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Geschrieben

Irgendwie verstehe ich diese Gedichtform nicht. Finde keinen Zugang.

Was möchten uns die drei Zeilen sagen?

Eine Situation: Es fällt Schnee.

Objekte / Ort: Drei Rehe befinden sich in der Sohle eines Tales.

Subjekt: Jemand hat einen Mantel an, in dessen Taschen sich drei Euro befinden.

(Münzen im Wert von 3€ oder drei 1€-Münzen?)

Gegenüberstellung von drei Rehen (realen Tieren) und drei Geldstücken ( ideeler Tauschwert)?

Was hat das mit der Vergänglichkeit von Schnee gemein?

 

Bei dem Einwurf von Dionysos "Drei Euros" mußte ich an den Filmtitel "Die drei Amigos" denken.

Hat das auch was damit zu tun?

 

 

LG an @Onegin und @Dionysos von Enno

Heiko

Geschrieben

Hallo, Onegin,

 

meiner Meinung nach ist das Ganze im übertragenen Sinne zu verstehen. Ich kann es dann folgendermaßen interpretieren:

 

Schneefall. Schnee - Fall. Kälte. Eisige Zeiten. 

Drei Rehe - Familie. (Frau, zwei Kinder. Oder die Eltern des Mantelträgers, das wäre auch möglich. Sogar Frau, Kind, Haustier, z. B. Hund oder Katze, würde ich in Betracht ziehen.) Und Rehe, sie versinnbildliche ich hier mit 'Wehrlosigkeit'.

Talgrund: Am Boden, ganz unten.

Drei Münzen - das letzte Geld, das noch übrig ist.

Mantel: Winterkleidung, bietet Schutz vor der Kälte. (Ich frage mich dabei, ob es ein dicker oder dünner Mantel ist, aber das ist ein 'Nebengedanke'.)

 

Dann kann ich es so auslegen:

 

Eisige Zeiten sind für eine Familie angebrochen. Vielleicht ein Arbeitsplatzverlust. Schulden. Das Geld geht aus. In meiner Phantasievorstellung steht der Vater im Mantel da. Auf einer Anhöhe. Entfremdung? Hm, nein, eher nicht. Für mich hat er eher Angst, den Arbeitsplatzverlust zuzugeben. Vielleicht hat der Vater nichts gesagt. Ist jeden Tag aus dem Haus gegangen, als ob alles in Ordnung wäre.

Aber jetzt ist das Ersparte aufgebraucht. Die symbolischen drei Euro, die noch übrig sind. Was soll er tun? Er könnte die Wahrheit sagen, aber da er 'in Entfernung'/'auf Distanz' zu den drei Rehen steht (wie gesagt, ich 'sehe' ihn auf einer Anhöhe stehen) kann es für mich gut sein, dass er beschlossen hat, fortzugehen. Ja, er lässt sie damit im Stich. Für mich flieht er, entzieht sich damit der Verantwortung. 

 

Eine durchaus reale Geschichte, das würde keineswegs zum ersten Mal geschehen. Leider geschieht es und - nun, das wiederum hängt mit dem Druck zusammen, dem man heute in der Arbeitswelt und in unserer Gesellschaft ausgesetzt ist. Viele Männer identifizieren sich so mit ihrer Arbeit, dass ihr Selbstwertgefühl völlig davon abhängt. Ich würde beim Vater im Gedicht sogar einen geplanten Suizid nicht ausschließen ...

 

Aber, wie gesagt: Ich kann es so auslegen. Die Verse bieten mir diese Möglichkeit. Ich kann aber natürlich auch ganz weit 'daneben liegen'. Wäre bei mir auch nicht das erste Mal. :wink:

 

Ich fand die 'Geschichte' allerdings der Erwähnung wert, die ich persönlich 'herauslesen' kann. Also dachte ich: Schreib einfach mal deine Deutung in einen Kommentar. Kann ja nicht schaden!

 

LG,

 

Anonyma

 

 

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Geschrieben

Hallo Dionysos, Heiko, Anonyma

 

Drei Euros mit dem "s" hätten in der Tat unbesorgter geklungen, @Dionysos von Enno Aber ich wollte nichts Unbesorgtes schreiben und vielmehr die Parallele zwischen den Rehen und dem Beobachter herausarbeiten. Da hätte mich das "s" auch schon klanglich irgendwie gestört. Auch die Parallele zweier Endvokale in "Rehe" und "Euro gehört für mich zur Gleichartigkeit der beiden Zeilen zwei und drei. 

 

Wenn man auf diese Gleichartigkeit achtgibt, bekommt man den Interpretionsfaden in die Hand, Haiko. Den Wildtieren geht es ind der kalten Jahreszeit bekanntermaßen schlecht. Durch die parallele Fügung von Zeile zwei und drei wird die Situation des Beobachters an die der Rehe assimliliert. Er hat kaum Geld, ist der Kälte ausgesetzt,  Wir haben daher Grund, uns über die Güte seines Mantels Gedanken zu mchen. Gibt es denn viele Menschen, die ihre Zeit damit verbringen, Wildtiere zu beobachten, während es schneit? Vermutlich nicht. Der Beobachter im (dünnen) Mantel ist wahrscheinlich allein. Offenbar handelt es sich hier um eines dieser schwermütigen Winterwanderer-Gedichte, wie sie etwa Schubert in der Winterreise vertont hat. Das alles hat @Anonyma intuitiv schön erfasst und in Detailmalerei umgesetzt. .

 

Das Haiku, lieber Haiko, hat in der westlichen Welt in der vergangenen Jahrzehnten im Westen, vor allem auch im angelsächsischen Raum,  großen Erfolge gehabt, weil es anschlussfähig ist an Tendenzen der lyrischen Moderne, als da wären weitere Verdichtung und assoziative Offenheit. Genau das macht die Interpretation von Haikus manchmal schwierig. Dieses Haiku hier hat als klassisch japanisches Element das Jahreszeitenwort (in unserem Fall "Schneefall"), das einen Natureindruck aufruft und damit fast wie ein Vorzeichen vor einer Klammer in einem mathematischen Ausdruck wirkt. Klassisch japanisch ist auch seine Diskretheit; von den Leiden eines lyrischen Ich ist hier nur auf verschlungenen Umwegen die Rede (die japanische Kultur ist keine Kultur des Ich-sagens.). Auch dieser Zug am Haiku gefällt mir sehr. 

 

Beste Grüße

Onegin

   

 

  • Gefällt mir 2
Geschrieben

Also, ich glaube Onegin will damit sagen, dass recht wenig Schnee fällt.

Oder, dass während er den fallenden Schnee beobachtet, drei Rehen wahrnimmt sowie drei Münzen in seiner Manteltasche.

Eben sehe ich, dass er geantwortet hat, ich poste es trotzdem.

Geschrieben
vor einer Stunde schrieb Onegin:

Hallo Dionysos, Heiko, Anonyma

 

Drei Euros mit dem "s" hätten in der Tat unbesorgter geklungen, @Dionysos von Enno Aber ich wollte nichts Unbesorgtes schreiben und vielmehr die Parallele zwischen den Rehen und dem Beobachter herausarbeiten. Da hätte mich das "s" auch schon klanglich irgendwie gestört. Auch die Parallele zweier Endvokale in "Rehe" und "Euro gehört für mich zur Gleichartigkeit der beiden Zeilen zwei und drei. 

 

Wenn man auf diese Gleichartigkeit achtgibt, bekommt man den Interpretionsfaden in die Hand, Haiko. Den Wildtieren geht es ind der kalten Jahreszeit bekanntermaßen schlecht. Durch die parallele Fügung von Zeile zwei und drei wird die Situation des Beobachters an die der Rehe assimliliert. Er hat kaum Geld, ist der Kälte ausgesetzt,  Wir haben daher Grund, uns über die Güte seines Mantels Gedanken zu mchen. Gibt es denn viele Menschen, die ihre Zeit damit verbringen, Wildtiere zu beobachten, während es schneit? Vermutlich nicht. Der Beobachter im (dünnen) Mantel ist wahrscheinlich allein. Offenbar handelt es sich hier um eines dieser schwermütigen Winterwanderer-Gedichte, wie sie etwa Schubert in der Winterreise vertont hat. Das alles hat @Anonyma intuitiv schön erfasst und in Detailmalerei umgesetzt. .

 

Das Haiku, lieber Haiko, hat in der westlichen Welt in der vergangenen Jahrzehnten im Westen, vor allem auch im angelsächsischen Raum,  großen Erfolge gehabt, weil es anschlussfähig ist an Tendenzen der lyrischen Moderne, als da wären weitere Verdichtung und assoziative Offenheit. Genau das macht die Interpretation von Haikus manchmal schwierig. Dieses Haiku hier hat als klassisch japanisches Element das Jahreszeitenwort (in unserem Fall "Schneefall"), das einen Natureindruck aufruft und damit fast wie ein Vorzeichen vor einer Klammer in einem mathematischen Ausdruck wirkt. Klassisch japanisch ist auch seine Diskretheit; von den Leiden eines lyrischen Ich ist hier nur auf verschlungenen Umwegen die Rede (die japanische Kultur ist keine Kultur des Ich-sagens.). Auch dieser Zug am Haiku gefällt mir sehr. 

 

Beste Grüße

Onegin

   

 


ohjeh da habe ich ja ordentlich daneben gelegen. In meiner romantischen Vorstellung sah ich einen glücklichen Bohemen der das Glück hatte mitten in der Stadt auf drei Rehe zu stoßen, ein hans im Glück der mit seinen drei Euros zur Feier des schönen Momentes eine Packung Ziegenkäse und ein Wasser bei Aldi kauft und sich genüsslich an seiner Existenz erfreut und der Tatsache dass es im Talgrund mitten in der Stadt Noch Rehe gibt und dazu noch Schneefall: was für ein schönes Leben

Geschrieben
Zitat

In meiner romantischen Vorstellung sah ich einen glücklichen Bohemen der das Glück hatte mitten in der Stadt auf drei Rehe zu stoßen, ein hans im Glück der mit seinen drei Euros zur Feier des schönen Momentes eine Packung Ziegenkäse und ein Wasser bei Aldi kauft und sich genüsslich an seiner Existenz erfreut

 

Sehr schön! und im Hotel Terminus wartet schon Romy Schneider auf ihn, nachdem sie Michel Piccoli den Laufpass gegeben hat... realisateur: Dionysos 

 

 

 

Geschrieben
vor 28 Minuten schrieb Onegin:

 

Sehr schön! und im Hotel Terminus wartet schon Romy Schneider auf ihn, nachdem sie Michel Piccoli den Laufpass gegeben hat... realisateur: Dionysos 

 

 

 


Hehe ja ja …  Ist dir das etwa  zu kitschig ??

 

Mit dem Zugang der klugen Vorredner und deinen Hinweisen  bietet sich natürlich auch mir ein deutlich vielschichtigeres Verständnis und bin erstaunt, wie es dir gelingt so viel hintergründiges so prägnant zu verdichten. Ein Genuss bleibt es 

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