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Erinnerungen an Vergissmeinnichte

 

Das Erstarren hatte wohl ein Ende. Hinter den Bergen ging die Sonne wieder auf und Knospen springen aus dem Boden heraus. Die Atmosphäre wärmt sich auf und und man erwacht aus dem Winterschlaf, erinnert sich daran wie es war, als man eingeschlafen ist, voller Tränen mit gebrochenem Herzen. Wenn auch noch ein paar Kratzer deine liebliche Haut so zieren mögen, doch die Seele ist durch den quälenden, langen Schlaf gut ausgeruht und bereit tief durchzuatmen um von Vorne anzufangen. Gedanken darüber, dass die Liebe wertlos sein muss und die damit einhergehende Trauer, lassen sich gut von den frisch geöffneten Blüten verdecken und in den Schatten stellen. Die Zeit ist reif für Frühlingsgefühle, doch man merkte: Da ist etwas, dass stimmt nicht.

 

Gehend am hellichten Tage, spürte ich die Sonne wärmend auf meiner Haut, hörte dem Wind beim wehen durch Baumkronen zu und genoss den wahrlich ersten schönen Tage des Jahres. Eigentlich würde ich gerne meinen Kopf in alle Richtungen drehen und all die Orte wiedererkennen, an denen ich Vorbeilaufe, die in einem ungewöhnlich positiven Lichte erstrahlen, doch ich hielt meinen Kopf unten und versuchte die unangenehmen Blicke die auf mich geworfen werden, zu ignorieren. Ich spürte, dass sie mich ansehen, wenn ich an ihnen Vorbeilaufe und sie sich sogar mit ihrem ganzen Antlitz in meine Richtung drehten. Diese blauen Blicke, die Farbe ihrer Augen, beschoßen mich von allen Seiten.

Es waren hunderte, tausende. Wo kamen die alle plötzlich her? So habe ich im letzten Jahr keine von ihnen gesehen. Ob man hier wohl von einer Plage sprechen konnte, oder die Leute sich an den Vergißmeinnichten erfreuten? Vielleicht war ich aber auch der Einzige der hier so viele sah.
Ich Blickte auf eine Wiese, die wie ein Meer so befüllt ist mit diesen blauen Blüten. Die Hügel erscheinten wie Wellen und hunderttausende Blicke drangen durch alles, alles was ich war und was ich sein werde.

Das tat so weh, immernoch schmerzte es mich. Für immer würde es das. Ich wurde von meiner Vergangenheit auf Schritt und Tritt verfolgt. Ich schaute nach unten und riss eine der unendlichen Blumen heraus. Ich wollte sie einfach auf den Boden werfen und sie zertreten, mir selbst zeigen, dass ich nun darüber stehen würde.

"Wenn ich schon nichts am Verlauf der Dinge ändern kann, dann überstehe ich es trotzdem, dann beiße ich mich durch, koste es was es wolle." So hielt ich sie in der Hand und war bereit sie auf den Boden zu werfen, als ein komisches Gefühl über mich herfiel. Es war als ob die Blume zu mir sprach, mich bat sie noch einmal anzusehen. "Ich werde nicht mehr zurücksehen", sagte ich mir selbst.

Doch die kleine Blüme bittete, winselte wie ein kleines Kind. Ich nahm sie noch einmal zu mir hinauf, streckte meinen Arm hoch und, am Stile haltend, hob ich die blaue Blüte mir auf die Augenhöhe. Ich sah sie an und vor meinem geistigen Auge erschien sie mir, lächelnd an unseren schönsten Tagen mit ihrer strahlenden Iris. Ich versuchte den Gedanken zu unterdrücken und Konzentrierte mich auf die blaue Blüte samt dem mittleren gelben Punkt und den hellblauen Himmel im Hintergrund. Im Himmel sah ich eine Wolke erscheinen.

Ich nahm die Blume hinunter, erblickte den Himmel und die Wolke bis ich bemerkte, dass ich mich an einem ganz anderen Ort aufhielt. Ich stand Barfuß am Strand und das Meer ließ die Wellen brechen, dessen Wasser meine Füße kühlte.

Warmer Wind umgab mit und strich mir durch das Haar. Ich sah mich um und entdecke diesen schönen unbekannten Strand an welchem herrlichstes Wetter herrschte. Ich fragte mich wo ich sei und sah mich um, entdeckte dabei ein kleines Fischerboot nahe am Strand und dort stand ein Mann.

Ich ging zu ihm und als er mich bemerkte, drehte er sich um und begrüßte mich freundlich. "Guten Tag! Ich bin Vasudeva".

Eine besondere Ausstrahlung ging von diesem Mann aus, etwas unerklärliches und schönes. Der Mann war mir bekannt gewesen, als hätte ich ihn nicht nur einmal schon gesehen, als hätte ich ihn jeden Tag gesehen, doch ich wusste nicht woher ich ihn kannte. 
Ich versuchte mich auch vorzustellen:"Ich bin...", doch als ich meinen Namen sagen wollte, rutschte mir das Wort "verloren" anstatt meinem Namen heraus. Ich wunderte mich über meine eigenen Worte, doch Vasudeva lachte nur und lud mich ein mit auf sein Boot zu kommen.
"Was machen sie hier auf dieser Insel?", fragte er mich.

 

"Ich weiß gar nicht wie ich hergekommen bin".

 

"Vielleicht hilft es Ihnen, wenn ich Ihnen kurz erzähle, wieso ich hier bin?"

Ich nickte und er fuhr mit mir weiter aufs Meer hinaus. Es war als ob wir durch diese ebenfalls bläuliche Unendlichkeit gleiten würden und der Motor schäumte das Wasser hinter dem Boote auf.
"Dort hinten war mal eine Insel, auf dieser Stand mal mein Haus", sagte er und zeigte in eine Richtung in der nur Wasser und der Horizont zu sehen waren. "Doch einst kam eine Flut und spühlte mein Haus, die Insel und alles was mir gehörte und was ich dort liebte davon. Heute ich der Meeresspiegel angestiegen und sie ich vollends verschwunden. Deshalb bin ich nun auf der anderen Insel und habe nur noch mein Boot, denn das, kann ja nicht einfach versinken. "

 

"Das tut mir sehr leid", sagte ich. "Nun es ist der Lauf der Dinge", sagte er, woraufhin ich ein verzweifelten und zustimmenden Seufzer abgab. "Haben sie auch schon Erfahrungen mit dem Lauf der Dinge gemacht?", fragte er mich.

Er sah mich an und erwartete es von mir, dass ich erzählen solle. Also strengte ich meinen Geist an, um meine Erinnerungen zu Ordnen und sie zu erzählen.

"Ich habe den Glauben an die wahre Liebe verloren. Mein Verlust belastet mich sehr", sagte ich überlegt. "Überall sehe ich diese blauen Blumen und sie erinnern mich an ihre wundervollen Augen, und ach nicht nur die Blumen. Auch der Himmel und das Meer, alles erscheint mir hier in diesen Farben, die mir zeigen das ich verloren habe was mir wichtig war und das für immer. Nie wieder wird das Meer und auch der Himmel oder auch eine Blüte wieder sein was es war und die Schönheit wird immer mit einer bedrückenden Melancholie einhergehen." 
Vasudeva fragte mich:" Kann es sein, dass die Farbe blau sie einfach an Liebe im generellen erinnert? "

Ich grübelte über diese Vermutung. 

"Wollen Sie von mir Floskeln hören die sie trösten sollen, oder wollen sie von mir die Wahrheit wissen? ", fragte er mich. Ich war überrascht von dieser Frage, aber dachte ernsthaft darüber nach: " Ich weiß nicht, will ich die Wahrheit überhaupt wissen?", fragte ich Vasudeva.
"Ich weiß nicht ob du sie wissen willst. Lass sie mich dir trotzdem zeigen!"
Er holte aus einer Kiste etwas mir unbekanntes, aber scheinbar essbares und warf es in großen Mengen in das Wasser wo es langsam schwamm und dann sank, doch plötzlich kamen ein paar Fische, die anfingen davon zu fressen und ganz plötzlich waren es es so viele, dass das Wasser dort wie Kochte. Sie vielen übereinander her und rissen sich die Stücke gegenseitig aus dem Maul. Nach einem kurzen Moment war die unfassbare Fressorgie vorbei und die Fische verschwanden und Ruhe kehrte wieder ein. "Es fasziniert mich immer wieder, dass hier zu sehen", sagte Vasudeva.

"Ich liebe diese Fische sehr, sie nähren mich und ich nähre auch sie. Zumindest ein bisschen. Da das aber eben nur Fische sind, können sie nicht empfinden wie ich empfinde, sie sind einfach da und wissen gar nichts von mir. Jetzt könnte ich mich alleine fühlen oder ich akzeptiere, dass die Fische nunmal Fische sind und keine Menschen", sagte Vasudeva.
"Was soll das heißen?", fragte ich ihn. Er lächte mich an und fragte: "War sie eine Blume?" 
"Nein sie war eine Frau!", antwortete ich. 
Er lachte beinahe schon himmlisch und voller Herzenslust. 
"Was ist so lustig?", frage ich ihn. 
"Du hältst sie noch immer in deinen Händen!", zeigte er mir. Ich sah zu meiner rechten Hand und erblickte die kleine blaue Blume, die ich immernoch in der Hand hielt und schon ganz vergessen hatte, dass sie da war. Ich fasste sie am Stil und drehte sie ein Wenig mit meinen Finger. Die Blüte begann langsam schon zu Hängen, doch die Blaue Farbe strahlte immernoch von ihr aus.

Ich betrachtete wieder die Blüte in ihrem wahren Sein, mit dem Kontrast des Himmels und des Meeres im Hintergrund.

Ich vertiefte mich in ihre Ausstrahlung, in die Farbe meiner Liebe. Ich nahm ein paar tiefe Atemzüge und blinzelte ein paar Mal und schon stand ich wieder dort auf der Wiese, voller dieser Blumen am wahrlich ersten schönen Tag des Jahres, mit der Blume in der Hand. Wieder spürte ich alle diese Blicke von den Augen, doch dieses Mal drehte ich mich, sah mich um und erkannte plötzlich, dass die Blicke der blauen Augen nicht nur die von ihr sind, sondern die von unendlich vielen Verschieben Menschen, Tieren, Dingen und Taten. Die Blicke von all meinen tiefsten Wünschen, Menschen die mir noch begegnen würden und all die Potentiale die zu mir sahen, die mir den Frühling meinens Lebens bescheren und nur darauf warteten von mir gesehen zu werden.

Ich ertrank in keinem Meer aus schmerzhaften Erinnerungen, sondern wurde überweltigt von den Menge an Möglichkeiten, Persönlichkeiten und Liebe, die zu mir aufblickten. Deshalb drehten sie sich zu mir und deshalb sah ich so viele, wie Sterne am Himmel. Ein unfassbarer Stoß von Freude und Euphorie berührte meine Seele und über meine Wange lief eine Träne.

Tatsächlich waren es bei weitem nicht nur ihre blauen Blicke, sondern die des Meeres als tiefe- und die des Himmels als höhe der Welt. Sie zeigten die mögliche Augenfarbe von zukünftigen Kindern. Es war eine Farbe, die mir zeigte, dass die Ästhetik der beeindruckenden Weiten wie der Unendlichkeit nicht mit einer bedrückenden Melancholie, sondern mit einer rührenden Liebe einhergen werden!

 

Genauso wie vorher, fühlte ich sie, hunderttausende Blicke drangen durch alles, alles was ich war und was ich sein werde, doch dieses Mal war es wunderbar und in diesem Moment war ich vollkommen, wie eine Blume, die aus der dunkelen Erde das Licht der Welt neu erblickte und ihre Blüte öffente. Mit ihren Augen sehe sie sich um und genieße den ersten schönen Tag des Jahres. Ich kniete mich hin und buddelte die Blume, die ich vorhin noch zertreten wollte, wieder ein, machte mir dabei die Hände schmutzig, doch das war mir gleichgültig. Nichts sollte von mir zerstört werden, lieber würde es behüten und sein lassen.

Ich dankte dieser Blume so sehr, ich dankte allen so sehr.

Und natürlich werde ich ihn nie vergessen, diesen wahrlich ersten schönen Tag des Jahres!

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