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Geschrieben am

1
Maroniduft steigt mir in die Nase. Unter meinen Schritten sirren die Alleen 
und in meinem Kopf die Früchte und Blätter Caravaggios.

2
Flanieren. Aus den Blättern von heute lese ich Freude. Aus Ziegelrot, Kurkumagelb, Sonnenorange.

3
Darunter verborgen die Reste der gestrigen, der vorgestrigen und vorvorgestrigen, zerbröselt wie Spreu unter Hufen; unter den schweren und leichten Gehern, den alten und jungen, den Läufern und Rädern, von der Nachtfeuchte eingespeichelt und vom Frühnebel wiedergekäut und ausgespuckt: Kraftloser, braungrauer Dreck - nur unterhalb.

4
Darüber - es wird mir morgen und übermorgen und überübermorgen ein Trost sein - noch das tägliche Fallen: Die schillerbunte Pracht aus ihrer begrenzten Welt 
hinausgetragen in das Universum des Toten. Fäulniskatalyse. Freude lese ich.

5
An der Innenseite meiner Hand 
wärmt sich eine Rosskastanie. Ein Edelstein, in der staubigen Stachelschale rund geschliffen, vom Weg herausgeschlagen, schmiegt sie sich an meine Haut. Seligglatt. Hypnotisiert von ihrem kakaoseidigen Glanz will ich sie anbeißen, wie ich es als Kind tat.

Ich habe gelernt. 
Ich trage sie weiter, Jahr für Jahr, umklammert bis sie mich wärmt, Herbst für Herbst. Gibt es einen Schmetterlingseffekt erster Enttäuschungen?

6
Im Mund rinnt mir das Wasser zusammen und ich gehe zum Maronibrater und esse die Glanzlosen - ein Déjà-vu.

7
Nur dort auf der Bank fehlt die alte Frau mit den ausgewaschenen Kleidern und den fingerlosen Handschuhen, 
die immer die Tauben fütterte. (Das ist bestimmt aus einem Movie.) Die hungrigen Tauben weichen zurück, springen vor mir her, fliegen kurz auf, knapp über den Kopf hinweg, ich spüre den Luftzug und ducke mich unwillkürlich.

In meinem Rücken sammeln sie sich wieder, picken dort und da und da und dort. Ich werfe die leeren Schalen hin. Erinnerungen. Ein Perpetuum mobile nach der Chaostheorie. Ich werde morgen wiederkommen,  um nach der Frau zu sehen.

 

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Geschrieben

"Maroniduft steigt mir in die Nase".

So, mit der Wahrnehmung eines Duftes, fängt das Epos von .......... .

Mir gefällt deine lyrische Prosa, lieber Loop.

Die einzelnen, kleinen Fragmente sind für den Geist was einzelne, zum Mund gefürten Maroni für den leiblichen Genuß.

Der Name des Verfassers von "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" fällt mir immer noch nicht ein ...

Liebe Grüße 

Carlos

Geschrieben

Hallo loop

 

für mich ist dieser Text keine Prosa, noch weniger eine Kuzrgeschichte,  sondern ein Gedicht. Eine frühere Version von ihm habe ich bereits kennengelernt, aber diese hier gefällt mr sehr viel besser. Ich glaube auch, ich verstehe, worum es geht und ich freue mich an seiner Komplexität, die gleichwohl analysierbar bleibt. Das ist ein Gedicht, das ich gern in einer Literaturzeitschrift gedruckt sähe.

 

Da du um konkrete Textarbeit gebeten hast, noch drei Punkte minderer Bedeutung.

 

Abschnitt 1 "sirrende Allein"   darunter kann ich mir nichts vorstellen. Vielleicht sirrende Alleen unter einem Fahrrad , aber eher nicht unter Schritten.

 

Abschnitt 2 "zerbröselt wie Spreu unter Hufen". Ist der Spreu nicht schon selbst das Zerbröselte vom Getreidekorn abgetrennte?  Auch die Hufe muten in diesem Zussammenhang etwas seltsam weil unanschaulich an. Wahrscheinlich können Pferdehufe Spreu noch weiter zerbröseln. Aber hat das jemand von uns schon gesehen? Wo wird das gemacht? Dieser Vergleich erscheint mir nicht aus dem Leben gegriffen, sonden eine Poetenstübchen-Erfindung zu sein.

 

Abschnitt 7 "Perpetuum mobile nach der Chaostheorie" Bei Chaostheorie muss ich passen. .Perpetuum mobile ist eine Selbstinterpretation dessen, was das Gedicht ausmacht. und daher meiner Meinung nach eigentlich überflüsssig.   (Don´t tell, show!) 

 

Beste Grüße Onegin

 

 

 

Geschrieben

Hallo!

 

Vielen Dank für das freundliche Feedback, lieber Carlos, Ja, es gehört eher in die Lyrik-Ecke, wie ja auch Onegin bemerkte. Ja, mir fällt er auch nicht ein.

 

Danke für dein Lob und das Dalassen deiner Anregungen , lieber Onegin. Auf das Sirren möchte ich keinesfalls verzichten, da soll man "hinhören", es ist eine ausgefallene Wahrnehmung, die ruhig irritieren darf, Aufmerksamkeit erregen soll. Es raschelt nicht einfach, es "sirrt" eben, das soll so durch und durch gehen, es geht ja um Vergänglichkeit, das soll auffallen. Und bei der Spreu unter den Hufen geht es um ähnliches - bis es schließlich zu Staub wird. 

 

zu Abschnitt 7: Darüber werde ich nachdenken. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht mehr, was ich genau damit sagen wollte. Es bezieht sich wohl auf die Erinnerung an sich, als immer wiederkehrend, aber man weiß nicht, welche uns gerade überfallen wird oder welche Auslöser gerade auftauchen werden.  Oder so ähnlich ... wohl eher Dichterstübchen als wissenschaftlich

 

Danke für euren Besuch! Danke auch für die Likes!

 

loop

 

 

 

 

 

Hallo Oilenspiegel!

 

Oh, unsere Einträge haben sich jetzt gerade überschnitten. Danke auch Dir!

 

Zitat

Aber etwas stößt mir auf:  Woher kommt der Maroniduft?

 

Wie woher? Von einem der Maronibrater, die zu dieser Jahreszeit überall in Stadt und Park heiße Maroni anbieten. Das LI kauft sich ja dann auch welche.

 

loop 

 

 

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Geschrieben

Kein Problem, ich kenne das von mir selbst, das ich mich irgendwo in einem gelesenen Text einfach verirre.

 

loop

 

P.S. Ich werde die Moderation bitten, den Text in die Lyrik zu verschieben. 

 

 

 

 

  • 2 Wochen später...
Geschrieben

Hallo Loop,


 

ich mag dein Flanierwetter sehr! Die Komposition aus Bildern der Genauigkeit, die auch ins Ungewöhnlichen ("Sirren der Alleen unter meinen Füßen") übergehen.

 

Die unterschiedlichen zeitlichen Aufenthalte, die du lose in deinem lyrischen Spaziergang verknüpfst, möchte ich kurz erwähnen. Aktuelle Eindrücke, Erinnerungen die bis in die Kindheit reichen, eine historische Ebene und das Morgen.

 

Sehr gerne gelesen,

Mi

 

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