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Meine Freundin Gabi

 

Als ich mit fünf Jahren begreifen musste, dass mein Weg zur Vollkommenheit abgeschnitten war, ist meine Seele zu Stein erstarrt. Sie konnte keine Verbindung mehr zu dem Menschenleben aufbauen. Aus großer Entfernung schaute sie mehr teilnahmslos zu, was der kleine Mensch hier auf der Erde so treibt. Niemand konnte meine Seele erreichen, die versteinert tief in mir und weit weg von den Menschen war.

Im Haus nebenan wohnt eine ältere Frau, die an Wochenenden, Feiertagen oder in den Schulferien Besuch von Kindern und Enkelkindern hat. Eines ihrer Enkelkinder ist Gabi, sie ist etwas jünger als ich und wir verstehen uns wunderbar. So oft ich kann, will ich mit ihr zusammen sein und die Zeit mit ihr genießen. Wir tauchen beide in unsere eigene Welt ein, wo wir einander verstehen und das Leben in seinem Fluss einfach fließen kann. Wenn wir zum Essen gerufen werden, sind wir kurz in der Welt der Anderen, um anschließend gleich wieder in unsere Welt zu entschwinden, die sonst niemand wahrnehmen kann. Mir ist so, dass Gabi meine innigste Freundin ist, die meine Seele umarmt. Dann spüre ich, wie mein versteinertes Inneres schmilzt, wieder beweglich und lebendig wird, fast als könnte meine Seele das Leben der Menschen erreichen.

Genau wie ich hat meine Freundin noch zwei Schwestern, eine ältere und eine jüngere. Aber weder meine noch ihre Schwestern sind mir annähernd so nahe wie sie. Gabi hat einen ganz natürlichen Zugang zu meinem Innern. Sie durchschreitet ganz einfach die große Distanz zu meiner Seele und kann mein steinernes Gefängnis aufbrechen. In meinem Innern kehrt durch ihre Anwesenheit wieder Leichtigkeit, Heiterkeit und Lebendigkeit ein.

Auch Gabis Mutter spürt, dass unsere Freundschaft etwas ganz Besonderes ist. Wenn es irgendwie geht, bringt sie ihre Tochter auch ohne die Geschwister zur Oma. Ich freue mich darüber und bin glücklich, wenn wir zusammen sein können. Ich fühle mich mit Gabi verbunden, durch sie kann ich zu mir finden. Wir sind ein Herz und eine Seele. Meine Freundin erreicht meine Seele und Schritt für Schritt begleitet sie mich in diese Welt hinein, so dass der kleine Menschenkörper allmählich mein zu Hause wird.

Manchmal höre ich ihre Mutter scherzhaft sagen: „Ach, da ist ja mein zukünftiger Schwiegersohn.“ Meiner Mutter gefällt das gar nicht, sie will in uns nur spielende Kinder sehen. Doch obwohl wir kaum älter als zehn, elf Jahre sind, finde ich diese Aussage irgendwie angenehm und passend, da ich immer wieder erlebe, wie Gabi das steinerne Gefängnis meiner Seele aufbricht. Doch meiner Mutter bleibt diese innere Verbindung verborgen. Aber wenn Sie sieht, wie Gabis Gesellschaft mich aufblühen lässt, ist auch sie glücklich.


 

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