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Geschrieben am

beDingt frei

 

Lukas Painsi

 

 

 

 

Marie gefallen Dinge, Sachen. Für Marie sind Gegenstände kraftvoll. Sie haben Wert. Geht Marie durch die Fußgängerzone, fühlt Sie so stark, dass Sie sich ihrem Ding-Kunst-Mensch-Sein gewiss wird. Dort beginnt sich ihr die Welt zu erschließen. Hier wollen die Menschen Dinge, hier will Marie Dinge. Hier will Marie das Wollen der Anderen verstehen, zum sozialen Wesen werden. Handelt, wie sich Ihr die Welt darlegt, agiert in ihrer Gewissheit vom Guten. Ist Marie in Ihrer Arbeit, verkauft Sie Dinge. Nicht von Angesicht zu Angesicht. Sie gestaltet Werbung. Von subtil bis knallig. Vom Rheumapflaster bis zur Zuckerwatte. Marie sieht sich selbst als so etwas wie Psychotherapeut für die Massen. Sie schenkt den Menschen das Wollen, das Fühlen der Welt und der Dinge in ihr. Marie empfindet sich als Selbst akzeptierend und entfaltend. Sie sagt es, wenn Sie etwas nicht interessiert, weil das Sprechen über Unangenehmes ihrer Meinung nach Unangenehmes erzeugt. Marie ist sehr gut in ihrem Job. Sie trifft Nerven, die einige nicht zu besitzen glauben. Argumentiert klar und schnell. Fast macht es den Anschein, Sie müsse nicht abwiegen. So etwas wie Privatleben berührt Marie nicht. Und wird die Idee an Sie herangetragen, weißt Sie die Vorstellung ohne jegliches Interesse von sich. Für Marie erscheint die Welt so klar, als gäbe es keine Nuancen, Graubereiche oder Sichtweisen. Diese unveränderliche Absolutheit trägt Sie nach außen. Und polarisiert die Menschen in die Lager der fasziniert-interessierten bzw. befremdet-ablehnenden. Zum Denken regt Marie die Ablehnung nicht an. Vielmehr sieht Sie es als Bestätigung, als Kante haben. Sie glaubt, dass es die Aufgabe der Gesellschaft ist, den Funken zum Ding in Menschen zu entfachen. Nur dieser Mensch kennt sich und sein Wollen, entwickelt seinen Willen zum Wollen und Friede sei garantiert. Jene die sich dem Wollen nicht stellen, sind es ihrer Meinung nach, die in ihrem unreflektierten Wollen wollen, was niemand wollen kann.

So geht Marie durchs Leben und stellt niemanden vor Fragen. Wo Fragen sich zu stellen beginnen, beantwortet Sie diese schon wieder. Arbeiten gestaltete sich für Marie anfangs schwierig. Aber das wäre schon wieder ein unangenehmes Thema, oder wie Marie sich denken würde, eine Frage die sich dem Ding, also dem Wollen entbehrt und sich somit gar nicht stellt. In der Agentur haben sich die fasziniert-interessierten in einem Respektabstand rund um Marie gruppiert. Sie sind es, die an der Anziehungskraft der Dinge und der Klarheit teilhaben wollen. Langsam gehen Sie den Weg der Dinge und wieso diese unser aller Wollen beherrschen. Marie fragt nicht nach deren, ihrer Meinung nach, inexistenten Problemen. Sie geht auf Dinge ein oder geht ihres Weges.

Mittlerweile sprechen die Leute der Branche über Marie. Über die kaum Verständliche, die so oft zu verstehen scheint. Dabei ist Marie nicht anbiedernd. Sie wird nicht wütend, hat nie Angst. Die höchste Form der Ablehnung ist das Ablehnen eines Problems an sich. Anfangs fühlen sich Menschen von Marie oft befremdet. Doch trägt Sie dem keine Rechnung, lässt es zu, ist nicht im Kleinsten zur Zwietracht zu bewegen. Und da beginnt gerne die Faszination rund um diese Ausnahmeerscheinung, diesem kraftvollen Selbstkonzept, dass ohne Problemdenken, einen vor eine einzige Entscheidung zu stellen scheint. Vor die Entscheidung hin zu den Dingen und dem wollüstigen Durchschreiten dessen, was uns zu ihnen zieht. Ihrer eigen werden will. Oder dem Normalen, das es für die Beteiligten bisher nicht zu Hinterfragen galt. Sollen Sie sich fragen, sollen Sie ablassen vom Problem und hingehen zum Ding und das Wollen akzeptieren denkt sich Marie. Der Weg ins Nirwana ist oft kein leichter, doch würde sich Marie selbst auf opfern, den Menschen den Weg zu den Dingen zu ebnen, würde Sie bereits nicht mehr leben. Nicht mehr erleben, was Sie für wahr, richtig und gut hält. Sie würde sich selbst leugnen. Immer mehr Menschen hören von Marie. Sie ist Gesprächsthema. In der Werbeszene und darüber hinaus. Journalisten haben Sie auf dem Radar und wollen Interviews mit Ihr führen, Artikel mit Überschriften ala „der Ding-bezogene Mensch als kraftvolle Alternative? Ist Kapitalismus-kritisches Denken als Angst vor dem eigenen Willen enttarnt worden?“ schreiben.

In der Agentur wurde Marie zum Creative-Director, dort kann man sich vor Aufträgen nicht mehr erwehren. Man expandiert. London. Paris. Tokio. Rom. New York.

Werbung wird in schlecht bis gut unterteilt. Und nun kam noch die Kategorie Marie hinzu. Eine neue Ordnung hat sich aufgetan. Eine Ordnung der Dinge, eine Orientierung am Ding. Menschen sammeln die Werbungen von Marie, handeln mit ihnen. Jede von ihnen einzigartig Echt, Kraftvoll, das Wollen treffend und den Willen entfachend. In den großen Städten des Planeten trifft man sich zu Diskussionsrunden. Dort wird nur über eines gesprochen. Dinge. Welche es gibt. Wie man sie fühlt. Wie sehr man sie will. Probleme existieren dort nicht. Avantgardistische Bewegungen gruppieren sich. Die neue Freiheit entfesselt ganze Bevölkerungsschichten. Die Wirtschaft prosperiert. Es wird gekauft, gearbeitet, produziert. Marie, ihrem Ding-erleben voll zugewandt, ist bereits für zwei Nobelpreise vorgeschlagen. Jenem für Wirtschaft und dem für Frieden. Die Verleihung scheint nur eine Frage der Zeit zu sein. Neue Medien entstehen, wie Pilze in warm-feuchtem Klima einem Waldboden entsprießen. Ihr Inhalt? Natürlich Dinge. Stilisiert und auf ihre Wollenskraft hin analysiert.

Marie’s Zeit wird kostbar. Sie hält an der Columbia University eine Vorlesung ab. Ihr Titel

„Anthropologie, eine Geschichte heraus aus dem und hin zum Mensch-Ding-Spannungsfeld. Ein Entstörungsversuch.“ Live übertragen in die Hörsäle der Universitäten weltweit, wo Zukunft gedacht wird. Die Präsidenten der E.U.-Kommission und den Vereinigten Staaten konnten Marie das Versprechen abringen Leitlinien zu Bildungsreformen hin zur „beDingten Gesellschaft“ zu gestalten.

Gegenthesen? Problembehaftet. Geholfen kann eben nur dem werden, der es auch will. Die Straßen der Städte haben sich gewandelt. Treffen die Leute sich auf ein Getränk, ist es ein auf das Getränk treffen, ein erfahren des Getränks. Das Gesprochene gilt den Dingen. Dem Getränk. Dem Gefäß. Beim Servieren stellt der Kellner das Getränk vor, gibt eine Einführung. Unverbindlich. Spüren muss man es ja selbst. Gleich ob Getränk, Bekleidung, Wohnstätte oder Auto, so erlebt man 2021. Anderes Ding. Gleiches Spiel.

 

2025

 

Wir schreiben das Jahr 2025. Die Welt hat den „beDingten“ Wechsel vollzogen. Erziehung, Bildung, Politik, Produktion, Forschung und Entwicklung, Handel, Medien. beDingt. Die letzten Jahre waren von rasanten Umbrüchen gezeichnet. Die neue Ordnung steht in voller Massivität vor den Menschen und Marie ist zu dem Ding-Menschen erklärt worden.

Wer gegen Marie fühlt, sich gegen die Dinge stellt und somit den befreiten Ding- Menschen zu stürzen an sinnt, dem wird die Zeit gegeben, zurück zu den Dingen zu finden. In speziell dazu installierten Einrichtungen.

 

 

 

2030

 

Zehn Jahre beDingt. Weltfeiertag. Ein Feuerwerk an neuen Ding-Kreationen wurde vorbereitet, einige von ihnen von Marie selbst. Der Ding-Mensch, Marie, umgibt sich mit Dingen in einem nicht genauer bekannten Anwesen. Hermetisch abgeschottet von jedem nicht beDingten Einfluss, um sich der reinen Ding-Lehre widmen zu können, verfasst Marie mystisch-abstrakt anmutende Schriftstücke rund um das Leben rund um die Dinge.

Von dort gelangen diese „größtmöglichen Erfahrung“ genannten Zeilen weiter zu den Ding-Beauftragten. Sie sind es, die in voller Demut gegen den Dingen, dem Ding-Menschen und der BeDingtheit, tragen, was die beDingte Gesellschaft zu tragen hat.

Und Sie sind es, welche die „größtmöglichen Erfahrungen“ auszulegen haben. In Gremien wird gerätselt und gefeilt, ja der Versuch angestellt, den Sinn der Dinge in Ihrer Ganzheit zu erfassen, um von dort aus zum Geltenden Recht festgeschrieben zu werden.

Die größtmöglichen Erfahrungen, samt vollendeter Interpretation der Ding-Beauftragten, werden zweiwöchentlich veröffentlicht, digital und in gebundener Form, jedem Bürger zugestellt.

Der Sonntag der Veröffentlichung wird für die beDingten Stunden genutzt. Hier treffen sich die Menschen, um der größtmöglichen Erfahrungen und ihrer Auslegungen näher zu kommen. Um diese zu verstehen. Dort, wo früher Messen und Riten abgehalten wurden, dort, wo man den Herrschern gedachte oder einer wie auch immer gearteten Staatsdoktrin ihren Dank erwies, dort erfährt man heute den Willen zum Ding, wer ihn ermöglicht und wie er sich uns darlegt.

 

 

Die bedingte Welt steht schon lange und die Kinder der Primarschulen sind bereits beDingt aufgewachsen, die Erinnerungen der Erwachsenen beginnen zu verblassen.

In der Öffentlichkeit ist nichts von Problemen zu verzeichnen. Geht man durch die Straßen hört man kein Wort der Unzufriedenheit. Es ist sauber, die Menschen arbeiten unentwegt.

Das Groß der Bevölkerung würde es nicht wagen die beDingtheit zu hinterfragen. Sie tun was sie tun können um der beDingten Lehre zu entsprechen und kämen nicht auf die Idee ihr Gutes außerhalb der beDingten Lehre zu finden. Für diese ist sie das Gute. Vielmehr ist es die Stimmung der Gesellschaft, Vorsicht walten zu lassen, ob denn da nicht jemand gegen den beDingten Menschen sinniert. Der Freiheit hin zum BeDingt sein wurde nun auch die Angst vor dem unBedingten beigefügt. Die UnBedingten, sind die, derer Gedankengut die Freiheit und das beDingte in seiner Vollkommenheit, also das Gute und Friedliche im Menschen, gefährdet. So die Ding-Beauftragten. Weiters werden die Menschen angehalten regelmäßig zu reflektieren ob man nicht unBedingte Anteile in sich trage. Laut dem heutigen Wissensstand der beDingten Lehre laufe ein jeder Gefahr unBedingt zu werden und ist man sich dessen nicht Bewusst, hat der Betroffene bereits ernsthafte Probleme und muss unverzüglich behandelt werden.

Wer nun zu der Gruppe der UnBedingten gehört und ob dieser sich bereits mit anderen Unbedingten zusammen geschlossen habe, man weißes nicht. Und so sind die Bürger wachsam und melden ihre Verdachtsfälle der Polizei.

Die beDingte Sozialforschung sieht die beDingte Gesellschaft als End-Form der Menschheitsentwicklung an. Doch immer mehr geschieht etwas mit den Menschen, dem die Dinge nicht gewachsen zu sein scheinen. Die Menschen finden nicht mehr Erfüllung in den Dingen. Sie verlangen regelrecht nach Mitmenschlicher nähe, erfüllenden Tätigkeiten und einem Beziehungsleben. In den beDingten Stunden wird gewarnt und gewettert. Das sei das unBedingte, das Kranke, wogegen man standhalten müsse. Doch einmal im Bewusstsein eines Menschen wieder angekommen scheint es kein Halten mehr zu geben.

Geht man nun durch die Straßen, fallen immer wieder Menschen auf, die leblos und betrübt wirken. Immer mehr verfallen in eine Depression. Meist so stark ausgeprägt, dass jegliche beDingungsversuche ohne Erfolg bleiben. Zumindest mit der richtigen Medikation kann einigen geholfen werden.

Im Allgemeinen steigt der Zweifel und die Unzufriedenheit.

Es brodelt in der Bevölkerung und die Menschen verlieren im Angesicht ihrer Schwerkranken Mitbürger die Angst ihren Unmut zu teilen.

"Geht es zu weit mit der beDingtheit?" "Warum soll ich nicht auf all das unnötige verzichten können?" "Geschieht hier Unrecht?" "Machen wir uns selbst krank?" sind die Fragen die durch die Bevölkerung gehen. Anfangs gingen die beDingten Machthaber scharf vor. Inhaftierungen stehen am Tagesplan. Der Presse waren Warnungen vor einer unBedingten Angstmache zu entnehmen.

Doch je mehr Inhaftiert werden, umso mehr fängt die Gegenbewegung Feuer.

Im Geheimen werden Flyer mit der Aufschrift "love first", oder "Freiheit ist unBedingt" gedruckt und Nachts in die Postkästen geworfen.

Die Stimmung scheint gekippt zu sein, und mit ihr auch die Überzeugung vom Establishment. Die beDingte Führung ruft den Ausnahmezustand aus. Panzer rollen durch die Straßen der Städte. Nun Weltweit. Kontrollpunkte werden eingerichtet. Überall sind Soldaten mit Maschinengewehren bewaffnet präsent und einsatzbereit. Es herrscht Ausgangssperre. Nachts hallen die Parolen des Wiederstandes durch die Straßen und werden oft erst mit dem ertönen von Maschinengewehren zum erstummen gebracht.

So geht es nun seit Wochen. Bis heute um 15 Uhr aus auf Autos montierten Lautsprechern ertönt, die Bürger sollen Fernseher oder Radio einschalten.

Voller Angst was jetzt kommen mag schalten die Leute ihre Fernsehgeräte ein, in der Erwartung den DingBeauftragten für Öffentlichkeitsarbeit wie üblich zu sehen.

Doch es ist ein anderer DingBeauftragter den Jederman zu sehen bekommt. Aus den Geräten spricht der Ding Beauftragte für Heereswesen zu Ihnen, wie er die Republik der neuen Freiheit ausruft.

Ungläubig sehen die Menschen rund um die Welt diese Bilder auf ihren Bildschirmen. Und schon werden von den Soldaten überall Fahnen gehisst, wie die alten Figuren von Marie zum Sturz gebracht werden. "Die Gruppierung der neuen Freiheit und Ich konnten nicht mehr anders als zum Guten des Volkes zu handeln. Der beDingten Regierung der letzten Wochen weiter zuzusehen wäre einem Verbrechen gegen die Menschheit gleichgekommen. Der Ausnahmezustand müsse noch einige Tage aufrecht erhalten bleiben, bis die Interimsregierung alle zur Staatssicherheit notwendigen politischen Ämter besetzt habe. Die Führungsriege der beDingten wird selbstsprechend in einem öffentlichen Prozess zur Verantwortung gezogen. Es wurden von diesen viele unmenschliche Machenschaften verschwiegen geblieben, die wir nun aufdecken werden und selbstsprechend zeitgleich mit dem Abschluss der Recherchen der Öffentlichkeit zugänglich machen."

Zu Ende nannte er noch die Namen der Ding Beauftragten, welche Aufgrund zuwiderhandeln verstorben sind. Von Marie habe man nur mehr die Überreste vorgefunden.

Die folgenden Tage sind gekennzeichnet von Aufklärungskampagnen zu den Konzentrationslagern, der medialen Massenmanipulation, der Ermordung Andersdenkender und psychisch krank gewordener.

Die Ding-Beauftragten und Verantwortlichen, die sich nicht suizidiert haben, werden vor ein Kriegsgericht gestellt und verurteilt.

 

2060

Die Weltregierung wird demokratisch gewählt, der Sozialstaat funktioniert, Armut wird bekämpft, der Rechtsstaat funktioniert, es herrscht Friede, wo früher Grenzen verliefen wird heute gehandelt, wird gereist. Es gibt Bildung für alle. Die Presse ist frei, gleich wie die Universitäten.

Den Namen Marie ließt man in den Geschichtsbüchern der Schüler.

Das beDingte Gedankengut ist offiziell verboten. Seine Anziehungskraft scheint es nicht verloren zu haben. Es blieb für die letzten 30 Jahre Aufgabe der Staatsanwaltschaft radikale Gruppierungen auszuforschen und Putschversuche zu verhindern. In der Politik agieren noch ganze Parteien populistisch und an der Grenze des rechtlich unbedenklichen. Die Verantwortlichen grölen Parolen vor, der Pulk grölt nach. Wann es zu viele sind, die dem Grölen verfallen und die Unmenschlichkeit, bis zum Massenmord wieder ihren Siegeszug feiert, weiß man nicht genau. Demokratie braucht jedenfalls Pflege und die Menschen, deren Kritiken, zum Denken bewegen. Ohne selbst reflektierende und Selbstbewusstsein stiftende Menschen wird auch eine Staatsform, die durch eben Menschen begründet ist, nicht überleben.

 

 

 

 

 

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