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Geschrieben am (bearbeitet)

Hunger

(2019)

 

Ich kann mich heute kaum er-tragen.

Mit großen Schritten laufe ich,

Halte mich mit starken Armen,

Bin mir der Verantwortung

und beinah auch mir selbst bewusst

Keine klaren Ziele mehr

Kontrolle, Frust,

Kontrollverlust

 

Mein Spiegelbild verzerrt sich

Und schaut mich so zornig an

dass ich wieder

Kalorien und Kilogramm,

ganz heimlich alles zählen kann.

 

Wiegen ständig wiegen

und das Kotzen

Wird zum Zwang,

Ist ja Wahnsinn

Dass ich das

nach all den Jahren

Doch noch kann!

Und alle sagen

„jeder Gang macht schlank“

Aber jeder Gang macht mich ...

krank!

Und leicht,

Und vielleicht

noch viel leichter,

Aber woran gemessen?

Hast du schon gegessen?

Ein elender Kotzbrocken,

 

Völlig besessen

Vom Seelenhunger - Psychomacken,

Nahrungsmitteln - Essattacken!

Will die Leere in mir füllen,

Muss den großen Hunger stillen,

Hinterlasse leere Hüllen,

um selbst keine mehr zu sein

Kontrolle wieder abgegeben,

Körperwelt soll Wut erleben,

der Herzschlag bringt die Brust zum Beben

 

"Mensch, halt an!

Du bist auf dem Weg 

und gerade dabei,

Ganz du selbst zu sein

und du kämpfst um dich.

Du bist stark, endlich frei,

und selbstbestimmt hier

Fast schon angekommen.

Menschenkind,

wenn du mich brauchst,

bin ich hier."

 

Ich kenne die Runden,

Brennende Stunden

Halt mich fest, ist nur 'ne Phase

Höhenflug, Elektrolyt-Extase

Doch nach dem Hochmut kommt der Fall.

Kreislauf der Krankheit,

Schmerz im Gesicht.

Das Wissen ist da,

die Worte noch nicht.

 

Und dann ist alles im Fluss,

Weil ich dafür alles geben,

Wirklich alles aus mir rausholen muss,

Die unbändige Wut

von außen niemals sichtbar,

Denn in meinem Schmerz

Bin ich endlich nur für mich da,

Solang bis ich mit dem Wasser fließe,

Sauber meine Wunden schließe.

Und ins Kissen werden dann vernünftig

wieder alte gute Vorsätze geweint.

Morgen kommt ein neuer Tag,

ein neuer Anfang, der uns eint.

 

"Mensch, halt an!

Du bist auf dem Weg 

und gerade dabei,

Ganz du selbst zu sein

und du kämpfst um dich.

Du bist stark, endlich frei,

und selbstbestimmt hier

Fast schon angekommen.

Menschenkind,

wenn du mich brauchst,

bin ich hier."

 

 

Ich trage mich durch diese Welt

Die Ohrenpost als Wegbegleiter,

Es gibt wenig, was mich hält,

ich erde mich, werd Blitzableiter.

Mein Weg hier raus

heißt Selbstbestimmung,

Die Erinnerung ist bitter

und die Nerven zart besaitet,

Meine Stahlsaiten

manchmal echt total verstimmt

und mein Umfeld stumm verzweifelt

 

Das ist der Drahtseilakt

zwischen Innenwelt und Außen-Ich

So balancieren die Knochen beschämt

meinen wütenden Kotzbrocken

und den traurigen Taugenichts

durch die durstige Landschaft

meines Körpers und hinaus

in die stille Welt da draußen.

Es regnet, nasse Füße, weiter laufen

Zieh die Lunge hinterher,

Alles in Ordnung, wirklich,

Hier geht alles seinen Gang.

Man belächelt meinen Zwang,

Doch die Freiheit wiegt so schwer,

Dass ich sie kaum mehr tragen kann.

 

"Mensch, halt an!

Du bist in Ordnung 

und gerade dabei,

Ganz du selbst zu sein

und du kämpfst um dich, 

Du bist stark, endlich frei,

und selbstbestimmt hier,

fast schon angekommen.

Menschenkind,

wenn du mich brauchst,

bin ich hier."

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  • wow... 2
Geschrieben

Liebe Geschichtenerzählerknopf,

 

das sind sehr eindrückliche Zeilen. Und viele Gedanken scheinen mir allzu vertraut... diese verdreht beengte und aus-einander geratene Welt wurde mir annähernd fassbar, als ich schon auf einem guten Weg war die Essstörung zu besiegen. Aber sie nimmt einen so gefangen, dass man es gar nicht merkt und stattdessen tatsächlich Freiheit erlebt, oder glaubt zu erleben.

Der innere Kampf, den LI hier ausfechtet, spiegelt für mich drei Hauptanteile - die Essstörung, die Vernunftseite, und den Depressionsschatten.

Auch die Entfremdung gegenüber sich selbst, der Welt und anderen Menschen wird spürbar.

Es schmerzt, diese Worte zu lesen, denn dahinter verbergen sich gnadenlose Kämpfe ums Überleben, denen Außenstehende recht hilflos gegenüber stehen. Was vielleicht auch an mangelnder Gesellschaftlicher Aufklärung u.ä. liegt, aber vor allem an dem Gefängnis, in das die Essstörung Betroffene verfrachtet.

 

Zwischen Kontrolle und Kontrollversucht werden Betroffene selbst zu Marionetten und spüren dies auch, was das Verlangen nach Kontrolle nur mehrt. Natürlich ist es eine Scheinkontrolle, denn es ist die Essstörung, die regiert. Aber es ist etwas, das einem niemand wegnehmen kann. Wo einem kein fremder Wille aufgezwungen werden kann.

Mich wundert es auch nicht, dass Kinder/Jugendliche die Gewalt erleben später häufiger Essstörungen entwickeln, denn diese Kontrolle steht der erlebten Hilflosigkeit entgegen, sie gibt einem einen eigenen Willen zurück. Scheinbar frei. Und solange es keine geeigneten Mittel gibt der Ohnmacht etwas entgegen zu setzen, ist es fast unmöglich diese Art von Kontrolle aufzugeben. Sie wird vielleicht durch andere Ventile ersetzt, zeitweise kompensiert oder ähnlicher (etwa Selbstverletzung, Zwänge usw..). Aber hier tappt man nur von einer Falle in die nächste (ich tappe immer noch munter weiter in so manche Fallen..........)

Das gilt natürlich ähnlich auch in anderen Bereichen, Essstörungen haben viele Ursachen. Aber Kontrolle scheint mir stets ein wichtiger Aspekt zu sein.

 

vor 12 Stunden schrieb Geschichtenerzählerknopf:

Kreislauf der Krankheit,

Schmerz im Gesicht.

Das Wissen ist da,

die Worte noch nicht.

Kreislauf und Teufelskreis.. ja.

Wie häufig ist auch das Wissen und Verstehen darum längst vorhanden, aber es fehlt die Möglichkeit das Handeln zu ändern, die Gedanken und schließlich die Gefühle.. und schon beginnt der nächste Teufelskreis. Denn wenn das Wissen erst vorhanden ist, aber man es nicht schafft etwas zu ändern, erlebt man erneut wie die Kontrolle entgleitet. Und sucht verzweifelt danach wieder zu kontrollieren, selbst zu bestimmen. Und landet prompt wieder in der Essstörung.

 

Weil dieser Kreislauf geprägt ist von Enttäuschungen, wächst und wächst der Selbsthass. Die letzte Achtung vor sich selbst wird weggestoßen oder von der Depression geschluckt.

Dass Depressionen oft einhergehen mit Essstörungen, hat zwar auch somatische Ursachen, aber in Teilen bestehen sie oft schon zuvor und dann verstärken sich beide Krankheiten gegenseitig. Die eine nährt die andere.

 

Ich habe früher immer gesagt "Mein Kopf ist eine Irrenanstalt ohne Anfang und Ende, ohne Türen, ohne Wände...", wenn irgendwelche Therapeuten mir in den Kopf gucken wollten. Das wollte ich niemandem antun. Aber ich habe viel aufgeschrieben. Und wie gesagt, die Auszüge der Gedankenwelt, die du hier aufbaust, sind mir sehr vertraut.

ABER - es gibt einen Weg hinaus. Wenn man lernt der Ohnmacht auf anderem Wege entgegen zu treten (bzw. den jeweils individualen Ursachen der Symptomatik entgegen zu treten.)

Und leider ist es ein langer, schwerer Weg mit vielen Rückschlägen. Aber auch wenn sich jeder Rückschlag wie eine Niederlage anfühlt, ist man doch schon weiter gekommen, als beim letzten Rückschlag. Es gehört wohl leider dazu.

 

So, ich schätze, ich könnte noch lange schreiben. Aber genug.. im Grunde sprechen ja deine Verse schon für sich und alle weiteren Worte sind überflüssig. Aber es kam gerade über mich.

 

Liebe Grüße Lichtsammlerin

  • in Love 1
Geschrieben (bearbeitet)

Vielen Dank für deine offenen und mitfühlenden Worte, liebe @Lichtsammlerin!

Es tut mir gut, zu wissen, dass es jemanden gibt, der sich mit meinem Weg und meinen Schwierigkeiten identifizieren kann und selbst auf dem Weg der Genesung ist.

Es macht mir Hoffnung in deinen Zeilen zu lesen und bedrückt mich zugleich.

Ja, es macht mich wütend und betroffen.

Warum ist es zu so einer großen Lebensaufgabe geworden, Vergangenes zu verarbeiten, oder vermeintlich "loszuwerden", dass wir darüber das eigene Leben aufgaben?

 

Ich schrieb dieses Gedicht zusammen mit Carolina (die hier die Rolle des LI annahm). Es war ihre und unsere Realität. 

Ich wollte es erst nach genauer Prüfung veröffentlichen und nur mit dem eingeflochtenen Stimmen meiner gesunden Anteile, weil LI mir und vielleicht anderen in ihrer Rohfassung zu viel Hoffnungslosigkeit vermittelt. Lässt man den Refrain weg, ist klar, wohin die gedankliche Reise geht - nämlich ins Destruktive.

Der Schlüssel der Heilung liegt bei mir darin, mehr als einer Stimme in mir Gehör zu schenken.

 

Liebe Lichtsammlerin, für dein Einlassen, deine Betrachtungen und deine Sichtweise, herzlichen Dank. 

Es bringt mich persönlich weiter, wenn ich auch die "hässlichen" Gedanken und Gedichte ins Gespräch bringe.

Gute 24 Stunden!

Geschichtenerzählerknopf

 

  • in Love 1

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