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Geschrieben am

eines 
nicht wie viele
in schlaflosen Nächten
aus Dunkelheit gewebt
doch aus dem Überschuss der Tage
dem bunten Grau
das wortlos Tränen vergießt
(und du weißt nicht 
worüber)

 

eines 
in den Asphalt der Städte gezeichnet 
von tauben Füßen 
die ruhelos wandern
bis die Schatten
sich in den Falten der Lichter
verkriechen

 

eines 
unter die Haut geritzt
von den Scherben der Träume
im narbigen Gewebe
nie verheilt
fiebrig
immer wieder aufgekratzt
bis das Wort in der Stille gerinnt

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Geschrieben

Hallo, Lé,

 

man hat den Eindruck, dass man dem LI mit jeder Strophe näher kommt, obwohl das Gedicht ohne ein Pronomen auskommt. Man fühlt trotzdem intensiv seine Anwesenheit und folgt dem Gedicht unter die Haut des LI - und damit geht es einem gleichzeitig auch unter die Haut!

 

In der ersten Strophe ist eigentlich nichts Konkretes, das die Tränen verursachen könnte (dessen ist sich auch das LI bewusst). Es ist das Grau im täglichen Einerlei; das "bunte" davor sagt viel darüber aus. Es könnte - erst mal! - nur Melancholie sein. Vielleicht der Überdruss vom "Überschuss".

 

Dann kommt das unendliche Gehen - man könnte sagen: "sich die Füße taub gehen" -, vielleicht, um Gedanken loszuwerden, um sich wieder - wenn auch nur im Schmerz - zu spüren.

 

Hier habe ich mich beim Lesen etwas länger aufgehalten:

vor 10 Stunden schrieb Létranger:

bis die Schatten
sich in den Falten der Lichter
verkriechen

 

Fragte mich, was keinen Schatten wirft, und kam zuerst auf Geister (das Unwirkliche). Diese Strophe vermittelt das Gefühl, fern von der Realität zu sein (gewollt fern sein, um es auszuhalten). Dann fiel mir auf, dass es wahrscheinlich doch die Abendlichter sind, die die Schatten ablösen. Auf jeden Fall ist die Metapher mit dem Verkriechen gut gewählt und lässt Deutungsmöglichkeiten offen!

 

Am meisten beeindruckt mich die letzte Strophe, die sich bis zuletzt steigert.

 

vor 10 Stunden schrieb Létranger:

nie verheilt
fiebrig
immer wieder aufgekratzt

 

Bei der letzten Zeile dann fragt man sich, ob der Schmerz durch das Gerinnen (das im Alltag, im Haushalt z.B., etwas Negatives ausdrückt) weniger geworden ist, schweigt - aber nein, meine ich: Es ist, als ob er in der Luft erfroren, erstarrt wäre.

 

Oh, jetzt habe ich mich so hinreißen lassen, dass ich zu viel geschrieben habe, sorry!  Wahrscheinlich liege ich sowieso irgendwo daneben ...

 

Es klingt nach, und die Bilder bleiben lange, lieber Lé - sehr schön!

 

Viele Grüße

Nesselröschen

  • Schön 1
Geschrieben

Bon jour Le, 

vielleicht würde der Singular dem Titel besser passen. 

In der ersten Strophe sagst du uns, was für ein Gedicht schreiben, bzw. schreiben willst. Ich lese es so: Ein spontanes Gedicht.

Ich glaube, du gehörst zu den Dichtern, die lange handwerklich am Gedicht arbeiten, die viel von der Form halten, mehr vielleicht sogar als vom Inhalt. Wie ein Diamantenpolierer. 

Und hier versuchst du anders umzugehen. 

Tauben Füßen lese ich als Taubenfüßen, sehe sie auf dem Bürgersteig hin und her laufen.

Die dritte Strophe ist die wichtigste. Hier versuchst du, dir selbst und uns zu sagen, was dich bewegt, was für ein Gedicht du schreiben willst.

Ob das spontan geht?

 

Geschrieben

Hallo Nesselrose,

 

ich finde nicht, dass du zu viel geschrieben. Für mich und für jeden Autor ist es doch in aller Regel bereichernd  viel über die  Beschränkungen und Möglichkeiten  seines Textes zu lesen.

 

Für mich ist es z.B. sehr interessant, dass du in den drei Strophen einen Weg gesehen hast, der näher an das LI heranführt - das hatte ich selbst noch gar nicht gesehen. 

 

Zu den beiden rätselhaften Stellen im Text wollte ich noch etwas sagen:

 

Wenn ich metrisch geformte Verse und Strophen schreibe, kommt es immer wieder vor, dass der Rythmus, das Metrum und der Klang den Text in ungeplante Inhalte und Bedeutungen führen. Dann nehme ich überrascht und bereichert zur Kenntnis, was auch gesagt werden könnte (jenseits meiner vorgefertigten Ansichten).

Wenn ich Klang- und Reimgedichte gestalte, sind es die Vokalklänge, die Aliterationen,

die Höhen und Tiefen, die Reime und die Rythmusvariationen, die dasselbe tun.

 

vor 11 Stunden schrieb Létranger:

bis die Schatten
sich in den Falten der Lichter
verkriechen

 

......


bis das Wort in der Stille gerinnt

 

 

 

Bei der Wort- und Bildpoesie gibt es etwas, das ich noch spannender finde. Marie Luise Kaschnitz hat das in einem ihrer Gedichte "artfremde Paarung der Worte" genannt. Wenn man nämlich Worte (z.B. Substantive und Verben) zusammenstellt  die normalerweise nicht kombiniert werden  stehen wir automatisch vor der Aufgabe, uns einen neuen Sinn, eine eigene Bedeutung zu (er)finden. Das kitzelt die Fantasie und das Gefühl, kann sehr spannend zu machen. Da stehen Autor und Leser vor dem gleichen Rätsel - mit dem einen Unterschied, dass der eine den Text zensiert, der andere seine Reaktionen auf den Text.

 

 

Hat mich gefreut.

 

LG Lé.

 

 

Hallo Carlos,

 

vor 13 Minuten schrieb Carlos:

vielleicht würde der Singular dem Titel besser passen. 

In der ersten Strophe sagst du uns, was für ein Gedicht schreiben, bzw. schreiben willst. Ich lese es so: Ein spontanes Gedicht.

Ich glaube, du gehörst zu den Dichtern, die lange handwerklich am Gedicht arbeiten, die viel von der Form halten, mehr vielleicht sogar als vom Inhalt. Wie ein Diamantenpolierer. 

Und hier versuchst du anders umzugehen. 

Tauben Füßen lese ich als Taubenfüßen, sehe sie auf dem Bürgersteig hin und her laufen.

Die dritte Strophe ist die wichtigste. Hier versuchst du, dir selbst und uns zu sagen, was dich bewegt, was für ein Gedicht du schreiben willst.

Ob das spontan geht?

 

 

Gemeint waren drei Möglichkeiten, Gedichte zu schreiben - je eines ;-).

 

Was diesen Text speziell angeht, aber auch andere angeht, sind "spontan" und "handwerklich" für mich keine Gegensätze. Beides braucht man, um gute Texte zu schreiben. Einmal erlerntes Handwerk wird unbewusst und automatisch  Einfluss auf spontan Geschriebenes nehmen.

 

Ich schreibe spontan - ändere - gestalte - probiere andere Wege (spontan), arbeite weiter an den Details.

 

Ich nutze gerne verschiedene Gedichtformen, um unterschiedliche Themen und Ideen einfangen zu können. Meine große Liebe gehört aber den poetischen Prosagedichten. Ich schreibe aber auch viele Gedichte mit sehr konkreten Inhaltlichen Ideen und Themenstellungen. Die werden meist weniger poetisch im Stil. Je mehr Freiheit ich mir inhaltlich lasse,  umso mehr kann ich poetisch spielen. Hier war die thematische Idee sehr weit und offen.

 

LG Lé.

  • Gefällt mir 1
Geschrieben

ich habe nur weniges von Baudelaire gelesen, weiß dass er sehr wichtig für die moderne Literatur war..

 

Was ich schreibe, ist allerdings keine poetische Prosa. Vielleicht werde ich das irgendwann einmal versuchen. 

Es ist derzeit eher prosaische Lyrik, also Lyrik, die eine moderne, eher prosanahe Sprache spricht. Allerdings werden in letzter Zeit meine Sätze weniger vollständig; oft werden Worte ausgelassen, Satzfragmente aneinander gefügt. Das gibt es allerdings als Stilrichtung auch in der zeitgenössischen Prosa.

 

Kurzgefasst lese ich manchmal interessiert, dass manche meiner Gedichte an diesen oder jenen berühmten Autor erinnern, ohne dass ich viel von diesen Autoren gelesen hätte. Ich lese aufmerksam, wenn ich im Detail einen Gebrauch der Sprache entdecke, der mich beeindruckt, und dessen Idee mich fasziniert. Ich möchte gerne wissen, was sie da tun. ;-).

 

LG Lé.

  • Gefällt mir 1
Geschrieben

Hallo Le,
Gedichte können viele Beweggründe haben, einer, den ich hier vermute, ist sich die Last des Daseins von der Seele zu schreiben, letztlich als geschriebenes Wort gerinnen zu  lassen.
Konstruktiv hätte ich den Vorschlag statt "Falten" Spalten zu verwenden, denn darin kann man sich besser verkriechen.
LG
Perry

  • Gefällt mir 1
Geschrieben

Hallo Perry, 

 

vor 27 Minuten schrieb Perry:

Gedichte können viele Beweggründe haben, einer, den ich hier vermute, ist sich die Last des Daseins von der Seele zu schreiben, letztlich als geschriebenes Wort gerinnen zu  lassen.

 

so könnte man die vierte Strophe verstehen, aber jede Strophe ist eine Assoziationskette, die ausdrückt, was an den nicht sprachlichen Manifestationen der Seele man noch als Gedicht sehen oder schreiben könnte. 

 

Wenn man so lange gelebt hat, wie wir beide ;-), hat man genügend schmerzhaftes und schwieriges erlebt, gesehen, gehört und gelesen, um darüber jederzeit schreiben zu können. Ich brauche schon lange keinen aktuellen Schmerz oder eine Daseinslast mehr, um eines meiner Gedichte zu schreiben. 

 

Denen, die so schreiben, empfehle ich, die Ergebnisse später in ein gutes Gedicht umzuwandeln, wenn genügend Distanz da ist, um aus gefühlter Realität lesenwerte Fiktion zu machen.

 

 

vor 38 Minuten schrieb Perry:

Konstruktiv hätte ich den Vorschlag statt "Falten" Spalten zu verwenden, denn darin kann man sich besser verkriechen.

 

Das wäre denkbar. Ich sehe eher ein Tuch, einen Rock oder ähnliches - deshalb Falten ;-).

 

Freut mich, dass du dich mit dem Gedicht beschäftigt  hast.

 

LG Lé.

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Geschrieben

Hier bin ich Lé!

in im Plätzchenbackmodus ...dementsprechend rar  hier

 

Und nach dem die letzten heute warum auch immer nicht so optimal gelangen etwas gedrückt.

 

Zu deinem Gedicht

 

vor 9 Stunden schrieb Létranger:

Marie Luise Kaschnitz hat das in einem ihrer Gedichte "artfremde Paarung der Worte" genannt.

 

das hast du schön zelebriert hier und ich mag das sehr, und da kommt auch gleich der erste Kritikpunkt, denn "buntes Grau" (habe ich das nicht schon irgendwo gelesen?) sind mir dafür zu gegensätzlich und ausschließend um eine Neokonglomerat zu ergeben, ließe sich aber machen, nur ist es mir zu vertraut zu bekannt. Ist aber das einzige was ich zu kritteln hätte Hier hätte mir tatsächlich Schatten der Farben besser gefallen - auch die sind ja grau, dunkelgrau sogar (aber das kann auch nur so momentan sein). Und dafür anstelle der Schatten der zweiten Strophe sowas wie Dämmerung gewählt. Aber! Vor meinem Auge ist das Gedicht ja auch  nicht entstanden  auch wenn es sich so anfühlt als wäre es das. 

 

Dafür gefällt mir der "Überschuss der Tage" um so besser. Au den ersten Blick eine eindeutige Aussage die etwas bestimmtes nahelegt, in der aber noch mehr drin liegt (ich buddel ja gern tief)

 

Eigentlich erklärt sich das Gedicht selber, ich finde es sehr klar und ausdrucksstark und gut mitempfindbar. Ich finde es schnörkellos schlicht, in seiner Einfachheit transportiert es aber das feinsinnige Empfinden eines Dichters oder Künstlers, leidend an der grellgeschminkten Wirklichkeit auf der Suche nach wahrer Tiefe die er nirgends finden kann und deshalb der einsame Wolf ist, aber es kommt auch ohne großes Pathos daher, man spürt die, fast sachliche, Distanz zum eigenen Schmerz des LI

 

Drei Gedichte, Gedichte geboren aus Schmerz

 

vielleicht für drei Seelenzustände, drei Lebensphasen oder Stationen. Vielleicht aber auch drei Sichtweisen auf ein und dieselbe Seelenqual.

 

 

 

das erste der Nacht -  wenn die Farben des Tages einen Schatten bekommen oder Grauschleier, einfach verblasst und nichts mehr wert sind...

das zweite des Tages, das dritte die Beschreibung des Schmerzempfindens.

Drei elementare (was ich mit schlicht meinte, schlicht reduziert auf für jeden nachempfindbar) Bilder durch die geschickte Wortverwebung extrem intensiv. Das untermauert ja meine These, dass in der Einfachheit  Tiefe und Intensität liegen und zu entdecken ist, aber die muss man halt auch transportieren können und das ist hier hammermäßig gelungen. Von  daher erinnert es mich eher an Villon.

 

Als Beispiel Strophe zwei: das Gedicht aus den ruhelos wandernden Füßen auf dem Asphalt, das kann jeder nachempfinden, also ein schlichtes Bild wie Rilke es in seinem Panther verwendet, (sein Blick ist...usw.) und dann folgt die Intensivierung dadurch dass die Füße schon taubgeworden sind und die Distanzierung und ein Brechen hin zur Hoffnung- und Auswegslosigkeit durch "Schatten die sich in den Falten des Lichts verkriechen) (sehr schön  beschrieben) analog zum Panther : bis sein Blick nichts mehr hält..

Dasselbe kann man auch für Strophe eins und drei anwenden, meine ich.

 

Ich glaub das Linoleum der Dichtung ist von den vielen Dichterfüßen ja auch schon sehr dünngelaufen und da neue Spuren zu setzen auch nicht so einfach.

 

Weiter brauch ich nichts zu schreiben, denn das Gedicht ist so klar und selbsterklärend, dass es keine Erklärungen dazu braucht.

Danke , dass du mich gerufen hast - du weißt schon was meinen Nerv trifft

 

Liebe Grüße

Sali

 

 

 

 

Geschrieben

Liebe Sali,

 

freut mich, dass du gelesen und deine Gedanken und Assoziationen als Kommentar hinterlassen hast - und natürlich ist es schön, dass dir das Gedicht gefällt.

 

Was das "bunte Grau' bzw. die Neologismen angeht - bekenne ich, dass ich zu wenig lese, um so etwas wirklich beurteilen zu können. Allerdings hast du sicher recht. Das klingt nicht so ungewöhnlich, dass es nicht so oder so ähnlich schon öfters geschrieben worden sein könnte. Mir passte es in den Kram, weil ich den Alltag im Visier hatte (bunt und doch nicht neu).

 

Ich wundere mich oft darüber, wie belesen du und etliche andere hier und in den Foren sind.

Ich lese wenig, aber wenn ich Gedichte lese, suche ich oft nach der "Methode" oder dem "Trick", der hinter beeindruckenden Textstellen liegt. Lernen für Faule ;-).

 

Immerhin leide ich auf die Weise nicht   darunter, dass ich nicht wirklich Neues schaffen kann. Ich versuche zu lernen; da sind die Inhalte zumindest neu für mich.

 

Das du den Text schlicht aber wirkungsvoll nennst, gefällt mir. Das sind Merkmale, die mir gefallen.

Ich habe viel Freude daran gehabt, deine ausführliche Würdigung des Textes zu lesen.

 

Liebe Grüße,
Lé.

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Geschrieben

@Létranger

 

Grüße.

 

Die Bilder sind gut. Man könnte etwas andere Makulatur verwenden, hier

Am 25.11.2021 um 23:00 schrieb Létranger:

in langen Nächten

 

in schlaflosen Nächten.

 

 

Aber eben Makulatur. 

 

Anfangs hat mich dein Gedicht animiert aufzuwachen, denn Schädel einzuschalten. Aber momentan inspiriert mich nur die Stille.

ok, tschüss.

 

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