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Ich laufe über ein goldenes Band.

Zwischen meinen Zehen entfallen knirschende Murmeln.

Die schimmernde Scheibe schwebt über dem Horizont,

und weiße Fetzen liegen auf dem weiten Blau wie ein zerschlissenes Leichentuch.

 

Dort oben am Himmel kreischt eine Sirene.

Sie zieht ihre Runden über meinem Kopf.

Ich blicke ihr nach und betrachte ihren spiralförmigen Flug,

der mich umkreist wie ein Planet die Sonne auf seiner Umlaufbahn.

 

Ich folge dem Schatten, den sie auf den kalten Sand malt.

Wie ein Fliegerbomber schwirrt sie unablässig hin und her.

Ihre krächzende Kehle stößt Schreie aus,

die wie aus weiter Ferne zu kommen scheinen.

 

Ich wende den Kopf und schaue zum Meer.

Das Branden der Wellen ist Kanonendonner in meinen Ohren.

Und mit jedem Klatschen des Wassers gegen die steilen Klippen

höre ich den Aufprall der Kugel auf seinem Herzen.

 

Schritt für Schritt gehe ich vorwärts.

Ich bin jung, doch mein Gang ist träge.

Die Schwärze der Angst liegt auf mir wie ein schwerer Mantel.

Meine Füße tragen Stiefel aus Blei.

 

Mein Kopf ist leer, die Gedanken sind verflogen.

Hinfort geweht wie ein welkendes Blatt im Wind.

Hinfort gespült wie ein Papierboot in der offenen See.

Und verbrannt wie eine Motte im gleißenden Licht.

 

Und doch komme ich nicht umhin,

meine Zeit mit einem einzigen Gedanken zu verschwenden,

der mich mit seinen Schreckens-Schnüren gefesselt hält:

Lebst du noch?

 

© Diana Tauhwetter 2021

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Liebe Diana, ein sehr beeindruckendes Gedicht mit unglaublicher Resonanz. Auf mich hat es sehr stark gewirkt und nachgewirkt. Das LI findet keine Ruhe mehr, alles wird bedrohlich, wird bedrohend.. Es gibt viele Bilder, die ich unglaublich gelungen finde, zu viele um sie hier aufzuzählen. Ich bewundere das LI! Das LI wirkt auf mich wie ein Kriegsheld, der es gerade noch mit dem blanken Leben vom Schlachtfeld geschafft hat. Wer weiß, wie viele dadurch gerettet werden konnten.. 

 

vor 11 Stunden schrieb Diana Tauhwetter:

Schritt für Schritt gehe ich vorwärts.

Ich bin jung, doch mein Gang ist träge.

Die Schwärze der Angst liegt auf mir wie ein schwerer Mantel.

Meine Füße tragen Stiefel aus Blei.

 

Beeindruckend ! 

 

mes compliments


Dio 

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Hallo Dionysos,

vielen Dank für Deinen Kommentar. Es ist wirklich schön, wenn Worte etwas in Menschen bewegen können. Und vor allem, wenn sie verschiedene Interpretationen ermöglichen.

Ich habe die Bilder bewusst abstrakt gewählt, sodass sich jeder seine eigenen Gedanken dazu machen kann.

Ich persönlich hatte beim Schreiben folgendes Bild vor Augen: Eine junge Frau geht am Strand entlang und denkt an ihren Geliebten, der gerade im Krieg um sein Leben kämpft.

Liebe Grüße,

Diana

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Spannend und fesseln, fast lähmend geschrieben, ich als Leser halte inne. Die Schlussfrage habe ich allerdings als rhetorische Frage gedeutet. Das LI, gefesselt von 

seinen Gedanken, fragt sich selbst. 

 

Gut, dass man unterschiedlich auslegen kann. Sehr beeindruckend Dein Gedicht. 

Lieben Gruß Darkjuls

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