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Geschrieben am

Nach etlichen langen Nachmittagen in unzähligen Archiven ist es mir gelungen, die Urfassungen einiger der bedeutendsten deutschsprachigen Gedichte zu rekonstruieren:

 

 

Aus Willkommen und Abschied (Goethe)

 

Du gingst, ich stand und sah zur Erden,

wo alles noch wie vorher ist.

Das wär ein Glück, geliebt zu werden.

Doch lieben, Götter, welch ein Mist!

 

 

Wünschelrute (Eichendorff)

 

Schläft ein Spott in allen Sachen,

die da lauern fort und fort.

Und die Welt fängt an zu lachen,

triffst du nur das falsche Wort.

 

 

Aus Oktoberlied (Storm)

 

Der Nebel steigt, es fällt das Laub;

schenk ein! Wir wollen einen heben,

auf dass wir uns am nächsten Tag

ganz restlos übergeben.

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Geschrieben

Hallo Schmuddelkind, 

diese Urfassungen finde ich recht gut.

Natürlich sind sie CUM GRANO SALIS zu genießen. 

Da steckt mehr als ein Körnchen Wahrheit drin. 

 "Geliebt zu werden" ohne dass man selbst liebt kann lästig sein. 

 

Geschrieben

Liebes Schmuddelkind,

 

danke! So was lesen zu dürfen, ist wirklich viel wert! Es bringt sie uns näher. Mein erster Gedanke war: Sie sind auch nur Menschen. Die Zeilen verlieren für mich nicht an Schönheit - sie sind sehr authentisch!

 

Lieben Gruß

Nesselröschen

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Geschrieben

Hi Schmuddel,

 

da hast du dir (und uns) echt ne Menge zugemutet. Das im Archiv war bestimmt die reinste Sisypfuscharbeit...

 

Mir ist auch schon so manche „Unstimmigkeit“ ins Auge gefallen. Z. B. wurde die ursprünglich und wunderbar depressive Version von Rudyard Kiplings Dschungelbuchbären Balu von Disneykonzern nachträglich ganz grässlich entstellt. Hier die Urversion, die mir von einer urversionalten weisen Schlange ins Ohr gesäuselt wurde...

 

 

Dschungelbuch (Kipling)

 

Probier's mal mit Verdrießlichkeit,

den Hektik und Verdrießlichkeit
die beiden sind des Alltags wahrer Zweck!
 

Und wenn du stets verdrießlich bist

und alles super mieslich ist,

dann bleibt dein Glück ganz von alleine weg!

 

Nicht zu fassen was die sich da herausnehmen. Wer soll

 

sowas

 

den ernst nehmen?

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  • 4 Wochen später...
Geschrieben

Vielen Dank für die zahlreichen Kommentare!:smile:

 

Am 6.6.2021 um 10:29 schrieb Carlos:

diese Urfassungen finde ich recht gut.

Natürlich sind sie CUM GRANO SALIS zu genießen. 

Mit Granulat?!:scared::wink:

Freut mich, dass dich diese Gedichtfragmente ansprechen, Carlos. Ich denke, sie hätten gar noch etwas mehr Salz vertragen können. Aber wer wäre ich, so etwas von den Größen der deutschen Dichtkunst einzufordern?:wink:

 

Am 7.6.2021 um 18:06 schrieb Nesselröschen:

danke! So was lesen zu dürfen, ist wirklich viel wert! Es bringt sie uns näher. Mein erster Gedanke war: Sie sind auch nur Menschen. Die Zeilen verlieren für mich nicht an Schönheit - sie sind sehr authentisch!

Auch wenn ich diese Worte den großen Dichtern nur in den Mund gelegt habe, sehe ich durch diese nonchalante Umsetzung auch ein wenig das Potential in diesen "Urfassungen", dass sie Menschen aus Fleisch und Blut von ihren marmornen Sockeln stoßen können, liebes Nesselröschen. Nicht, dass ich einen respektlosen Umgang mit bedeutenden Künstlern und ihren Werken gutheißen würde, aber Menschen, egal aus welchen Gründen, zu Statuen zu machen, ist eben auch kein gesunder Weg.

 

Am 7.6.2021 um 18:49 schrieb Nina K.:

Wenn der Storm uns in seinem Oktoberlied darauf hinweist, dass der nächste Tag sicher nicht so rosig (oder blau) wird, wenn wir den ganzen Tag lang Bechern ... Warum hat man uns das vorenthalten!?

Wahrscheinlich, weil wir das selbst rausfinden müssen. Aber ja, ich denke, hier wird der Euphorie die Ernüchterung entgegengestellt. Das fand ich an vielen Gedichten von Heinrich Heine übrigens so interessant.

 

Am 7.6.2021 um 18:49 schrieb Nina K.:

Und dass Goethe, der so oft die Liebe besungen hat, hier ganz nüchtern feststellt, dass sie eben doch nicht die Welt verändert, sie ist  und bleibt genau so wie vorher.

Das Interessante ist ja, dass es in dem Gedicht Goethes genau um das Gegenteil geht: Dass Liebe etwas unermesslich Wertvolles ist, selbst wenn sie mit Leid verbunden bzw. vergänglich oder gar zum Scheitern verurteilt ist:

 

"Und doch, welch Glück, geliebt zu werden!

Und lieben, Götter, welch ein Glück!"

 

Schreibt der Kerl tatsächlich über den Moment des schmerzhaften Abschieds, den er immer und immer wieder erleben musste, weil seine Liebe nur heimlich und aufgrund gesellschaftlicher Beschränkungen nicht von Dauer sein konnte.

 

Am 10.6.2021 um 17:39 schrieb Gaukelwort:

da hast du dir (und uns) echt ne Menge zugemutet. Das im Archiv war bestimmt die reinste Sisypfuscharbeit...

 

Mir ist auch schon so manche „Unstimmigkeit“ ins Auge gefallen. Z. B. wurde die ursprünglich und wunderbar depressive Version von Rudyard Kiplings Dschungelbuchbären Balu von Disneykonzern nachträglich ganz grässlich entstellt. Hier die Urversion, die mir von einer urversionalten weisen Schlange ins Ohr gesäuselt wurde...

 

 

Dschungelbuch (Kipling)

 

Probier's mal mit Verdrießlichkeit,

den Hektik und Verdrießlichkeit
die beiden sind des Alltags wahrer Zweck!
 

Und wenn du stets verdrießlich bist

und alles super mieslich ist,

dann bleibt dein Glück ganz von alleine weg!

 

Nicht zu fassen was die sich da herausnehmen. Wer soll

 

sowas

 

den ernst nehmen?

Was bin ich froh,

 

dass endlich mal jemand die Wahrheit über das Dschungelbuch sagt, Gaukelwort. In der Urversion ist der Junge ja auch nicht auf die billigen Anmachtricks des Mädchens reingefallen und meinte am Ende: "Lasst mich bloß in Ruhe, Leute! Ich gehe in den Wald."

 

LG

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