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Geschrieben am

Schambereich

 

das Besteck noch in der Hand

tiefsitzend in eig‘nen Schädel

schuldig, aus dem letzen Loch

einen Blick riskiert zu haben

nie Gesagtes – weißt du noch..?

 

erinnere mich nicht daran

drücke nicht in diese Kerbe

wenn es mich auch nicht betrifft

mit den heutigen Atomen

mehr als ein Gedankengift

 

schneide mir den Kopf nicht ab

löffel mein Gehirn nicht aus

um den Schambereich zu zeigen

so zu tun, als sei er weg

nicht gewesen, aber eigen

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Geschrieben (bearbeitet)

Wieder so ein Text, bei dem ich mir den Kopf zermalme und vermutlich nur im Dunkeln tappe, was denn genau gemeint sein könnte. Ich sehe hier jemenden vor mir, der vielleicht mit Tabletten ruhig gestellt ist, aber im Geiste ist er hellwach. Wenn er auch abwesend wirkt, in ihm arbeitet es, sehr sogar und am liebsten würde er mit dem Besteck seinem Gegenüber, was er eventuell sogar selbst ist, das Gehirn auslöffeln um nicht mehr denken zu müssen und seinen eigenen verwahrlosten Zustand erleben zu müssen. Krass, was sich da gerade bei mir abgespielt hat. Bestimmt ist es ganz anders und ich mache dir mit meiner Interpretation vielleicht sogar ein wenig Angst, lieber Ponorist und vielleicht beschämt es mich nach deiner Auflösung auch ein wenig, aber was solls, ich bin auch nur ein Mensch mit meinen ganz eigenen Wahrnehmungen. Es liegt vielleicht auch ein bisschen daran, dass ich vorhin eine kleine Geisterfahrt unternehmen musste, es war so nebelig, dass ich gespenstische Gedanken bekam. Sorry, dass musste jetzt mal raus, ich schreibe ja selten so ausführliche Kommentare, aber diesmal konnte ich nicht bei mir halten, sonst träume ich womöglich noch davon.

 

Dir eine Gute Nacht und liebe Grüße, Letreo

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  • Danke 1
Geschrieben

Hallo Ponorist,

 

mal schauen ob du einen Auflösung deiner Gedanken gibst.

Ich bin bei einem Rauschigftsüchtigen - aufgrund des Bestecks in der Hand -  der, wie viele der Suchterkrankten alle Scham verliert. Wie dem auch sei, deine Zeilen habe ich sehr interessiert gelesen.

 

 

LG Sternwanderer

  • Danke 1
Geschrieben

Wow, so viele Kommentare - damit hatte ich wirklich nicht gerechnet. Zunächst einmal ganz herzlichen Dank dafür.

Ich finde es toll, wie mit ein wenig Abstraktion sich jede(r) eine eigene Geschichte oder Deutung zu ein paar schlichten Zeilen machen kann. Nicht zuletzt liebe ich dieses Forum für die Phantasie seiner Nutzer und dass die begegnung hier nur selten wertend sind. Es ist natürlich jedem selbst überlassen, wie der Text zu verstanden werden kann, aber wegen der mehrfachen Nachfrage möchte ich gerne meine eigenen Gedanken dazu teilen. Wer mich kennt, weiß, dass ich gerne in vergangenen/kindlichen Anteilen meines eigenen Geistes wühle und manches, was dabei hoch kommt, in Gedichten wie diesem verarbeite, ohne einen großen künstlerischen Anspruch daran zu haben.

Das Gedicht handelt auf verschiedenen Ebenen von (Ab)spaltung. Zunächst auf zeitlicher Ebene: Scham entsteht unter Anderem dadurch, dass man Verhalten, Geschmack oder Strategien aus der Vergangenheit mit dem Wissen/Verstand von heute bewertet. Aber wie jede Wertung, führt dies zu Abwertung, in diesem Fall gegen den eigenen Anteil. Anstatt zu sagen oder zu denken, "ja, das zu tun, war damals eine gute Lösung", neigen Menschen zu Sätzen wie "hätte ich damals gewusst, dann..." oder "wie konnte ich nur so blöd sein...". Der Inbegriff von Scham ist ja, im Gegensatz zu Schuld, nicht, dass man etwas falsches getan hat, sondern an sich falsch ist.

Auf einer anderen Ebene geht es um die Spaltung von Körper und Geist. In unserer von abrahamischen Religionen geprägten Kultur (um es mal so neutral wie möglich auszudrücken) gilt häufig das Geistig-Verkopfte gegenüber dem körperlich Archaischem als das Wertvollere. Das Körperliche gilt als schmutzig, während das Gedankliche eine reine und unbefleckte Attitüde erhält. Auch dies kann zu einer Ablehnung der eigenen Ganzheit führen und damit zu Scham. Schon der Titel verrät es, bei uns ist als Schambereich etwas Geschlechtliches gemeint, etwas das nicht öffentlich gezeigt werden darf, nicht dazugehört obwohl man es nicht los wird. Im Gedicht geht es dann aber nur bedingt darum. Der Schambereich ist letztlich der ganze Körper und die meisten Gefühle.

Und wo wir gerade bei Selbstablehnung und Einheit sind, kommt noch die Illusion einer Ich-Ganzheit als Ebene hinzu, also einer Abspaltung von Gefühlswelten. Das lyrische ich (LI) und das lyrische du (LD) sind hier bewusst austauschbar, z.B. an der Stelle: [du!] schneide mit den Kopf nicht ab / [du!] löffel mein Gehirn nicht aus ... gegenüber: [ich] schneide mir den Kopf nicht ab / [ich] löffel mein Gehirn nicht aus. Nach meiner Überzeugung melden sich bei jedem von uns immer wieder Anteile, die durch irgendwas ausgelöst werden und übernehmen für eine gewisse Zeit mehr oder weniger die Kontrolle. Dann kommt es zu Projektionen, Ängsten, Wut, Aufregung, Erstarrung, Freude, Hass, Verliebtheit, Traurigkeit und was es so alles an Verrücktheiten gibt. Es kann sogar sein, dass es gar kein zentrales übergeordnetes "ich" gibt, aber das ist, denke ich, Ansichtssache.

Zum Schluss noch etwas zum Motiv des Bestecks/Löffels. Es symbolisiert die mentale Selbstverletzung, die Nährung durch die eigenen Anteile und das sprichwörtliche Löffeln von falscher Weisheit. Daher auch den eigenen Kopfpudding.

Ich hoffe, dass mein Standpunkt mit dieser Erklärung etwas klarer ist.

 

Vielen Dank nochmal an @Lina, @Lima, @Letreo71, @J.W.Waldeck, @Joshua Coan, @Sternwanderer und alle Anderen für's Lesen, Mögen und kommentieren.

 

VLG Euer Peter

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Geschrieben

Wow, so tief wäre ich nie hindurchgedrungen. Danke, Peter, dass du so ausführlich geantwortet hast. Offenbar gelingt es dir, deine Gewühlswelt so am besten zu verarbeiten in dem du sie in eine Schutzhülle legst und sie damit für Außenstehende schwer zugängig machst. Das finde ich gut!

 

Lieben Gruß, Letreo

  • Danke 1

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