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Willy und der Wanderzirkus

 

 

Es war an einem dieser Sommertage im Juli, an einem Ort der gleich hinter der Kreuzung auf der bunten, wohlriechenden, Farben strahlenden Blumenwiese lag.

Dort schien alles ruhig und in gewisser Weise sogar langweilig zu sein.

Doch, es war alles andere als das.

 

An jenem Tag meinte das Wetter es gut, mit allem was da kreuchte und fleuchte.

Nicht zu heiß. Nicht zu windig. Nicht zu dies und nicht zu das.

Gerade so, wie es sein sollte, um dieser Geschichte den richtigen Anfang zu geben.

 

Unsere Hauptperson ist ein lustiger, kleiner Kerl, dem seine Mama den Namen Willy gab.

Er lebte auf einer Australian Shepherd Hündin und er war ein Floh.

 

Ja. Es stimmt. Die beiden hatten ihre Anfangsschwierigkeiten, aber sie sprachen sich aus und merkten, das sie sich überaus sympathisch waren.

Das lag sicherlich auch daran, das Frederike, unsere Hundedame, einige Jahre Biologie und Insektenkunde an der berühmten Universität Dogsford in Oxford studierte.

Sie brach das Studium schließlich ab, weil sie meinte, Schafe hüten und frische Luft würden ihr mehr liegen, als die endlosen Monologe in den Hörsälen.

Sie brachte ihrem Farmer die richtigen Befehle bei und als er sie endlich beherrschte konnte sie ganz allein eine Herde von 257 Schafen den ganzen Tag führen und beaufsichtigen. Und sie tat es mit der gleichen Leidenschaft und Freude mit der sie zuvor das Wissen der Welt in sich aufgesogen hatte.

 

Unser Willy allerdings, war aus einem ganz anderen Holz geschnitzt. Er lebte in den Tag hinein und ließ sich von jeder neuen Idee sofort in eine andere Ecke des Lebens spülen.

In einem Moment meinte er, es wäre das größte Elvis nachzueifern und ein bekannter Rock`n Roll Sänger zu werden und in einem anderen Augenblick Tauchlehrer in dem, von Fröschen und Seerosen bewohnten Teich, zu sein.

Er wusste alles über Kerbtiere und Nashörner und wie man Vanille Eis herstellte.

Willy und Frederike waren schon sehr lange zusammen und jeder achtete auf den anderen.

Wurde das Fell des Hundes nass sorgte der Floh für trockene Handtücher. Brauchte der Floh einen Drink, lief die Australian Shepard Hündin zur Tankstelle und besorgte einen Fingerhut eiskalten Quellwassers.

Willy mochte es mit ihr in der Abenddämmerung über die Hügel zu jagen, festgekrallt in ihrem langen, fliegenden Fell und lauthals zu singen:

 

„I thought love was only true and fairy tales. Meant for someone else, but not for me.

Love was out to get me. That`s the way it seemed. Dissappointment haunted all my dreams.“

 

Ja, sie waren wirklich Freunde und sie hofften, dass sich dies nie ändern würde.

 

Willy verbrachte seine Zeit mit allerlei sinnvollen Dingen.

Er liebte es, durch das Fell zu wandern und neue Orte zu entdecken.

Frederike ließ sich an einem Donnerstag die Haare auf der linken Seite abrasieren, weil das zu jener Zeit der letzte Schrei im Norden des Landes war und Willy richtete sich sofort einen Golfplatz auf dieser freien Fläche ein.

 

Jeden Morgen um halb 8, direkt nach seiner Beinrasur und einem ausgiebigen Frühstück, zog er seine Lila/weiß gefärbten Golfschuhe auf seine sechs Beine und schlenderte mit einem lustigen Lied auf den Lippen durch den Felldschungel zum freien Bereich ihrer Flanke.

 

„Oh, what a beautiful Mornin`. Oh, what a beautiful day. I got a beautiful feeling everythings coming my way.“

 

Und gerade als er mit dem 9er Eisen einen seiner gefürchteten, zielgenauen Bälle schlagen wollte hörte er wundervolle Musik:

 

„Mornin`, good Mornin`. We talked the whole night trough. Mornin` , good mornin` to you.“

 

Eine grüne Grille mit großem, weißen Schlapphut und einer Gitarre wanderte den Feldweg entlang und ließ voller Inbrunst ihre Stimme erklingen.

Ohja, sie weckte mit ihrem Gesang sogar Harald das örtliche, faule, bei allen beliebte, Schaf.

 

Harald schlief, und das wussten alle, sogar die Schnecke Dr. Eisenbarth,

18 Stunden am Tag in einer Mulde, nahe der Ameisenfabrik, in der auch die lila/weiß gestreiften Golfschuhe hergestellt wurden.

 

Die Grille schaute mit dem breitesten Grinsen, den je jemand gesehen hatte in die Welt. Sie lachte der Sonne und dem Leben zu und zog so alle, die sie sahen, in ihren Bann. Für sie besaßen alle Insekten ein gutes Herz.

Das sie, genau wie Löwen und Geparden, jagen und Beute machen mussten, um zu überleben, lag ebenso in ihrer Natur, wie Liebe und Verständnis.

 

Ja. Sie wusste viel über das Leben und hatte dennoch nicht ihre Zuneigung für alle Geschöpfe dieser Erde verloren, obwohl sie es ihr wahrlich manchmal schwer machten.

 

Die Grille übersprang mit einen Riesensatz einen Felsbrocken, der für andere ein Steinchen war und winkte den Krabblern, die ihr folgten, fröhlich zu.

 

Hinterdrein rollte eine ganze Karawane von kleinen Holzkarren, beladen mit allerlei Kram, den man für so ein unstetes Leben auf Rädern halt brauchte in Richtung Hügel.

Auf einem besonders großen Gefährt, gezogen von zwölf schwarzen Asseln aus dem Norden, befanden sich Stangen, Pflöcke, Seile und ein großes, rotes Zelt.

 

Unser Willy wusste aus den Erzählungen seiner Mama, das dieses fahrende Völkchen ein lustiger, freundlicher Haufen war und konnte das Abenteuer

das ihm da entgegen schritt direkt riechen.

 

 

Der Wanderzirkus war da.

 

 

Er sprang von seiner Freundin herunter , denn nun warteten andere,

größere Aufgaben auf ihn.

 

Er fühlte sich sehr lebendig und die Farben der Wiese schienen ihm noch heller und sein Verstand noch klarer, als sonst.

 

Willy hatte sich schon viel zu lange ausgeruht. Nun wollte er etwas aus seinem Leben machen und die Welt in all ihrer Pracht kennenlernen und berühmter als Elvis werden.

 

Sein Bruder Anton fiel ihm ein: Klassenbester. Mädchenschwarm. Prahlhans.

Der nervte ihn immer mit so schlauen Sprüchen:

 

 

 

Niemals vor dem Aufwachen aufstehen.

Oder: Das Leben wartet nicht.

Oder: Der Regen kommt immer unverhofft, aber die Sonne auch.

Der Zirkus war für Willy das Zeichen aufzubrechen und etwas Neues zu beginnen, also rief er der Grille zu:

 

„Hallo. Entschuldigung. Gehören sie auch zum Zirkus?“

„Ja. Mein Name ist Sarah. Ich bin die Chefin dieser Rasselbande. Und du?“

„Ich heiße Willy und es juckt mich in meinen sechs Beinen euch zu begleiten.“

„Ja, dann komm. Was hält dich?“

 

Also packte er seine sieben Sachen:

 

Zahnbürste.

Kamm.

Feuerstein.

Seil.

3 Unterhosen.

Landkarte von Patagonien.

Kompass.

 

Frederike, seine treue Freundin, die ihn so lange begleitet hatte, weinte dicke Krokodilstränen.

Er gab ihr einen riesigen Kuss auf ihre große, feuchte Nase und sang zum Abschied:

 

„Somewhere over the rainbow, way up high. There`s a land that I heard of once in lullaby.“

 

Na toll. Jetzt musste Willy doch noch weinen.

 

Er wurde von seinen Gefühlen hin und her gerissen. Bleiben oder gehen?

 

Er ging und ließ eine traurige Frederike zurück.

 

Sarah, die sich auf dem Kutschbock an die Spitze des langen Zuges gesetzt hatte, bot ihm den Platz neben sich und einem dicken Nashornkäfer an.

Der stellte sich mit einer dunklen und tiefen Stimme vor:

 

„Jo, meine Name ist Bruno. Ich bin hier der starke Mann.“

„Ich bin der Willy und ich bin auch stark.“ ,sprach ich.

„Aber nicht so stark wie der Bruno.“

 

Was bildete der sich ein? Wieso war der gleich so doof?

Aber, weil Willy nicht gleich einen Streit wollte sagte er nur sehr freundlich:

„Freut mich das du stark bist.“

„Ich bin der Stärkste!!!!!!“ ,rief Bruno sehr bestimmend.

 

Nun ja. Das konnte er überhaupt nicht verknusen und 3 seiner sechs Beine trommelten ärgerlich auf der Sitzbank. Ein viertes Bein krallte sich in seinen Oberschenkel, um nicht gegen diese Unverschämtheiten an zu sprechen.

 

Was für ein blöder Kerl!

 

„Wir wollen dort auf dem Hügel unser Nachtlager aufbauen.“ ,entschärfte Sarah die Situation. „Da stelle ich dir die anderen vor.“

 

Oben angekommen wurden die Wagen zu einem Kreis zusammengestellt.

Viele fleißige Beinchen sorgten für eine heimelige Atmosphäre.

Der Boden wurde blitzeblank gefegt und von allem Unrat befreit. Blütenkelche der verschiedensten Blumen, wurden dekorativ zu Kunstwerken zusammengestellt.

Rechts erkannte er die Liberty Bell, die geläutet wurde, als Insektopia befreit wurde und links der schiefe Turm von Bombologien.

 

Der ganze Platz sah tatsächlich ein bisschen so aus.

Das gelobte Land aller Insekten.

Willy hatte es noch nie gesehen, aber viel darüber gehört. Angeblich, gab es dort fliegende Fische und Maulwürfe mit Schnäbeln.

 

Manchmal, wenn er am Sonntag auf seinem grünen, aus Streichhölzern selbstgefertigten, Liegestuhl saß und in den Nachthimmel schaute,

stellte er sich diesen Ort vor.

 

Einen Ort der Freiheit und der Zuversicht.

 

Abends würde er sich mit Freunden zu einem Glas Nektar treffen und morgens auf einer seicht dahintreibenden Ente sitzen, um mit seinen Freunden aus dem Literatur Club über den großen Philosophen Alexander Gottlieb Baumgarten zu debattieren.

 

Dann seufzte er immer sehnsüchtig und nahm sich vor demnächst mal eine Bibliothek zu besuchen, um seinen Horizont zu erweitern.

Und gerade, als er über Nietsche und seinen riesigen Schnurrbart nachdachte holte ihn geschäftiges Treiben ihn aus seinen, tiefsinnigen Gedanken.

 

Bänke und Tische wurden aufgestellt. Bunte Fähnchen zogen sich kreuz und quer über den weiten Platz. Das Kassenhäuschen wurde zum Eingang gezogen und 12 Asseln liefen Wache, damit sich alle sicher und gut aufgehoben fühlten.

In der Mitte gab es ein Lagerfeuer auf dem eine Gemüsesuppe langsam vor sich hin köchelte.

Der Duft erfüllte den ganzen Platz und machte ihn sehr, sehr hungrig.

Um sich abzulenken wanderte er ein wenig umher und traf eine Gottesanbeterin, die kerzengerade auf ihrem Weidenholz Wagen saß.

 

Überlebensgroß. Unwirklich. Erhaben.

 

Sie war sehr schön und voller Würde . Ihr Turban aus afrikanischer Seide und ihr gleichgültiger Gesichtsausdruck verliehen ihr eine geheimnisvolle Aura, während sie sich den letzten, wärmenden Strahlen der untergehenden Sonne hingab.

Willy verliebte sich auf der Stelle in dieses göttliche, übernatürliche Wesen.

Aber was hatte ein kleiner Floh aus einem Vorort von Hamburg schon zu bieten?

 

 

Nichts!

 

 

Trotzdem wagte er es sie anzusprechen:

 

„Ähm.....Tja.....Also.....“ ,räusperte er sich mit vorgespielter tiefer und dunkler Stimme. „Ich bin hier das stärkste Tier und...........“

„Ich mag überhaupt keine Aufschneider und Protzer und außerdem gebe ich mich nicht mit den Unterarten der Insektenvielfalt ab.“ ,sagte sie nur und drehte sich weg.

 

Unterarten?

 

Willy hörte zum ersten mal, das es Unterarten gab, die von anderen gemieden wurden.

 

Betrübt und traurig ging er seiner Wege und entfernte sich vom Lager.

Ein schmerzvoller Gang. Kleine Steinchen entpuppten sich als Felsbrocken. Winzige Äste, als unüberwindbare Barriere.

Selbst der Wind verschwor sich gegen ihn und versuchte immer wieder ihn von seinem Pfad abzubringen.

Doch er blieb standhaft. Aber wie lange noch?

 

Sein neues Leben hatte er sich anders vorgestellt.

Freundlicher.

Nach einem langen Marsch entdeckte er eine sonnendurchflutete Lichtung.

 

An einem Bach saß eine Libelle. Ihre Flügel schimmerten, wie tausend Regenbogen in der Helligkeit des Tages und ihre Augen glitzerten und brachen sich im, sich kräuselnden, Wasser.

Sie wusch ihre Beine und bemerkte ihn nicht. Er verbarg sich unter einem Blatt und überlegte was er tun könnte, um nicht entdeckt zu werden.

 

Eine komische Situation, aber irgendwie auch....so....mmhh....und....ohhhhh..... und....ahhhhhhhhh.

 

Aus einem Impuls heraus, der irgendwie dem Wahnsinn entsprang, hechtete er aus seinem Versteck und schrie, wie ein verhinderter Robin Hood in Feinstrumpfhosen:

 

„Tach auch. Ich bin es der Verfechter der Genervten.“

 

Vor Schreck rutschte die zarte, beflügelte Libelle von ihrem Stein und fiel ins Wasser.

Willy sprang sofort hinterher und rette sie vor dem sicheren Ertrinken.

 

Oh ja. Er war schon ein Held unser Willy. Er verstand etwas von einem Auftritt und davon sich komplett in die Nesseln zu setzen.

 

„Was fällt dir ein mich so zu erschrecken!“ ,prustete sie völlig außer Atem.

 

Sofort sah er seinen Fehler ein und entschuldigte sich tausendfach und versuchte sie mit einem alten Blatt trocken zu rubbeln. Doch sie stieß ihn einfach weg.

 

„Doch nicht damit. Ich werde ja ganz dreckig!!!“ ,schrie sie ihn erbost an.

 

Nachdem Willy also erkannte, dass er nicht nur ein Angeber, sondern auch der größte Trottel unter allen Insekten auf der Wiese, nein des gesamten Landes war, ließ er von ihr ab, drehte sich um und ging weg.

 

Auf seinem einsamen, hoffnungslosen Weg kreuzte ein Tausendfüßler, schnellen Schrittes, seinen armseligen, verbitterten Weg.

 

„Pass doch auf wo du hinläufst!“ ,maulte er den bekümmerten Floh an.

„Tschuldigung.“ ,flüsterte er so leise, das ihn nur der Wind verstand.

 

Der Tausendfüßler blieb stehen, schaute ihm in seine Tränen benetzten Augen und sagte:

„Komm setz dich. Mein Name ist Pater Degenhard. Was bedrückt dich?“

 

Der kleine Floh brachte kein Wort heraus. Es befand sich einfach viel zu viel Spucke in seinem Mund.

 

„When you down and troubled and you need some Lovin care and nothin, oh nothing is going right.

Close your eyes and think of and soon I`ll will be there.“ ,sang Pater Degenhard.

 

Da musste er richtig doll weinen. Dicke Krokodilstränen kullerten auf den sandigen Boden und versickerten dort. Auf dieser Welt gab es keinen traurigeren Floh als ihn.

 

Er hatte alles falsch gemacht:

 

Seine Freundin verlassen. Einer fixen Idee nachgejagt. Seine große Liebe gesehen und verloren und fast eine Libelle im Bach ertränkt.

Er verdiente es, das sich niemand um mich kümmerte.

 

Pater Degenhard wusste was er zu tun hatte. Manchmal halfen keine Worte und so drückte er ihn mit 50 seiner tausend Beine fest an sich und behütete ihn.

Langsam beruhigte er sich und Willy konnte ihm seine ganze traurige Geschichte erzählen.

Pater Degenhard hörte ihm einfach zu. Er beurteilte nichts und er sagte nichts und das tat gut.

 

Nach einer langen, langen Zeit fragte er ganz sanft:

 

„Ich muss zu einem meiner anderen Schäfchen, ist es okay wenn ich dich zu Sarah bringe und später noch mal bei dir vorbei schaue?“

„Ja.“ ,sagte er. „Ist es auch ein Floh?“

„Nein.“ ,lachte er. „Ein Schaf. Harald. Hat gerade seine Frau verloren. Sie ist wieder zu ihre Mutter in den Nachbarstall gezogen.“

„Harald? Das Schlafschaf? Vielleicht kann die Frederike helfen, die kennt sich gut mit Säugetieren aus.“

„Das ist ein guter Tipp, mein lieber Freund.“ ,sagte Pater Degenhard und brachte ihn zurück.

 

Beim Zirkus waren alle außer Rand und Band, wegen seines Fehlens und alle, bis auf Bruno, freuten sich über seine Wiederkehr.

 

Das gemeinsame Essen erinnerte ihn an die Zeit mit seiner Familie und wie schön es war mit anderen das Essen, das Leben und die Freude zu teilen.

Das war lange her und er wurde ein bisschen wehmütig.

 

Sarah meinte, um ihn ein wenig aufzumuntern, das er der netteste Floh wäre den sie jemals auf ihren Touren kennengelernt hatte. Gilla Hayworth, die Gottesanbeterin, sagte, das dies auch nicht schwierig sei, da er der erste Floh in ihrem Leben sei und obendrein ein schmutziger und besonders hässlicher.

Nachdem Willy das hörte, wurde ihm klar, wie sehr er sich in Gilla getäuscht hatte.

Sie war ein Ich bezogenes, selbstsüchtiges, egoistisches Insekt, das nur ein einziges Tier in ihr Herz ließ.

Sich selbst.

 

Francine, die Libelle mit den regenbogenfarbenen Flügeln rückte ganz nah an Willy heran und raunte ihm zu, das es ihr leid täte, wie sie ihn behandelt hätte und ob er ihr Freund sein wolle.

Ja. er wollte, denn echte Freunde waren schwer zu finden und er war dankbar für jeden, den er bekam.

Doch gleichzeitig dachte er auch, das Francine eine wirklich süße Schnecke sei und musste über sich selbst lachen, weil das ja sogar nicht passte. Also das mit der Schnecke.

 

Pater Degenhard der von seiner Mission zurückgekehrt war, hatte allerbeste Laune und stimmte ein altes Spirituell an:

 

„I`m gonna lay down my burden. Down by the riverside. Down by the riverside. Down by the riverside.

I`m gonna lay down my burden . Down by the riverside. Down by the riverside.“

 

Sie lachten und sangen. Tanzten und tranken Morgentau aus Schneeglöckchen Kelchen.

Und so wurde aus einem aufregenden, verliebten, traurigen und selbstzerstörerischen Tag der Beste seines Lebens.

 

Willy schlief selig und zufrieden unter der Decke des Himmelszeltes ein und träumte von einem Riesen der mit einer Elfe auf einem Einhorn ritt, um den Sternenglanz zu fangen.

 

Mit leichtem Herzen erwachte er am nächsten Morgen. Bruno saß neben ihm auf einem Stein und schien ungeduldig auf etwas zu warten, denn er trommelte nervös mit seinem fünften Bein auf einem Holzstück:

 

„Das wird auch Zeit, das aufwachst, wir haben viel vor.“ ,bölkte er.

„Ähhh.......was......?“ ,brachte Willy schlaftrunken heraus.

„Zu tief in den Kelch geschaut, was?“ ,fragte er gereizt.

„Nein gar nicht.“ ,brachte er entschuldigend hervor.

„Auf! Auf! Wir müssen los!“ ,befahl Bruno schroff.“

 

Willy missfiel die Art und Weise, wie er mit ihm redete und er war kurz davor ihm ordentlich die Meinung zu sagen.

 

Was bewog diesen ungehobelten Kerl sich so zu verhalten? Warum war er so gemein zu dem armen Floh?

 

Sie gingen einen steinigen Weg entlang und stoppten am gleichen Bach, an dem Willy Tags zuvor Francine gesehen hatte.

„Ich bin schon sehr lange in dieser Truppe und ich werde von allen geachtet.“ ,begann Bruno. „Ich habe nicht alles aufgegeben, um mir von einem unwissenden Floh alles kaputtmachen zu lassen.“ ,schrie er ihn ungehalten an.

„Aber ich will doch gar nicht.....“ ,gab Willy kleinlaut von sich.

„Ja. Das sagen Typen wie du immer. Typen, denen alles zufällt. Typen, die nie einsam waren. Die immer Freunde hatten. Die, mit dem goldenen Löffel im Mund.“

 

Brunos laute, bestimmende Stimme hallte von den Bergen wieder.

 

„Aber ich habe wirklich keine Löffel.“ ,meinte Willy.

„Herrgott.“

„Ich will lernen, wie man ein Artist wird.“

 

Bruno wandte sich ab, setzte sich an den Bach und ließ ein paar seiner Beine in das Wasser baumeln.

 

Zögernd ging Willy zu ihm hinüber.

 

„Also ich.......Es tut mir leid, wenn ich dich.............Also du weißt schon.........“ ,brachte er hervor.

„Mmmmhhhbbbbbbrrrrr.“ ,grummelte Bruno.

„Wie bist du denn so stark geworden?“ ,fragte er so unschuldig wie möglich.

„Jeden Tag üben.“ ,maulte er.

„Ja, aber wie denn?“

 

Bruno stand auf, betastete Willy`s Muskeln, verdrehte die Augen und seufzte mitleidig.

Dann nahm er einen Stein und warf ihn im weiten Bogen ins Wasser.

 

Beide sahen den kreisförmigen Wellen, die dadurch entstanden aufmerksam zu.

„Das Leben ist wie ein Stein der ins Wasser geworfen wird. Mit jedem unserer Taten ziehen wir Kreise und berühren einen anderen damit“ ,sagte Willy vor sich hin.

 

Da hatte er etwas ganz Schlaues gesagt, aber Bruno hörte überhaupt nicht zu.

 

„Das wird nichts.“ ,sagte er und schüttelte den Kopf. „Heute Abend haben wir Vorstellung schaue sie dir an und dann wirst du sehen was ich meine.“

 

Schweigend kehrten sie ins Lager zurück. Dort herrschte schon große Geschäftigkeit. Jeder hatte seine Aufgabe.

 

Francine fegte den Platz, damit die Bänke für das Publikum gesetzt werden konnten.

Sarah baute einen Manegen Kreis aus passenden Ästen und legte ihn mit besonders frischen Grashalmen aus. Gilla wies den Glühwürmchen ihre Plätze zu, damit sie zur rechten Zeit am richtigen Ort leuchten konnten.

Pater Degenhard, der nicht nur Geistlicher, sondern auch der örtliche Heimatsänger war, übte ein paar Seemannslieder ein, falls auch Insekten vom nahe gelegenen See kommen wollten. Man wusste ja nie.

 

„Somewhere beyond the sea. Somewhere waitin for me. My lover stands on golden sands. And watching the ships that go sailing.“

 

Unser Pater hatte wirklich ein Händchen für gute Songs.

Sarah meinte, das sie früher auch Seepferdchen im Programm hatten. Die wären aber so zickig gewesen und hätten bei den kleinsten Problemen mit der Gewerkschaft gedroht, das sie sich nach 2 Tagen und 24 Stunden wieder trennten. Sie führte nun eine große Dressur mit Hummeln.

 

„Hummeln?“ ,fragte Willy verwundert. „Ich habe keine gesehen.“

„Alberta und Gisela hatten noch in Kerbholz City zu tun. Persönliche Angelegenheiten. Rechtsstreit mit einem Bienenvolk.“

 

Er lachte, aber Sarah blieb ernst, da merkte er das es kein Witz war.

 

„Ja, so ein Rechtsstreit kann schon nervig sein.“ ,meinte er nachsinnend.

 

Da lachte Sarah.

 

„War nur ein Scherz. Sie sind in der Kneipe versackt. Zuviel gärender Nektar.“ ,grinste sie.

Diese Grillen besaßen einen Witz, den wohl nur Grillen verstanden.

 

Die Ränge füllten sich. Francine ging herum und reichte Maiskörnchen, knackfrisch geröstet. Direkt aus der Pfanne. Mann, war die glücklich. So musste es sein, wenn man von den anderen akzeptiert wurde und seinen Job liebte. Das wollte er auch.

 

Bruno tippte ihm auf die Schulter.

 

„Mach mal den Dreck da weg, Junge.“ ,sagte er leise zu ihm.

 

Willy fand diese Art total bescheuert, machte es aber trotzdem. Doch er merkte, wie die Wut langsam in ihm hoch kroch und je mehr er darüber nachdachte, desto grimmiger wurde er.

Das funktionierte so nicht, also stapfte er auf vier Beinen zu ihm hinüber, wirbelte reichlich Staub dabei auf und tippte ihm auf die Schulter.

 

„Das geht so nicht Bruno. Ich bin nicht dein Fußabtreter. Ich habe auch Gefühle und ich lasse es nicht zu, das du darauf herumtrampelst.“

 

Bruno wurde knallrot unter seinem Panzer, brachte es aber nicht über sich eine Entschuldigung auszusprechen. Im Gegenteil. Er tat so, als hätte man ihm eine furchtbare Beleidigung an das Nashorn geworfen und stapfte einfach davon.

 

Dann gingen die Lichter aus und gleich darauf das Spotlight an. Sarah trug eine rote Uniform Jacke mit ganz vielen goldenen Knöpfen und eine weiße Hose. Sie hielt die Eröffnungsrede:

 

„Hallo Freunde. Mitglieder des Spar- und Rudervereins. Heute Abend werden viele berühmte Artisten und Clowns für eure Unterhaltung sorgen.

Wir sind der Lichtblick in einer manchmal dunklen und kalten Welt. Wir senden euch unsere Liebe und zaubern euch ein Lächeln auf eure Gesichter.“

 

Das Publikum hatte sich zahl- und artenreich versammelt. Sogar die Hundeschnauze von Frederike schob sich vorsichtig zwischen die Stuhlreihen. Harald tätschelte liebevoll ihren Rücken und brummte ein zufriedenes, leises Brummen.

 

Und endlich ging es los. Gisela und Alberta flogen herein und landeten in der Mitte der Manege.

 

„Wir haben unseren guten Freund aus Kerbholz City mitgebracht. Aufgrund seiner ruhigen Art hat er eine Woche gebraucht.“ ,erklärte Gisela.

Der Vorhang öffnete sich und eine Schnecke mit Zylinder und einem schwarzen Gehstock mit Silberknauf bahnte sich langsam ihren Weg. Gelächter rollte über den Platz.

 

„Darf ich mich vorstellen: Dr. Eisenbarth, Facettenaugenüberprüfer, Panzergeraderichter und Fühler Reparierer.“ ,sagte eine, völlig außer Atem geratene, Garten-Bänderschnecke.

 

Nach einer weiteren Lachsalve stolperte Alberta hinkend herein und summte kläglich rockend vor sich hin:

 

„Doctor, Doctor gimme the News. I got a bad case of lovin you. No pill gonna cue my ill. I got a bad case of Lovin you.“

 

„Schnell Dr. Eisenbarth kommen sie.“ ,trieb Gisela, das, wie eine alte Dampflokomotive freundliche, keuchende Kriechtier an. „Unsere Alberta braucht ihre Hilfe.“

 

Und nach einer kleinen Pause fuhr sie, sich an das Publikum wendend, fort:

 

„Nun meine lieben 6 Füsser, bei dem Tempo sollten wir vielleicht erst mal einen Kelch Nektar reichen.“

„Ja. Nektar. Nektar.“ ,schrien und johlten die Schaulustigen vor Vergnügen.

 

Alberta flog herbei und band ihrer Schwester einen grauen Bart um den Rüssel und stülpte einen alten zerknautschten Hut auf den Kopf. Darüber hielt sie ein Schild :

 

20 Jahre später!

 

 

Tosender, nicht endender Beifall, begleitete den Abgang der drei Künstler.

 

Als nächstes trat die große Magierin Gilla Hayworth mit dem stärksten Nashornkäfer der Welt auf.

Sie machte natürlich gleich klar das ihre Show sogar am Bolschoi Theater in Moskau gezeigt wurde und somit die Beste des heutigen Abends war.

Die Glühwürmchen wurden mit durchscheinenden Rosenblättern abgedeckt, um eine geheimnisvolle Stimmung zu erzeugen. Künstlicher Rauch zog durch die Gänge und weit entfernt hörte man die singende Säge von Pater Degenhard.

Gilla hob ihre langen Fangarme und Bruno wurde, mit unzerstörbaren Hanffasern gefesselt, auf einem neongelben Karren hereingezogen.

Gilla schloss die Augen und sang:

 

„That old black magic has me in it`s spell. That old black magic that you weave so well. Those icy fingers up and down my spine. The same old witchcraft, when your eyes meet mine.“

 

Es war mucksmäuschen still. Alle hielten den Atem an. Man hätte eine Raupe fallen hören können.

 

Gisela und Alberta flogen, mit Dr. Eisenbarth im Schlepptau heran. Er horchte Bruno ab und klopfte theatralisch auf seinen schwarzen Panzer.

 

„Dem Medium geht es gut.“ ,verkündete er dem staunenden Publikum.

 

Nun kam Willy`s Auftritt. Er zog einen weiteren Karren, mit einem Glas Wasser, herein.

Gisela und Alberta hoben den fest verschnürten Bruno an und schwebten über dem Wasser.

Dann hob Gilla ihre Arme und als sie diese abrupt fallen ließ, fiel auch Bruno.

 

Ein Schrei ging durch die Menge. Würde Bruno es rechtzeitig schaffen sich zu befreien? Könnte er das unzerstörbare Seil zerreißen und so als strahlender Held herauskriechen?

Bruno wand und streckte sich, zog und riss, aber er blieb gefesselt.

Dann, nach bangen Minuten, bewegte er sich nicht mehr.

Willy bekam es mit der Angst, denn er erkannte, das bei diesem gefährlichen Trick etwas fürchterlich daneben ging. Da sprang er auf und mit einem Satz landete neben dem leblosen Nashornkäfer im Wasser und zerriss das Seil. Dann zog er den bewegungslosen Körper heraus.

Dr. Eisenbarth machte sofort eine Mund zu Rüssel Beatmung und brachte Bruno zurück ins Leben.

Die Menge tobte vor Begeisterung. Noch nie, nie, nie hatten sie solch eine spannende Show gesehen.

Niemand ahnte, das es keine Vorstellung, sondern ein wirkliches Erlebnis war und Bruno dem Tod nur knapp von der Schippe gesprungen war.

 

Nach der Vorstellung, als alle am Lagerfeuer saßen und Francine ihre Arme um Willy legte, kam Bruno auf ihn zu, reichte ihm sein 1. Bein und sang:

 

„You`ve got a friend in me. You` ve got a friend in me. When the road looks rough ahead. And you´ re miles and miles from your nice warm bed. You must remember what your old pal said.

Yeah, you` ve got a friend in me. Baby, you` ve got a friend in me.“

Bruno versprach auf ihn zu achten und würde er jemals seine Hilfe brauchen, wäre er zur Stelle.

 

Am nächsten Morgen entspannten alle in der wärmenden Sonne. Harald döste neben Frederike. Sarah zupfte, gedankenverloren auf ihrer Mandoline. Bruno geigte Gilla ordentlich die Meinung.

 

Francine und Willy, der stärkste Floh der Welt, füsselten unter dem Tisch miteinander und sprachen über Insektopia. Niemand,von den Anwesenden hatte

es je gesehen, aber alle kannten die Geschichten darüber und jeder hate eine eigene. Da wurde von fliegenden Fischen berichtet. Oder Maulwürfen mit Schnäbeln. Oh, wie fantastisch musste es sein dort zu leben.

 

In der Ferne hörten sie plötzlich ein lautes Rumpeln, von einem Etwas das eine lange, lange Zeit geschlafen hatte und nun durch die Fröhlichkeit der Anderen geweckt wurde.

 

Dieses dumpfe, gefährliche Grollen wurde von einer Stimme begleitet:

 

„Oh, the shark has pretty teeth dear. And it shows them pearly white. Just a Jack knife has Mc Heath, Babe. And it keeps it out of sight.“

 

 

 

 

Und mit diesem Gesang

rollte

das nächste Abenteuer

auf sie zu.

 

 

 

Aber das ist eine andere Geschichte.

 

 

 

 

 

 

 

 

April 2020 von Axel Bruss

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Hallo & Moin, Axel!

Eine Menge Lesestoff. Doch es hat mir Freude bereitet, den kleinen Floh bei seinen Abenteuern im Zirkus (auch vorher mit der Hundedame Frederike) zu begleiten. Dabei die anderen Insektenfreunde kennenzulernen. Eine sehr schöne Kindergeschichte mit kleinen Weisheiten.

Gerne gelesen

LG Josina

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