Josina@Kurt Knecht@Gina@Hellschatten
 

Grüßend Freiform

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