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Ein Geschenk des Lebens


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Ein Geschenk des Lebens

 

Mit Vierzehneinalb beginnt das zehnte Schuljahr. In dieser Zeit fragen mich die Erwachsenen was ich denn mal werden will. Ich habe überhaupt keine Ahnung und mein Kopf ist komplett leer. Plötzlich höre ich, wie jemand sagt: Rentner! Ich bin erschrocken und schockiert, denn mir wird klar, dass diese Worte aus meinem Mund kamen. Nach einen Moment der Stille fangen die Erwachsenen an zu lachen und ich lache erleichtert mit.

 

Anders als erwartet, entscheide ich mich nicht für Mensch oder für Seele, denn es ergibt sich von selbst, dass ich ein ganz normaler Jugendlicher sein werde. Ich werde trotz meiner augenscheinlichen Introvertiertheit eine tolle Zeit erleben, werde dazugehören und mit den Anderen lernen, arbeiten und feiern, denn ich beginne bei der Firma Siemens eine Lehre als Maschinenschlosser.

 

Wir sind zwölf Jungs in einem Lehrjahr, zwölf verschiedene Lebensläufe, zwölf verschiedene Charaktere, Fähigkeiten, Interessen und Begabungen. Wir sind ein bunt gemischter Haufen, manche älter, manche jünger, die nun in die große Siemensfamilie aufgenommen werden sollen. Wir sollen hier unser Handwerk lernen, und vielleicht ist es dieses gemeinsame Ziel, das uns zusammenschweißt, vielleicht sind es auch die gemeinsamen jugendlichen Interessen nach dem Abenteuer Leben, das nun vollständig losgelöst von der beschützenden Käseglocke der Kindheit beginnen kann. Zwölf Jungs – das heißt auch, zwölf Geburtstage im Jahr, auf elf Monate verteilt, die es zu feiern gibt. Für mich wird die Lehrzeit ein geschenktes Leben!

 

War ich bisher mit meiner Seele an mein Inneres gebunden, ja sogar verankert, schenkt mir jetzt das Leben ein menschliches Dasein, das ich entdecken, erleben und genießen werde. Mit Gerd kann ich sogar erleben, wie es ist einen Freund zu haben. Zu meiner Seele habe ich allerdings jeglichen Kontakt verloren. Es ist, als würde eine unsichtbare Wand mich von ihr trennen und es fühlt sich so an, als ob unsichtbare Fäden mich wie eine Marionette durch das neue, oberflächliche, geschenkte menschliche Leben ziehen. Einerseits fällt mir alles sehr leicht, andererseits erlebe ich keine Bodenhaftung und mein Leben scheint so dahinzuschweben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dies ein normaler Lebenszustand ist.

 

 

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Hallo @Jules V.,

Du sprichst von einem geschenkten Leben. So wie ich es verstehe meinst Du damit ein Leben, für das man sich nicht bewusst entschieden hat, sondern in das man einfach so gesteckt wird, als würde man in eine vorgefertigte Form gegossen. Folglich fordert einen dieses Leben auch nicht heraus, es ist leer. Man hält sich lediglich an die Spielregeln. Und das entfremdet einen immer mehr von der eigenen Seele, weil sie in diesem Leben nicht vorkommt.

vor 2 Stunden schrieb Jules V.:

Ich kann mir nicht vorstellen, dass dies ein normaler Lebenszustand ist.

Ich auch nicht, aber es ist wohl der normale Lebenszustand. Du nennst es oberflächlich und da gebe ich Dir recht. Ich bin auch nur ein Mensch und mache nichts besser als Andere, und will somit auch niemandem etwas vorwerfen, aber manchmal habe ich das Gefühl, die Oberflächlichkeit ist deshalb das Grundprinzip unseres Lebens, weil die Menschen zu feige sind, über ihre Person, ihre Seele und ihr Dasein nachzudenken und Verantwortung dafür zu tragen. Vielleicht haben wir Angst, das Ergebnis könnte sein, dass unser Leben vergänglich und sinnlos ist? Also lieber die Oberflächlichkeit herrschen lassen, nichts zu nah an sich herankommen lassen und das bereits vorgefertigte Leben leben, so wie es jeder tut, und niemand hinterfragt, dann fühlt man sich sicher - es sei denn man will sich eben nicht damit zufrieden geben, irgendwann als Verleugner und Marionette zu sterben, als wäre der Tod nur das Ende des Fließbands, und man selbst nur die Massenware.

...aber ich steigere mich hier zu sehr hinein, das Leben an sich hat es schließlich nicht verdient, in Grund und Boden kritisiert zu werden, nur das, was wir Menschen zuweilen daraus machen - wie Du merkst, reißt mich Dein Text mit.

Ich habe auch Deine vorherigen Texte gelesen, und finde es interessant, wie Du Dein Leben mit dieser besonderen Sichtweise beschreibst.

 

Liebe Grüße,

Hase

 

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Hey Jules V.,

 

ich habe „Ein Geschenk des Lebens“ gelesen und mich gefragt, was hat ein Tagebucheintag unter dem Thema >Märchen, Fabeln, Myhten und Sagen< verloren. Natürlich habe ich auch den Kommentar von Hase gelesen und erfahren, dass du noch mehr solcher Geschichten geschrieben hast.

 

Ich habe alle deine Geschichten gelesen und sehe darin einen Lebenslauf. Dieser könnte dein eigener sein, aber dann wohl von deinem Lyrischen Ich Jules V., denn der Lebenslauf erinnert mich eher an die Fantasieromane von Jules Verne.

 

Das mit dem Tagebucheintrag ist natürlich vom Tisch und das Thema Märchen ist doch passend. Denn das Märchen ist die Kleine Geschichte, die von den Menschen erzählt, so wie in deinen Geschichten. Aber sie enthalten auch die Mär, die Große Geschichte, die vom Himmlischen erzählt. Wie in dem Weihnachtslied „Vom Himmel hoch da komm ich her“.

 

Mich beeindruckt wie eindringlich und realistisch du das Märchen und die Mär miteinander verschmelzen lässt, als ob es tatsächlich ein wahres Leben wäre. Gefällt mir richtig gut.

 

Formal sehe ich kleine Ungereimtheiten. Zum Beispiel fände ich es gut wenn direkt über jede Geschichte auch noch mal die Überschrift steht. Und bei „Der unsichtbare Krieg“ find ich diese Überschrift allerdings unpassend. Es ist gut, dass wir über diesen unsichtbaren Krieg informiert werden. Doch die Überschrift degradiert das Trauma des Jungen zu einem Kolateralschaden , obwohl gerade das emotionale Trauma der dramatische Kern dieser Geschichte ist. Da wünsche ich mir wirklich einen anderen Titel.

 

Auf jeden Fall werde ich deinem (fantasie-) Lebenslauf weiter folgen, weil er nicht nur ungewöhnlich ist, sondern auch interessant.

 

Danke für deine Geschichten

und ich bin neugierig wie es weiter geht.

 

Herzliche Liebe Grüße

INDI PASHA

 

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  • 2 Wochen später...

Liebe Hase, ich fühle mich von dir wirklich gut verstanden. Ich kenne nur drei Menschen, die mich noch besser verstehen. Und mit ihnen lebe ich in einer Gemeinschaft. Vielen Dank für deinen Kommentar. Alles Gute von Jules V.

 

 

Lieber INDI PASHA, danke für deinen Kommentar. Über deine Anregungen denke ich noch nach. Alles Gute von Jules V.

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