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Legendenbildung

                                               (Augsburg im Winter)

 

Sechs nackte Kinder

um einen Schrein versammelt

an dem ein versehrter Bäcker steht

der eine Öllampe hält

während seine Augen irrlichtern

über die Tafel mit den Liedern

die er singen soll

damit Engel erscheinen

und Holzmehl von der Decke rieselt

frisch gemahlen und duftend

nach rosigen nackten Kindern

mit putzigen Ärschen

und kleinen Schwänzen

neckisch entblößt an einem Kindersarg

um die Stadt zu retten

vor Brandschatzung und Tod

wenn die Stadtgöttin nicht hilft

und Anbetung unnütz wird

wie faules Brot im Graben

  • wow... 1
Geschrieben

Hallo, Marcel,

 

am Anfang versuche ich mal, etwas zu erklären. Als ich deinen Beitrag zum ersten Mal las, fand ich zunächst keinen wirklichen Zugang zum Inhalt. Ungefähr so, als ob ich vor einer verschlossenen Türe stand. Ich kam 'nicht rein'. Mir war klar, dass es sich hier um einen Text handelt, der in Beziehung zu etwas steht, aus dem heraus betrachtet, dann alles Sinn macht und sich 'erschließt'. 

Meine Gedanken bewegten daher erst mal in alle möglichen Richtungen, ohne ein wirkliches Ergebnis. Also dachte ich mir, dass ich vielleicht herausfinden kann, worauf hier Bezug genommen wird.

Ich gab 'Augsburg' und 'Winter' als Stichworte in meine Suchmaschine ein. Viele Ergebnisse, hauptsächlich aber über - vergangene Weihnachtsmärkte. Das half mir nicht weiter. Also sah ich mir den Titel genauer an. Ich dachte mir: Also, entweder beschreiben die Geschehnisse einen Vorgang, der dafür sorgt(e), dass sich eine Legende bildet bzw. gebildet hat. Oder ich betrachte, im Sinne von Bildung, 'Legende' und 'Bildung' separat. 

 

Das brachte mich auf den Gedanken, Legende, Augsburg, Winter als Stichworte zu verwenden. Auch da musste ich erst scrollen und suchen, dann fand ich einen Wikipedia-Eintrag. Allerdings mit dem Namen 'Augsburger Sagen'. Musste ich also auch erst mal in Betracht ziehen, das das vielleicht die gesuchte Antwort enthalten könnte. Dort wiederum gab es Kurzzusammenfassungen verschiedener Augsburger Sagen. Und eine davon passte. 

 

Es war so, dass ich also erst mal nach dem versteckten Schlüssel suchen musste. Und dafür dann unter der Türmatte nachsehen musste, dann in verschiedenen Blumentöpfen, die neben der Wohnung standen usw.

 

Was ich damit meine, ist: Das hat einige Zeit gedauert. Und es ist nun mal so: Nur wenige Leser:innen nehmen sich die Zeit für so eine Suche. Und, wenn der Inhalt sich nicht erschließt, dann gibt es natürlich auch keine Reaktionen und/oder Kommentare.

 

Deshalb ein Vorschlag: Da auch die kurze Notiz 'Augsburg im Winter' nicht genügte, wäre es hilfreich, wenn du künftig bei Gedichten, die sich auf etwas anderes beziehen (muss ja nicht unbedingt eine Legende sein, könnte auf ein Buch oder ein Gedicht Bezug nehmen) eine kurze Fußnote darunter setzt?

Könnte vielleicht so ähnlich aussehen:

 

(Dieses Gedicht nimmt Bezug auf eine Augsburger Sage, mit dem Namen 'Der steinerne Mann'.)

 

Du gibst also uns Leser:innen den Schlüssel und jede:r kann die Türe aufschließen. :smile:

 

Jetzt zum Thema.

 

Vergangenheit und Gegenwart, beides 'vermengt' sich hier. Grenzen verschwimmen. Und, wenn ich richtig interpretiere, dann geht es hier um etwas Hässliches. Denn die Beschreibung, wie die Engel aussehen, lässt zwei Deutungen zu: Putten. (Kleine Engel, sehr leicht bekleidet oder nackt, in Kindergestalt, Gemälde oder Skulpturen.)

Oder - Kinder ... 

 

Kindersarg ...

 

Dann wird's reichlich - finster ...

 

und das Ergebnis ist faules Brot im Graben.

 

Der versehrte Bäcker, dessen Augen 'irrlichtern'.

 

All das lässt mich auf - Kindesmissbrauch in der Kirche schließen. Legendenbildung steht da als Titel. Den ich jetzt auch nochmal anders auffassen kann. Legenden, Mythen, Sagen, Märchen - alles nur ein Märchen? Üble Nachrede, falsche Behauptungen blabla. 

 

Die Legende muss aufrechterhalten werden. Die Legende der 'Reinheit' der Kirche. 

 

Sehr packend, dein Gedicht - sobald man verstanden hat, worum es hier geht. :wink:

 

LG,

 

Anonyma

 

Geschrieben

Hallo, Anonyma,

 

es hat mich sehr gefreut, wie intensiv Du dich mit meinem kleinen Text auseinandergesetzt und sogar diese Detektivarbeit im Netz auf dich genommen hast. Ich weiss manchmal einfach nicht, was besser ist, wenn ich auf ein Ereignis oder eine Person Bezug nehme: Hilfestellung durch Fußnote, erläuternder Titel oder die Lesart dem Leser überlassen. Hier habe ich womöglich den Bekanntheitsgrad vom "Steinernen Mann" überschätzt.

 

LG, Marcel

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