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Aufgepasst, Humor!

 

 

 

Markttage

 

 

Es gibt sie, diese Tage. Morgens um halb vor unausgeschlafen musste sie sich mit ihren sich fragenden, wachgewordenen Hirnzellen überlegen, halbschlau wenigstens, was sie anzog. Wer hätte das gedacht, dass sie soweit kommen würde. Sie durfte schliesslich an solchen Tagen nicht vom Regen durchnässt, von einigen Wenigen länger beäugt oder auch nur zu kurz - mitleidig angeschaut werden – die Verkaufsstrategie eben. Ein einfaches Outfit zwischen Chic, zeitlos, modern, und praktisch - natürlich zum dreckig werden. Sie schloss die Augen und zog in der Dunkelheit das an, was man als Kleidung bezeichnen durfte, einem Traum hinterherforschend.

 

Warm genug war sie. Mit der langen Fleece Unterwäsche, den drei paar gefütterten Wollsocken, vier paar Schneehosen und ein paar dutzend Jacken. Sie zog über all dem ihre längsten, klobigsten Regenstiefel an, die sie von einem Bauernwochenmarkt zu einem unerhörten Preis abkaufen musste. Jedenfalls war somit ihr Bauernprädikat sicher, wenn auch noch jung und noch zu lange nachdenkend. Wenn auch fröhlich.

 

Natürlich musste sie sich auch darin bewegen dürfen, müssen. Sie hatten ja 30 Meter Verkaufsfläche. Geradeaus zu den Früchten vom Gemüse aus. Aber das war ja kein Problem. Ihre Kleidung war ja so flexibel. Also teuer genug, um daran legitim verzweifeln zu können.

 

Im Bus sassen eigentlich nur Flughafen Mitarbeiter von der Nachtschicht und ein paar uneigentliche besoffene.

Schliesslich musste man sie ignorieren um sie nicht wie ein Magnet an sich zu ziehen.

 

Die Lichter waren noch nicht an, doch sie baute im Regen, natürlich kalt, den Stand auf. Sie dachte an Sonnenschein und so gelang es ihr, euphorisch, die Bananen aus Peru neben dem Flugtransportierten, exzellenten Mangos aufzustellen. Kakis, weiche, härtere. Kiwis aus Neuseeland, Übersee, wo sie sein wollte. Zum Winter hatten sie Nüsse. Maronis aus Italien, Erdnüsse aus Amerika, Walnüsse von den eigenen Bäumen. Ein paar abgeklaute Haselnüsse.

Regional war schliesslich nicht alles. Doch die High Society, wie sie sich oftmals auch dazuzählte, schliesslich gehörte sie ja auch zu den verrückten, erwartete ein Vollsortiment der besten Früchte, Nüsse, Eier, Gemüse, Ohren, Herzen, Gespräche.

 

Kein Problem, dachte sie, nach dem sie die anderen 300 Produkte aufbog, aufstellte, einreihte, hinlegte, samtküsste, preiste, wachwärmte und manchmal unbeabsichtigt und beabsichtigt hinschmiss. Aber das durfte sie niemanden verraten. Sie schrieb die Preise auf. Schimpfte darüber. Legte die einzeln schlecht gewordenen Früchte in den Abfall und stellte die Gasheizung auf. Stellte ihren Namen auf, von links nach rechts, einmal mittig. Das allerhöchste Gut.

 

Ein paar Produkte waren vom Wald. Brennnessel, Gänsefuss, Spitzwegerich und ein paar Geheimrezepte, die sie nicht verraten durfte. Nein, sie musste niemals Brennnesselsamen abkaufen. Wer das als Bauer einmal tat, wurde nie mehr für ernst genommen. Brennnessel gibt es im Wald, mehr wollte sie nicht mehr verraten. Oder war der Wald Brennnessel? Und vor allem umsonst. Das wächst nicht ewig saisonal für 10 Franken pro 100g. Es wächst im Wald. Pardon.

 

Feldsalat war die Nummer eins. Früh nach Mitternacht wurde sie unter einer dicken Schneeschicht von ein paar gezwungenen Familienmitglieder einzeln abgeschnitten bis sie ihre Knochen noch Glieder spürten, waren sie überhaupt noch lebendig?

Warum war also dieser Salat, Freiland, so teuer? Wir werden es nie erfahren. Sie lächelte. Zum glück musste sie das niemals tun. Fast erstarrt dachte sie daran, dass sie sogar daraus spiele machten. Spiele. Wie viel Kilo, oder Kisten in so und so viele Stunden abgehaut wurde. Pardon.

 

Sie war glücklich, sie durfte so gesunde Produkte verkaufen. Natürlich wusste sie, dass 1/3 ihrer ausgestellten Produkte nicht von hier waren, und davon 50% aus Übersee. Aber Max`s Bananen, Mickys Ananas und der koreanische Koriander waren verkaufsgründe und dort auch eher länger saisonal. Sie lebten auch davon. Natürlich gabs im Winter keine Erdbeeren, wie es in diesen edlen Delikatessen Shops gab. Sie schmeckten nach Erdbeeren. Aber erst nach dem hinterherriechen. In der Nase.

 

 

Erdbeeren sollten noch nach 2 Meter duften. Nein es gab keine Erdbeeren zum Winter.

Sie hatte Hunger bekommen.

 

Es gab auch keine 10 Sorten Tomaten mehr. Kein Ochsenherz, keine Premium Deluxe in Gelb, keine Berner Rosen.  

Nur noch 4, täglich mehlig schmeckender. Ausser die sizilianischen, wo niemand genau wusste, ob die Tomaten aus Angst vor Geldeinbüssen so gut schmeckten oder ob sie hochgezüchtet wurden oder beides.

Nehmen Sie sie bitte nicht vom Papierhenkel hoch, oder so. Wenigstens Italiener, Nachbarn, niedriger Co2. Oder so. Zugegeben, sie nahm sich die kleinen Datteltomaten aus Sizilien selber mit nachhause für ihr Brot.

 

Sie wusste, sie war Poetin. Verträumt, aber geistig immer anwesend. Machte das Sinn? Das geistig anwesende lernte sie als Aufsicht und Begleiterin. Als sie von heute auf morgen oder von heute auf gestern die Leitungsposition überbekam. Sie war ja so gut. Zitat ende.

Nach den 33 Jahren oder auch 3 brauchte sie einen Ausgleich. Wochenmarkt. Also studierte sie nachts Bauerei und wie man noch gelenker dienen durfte. Nur noch wärmer angekleideter.

 

 

Eine introvertierte Löwin, die zum Bauern mutierte. Was war an einem Bauern so poetisch? Vielleicht mehr, als sie glaubte. In allem, wenn man sie fragen würde, würde sie antworten, sie wäre eine geistig anwesende Poetin. Jeder Kunde würde das bejahen.

 

Und nicht das, was sie hier und da nebenbei erledigen wollte und musste. Des Geldes wegen. Sie wollte nie jemanden darum fragen. Geld. Und das Geld war niemals genug.

 

Natürlich auch für ihren inneren Wachstum, das durfte man nicht vergessen.

 

Der erste Herr, mit einem Döner in der Hand, ging zu den nicht anwesenden Erdbeeren und fragte nach ihnen. Sie fragte sich, ob es nicht zu früh für den Döner und zu spät für die Erdbeeren wäre.

Aber das ist nur ein innerer Monolog, beinahe unwichtig.

 

Aber irgendwie muss man die ersten partyvertriebenen Verrückten loswerden. Sollen sie doch die Bahnhofshallen überkotzen oder ihren Gürtel in den noch ungeputzten Stadttoiletten besser anlegen.

 

Sie war dennoch gütig.

Sie gab dem Herrn einen runden roten Elstar und noch viele gute lose eingepackte Wünsche mit und wartete auf die Stammkunden. Oder der Schlacht. Wie auch immer.

 

Die ersten Stammkunden kamen grade aus Südafrika, ohne Witz. Also musste sie sich echt zusammenreissen. Bitte keine Politik um halb sechs. Bei kaltem Regen und einer depressiven Dunkelheit.

 

«Wir haben es nicht gewusst, wir waren länger da».

Das erste Hallo war ein nicht abwertendes Nicken. So was wie Verständnis.

 

Maskenlose Dialoge, mit der der Frau und dem davonrennenden Mann, der ebenfalls hoffte, bei ihm zu sein. Gleichzeitig.

 

"Äpfel 1,324 Kilo. Rotbäckig. Sind sie frisch?

55 Gramm Brennnessel von eurem Garten (?)

3-mal Honig von euren Bienen.

Warum ist denn der «Nüsslisalat» so teuer?

6 Eier, wie viel Gramm wiegt eins? (Mann kann ein Ei auf einer ebenen Waage legen, es geht!)

Bitte alles in Säckli, wir haben nichts da.

Ein fötzelstück Kresse.

Ein halbes Pfund vom Kilo in 5 Tüten bitte durch 3 die Rechnung machen. Ist für 2 Nachbarinnen.

in einem Atemzug

Brauchen wir noch was?"

 

"65,50 Bitte".

 

105, 20 gebend.

 

Also passend oder so.

 

Easy, wie immer. Für sie. Dies waren nicht mal die ersten Vorboten vom Krieg. Nein, Sie wissen nicht einmal, was sie nicht wissen. Sollten. Der Krieg schärfte die Gedanken. Sie lernte barmherzig und geduldig zu sein. Sie gab nie mehr einen Rappen zu viel raus, nein, diesen Fehler tut man sich nicht noch einmal ausversehen in der Finanzstadt an. Schliesslich waren einige Bankerkunden die professionelleren Verkalkulierer und sie das mathematische Genie, das sie eigentlich nie war. Pardon, Madam!

 

Nein. Wo das Geld doch immer fehlt wie die winterlichen Erdbeeren.

 

Das Geld fehlte, weil es gelagert wurde, verstaubt. Auf einer hohen Kante gelegt von kantenlosen, verspritzten Gesichtern. Erst ausgegeben an Markttagen. An sie. Die ersten tausender Scheine hat sie schliesslich erst als Verkäuferin in den Händen gehalten. Stück Papier, beinahe wertlos anfühlend, wie Schokopapier, nur anscheinend wertvoller. Machte das Sinn?

 

Ohne Witz, sie mochte keine Wertungen. Jeder der sich hier anstellte, durfte schliesslich etwas erhalten. Für arme und reiche galt es dasselbe.

Und für die anderen sowieso.

 

Schonmal von Omikron gehört? Diesen Spruch bekommt man kurz vor Kriegsbeginn. Ah, der Vorbote hat sich postiert. Bereit zum Kampf hauchte sie schweigend ein «Nein» und hoffte, nicht noch mehr getroffen zu werden.

 

«Wie viele Äpfel?» fragte sie verzweifelt. Hilflos. «Welche Sorte? Farbe? Grösse, Charakter?»

 

Nein, meine Liebe, er will eine Antwort. So frisch, wie man es nur vom Markt bekommt. Beinahe warm, doch ohne Ofen. Machte das Sinn?

 

Sie nickte, als würde sie natürlich nicken müssen. Heuchlerisch. Ja, sie wüsste, was das ist. Wenn auch nicht genau. Doch das, um himmelswillen, dürfte sie niemals und niemanden und nicht einmal vielleicht erfragen.

 

Als könnte er ihre Gedanken lesen beantwortete er ihr diesen gefährlichen Virus. Und überhaupt, was sonst noch so schieflief.

Nein, sie wusste, warum sie kein Smartphone bei sich trug. Sich medial detoxte. Vermutlich bis für immer.

Der nächste Kunde holte sie Beifuss mit einer sich mehrmals aufschlagenden Tüte. Zweimal, bis sie es verstand. Ohne Witz.

 

Die ungiftige Kundenschlange war es auch. Wenn jemand aus der Kolonne drankam, die Köpfe sich facettenartig zu ihr drehten, hoffnungsvoll, wurde ihr warm ums Herz.

Jeder mit einer weiteren Omikron Geschichte parat. Mit Händen voller Erwartungen.

Auf eine Zuhörerin. Sie hörte sich alles an. Natürlich, frisch und sensationell wie ihre Comice Birnen. Wie ihre therapeutische, fröhliche Birne.

 

Von aussen sah man sie oftmals lachen. Mit einigen Kunden weinen, schimpfen, rätseln. Sie musste sich dem gefühlvollen Krieg der Gespräche hingeben, mitspielen, bis sie selber heimlich einen überteuerten Feldsalat in den Mund stopfte und mit einem lächeln genoss.

 

 

 

 

Franken-Euro

Rappen- Cent

Säckli-Tüten

Fötzelistück-Wenig

Nüsslisalat-Feldsalat

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Geschrieben

Hi Federtanz eine SEHR coole Geschichte mit reichlich Einblick hinter die Kulissen! Hat mir total gut gefallen!! gerade die Leichtigkeit und Pflichtbewußtsein  der Philosophengeschäftsführerin und Marktmanagerin hinter dem Stand. Wenn ich das nächste Mal auf dem Markt einkaufe, werde ich Mal vorsichtig die geheimnisvolle Standfrau mit "Klopstock"* ansprechen. Vielleicht ist sie auch Poetin ?

 

Fötzelistück ? Wunderbar!!

 

Mes compliments

 

Dio

 

*   Im Verlauf des Abends zieht ein Gewitter auf. Werther und Lotte betrachten anschließend vom Fenster aus die noch regenfeuchte, erfrischte Natur. Beiden kommt das gleiche Gedicht in den Sinn, die Ode Frühlingsfeier von Klopstock. Werther interpretiert dies als Ausdruck ihrer Seelenverwandtschaft 

 

Johann Wolfgang v. Goethe "Die Leiden des jungen Werthers"  1774

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Geschrieben

Mir hat die ungiftige Kundenschlage am besten gefallen!  

Ich schließe mich Dios Kommentar an. Sehr coole Geschichte! Und dein Stil gefällt mir, diese lockere unverkrampfte Erzählerart. Diese Marktfrau will ich kennenlernen.  

Sehr gern gelesen. 

 

LG JC

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