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Geschrieben am

..weiß ein weißes Papier,

dass es noch weiß ist,

 

...wenn es die Segel streicht

und im Wind zufällig

durch ein geöffnetes Fenster

gebleicht und  fahl im frühen Morgenlicht

irgendwem vor die Füße fällt?

Was fällt ihm ein?

Ihm scheint da draußen die ganze Zeit

nichts besseres eingefallen zu sein,

als ausgerechnent hier einzufallen!

 

Ein Einfall quasi,

Zufall? Schicksal? Fügung? 

Nun, wir wissen es noch nicht.

Aber wir sind verwundert,

und plötzlich entstehen tausend Fragen,

die wie Fliegen wild im Kopf umhersausen.

Als wenn es sie überhaupt gäbe,

diese herbstlich gereifte Unschuld,

die sich zu Papier bringen will.

Ist denn der Kuli bereits informiert,

damit er uns mit ernster Mine

seine Zeichen präsentiert? 

 

Und ist jenem Stift bewusst,

dass er noch kein Meister ist?

Weiß die zitternde Hand vorher schon,

was ihm der Geist

im Schlafe seit Wochen vorgebetet hat

und für uns nun eingeben und diktieren wird?

Ist diese besorgte (vielleicht rechte) Hand

darüber in Kenntnis gesetzt,

was die linke gerade vor hat,

die keinen flüchtigen Gedanken

mehr verschwenden, die ihn

wieder zerknüllend

verschwinden lassen

und rasch entsorgen will?

- eine Strategie der konsequenten Fehlervermeidung.

 

Weiß der Mensch eigentlich,

dass er mit seinen flüchtigen Gedanken

längst Sklave einer Welt der Vernunft geworden ist,

die er ständig in sich trägt?

- die er sich sogar selbst künstlich erschaffen hat,

im Anflug seines kindlichen Spieltriebes,

aus welcher eine Flucht immer unmöglicher wird

weil er sich hinter seinen Logo- Steinchen

eingemauert und darin teuer eingerichtet hat.

 

Und weiß diese alleingelassene,

isolierte Vernunft noch,

wes Geistes Kind sie ist,

ohne festen Wohnsitz,

vielleicht mittlerweile in ein Schreibprogramm

von Silicon Valley eingepflegt und -gebunden,

oder stöbernd, in Leder gebunden,

sich selbst aufgreifend und zitierend,

in einer der größten Staatsbibliotheken der Welt,

vielleicht aber auch irgendwo völlig ahnungslos

im privaten Oberstübchen aufgeschreckt,

auf- und wundgekratzt,

inzestuös, sich selbst befruchtend...

 

Hält eine künstliche Intelligenz sich

solche Menschen, die darüber nachdenken

fortan als Haustiere?

Wer füttert wen womit,

damit Neues entstehen kann?

Wann ist das Futter aufgebraucht?

Wird er am Ende der Nahrungskette

von rostigen Robottern gefüttert,

oder wird sich der Geist irgendwann

selbst ernähren können,

und als Hermaphrodite emporsteigen ?

Wer ist der Vater des Gedankens,

und wer brütet ihn aus?

 

Kann der Intellektuelle bei sich selbt erkennen,

dass er bereits abgehoben schwebt,

wie ein wahrhaftiger Geist,

unwirklich, ohne Bodenhaftung

und ohne jegliche Bedeutung,

weil ja schon alles längst gedacht worden ist?

 

Welchem Geist will er denn noch dienen?

Alle Wege sind tief ausgetreten

und zu unüberwindlichen Gräben geworden,

denen man nicht mehr auf den Grund gehen möchte,

weil auch überhaupt kein Grund mehr dafür besteht.

Weiß das Bewusstsein mittlerweile

genaueres über das Bewusstsein?

Wissen alle Bescheid?

Wie oft will noch diese Welt neu erfunden und entdeckt werden ?

 

Weiß dieses weiße Papier

eines unschuldig gereiften, kindlichen Gedankens,

dass es gerade wieder erneut

sinnlos und sinnfrei verschwendet wurde,

dass es wie ein Lastensklave für zehn Minuten

das Gewicht einer Kulispitze getragen hat,

dass es Kulikratzer abbekommen hat,

die seine Unschuld geraubt haben,

dass es gerade völlige Sinnfreiheit ertragen hat?

Wer achtet denn hier ein wenig auf die knappen Ressourcen

eines frischen, fleischlosen Geistes?

Gibt es einen Lüftungsplan,

ein Konzept oder so etwas ähnliches ?

Nur wo gelüftet wird, ist auch ein Ausweg.

 

Doch wer braucht schon Auswege oder neue Gedanken?

- wenn sie keiner ernsthaft einfordert,

weil mit den Logo- Steinchen die eigene Kreativität

eingemauert worden ist.

Und wer kennt sich in diesem Laden

von quer- und zerdachten Wiederkäuern schon so genau aus...

 

...wo bereits alles gesagt worden ist,

wo sich der Geist mittlerweile langweilt,

und von sich selbst ernährt,

wenn er  sich nicht anschweigt,

bis er wieder irgendwann

geistlos im Nichts verschwindet,

wo andere Geister und Gespenster lauernd

auf ihren großen Einsatz warten.

 

Wenn doch nur mal jemand das Fenster öffnen würde,

es ist so stickig hier.


 

  • Gefällt mir 1
  • wow... 2
Geschrieben

Hi Amadea,

 

Dein Text ist unheimlich gut geschrieben ! Er regt auch sehr zum Nachdenken an. Gedanken rund um Bewußstein und Bewußtheit, freien Willen, Vernunft und Verstand anschaulich gemacht an der Reise eines weißen Blattes.  

 

Ich lese darin auch einen Aufruf, die eingetretenen Pfade zu verlassen, einen Aufruf an die Vernunft, sich wieder "anzukoppeln". Es gibt eine deutliche Warnung vor der Stickigkeit mangels Lüftungsplan und  die vermeindliche Lösung: "das Fenster zu öffnen". 

 

Aber wie soll uns etwas "Neues" gelingen ? Was soll das Pneuma originalis sein, das uns Auswege aufzeigt ? 

 

Vielleicht Erinnerung an das, was wir "immer schon wussten", also Bewusstwerdung und Bewusstmachung ? 

 

Die Reise anhand des unbeschriebenen Blattes anschaulich zu machen ist eine sehr gute und schöne Idee und hat mir sehr gut gefallen. 

 

Mes Compliments

 

Dio 

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  • Lustig 2
Geschrieben

"Nur wo gelüftet wird ist auch ein Ausweg". 

Ein Text, der nachdenklich macht. Ein Text, der verunsichert. 

Ein Text, der die geistigen Anstrengungen in Frage stellt, weil schon alles gedacht, alles gesagt wurde. 

Jeder lebt in seiner kleinen, eingebildeten Welt.

In einer Welt, die zum ersten Mal sich in ihrer Gesamtheit uns allen zeigt, uns, die kaum die Menschen, die uns nahe stehen verstehen können. Uns, die täglich mit Mühe und Not unsere eigenen Problemen lösen können servieren uns die Medien stündlich die Problemen der ganzen Welt. 

Nun, in Wirklichkeit sind recht wenig die Menschen, die sich darüber den Kopf zerbrechen.

Auch in Deutschland sind Denker eine Seltenheit.

Momentan dreht sich alles um das Klima, um den drohenden Niedergang. 

Man hört aber nicht auf zu arbeiten, zu träumen, sich zu verlieben, Familien zu gründen, Urlaub zu planen: Man hört nicht auf zu leben. 

Man kann nicht aufhören, wenn man am Leben ist. 

 

"Wenn doch nur mal jemand das Fenster öffnen würde,

es ist so stickig hier".

 

Am Anfang des Textes war das Fenster offen ...

 

Eben habe ich gesehen, dass du auch wach und unterwegs bist. 

So wie Dionysos, finde ich auch dein Gedicht Klasse, liebe Amadea. 

 

  • Danke 1
Geschrieben

Lieber Dionysos

Danke für das passende Cartoon.

Als glühende Anhängerin von Vernunft und Wahrheit lehne ich diese gleichermaßen ab, wenn sie mir im dogmatischen Gewand mit Absolutheitsanspruch erscheint. Die Perspektive weiß da manchmal mehr zu erklären - z.B. warum ich gerade in die Küche gehe, oder warum ich die ganze Zeit in der Küche stehen muss.

L.G Amadea   

 

Lieber Carlos,

danke für deine Gedanken.

Stimmt, irgendwer hat inzwischen das Fernster zugemacht, und wir sitzen wieder in den geschlossenen Denkkreisen eines Lyrikforums. Vermutlich sind die Epochen nichts anderes, bis irgendjemand wieder zu einer neuen Epoche aufbricht - die es längst schon gegeben hat.

Das spannende Zeitalter der KI besteht für mich in der Frage, in wieweit sie kreativ und innovativ sein kann, obwohl sie permanent mit längst bestehendem Wissen gefüttert wird. Vielleicht gibt es ihn sogar irgendwann, den selbständig denkenden, organischen, reproduktionsfähigen Computer, der von allen gefüttert wird, der auf zwei Beinen läuft, der eine DNA- Chipkarte besitzt, mit einer eigenen Computerzentralstelle zwischen der Optik, welche mit allem vernetzt ist und Gedichte schreiben kann.

Bis dann vielleicht irgendwer begreift, dass es das ja schon vor 300000 Jahren gegeben hat, und dass das bereits damals Stand der Technik und Wissenschaft war. 

Was bringen wir hier ständig zu Papier? Entstehen wirklich Unikate mit erdachtem Neuland oder sind es nur Reproduktionen und Kopien?  Unser Bewusstsein erzählt uns eine Seite der Wahrheit, und wir ziehen die gewichtigen Schlüsse eines ( r) DichterIn oder DenkerIn - verführt und trunken von der eigenen Schaffenskraft. So begreifen wir eine Welt, wie sie uns gefällt.

Ist natürlich wissenschaftlich gesehen Blödsinn, aber der muss ja auch mal ausgesprochen werden. 

L.G. Amadea 

 

Geschrieben

Liebe Amadea,

die Art, wie du schreibst, sowohl in den Kommentaren wie auch in deinen lyrischen Beiträgen zeugt, für mich, von einem klugen, scharfsinnigen, forschenden Geist.

Hast du Philosophie studiert? 

Ich selbst liebe die Philosophie, obwohl mir die Größe eines Denkers fehlt, ich kann nur bis zu einer gewissen Höhe fliegen, bewundere aber die Adler. Das ist für mich, zum Beispiel, der spanische Philosoph José Ortega y Gasset. Das Wenige, was ich von ihm gelernt habe, die Anstrengung, der Versuch, selbst zu denken, verdanke ich ihm.

Er selbst war ein großer Kenner und Bewunderer der deutschen Philosophen.

Geschrieben

Lieber Carlos,

Philosophie lebt von klarer und strenger Begrifflichkeit, damit man sich "unterhalten" kann. Die habe ich nicht, weil ich es nicht studiert habe.  Aus der Philosophie heraus würde ich vermtl, andere Fragen stellen, und ich wüsste, welche Gedanken ich gerade wiederkäue; ist ist ja bereits schon so vieles gedacht und gesagt worden, auch von Herrn José Ortega y Gasset. Und es lohnt sich bestimmt, solche Geister für sich wiederzuentdecken.

Danke für deinen Hinweis. LG Amadea

 

Lieber Fan, danke.

es mutet ein wenig kompliziert an, ich weiß. Um so toller ist es für mich, hier einen Fan gefunden zu haben, der das ganze nochmal ganz einfach, klar und allgemeinverständlich rüberzubringen weiß.

in ergebener Dankbarkeit,  Amadea

 

 

  • Lustig 1

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